14.11.2022

Hürden für Geschäftsmodelle und Nachhaltigkeitskriterien für Wasserstoff im Markthochlauf – die FfE auf dem Wasserstoff-Dialog

Erstmalig fand im Rahmen des Wasserstoff-Dialogs ein Präsenztreffen des Forschungsnetzwerks Wasserstoff, gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, statt, gefolgt von der H2-Kompass Stakeholder-Konferenz. Neben fachlichen Diskussionen wurde bei der dreitägigen Veranstaltung Wert auf den persönlichen Austausch gelegt. Auch die FfE beteiligte sich mit der Organisation zweier interaktiver Sessions zu den Themen „Geschäftsmodelle und Hürden“ sowie „Nachhaltigkeitskriterien beim Markthochlauf“ an der Gestaltung der Konferenz. Die Ergebnisse der Sessions fließen in die Arbeiten des laufenden Projekts Trans4ReaL ein.

Wasserstoff-Dialog, 10. - 12.10.2022, Radialstem Berlin

World-Café: Diskussion von Geschäftsmodellhürden

In einem World-Café werden verschiedene Stationen aufgebaut, wobei sich die Teilnehmenden innerhalb des Termins zwischen den Stationen bewegen und somit an mehreren Themen mitdiskutieren und sich zu diesen austauschen können. Das Team der FfE hat zu vier Geschäftsmodellen jeweils eine Station vorbereitet, wobei die Teilnehmenden alle 15 Minuten die Stationen gewechselt haben. An den Stationen wurde von der/dem Moderator:in zunächst der Use Case zum Geschäftsmodell vorgestellt. Anschließend wurden Umsetzungshürden gesammelt, diskutiert und priorisiert.

Betrieb eines Elektrolyseurs

Für die Herstellung von grünem Wasserstoff mittels Elektrolyse sind in Deutschland nach dem Delegated Act (DA) zur Produktion erneuerbarer Kraftstoffe der Renewable Energy Directive II (RED II) drei Varianten des Strombezugs relevant:

  • Direktleitung zwischen Erneuerbare-Energien-Anlage und Elektrolyseur
  • Power Purchase Agreement (PPA) zwischen Betreiber der Erneuerbaren-Energien-Anlage und Elektrolyseurbetreiber
  • Strombezug bei Netzengpass, wenn ansonsten eine Erneuerbare-Energien-Anlage abgeregelt werden müsste (Redispatch)

Die teuren Gestehungskosten des grünen Wasserstoffs können durch verschiedene Anwendungsfälle reduziert werden. Je nach Standort ist eine Nebennutzung der Abwärme des Elektrolyseurs und des elektrolytisch erzeugten Sauerstoffs möglich. Daneben kann der Elektrolyseurbetreiber zusätzliche Erlöse durch das Anbieten von Regelleistung erzielen. Grundsätzlich ist auch der Bezug von Strommixstrom aus dem Netz denkbar (gelber Wasserstoff), um die Volllaststunden des Elektrolyseurs zu erhöhen.

Wesentliche erarbeitete Umsetzungshürden:

  • Ziel hoher Betriebsstunden zur Auslastung des Elektrolyseurs sind nicht vereinbar mit der Produktion von grünem Wasserstoff nach den regulatorischen Vorgaben des DAs der RED II
  • Fehlende und unklare Regulatorik für die Herstellung von grünem Wasserstoff
  • Hohe Strombezugskosten verhindern die Wettbewerbsfähigkeit von Wasserstoff mit bestehenden, fossilen Energieträgern
  • Schwankende Wasserstoffnachfrage sowie fehlende Zahlungsbereitschaft führen zu Planungs- und Investitionsunsicherheit bei Elektrolyseurbetreibern
  • Großer Kostendruck bei lokal hergestelltem grünem Wasserstoff sowie darauf folgenden grünen Produkten durch globalen Wettbewerb

Weiterhin wurde eine geeignete Standortwahl hinsichtlich der Infrastruktur und der entsprechenden Versorgungssicherheit sowie der Nutzung von Nebenprodukten für wichtig befunden. Zudem wurde auf die Notwendigkeit der Verfügbarkeit von Wasser hingewiesen.

