27.10.2022

Wie können Wärmeerzeuger im Rahmen der Wärmeplanung priorisiert werden?

Relevanz und Ziel der Analysen

Die Komplexität der Wärmewende ist unter anderem darin begründet, dass der Transport von Wärme sehr verlustbehaftet ist. Deswegen müssen Wärmequellen immer in räumlicher Nähe zum Wärmeverbrauch erschlossen werden. Entsprechend benötigt jede Kommune für ihren Weg hin zur klimaneutralen Wärmeversorgung einen individuellen Wärme-Transformationsplan, basierend auf den Charakteristika der lokal verfügbaren Wärmequellen und -senken.

Ziel der regionalisierten Priorisierung von Wärmeerzeugern ist es, je Gebiet der betrachteten Kommune, den am besten geeigneten erneuerbaren Wärmeerzeuger zu identifizieren bzw. eine Prioritätenliste dieser zu erstellen.

Die regionalisierte Priorisierung kann anhand von verschieden Kriterien erfolgen. Ein methodischer Vergleich verschiedener Arten der Priorisierung wird im FfE Forschungsprojekt „Zukunftsstrategie Fernwärme“ erarbeitet. Erste Ergebnisse sind im Folgenden zusammengestellt.

Methodisches Vorgehen bei der räumlichen Priorisierung

Das methodische Vorgehen bei der regionalisierten Priorisierung lässt sich in 4 wichtige Schritte gliedern:
1. Einteilung der Kommune in Gebiete nach einer Kombination verschiedener Kriterien, wie Wärmebedarfs- bzw. Wärmebelegungsdichte mit der Verfügbarkeit freier Flächen und ggf. weiteren Kriterien
2. Durchführung einer regionalisierten Potenzialanalyse und Ableitung der je Region möglichen Versorgungsoptionen
3. Priorisierung der Versorgungsoptionen je Region
4. Prüfung, ob die Ergebnisse zur regionalisierten Priorisierung stimmig und als Gesamtkonzept für die Kommune tragfähig sind.

Einteilung der Kommune in Gebiete

Der erste wichtige Schritt für die regionalisierte Priorisierung ist das Festlegen von Gebieten oder Clustern. Diese können anhand von unterschiedlichen Parametern definiert werden, die gängigsten sind hierbei die Wärmebedarfs- und Wärmebelegungsdichte oder die Siedlungsstruktur.

Die Wärmebedarfsdichte gibt den Wärmebedarf in MWh pro Jahr und Flächeneinheit an. Die Wärmebelegungsdichte hingegen ist eine Größe, die eine mögliche Absatzwärmemenge in MWh pro Jahr und Meter verbauter Wärmetrasse beschreibt. Wichtig ist hierbei zu unterstreichen, dass diese Grenzwerte projektspezifisch ermittelt werden müssen bzw. teilweise auch konkret lokal mögliche Versorgungsoptionen miteinander verglichen werden müssen (siehe nächster Schritt). In der Literatur sind unterschiedliche statistische Grenzwerte für diese Größe genannt, die allerdings nicht für alle Projekte gleich ansetzbar sind. Wenn z. B. der regionale Wert der Wärmebelegungsdichte unter dem bestimmten Grenzwert liegt, empfiehlt sich tendenziell der Einsatz von dezentralen Versorgungsoptionen, wie dezentralen Wärmepumpen, in diesem Gebiet. Wenn der Wert überschritten wird, ist wahrscheinlich der Anschluss an die Fernwärme kosteneffizienter. Somit können in der Voranalyse die Gebiete, die wahrscheinlich für Wärmenetze nicht geeignet sind, ausgeschlossen werden.

Eine andere Möglichkeit ist die Clusterung der Kommune nach Siedlungs- oder Gebäudetypologien. Es lassen sich mit solchen Clusterungen auch mehrere Parameter zusammenfassen, wie Beheizungsstruktur, typische Jahresheizwärmebedarfe, die diesen typischen Gebäuden und Siedlungsstrukturen zugrunde liegen. Als Siedlungstypologien gelten beispielsweise historische Altstadt, Blockbebauung, freistehende Einzelgebäude (weitere Auflistung siehe [1]). Mögliche Gebäudetypen sind in [2] als Ein‑/Zweifamilienhaus, Mittelgroßes Gebäude und Großes Gebäude in Abhängigkeit von der Anzahl an Wohneinheiten definiert. In der Praxis ist eine stringente Aufteilung von Gebäudeblöcken in diese Typologien jedoch sehr aufwändig und die gewählte Einordnung kann sich je nach Person, welche die durchführt, unterschieden.

Ableitung der je Region möglichen Versorgungsoptionen

Die Analyse von regional verfügbaren Potenzialen klimaneutraler Wärmequellen umfasst eine detaillierte Prüfung aller möglicherweise zur Verfügung stehenden Wärmequellen. Dies können z. B. sowohl Hochtemperatur-Wärmequellen sein, wie es die industrielle Abwärme teilweise ist, oder mit Hilfe einer Wärmepumpe zu veredelnde Wärmequellen wie Abwasserwärme oder Grundwasser. Je nach Art der Wärmequelle und verfügbarer Leistung kann hier ebenfalls sondiert werden, ob diese sich primär für eine zentrale oder dezentrale Versorgung eignen.

