27.06.2022

Beitragsreihe Politische Maßnahmen: Was sind Superabschreibungen?

Deutschland hat im Zuge der Novellierung des Bundes-Klimaschutzgesetzes seine Klimaziele weiter verschärft. Bis 2030 sollen die THG-Emissionen um 65 % gegenüber dem Jahr 1990 sinken und die THG-Neutralität soll bereits im Jahr 2045 erreicht werden 1.
Bei der Erreichung dieser Ziele spielt der Industriesektor eine wichtige Rolle. Mit 24 % trägt die Industrie im Jahr 2020 maßgeblich zu den nationalen Gesamtemissionen bei. Das Sektorziel für die Industrie entspricht einer Emissionsreduktion um 34 % bis zum Jahr 2030 2. Diese Transformation hin zu einer THG-neutralen Industrie wird politisch vorangetrieben und unterstützt. In dieser Beitragsreihe werden verschiedene politische Maßnahmen beleuchtet, die in Zukunft dazu beitragen können, die Energiewende in der Industrie voranzutreiben oder dies bereits tun. Der Fokus wird dabei zum einen auf der Funktion und den Auswirkungen der Maßnahmen liegen und zum anderen auf der jeweiligen wissenschaftlichen Diskussion.

Übersicht über die Themen der Beitragsreihe Politische Maßnahmen

  1. Was sind Superabschreibungen?
  2. Was sind Klimaschutzverträge?
  3. Was ist der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM)?
  4. Was sind Kapazitätsmechanismen?

Was sind Superabschreibungen?

Die Superabschreibung ist eine fiskalische Maßnahme, die private Investitionen durch beschleunigte Abschreibungen fördern soll. Die Maßnahme wurde im Koalitionsvertrag 2021 für Klimaschutz und Digitalisierungsgüter vereinbart. Abbildung 1 fasst Funktionsweise, ökonomische Effekte, Wirkungsbereich und weitere relevante Informationen zu dieser Maßnahme zusammen.

Infografik: Was sind Superabschreibungen
Abbildung 1: Politische Maßnahme: Superabschreibungen

Einordnung und Funktion

Die Superabschreibung ist eine fiskalische Maßnahme (nach Klassifizierung aus 1), die der privaten Investitionsförderung dienen soll. Durch eine Erhöhung der jährlichen Abschreibungsrate erhalten Unternehmen schneller einen finanziellen Ausgleich für ihre Investitionen. Grund dafür ist die gewinnmindernde Wirkung von Abschreibungen. In der Bilanz werden Abschreibungen als Kosten verbucht und schmälern somit den steuerpflichtigen Gewinn. Wird nun die jährliche lineare Abschreibungsrate beispielsweise von 10 % auf 25 % erhöht, wie in der Infografik in Abbildung 1 angenommen, so müssen Unternehmen pro Jahr einen geringeren Anteil ihres Gewinns versteuern. Allerdings verkürzt sich gleichzeitig der Abschreibungszeitraum in diesem Beispiel von 10 Jahren auf 4 Jahre. Statt 10 Jahre lang jeweils 10 % abzuschreiben, können Unternehmen dann 4 Jahre lang jeweils 25 % abschreiben. Ein Gut wird so lange abgeschrieben bis der Restwert seiner ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten gleich null ist. Erhöht sich der jährliche Abschreibungssatz, verteilt sich die Abschreibung eines Gutes auf weniger Jahre. Das bedeutet insgesamt bewirkt die Maßnahme weder für Unternehmen einen finanziellen Gewinn noch für den Staat einen finanziellen Verlust. Die Superabschreibung ermöglicht den Unternehmen ihre Investitionen schneller steuerlich geltend zu machen und so ihre Liquidität auf einem höheren Niveau zu halten.

