31.07.2023

Beitragsreihe zur Charakterisierung von Niederspannungsnetzen: Identifikation von Netzclustern

In vielen Forschungsprojekten im Kontext der Elektrifizierung von Mobilität, Wärme und Industrie wird untersucht, wie sich weitere elektrische Verbraucher in Kombination mit dem Hochlauf erneuerbarer Energien auf die Stromnetze auswirken. Ein großer Anteil der hinzukommenden elektrischen Last wird in den Niederspannungsnetzen (NS-Netz) angeschlossen. Ein Ansatz zu deren Integration ist die Flexibilisierung des Verbrauchsverhaltens, um Engpässe vermeiden oder beheben zu können. Zur Evaluierung der Konzepte bezüglich deren Auswirkung auf die Netze werden diese mit künftigen Belastungsszenarien und Netzbetriebsstrategien simuliert.

Insgesamt gibt es in Deutschland über 500.000 Niederspannungsnetze, die von rund 800 Verteilnetzbetreibern betrieben werden [1]. In Summe ergeben diese eine Leitungslänge von über 1.200.000 km [2]. Es ist kaum möglich, alle Netze einzeln zu simulieren. Zum einen liegen viele dieser Netze nicht in simulierbarer Form vor und zum anderen würde dies einen enormen Rechenaufwand bedeuten. Um für verschiedene, in Deutschland vorliegende Netzstrukturen Aussagen treffen zu können, werden daher für Simulationen Referenznetze verwendet. Diese ermöglichen es, von geographischen und strukturellen Parametern auf die Netzinfrastruktur schließen zu können.

In dieser Beitragsreihe wird aufgezeigt, welche Parameter und Methoden herangezogen werden, um Referenznetze zu erstellen. Weiterhin werden Daten aus der Literatur zusammengeführt und ein Set an Referenznetzen erstellt. Konkret werden die folgenden Themen adressiert:

Beschreibung von Niederspannungsnetzen

Wie der zweite Beitrag der Beitragsreihe verdeutlicht hat, gibt es diverse Parameter, welche zur Charakterisierung von Niederspannungsnetzen (NS-Netzen) geeignet sind. In der Literatur wurden hierbei bereits Cluster identifiziert bzw. definiert, welche eine charakteristische Einordnung von Netzgebieten anhand struktureller Parameter ermöglichen. Diese Cluster wurden im Rahmen der durchgeführten Meta-Analyse verglichen und zu „Meta-Clustern“ zusammengeführt. Das Ziel dieses Prozesses war die Verknüpfung der Cluster aus der Literatur unter Berücksichtigung einer möglichst geringen Anzahl an Schlüsselparametern, um daraus eine möglichst einfache Übertragbarkeit zu gewährleisten. Es wurden die in folgenden Quellen beschriebenen Cluster und Netztypen herangezogen:

  • die Studien [3], [4], [5], [6] und [7] untersuchen Netze und teilen diese in Cluster ein,
  • die Studien [8] und [9] untersuchen Gebietsstrukturen und erstellen für diese typische Netze.

Weiterführend wurden 1.200 reale NS-Netze im Kontext der Cluster analysiert, um die aus der Literatur gebildeten Meta Cluster zu verifizieren, woraus insgesamt 18 Meta-Cluster resultierten (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1 Meta-Cluster für Niederspannungsnetze und Werte der beschreibenden Parameter

Wie die Tabelle verdeutlicht, werden die identifizierten Meta-Cluster über drei auf die Hausanschlüsse (HA) normierte Parameter, wobei sich jeweils Bandbreiten ergeben, welche in Kombination einen „Primärschlüssel“ bilden:

  • Trafoscheinleistung pro HA
  • Abstand zum nächsten Nachbarn / Leitungslänge pro HA
  • Anzahl an Wohnungen/Gewerbeeinheiten pro HA

Die kalkulierten Bandbreiten bzw. Primärschlüssel spannen somit für jedes Cluster einen Quader im dreidimensionalen Raum der Parameter auf. Abbildung 2 illustriert die Lage der Cluster in diesem Definitionsraum und zeigt wie sie sich voneinander abgrenzen. Es wird deutlich, dass die identifizierten Cluster in ihren Dimensionen deutliche Unterschiede aufweisen und auch dass diese den dargestellten Definitionsraum nicht vollständig ausfüllen (freie Räume zwischen den Cluster-Quadern). Auch zeigen sich im dargestellten Definitionsraum lokale Häufungen an Clustern. Diese Eigenschaften sind auf mehrere Faktoren zurückzuführen. So fokussieren sich die in der Literatur untersuchten Netzgebiete und daraus identifizierten Cluster z. B. häufig auf einen spezifischen Gebietstyp bzw. eine Region, welche sich letztendlich in lokalen Häufungen an Clustern wiederfindet. Die Definition der Größe der Cluster obliegt dem dabei jeweils selektierten, methodischen Ansatz. Auch sind NS-Verteilnetze in ihrer Struktur sehr divers, wobei aus den Clustern und der die Netze umfassenden Siedlungsstruktur überregionale Tendenzen identifiziert werden können, wie z. B. Reihenhaussiedlungen (Geringe Gebäude-/Leitungsabstände bei zeitgleich geringer Anzahl an Wohnungen je HA).

