25.08.2023

Der europäische Regelarbeitsmarkt

Der Regelarbeitsmarkt (RAM) für Sekundärreserve (aFRR) und Minutenreserve (mFRR) wurde in Deutschland im November 2020 eingeführt und ergänzt seitdem den Regelleistungsmarkt. Dies war ein Schritt zur Harmonisierung der europäischen Regelreserve basierend auf der Electricity Balancing Guideline aus dem Jahr 2017. Mit diesem Webseitenbeitrag und der zugehörigen Infografik soll ein allgemeiner Überblick über die Entstehung des gemeinsamen europäischen Regelarbeitsmarkt gegeben werden. Dieser Artikel stellt in einigen Teilen eine Aktualisierung des Artikels zum Regelarbeitsmarkt in Deutschland dar und beleuchtet die Europäische Kooperation bei der Regelleistungserbringung aus der Sicht Deutschlands als Mitgliedsstaat.

Abbildung 1: Infografik zum europäischen Regelarbeitsmarkt

Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Regelarbeitsmarkt

2017 hat die EU die Electricity Balancing Guideline für die Harmonisierung der Regelreserve in Europa (EB-GL) beschlossen. Ziel der EB-GL ist es, einen gesamteuropäischen Markt für Regelreserve zu etablieren, der durch eine einheitliche Marktgestaltung und einen freien Handel von Regelarbeit ohne Hemmnisse geprägt ist. Sie schafft verbindliche Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende Saldierung von Ungleichgewichten. Dadurch erhalten die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) die Befähigung, Regelreserven effizienter, zuverlässiger und kosteneffektiver zu beschaffen (siehe auch https://www.entsoe.eu/network_codes/eb/). Zur Harmonisierung der Regelreserve soll laut der EB-GL unter anderem die Einführung eines europäischen, transnationalen Regelarbeitsmarkts für aFRR und mFRR erfolgen, welche über die beiden Umsetzungsprojekte PICASSO und MARI realisiert wurde. Insgesamt soll dadurch die Versorgungssicherheit erhöht, die Emissionen begrenzt und die Kosten gesenkt werden.

PICASSO steht für Platform for the International Coordination of Automated Frequency Restoration and Stable System Operation und ist das Umsetzungsprojekt für die Entwicklung einer europäischen aFRR-Plattform, gestartet 2017. 30 ÜNBs sind an PICASSO beteiligt, 26 aktive Mitglieder und vier Beobachter (grafisch dargestellt in der Infografik). Am 01.04.2022 hatte PICASSO sein Go-Live mit CEPS, dem ÜNB der Tschechischen Republik, als erstes operierendes Mitglied (noch vor der Deadline). Am 22.06.2022 erfolgte der erste Energieaustausch nach dem Beitritt von APG (Österreich) und den deutschen ÜNBs. Folgende ÜNBs sind Mitglieder:

  • Belgien (ELIA),
  • Bulgarien (ESO),
  • Dänemark (Energinet),
  • Deutschland (50Hertz, TransnetBW, TenneT DE, amprion),
  • Finnland (Fingrid),
  • Frankreich (RTE),
  • Griechenland (IPTO/ADMIE),
  • Italien (Terna),
  • Kroatien (HOPS),
  • Luxemburg (Creos).
  • Niederlande (TenneT NL),
  • Norwegen (Statnett),
  • Österreich (APG),
  • Polen (PSE),
  • Portugal (REN),
  • Rumänien (Transelectrica),
  • Schweden (Svenska Kraftnät),
  • Schweiz (Swissgrid) und
  • Slowakei (SEPS),
  • Slowenien (ELES),
  • Spanien (REE),
  • Tschechien (ČEPS),
  • Ungarn (MAVIR),

Aktuelle Beobachter sind die ENTSO-E, Estland (Elering), Lettland (AST), Litauen (Litgrid) und Nordmazedonien (MEPSO).

MARI steht für Manually Activated Reserves Initiative und ist das Umsetzungsprojekt für die Entwicklung einer europäischen mFRR-Plattform. Aktuell (Stand Juni 2023) sind 32 ÜNBs an MARI beteiligt, 29 aktive Mitglieder und 3 Beobachter (grafisch dargestellt in der Infografik). Gestartet ist die Kooperation mit 19 ÜNBs im Jahr 2017. Am 15.09.2022 hatte MARI sein technisches Go-Live, wobei am 05.10.2022 die ersten 5 ÜNBS (CEPS und deutsche ÜNBs) beigetreten sind. Aktuelle Mitglieder sind:

  • Belgien (ELIA),
  • Bulgarien (ESO),
  • Dänemark (Energinet),
  • Deutschland (50Hertz Transmission, Amprion, TenneT DE, TransnetBW),
  • Estland (Elering),
  • Finnland (Fingrid),
  • Frankreich (RTE),
  • Griechenland (IPTO/ADMIE),
  • Italien (Terna),
  • Kroatien (HOPS),
  • Lettland (AST),
  • Litauen (Litgrid),
  • Luxemburg (Creos).
  • Niederlande (TenneT NL),
  • Norwegen (Statnett),
  • Österreich (APG),
  • Polen (PSE),
  • Portugal (REN),
  • Rumänien (Transelectrica),
  • Schweden (Svenska Kraftnät),
  • Schweiz (Swissgrid) und
  • Slowakei (SEPS),
  • Slowenien (ELES),
  • Spanien (REE),
  • Tschechien (ČEPS),
  • Ungarn (MAVIR),

Aktuelle Beobachter sind die ENTSO-E, Irland (EirGrid), Nordirland (SONI) und Nordmazedonien (MEPSO).

Für das Go-live der beiden Plattformen wurde das Zielmarktdesign in allen beteiligten Ländern eingeführt. Dies beinhaltet unter anderem viertelstündliche Zeitscheiben und ein Einheitspreisverfahren (marginal pricing). Außerdem wurde die Preisobergrenze für die nächsten vier Jahre basierend auf einer ACER-Studie auf 15.000 €/MWh gesetzte. Danach wird diese für die Jahre 2024-2026 auf 22.940 €/MWh erhöht, da die Studie diesen Wert also Höchstgrenze der Zahlungsbereitschaft der ÜNB ermitteln konnte.

Im Verlauf des Jahres 2023 und 2024 ist der Anschluss der nächsten Mitglieder geplant, sodass ab dem 2. Quartal 2024 ein Großteil der EU-Staaten den beiden Plattformen bereits beigetreten sein werden. Viele ÜNB hatten um Ausnahmeregelungen bezüglich ihres Eintrittsdatums gebeten, um eine technisch reibungslosen Anschluss zu gewährleisten.

Frankreichs ÜNB RTE wurde eine Ausnahmeregelung bis zum 24.07.24 gewährt. RTE stellte jedoch bereits klar, dass mindestens ein weiteres Jahr für den Anschluss von RTE an die MARI-Plattform erforderlich sein wird, um die Betriebssicherheit des französischen Stromnetzes zu gewährleisten.

Exkurs Schweiz

Der Schweizer ÜNB Swissgrid hat die Plattformen gemeinsam mit den Mitgliedern der ENTSO-E aufgebaut und erfüllt alle technischen Anforderungen für einen Anschluss. Aktuell darf die Schweiz jedoch nicht an den Plattformen teilnehmen. Ihr Beitritt ist derzeit Gegenstand eines Rechtsstreits von Swissgrid vor dem Gerichtshof der Europäischen Union. Grund dafür sind Artikel 1.6 und 1.7 EB GL. Sie regelt die Voraussetzungen der Schweiz für einen Anschluss, welche die EU-Kommission zur Zeit nicht erfüllt sieht.

Konkret wird darin gefordert, dass die Schweiz wesentlichen Bestimmungen des Unionsrechts für den Strommarkt in Schweizer Recht umsetzt und ein zwischenstaatliches Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen der Union und der Schweiz im Elektrizitätsbereich besteht. Auch kann die Schweiz an die Plattformen angeschlossen werden, wenn der Ausschluss der Schweiz zu ungeplanten physischen Leistungsflüssen durch die Schweiz führen könnte, die die Systemsicherheit der Region gefährden.

Diese Gefahr sieht die EU derzeit aber nicht. Swissgrid hat in einer Veröffentlichung vom Oktober 2022 klargestellt, dass sie weiterhin die technische Kompatibilität für den grenzüberschreitenden Austausch von Regelenergie garantieren werden. Gleichzeitig haben sich 25 Schweizer Energieversorger bei der Aufsichtsbehörde Elcom über Preissteigerungen seitens Swissgrid beschwert.

Diese sollen durch die Umsetzung des Abrechnungsmodells für PICASSO und MARI (marginal pricing) hervorgerufen worden sein, so die Beschwerdeführer. Swissgrid hat jedoch angegeben, dass die Umstellung auf das PICASSO-Marktdesign eine logische Konsequenz der zentralen Lage der Schweiz im europäischen Verbundnetz sei und Swissgrid nicht zum ursprünglichen Abrechnungsmodell zurückkehren werde.

Es bleibt abzuwarten, ob EU und Schweiz eine gemeinsame Lösung finden werden und die Schweiz am paneuropäischen Regelarbeitsmarkt teilnehmen darf.