Mögliche Ausgestaltungen der Superabschreibungen

Neben der oben beschriebenen linearen Abschreibung gibt es noch zwei weitere mögliche Ausgestaltungsformen der Superabschreibung. Eine davon ist die degressive Abschreibung. Eine weitere Möglichkeit ist eine Abschreibung, welche die ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten übersteigt. Das bedeutet, es ist möglich mehr als 100 % der Investitionssumme abzuschreiben. Beispiele dafür gibt es bereits in anderen Ländern wie dem Vereinigten Königreich 1.

Im Gegensatz zur linearen Abschreibung verläuft die degressive Abschreibung nicht in gleich großen absoluten Teilen über die Jahre der Nutzungsdauer hinweg, sondern in gleich großen relativen Teilen in Bezug auf die Investitionssumme. Dabei wird immer jeweils der Restwert der Investition, also die ursprüngliche Investitionssumme minus die vorangegangenen Abschreibungen als Bemessungsgrundlage für den Umfang der nächsten Abschreibung verwendet. Beträgt der degressive Abschreibungssatz beispielsweise 25 %, werden bei einer Investitionssumme von 100 Euro im ersten Jahr 25 Euro abgeschrieben. Im zweiten Jahr beträgt die Abschreibung dann 25 % des Restwerts von 75 Euro, also 18,75 Euro. Die absoluten jährlichen Abschreibungsbeträge verringern sich somit jährlich.

Im zweiten Corona-Steuerhilfegesetz 2 wurde die Option zu einer degressiven Abschreibung gegeben, die dem zweieinhalbfachen des ansonsten linear angesetzten Abschreibungssatzes entspricht. Höchstens durfte der degressive Abschreibungssatz allerdings 25 % betragen. Im Vergleich zu einem erhöhten linearen Abschreibungssatz, bewirkt ein erhöhter degressiver Abschreibungssatz vor allem in den ersten Jahren eine beschleunigte Abschreibung, die sich mit der Zeit abschwächt.

Bei einer Abschreibung, die den Wert ihrer ursprünglichen Investitionssumme übersteigt, handelt es sich um eine Investitionsprämie. Anders als die Erhöhung eines linearen oder eines degressiven Abschreibungssatzes, ist diese Maßnahme nicht haushaltsneutral. Bei einer möglichen Abschreibung von 130 %, wie im Vereinigten Königreich aktuell für Fabrikausrüstungen und Maschinen („Super Deduction“) 3, ergeben sich insgesamt dauerhafte Steuerverluste für den Staat. Der Vorteil für die Unternehmen ist dementsprechend größer.

Auswirkung auf den Staatshaushalt und den gesamten Wirtschaftsapparat

Wie im vorherigen Absatz deutlich wird, hängt die Auswirkung auf den Staatshaushalt stark von der jeweiligen Ausgestaltung der Superabschreibung ab. In der Infografik aus Abbildung 1 werden die Auswirkungen der Superabschreibungen auf Basis einer Studie des ifo Instituts 1 betrachtet. Der Studie liegt die Annahme einer Erhöhung des linearen Abschreibungssatzes von 10 % auf 25 % für Investitionsgüter des Anlagevermögens zugrunde. Nimmt man zunächst nur die direkte Auswirkung dieser Maßnahme auf den Staatshaushalt in den Blick, so ist der Nettoeffekt in der langen Frist neutral. Die anfänglichen Steuereinbußen werden durch höhere Steuereinnahmen nach Ablauf des verkürzten Abschreibungszeitraums ausgeglichen. Es findet folglich lediglich eine zeitliche Verschiebung der Steuereinnahmen statt.
Gesamtwirtschaftlich betrachtet generiert die Maßnahme laut ifo Institut langfristig jedoch Steuermehreinnahmen. Diese Mehreinnahmen ergeben sich aus den Folgeeffekten der zusätzlich umgesetzten Investitionen 2. Der Studie des ifo Instituts 3 zufolge stiege die private Investitionstätigkeit mit der Maßnahme langfristig um 5 % an, außerdem stiege die Beschäftigung um
1,5 % und das Bruttoinlandsprodukt läge um 3 % höher. Die Steuermehreinnahmen, die sich daraus ergeben, schwächen die Belastung des Staatshaushalts bereits in der mittleren Frist ab. Anstatt eines anfänglichen Verlustes von 17 Milliarden Euro ein Jahr nach der Einführung der Superabschreibung beläuft sich der Nettoverlust drei Jahre danach nur noch auf 10,3 Milliarden Euro Verlust im Jahr. Langfristig sind laut ifo Institut Einnahmen von 8,5 Milliarden Euro jährlich zu erwarten.