Bau und Betrieb eines Wasserstoffnetzes und Trailertransport

Für den Markthochlauf von Wasserstoff und dessen Transport zu den Anwendern werden bestehende Erdgasleitungen auf Wasserstoff umgerüstet oder neue Wasserstoffnetze gebaut. Ziel ist die Schaffung einer einfachen und schließlich günstigen Art und Weise des Wasserstofftransports. Wenn Erzeuger und Verbraucher (noch) kein Wasserstoffnetz verbindet, ist auch ein Transport von Wasserstoff per LKW und Trailer möglich. Diese Art des Transports ist vor allem in der Phase des Markthochlaufs und langfristig für die Nahverteilung geringer Wasserstoffmengen (bspw. für Tankstellen) relevant.

Wesentliche Umsetzungshürden:

  • Hohe Kapitalkosten erfordern Investitionssicherheit
  • Unkenntnis über zukünftige Entwicklung der Wasserstoffnachfrage in hoher geografischer Auflösung
  • Fehlende Regulierung (z. B. Unbundling-Fragen)
  • Technische Unsicherheiten bzgl. Zusammensetzung des Gases, notwendige Reinheit etc.
  • Andere Trägermedien wie bspw. Ammoniak und LOHC als Konkurrenz zu Transport von reinem Wasserstoff

Nutzung von Wasserstoff in Raffinerien und der Methanolsynthese

Methanol kann als Kraftstoff, Energieträger oder als Edukt in der chemischen Industrie verwendet werden. Die Methanolsynthese erfolgt aus grünem Wasserstoff und CO2, das aus industriellen Prozessen oder aus der Luft abgeschiedenen wird. Ein Beispielprozess ist die Substitution von grauem Wasserstoff durch grünen Wasserstoff in der Raffinerietechnik zur Entschwefelung von Kraftstoffen (Hydrotreatment) und zur Veredlung schwerer Raffinerierückstände (Hydrocracking). Somit können prozessbedingte Treibhausgasemissionen reduziert werden.

Wesentliche Umsetzungshürden:

  • Verfügbarkeit von CO2-Quellen in ausreichender Menge
  • Unsicherheit über Definition und Verfügbarkeit nachhaltiger CO2-Quellen (DAC, Biogen, Industrie)
  • Logistik von Wasserstoff zur Anlage muss noch aufgebaut werden (Trailer, Pipeline, Bahn)
  • Saisonalität in Erzeugung und Verbrauch
  • Produktionskapazitäten von Wasserstoff in ausreichenden Mengen sind aktuell nicht gegeben
  • Einsatz von Wasserstoff in Raffinerien in der „THG-Quote“ (37. BImSchV) nicht anrechenbar
  • Unsichere langfristige Bedarfe für Raffinerien
  • Unsicherheit über die Zahlungsbereitschaft für grünes Methanol
  • Regulatorik: fehlende Definition von „teilweise“ grünen Produkten (bspw. fossiler Kraftstoff „grün“ raffiniert)

Rückverstromung von Wasserstoff

Wasserstoff kann gespeichert und zu marktlichen oder netz-/systemdienlichen Zwecken rückverstromt werden. Grundsätzlich gibt es zwei technologische Möglichkeiten zur Rückverstromung von Wasserstoff: die Rückverstromung mittels Brennstoffzellen (hoher Wirkungsgrad, vglw. hohe Investitionskosten) und die Verbrennung von Wasserstoff in Gasturbinen (geringere Wirkungsgrade bei kürzeren Startzeiten und somit höheren Flexibilitäten).