Abbildung 2 Meta-Cluster für Niederspannungsnetze im dreidimensionalen Raum

Die in der Literatur identifizierten und durch Netzdaten realer Verteilnetze verifizierten Meta-Cluster wurden in Steckbriefen charakterisiert und voneinander abgegrenzt. Im Folgenden werden zwei Meta-Cluster anhand der angefertigten Steckbriefe beschrieben. Das Meta‑Cluster „Verteilte EZFH Siedlung B“ beschreibt eine Wohnsiedlung, welche sich aus Ein- und Mehrfamilienhäusern (EZFH) zusammensetzt. Daher ist die Wohnungszahl mit durchschnittlich 1 – 2,5 Wohnungen pro HA gering. Die Gebietsstruktur des Meta-Clusters ist divers: Die Netze bedienen sowohl Wohnsiedlungen kleiner Gemeinden, Städte oder auch Randbezirke deutscher Großstädte. Der Abstand der HA in den Netzen dieses Clusters liegt zwischen 30 – 50 m. Somit kann davon ausgegangen werden, dass die Gebäude nicht direkt aneinander angrenzen, sondern entsprechende Flächen auf den Grundstücken zwischen den Gebäuden frei sind (z. B. Gärten) oder mit für Verteilnetze irrelevanten Gebäuden (z. B. Garagen) bebaut sind. Die Transformatorgröße pro HA ist mit 4 – 10 kVA im mittleren Bereich des identifizierten Definitionsraums. Dies ist dadurch bedingt, dass in Verteilnetzen in diesem Cluster der Gewerbeanteil gering ist und in diesen Netzen größere gewerbliche Verbraucher tendenziell untypisch sind. Darüber hinaus ist die Transformatorgröße durch weitere Faktoren wie z. B. das Baujahr der Wohnsiedlung beeinflusst. Im Vergleich zu allen weiteren Clustern liegt die installierte PV-Kapazität in Netzen dieses Clusters auf einem durchschnittlichen Niveau. Im Vergleich mit Clustern und Netzen, welche primär Wohnsiedlungen versorgen liegt die installierte PV-Kapazität auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Abbildung 3 verdeutlicht links zusammenfassend die Charakteristik des Clusters „Verteilte EZFH Siedlung B“.

Abbildung 3 Steckbriefe der beiden Cluster "Verteilte EZFH Siedlung B“ und „Gewerbegebiet A“

Das Meta‑Cluster „Gewerbegebiet A“ repräsentiert ein Gebiet dessen primäre Versorgungsaufgabe sich auf Gewerbe-Betriebe und kleineren Industriebetrieben fokussiert. Dies bedeutet, dass der Anteil an Wohngebäuden in dem Netz sehr gering ist. Die Anzahl an Wohneinheiten bzw. Betrieben pro HA ist gering und der Abstand zwischen den Gebäuden ist verhältnismäßig groß (verteilte Siedlungsstruktur). Spezifisch für das Gewebegebiet A ist, die besonders große Bemessungsleistung des Transformators wodurch sich dieses Gewerbe-Cluster von den anderen beiden Clustern abgrenzt. Des Weiteren weisen Netze in diesem Cluster hohe installierte PV-Kapazität pro HA auf. Typische Netze dieses Clusters sind kleine Gewerbenetze mit wenigen stromintensiven Gebäuden, z. B. landwirtschaftliche Betriebe mit einem zentralen Netzverknüpfungspunkt und PV-bebauten Lagerhallen/Ställen.

Die Steckbriefe der 18 Meta-Cluster sind im nachfolgenden Downloadbereich zu finden. Der folgende Beitrag dieser Beitragsreihe fokussiert sich auf das methodische Vorgehen bei der Modellierung charakteristischer Verteilnetze („Typnetze“) für jedes der Cluster sowie deren Charakteristik.

Literatur

[1] Anzahl der Stromnetzbetreiber in Deutschland in den Jahren 2012 bis 2022. Hamburg: Statista, 2023.

[2] Länge des Stromnetzes in Deutschland nach Spannungsebene im Jahresvergleich 2010 und 2021. Hamburg: Statista, 2023

[3] Köppl, Simon; Samweber, Florian; Bruckmeier, Andreas; Böing, Felix; Hinterstocker, Michael; Kleinertz, Britta; Konetschny, Claudia; Müller, Mathias; Schmid, Tobias; Zeiselmair, Andreas: Projekt MONA 2030: Grundlage für die Bewertung von Netzoptimierenden Maßnahmen – Teilbericht Basisdaten. München: Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V. (FfE), 2017

[4] Wintzek, Patrick; Shawki Alsayed, Ali; Monscheidt, Julian; Gemsjäger, Ben; Slupinski, Adam; Zdrallek, Markus (Bergischen Universität WuppertalSiemens AG, 2021, BUW-01 21)

[5] Gust, Gunther: Analyse von Niederspannungsnetzen und Entwicklung von Referenznetzen – Masterarbeit an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Karlsruhe: Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2014

[6] Eisenreich, Marc: Einbindung dezentraler Erzeuger am Beispiel von Photovoltaikanlagen ins elektrische Verteilungsnetz und die Auswirkungen auf die Netzstruktur. Darmstadt: Technische Universität Darmstadt, 2018.

[7] Kerber, Georg: Aufnahmefähigkeit von Niederspannungsverteilnetzen für die Einspeisung aus Photovoltaikkleinanlagen. München: Technische Universität München, 2011.

[8] Meinecke, Steffen; Drauz, Simon; Klettke, Annika; Sarajlić, Džanan (Universität Kassel Institut für Energiemanagement und Betrieb elektrischer Netze, 2020-01-13, UK-01 20 )

[9] Scheffler, Jörg: Bestimmung der maximal zulässigen Netzanschlussleistung photovoltaischer Energiewandlungsanlagen in Wohnsiedlungsgebieten. Chemnitz: Technische Universität Chemnitz, 2002.