Rechtlicher Rahmen

Steuererleichterungen stellen grundsätzlich eine Beihilfe dar. Rechtlich haltbar ist eine Steuererleichterung dann, wenn sie den Anforderungen des EU-Beihilferechts (Art. 107 ff. AEUV) gerecht wird 1. Ob eine Superabschreibung als Maßnahme vor dem EU-Beihilferecht bestehen kann, hängt stark von der jeweiligen Ausgestaltung ab und ist individuell zu prüfen.

Verfassungsrechtlich muss die Konformität mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes – allgemeiner Gleichheitsgrundsatz) geprüft werden. Danach müssen Steuergesetze immer gleichmäßig angewendet und durchgesetzt werden 2. Das bedeutet eine Superabschreibung müsste für alle Steuerpflichtigen gleichermaßen zugänglich sein. Damit wäre beispielsweise eine branchenspezifische Beschränkung der Maßnahme verfassungsrechtlich vermutlich nicht konform.

Diskussionspunkte zur Ausgestaltung der Maßnahme

Der Wirkungsbereich der Maßnahme hängt stark von ihrer Ausgestaltung ab. Sowohl wissenschaftlich als auch politisch wurden bereits verschiedene Vorschläge diskutiert. Grundsätzlich lassen sich zwei Vorschläge unterscheiden. Ein spezifischer Ansatz beschränkt die Maßnahme auf bestimmte Investitionen. Im Koalitionsvertrag 1 vereinbarten SPD, Bündnis 90/die Grünen und die FDP Superabschreibungen für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter. Im Gegensatz dazu schließt ein breiter Ansatz der Superabschreibung alle Investitionen in die Maßnahme mit ein. Das bedeutet, eine Investition muss keine Kriterien erfüllen, um gefördert zu werden, allerdings fiele die jeweilige Förderintensität vermutlich geringer aus als bei einer Beschränkung der Maßnahme 2. Die Erhöhung der Abschreibungsrate wäre in diesem Fall also geringer.

Eine Veröffentlichung des ifo Instituts 3 unterstützt einen breiten Ansatz der Superabschreibung.

Für problematisch befindet das ifo Institut unter anderem die zu erwartende Verkomplizierung des Steuerrechts bei einer Einschränkung der Maßnahme. Darüber hinaus verweisen die Autoren auf das potenzielle Hemmnis für Investitionen, die außerhalb des definierten Wirkungsbereichs liegen. Eine Studie von Stiftung Klimaneutralität, Agora Energiewende und Agora Verkehrswende 4 gibt zu bedenken, dass die Formulierung klarer Kriterien für zu fördernde Investitionen nötig ist, um Mitnahmeeffekte zu vermeiden. Grundsätzlich befindet das ifo Institut 5 die fiskalischen Kosten der Maßnahme für relativ gering in Relation zu der erzielten Wachstumsförderung und der Modernisierung des Kapitalstocks. Zudem bemerkt das Institut, dass ausschließlich Unternehmen von der Superabschreibung profitieren, die tatsächlich investieren. Die Förderung nicht tragfähiger Geschäftsmodelle, bei denen überhaupt keine Investitionsbereitschaft besteht, wird somit weitgehend vermieden.