Wesentliche Umsetzungshürden:

  • Mangelnde Wirtschaftlichkeit der Rückverstromungsanlage durch unzureichende Auslastung sowie Umwandlungsverluste
  • Unsicherheiten über zukünftige Wasserstoff- und Strompreise
  • Mengenverfügbarkeit von Wasserstoff ist fragwürdig; es bestehen konkurrierende Anwendungen von Wasserstoff
  • Berücksichtigung verschiedener regulatorischer Vorschriften erforderlich (Genehmigung Brennstoffzelle oder Speicher nach BImSchG, EEG-Strombezug), welche nicht auf Wasserstoffsysteme ausgelegt sind (z. B. Anlaufzeiten für die Regelleistungserbringung)
  • Ungeklärte Frage nach der bestmöglichen Steuerung von dezentralen, virtuellen Kraftwerken

Im Termin wurde das Fazit gezogen, dass die Rückverstromung von Wasserstoff zunächst keine priorisierte Anwendung von Wasserstoff darstellen wird, sie aber vermutlich insbesondere zur Ausfallsicherheit im zukünftigen Energiesystem beitragen wird.

Fazit des World-Cafés zu Geschäftsmodellen und Hürden

Wir haben uns sehr über die rege Beteiligung der Teilnehmenden gefreut. Die Ergebnisse des Termins tragen dazu bei, zuvor mittels Literaturrecherche identifizierte Umsetzungshürden für Geschäftsmodelle zu anzupassen sowie zu ergänzen.

Session zu Nachhaltigkeitskriterien im Markthochlauf

Angesichts der aktuellen Diskussionen um die Anforderungen an „grünen“ Wasserstoff insbesondere im Kontext der Delegated Acts (DA) auf EU-Ebene wurde in einer weiteren Session die Einordnung von Nachhaltigkeitskriterien im zeitlichen Verlauf vorgenommen. Dabei wurde dem Spannungsfeld Rechnung getragen, dass strenge Nachhaltigkeitskriterien auf der einen Seite wichtig sind, um frühzeitig die richtigen Investitionsanreize in nachhaltige Technologien anzureizen und Lock-In-Effekte zu vermeiden. Auf der anderen Seite steht dem jedoch gegenüber, dass strenge Kriterien in den frühen Phasen der Marktvorbereitung und des Markthochlaufs aufgrund des globalen Wettbewerbs und komplizierter Nachweisverfahren zu einer Verlangsamung des benötigten Hochlaufs führen können.

Vor diesem Hintergrund wurden mithilfe der Kopfstand-Methode zunächst die wichtigsten Nachhaltigkeitskriterien für folgende vier Themenfelder identifiziert: Anforderungen an Strom, Klimawandel, weitere Umweltwirkungen, soziale und geopolitische Auswirkungen. Diese wurden anschließend in Kleingruppen priorisiert und in die drei Phasen der Marktvorbereitung, des Markthochlaufs und des Massenmarkts zeitlich eingeordnet. Das aggregierte Ergebnis des Workshops ist in folgender Abbildung zusammengefasst. Hierbei ist zu beachten, dass es für die meisten Kriterien in der Diskussion keinen Konsens gab, sondern das dargestellte Ergebnis eine mittlere Einordnung der Teilnehmenden darstellt.

Abbildung 2: Zusammenführung der im Workshop eingeordneten Nachhaltigkeitskriterien im zeitlichen Verlauf (gelb=Anforderungen an Strom, hellgrün=Klimawandel, dunkelgrün=weitere Umweltkriterien, hellrot=soziale und geopolitische Kriterien)

Wir bedanken uns für die rege Teilnahme und die spannenden Diskussionen. Die Erkenntnisse aus dem Workshop tragen dazu bei, die Analysen zur ökologischen und energiewirtschaftlichen Bewertung von Wasserstoff im Zuge des Projekts Trans4Real in einen größeren Kontext zu setzen. Wir freuen uns auf den weiteren Austausch im Zuge des Forschungsnetzwerks Wasserstoff.