Vorschläge zur Ausgestaltung aus der Wissenschaft

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung 1 schlägt eine Kombination aus Superabschreibung und Steuererhöhung vor. Konkret ist die Rede von einer Erhöhung des jährlichen linearen Abschreibungssatzes auf von zehn auf 25 % und einer gleichzeitigen Anhebung der Körperschaft- und Gewerbesteuer um insgesamt 5 %. Ziel dabei ist es, die Steuereinbußen der Superabschreibung mit den höheren Steuereinnahmen zumindest in Teilen zu kompensieren. Zwar kann das Defizit der Superabschreibung in den ersten drei bis fünf Jahre auch so nicht finanziell aufgefangen werden, allerdings könnte die Maßnahme so langfristig finanziert werden. Zusätzlich dazu würde ein Spielraum für weitere öffentliche Investitionen in Höhe von zehn Milliarden Euro geschaffen.

Ifo Präsident Clemens Fuest sowie Martin Clemens und Jochen Wiegmann von der IHK München und Oberbayern fordern in einer Pressemeldung vom 25.11.2021 2 ein Ausweiten der geplanten Superabschreibungen anstatt einer Beschränkung auf Klimaschutz- und Digitalisierungsinvestitionen. In einer Veröffentlichung 3 nennen die Autoren vier Gründe für ihre Positionierung. Erstens gäbe es bereits diverse andere Instrumente zur Förderung von Investitionen in diesem Bereich. Zweitens kann aus der Beschränkung ein Hemmnis von Innovationen in Sektoren außerhalb des definierten Wirkungsbereichs entstehen. Drittens fürchten die Autoren eine Verkomplizierung des Steuerrechts und merken viertens an, dass aufgrund der Coronakrise ein breiter Förderbedarf bei Unternehmen mit geschwächtem Eigenkapital bestehe.

Der geschäftsführende Vorstand der Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF) Christian Noll spricht sich in einem Artikel des Tagesspiegel Background vom 12.09.2019 4 von einer Kombination aus beschleunigter degressiver Abschreibung und einer Sofortabschreibung für Wirtschaftsgüter mit einer Nutzungsdauer von weniger als fünf Jahren. Bei einer Laufzeit von zehn Jahren ergäbe sich daraus eine erwartete Energieeinsparung von circa 30 TWh pro Jahr. Bei dieser Einschätzung bezieht sich Noll ausschließlich auf die Anwendung der vorgeschlagenen Maßnahme auf Energieeffizienzinvestitionen.

Agora Energiewende schlägt bereits 2019 zusammen mit Agora Verkehrswende eine Verkürzung der Abschreibungsdauer um 5 Jahre vor 5. Diese Form der Superabschreibung soll für solche Investitionen verfügbar sein, die entweder eine CO2-Einsparung von mehr als 20 % bewirken oder eine Reduzierung des Energieeinsatzes um 15 % ermöglichen. In einer späteren Veröffentlichung von Stiftung Klimaneutralität; Agora Energiewende; Agora Verkehrswende 6 werden diese Förderkriterien ergänzt. Auch Investitionen, die fossile Brennstoffe durch Strom oder Abwärme ersetzen, sollen Zugang zur Superabschreibung erhalten. Im August 7 schlagen dieselben Institutionen schließlich vor, obigen Vorschlag nur übergangsweise für das Jahr 2022 anzuwenden. In dieser Zeit könne eine adäquate Definition für Klimaschutzinvestitionen erarbeitet werden. Diese Definition solle zum einen Mindestkriterien und zum anderen eine Liste für Klimaschutztechnologien umfassen, welche sich an bereits existierenden Benchmarks wie den EU-Ökodesignrichtlinien orientiert.

Für Klimaschutzinvestitionen (qua Definition) solle dann die Wahloption zur degressiven Abschreibung aus dem zweiten Corona-Steuerhilfegesetz 8 realisiert werden. Zudem wird vorgeschlagen, eine Sofortabschreibung für Wirtschaftsgüter mit einer Nutzungsdauer von unter fünf Jahren zu erlauben.