Sollten in Gebieten mit niedriger Wärmebelegungsdichte sehr kostengünstig zu erschließende, ertragsreiche Wärmequellen vorliegen, kann es sinnvoll sein, die Clusterung aus dem vorherigen Schritt individuell anzupassen. Zum Beispiel, wenn sich große Rechenzentren, bei denen Abwärme das ganze Jahr über zur Verfügung steht, in den Gebieten befinden, wo zunächst eine dezentrale Versorgung geplant war. Hier kann der Anschluss der Gebiete an das zentrale Wärmenetz der Stadt oder der Aufbau eines Inselnetzes und die damit einhergehende Nutzung der Wärme, die sonst an die Umwelt abgegeben werden würde, kosteneffizienter sein als eine dezentrale Versorgung.

Sobald die Potenziale identifiziert sind, erfolgt eine erstmalige räumliche Zuordnung von Potenzialen zu den definierten Gebieten. Die klimaneutralen Wärmequellen sollen sich dabei räumlich möglichst nah an den definierten Clustern befinden, da Wärme am besten dort verbraucht werden soll, wo sie anfällt. So entsteht eine grobe Priorisierung, die in den nächsten Schritten um zusätzliche Kriterien erweitert wird.

Priorisierung der Versorgungsoptionen

In einem weiteren Schritt wird nun die Nutzung einzelner Potenziale je eingeteiltem Gebiet priorisiert. In der Literatur existieren unterschiedliche Methoden, die diesen Priorisierungsweg vorgeben. Diese lassen sich thematisch in vier Vorgehensweisen unterteilen. Die Priorisierung kann nach folgenden Punkten erfolgen:

  • Primärenergiefaktor
  • Wirtschaftliche Kennzahlen
  • Multikriterielle Analyse
  • Eignung der Gebiete

Bei der Methode „Primärenergiefaktor“ wird eine Prioritätenliste von Wärmeerzeugern nach eingesetzter Primärenergie erstellt. Der Primärenergiefaktor ist hierbei ein Wert, der in der Literatur je Wärmequelle festgelegt ist. Je weniger Primärenergie benötigt wird, desto empfehlenswerter ist der Einsatz der jeweiligen Versorgungstechnologien. Mithilfe dieser Prioritätenliste werden den einzelnen räumlichen Clustern infrage kommende Wärmeerzeuger zugeordnet, wie in [1] für eine beispielhafte Gemeinde beschrieben.

Unter dem Begriff „Wirtschaftliche Kennzahlen“ werden hier drei Methoden zusammengefasst: Die Priorisierung nach Wirtschaftlichkeit ohne bzw. mit Einbezug umwelttechnischer Kenngrößen und die sozioökonomische Analyse.

  • Die bisher gängigste Methode ist die Priorisierung nach Wärmegestehungskosten. Diese beschreiben die jährlich anfallenden Kosten pro erzeugter Wärmemenge für den jeweiligen Wärmeerzeuger. Die nachstehenden Methoden ergänzen die einfachen Wärmegestehungskosten um weitere Parameter, die neben der reinen Wirtschaftlichkeitsberechnung berücksichtigt werden können.
  • Als umwelttechnische Kenngröße werden z. B. die CO2-Verminderungskosten einbezogen. Mit dieser Methode werden die Wärmegestehungskosten der Technologien um die Menge der CO2-Emissionen, die bei der Wärmebereitstellung anfallen, erweitert. Die CO2-Verminderungskosten werden dabei immer in Referenz zu einer (oft fossil betriebenen) Wärmeerzeugungsanlage berechnet. In der Praxis wurde die Vorgehensweise beispielsweise im Projekt Klimaneutrale Wärme München 2035 genutzt [2].
  • Im Rahmen der sozioökonomischen Analyse werden neben den Wärmegestehungskosten der Nutzen und die Kosten für die Gesellschaft als relevante Einflussgröße in die Analyse einbezogen. Die Analyse hat ihren Ursprung in Dänemark, wo auch im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung das beste Ergebnis für das Gemeinwohl der Bürger:innen angestrebt wird. Der Vorteil einer solchen Betrachtungsweise liegt in der Tatsache, dass Infrastrukturprojekte, die eine zeitintensive Planung und Umsetzung erfordern, einen langfristigen Nutzen für die Gesellschaft bringen [4]. Dies sind insbesondere Wärmenetze und der Bau leistungsstarker Wärmeerzeuger. Es existieren mehrere Methoden, die den Nutzen unterschiedlicher Technologien für die Gesellschaft bewerten. In [3] werden nur die CO2-Abgaben zusammen mit den klassischen Wärmegestehungskosten betrachtet, hingegen werden beispielsweise politisch-wirtschaftliche Vorgaben, wie Steuern, Förderungen und andere lokale Tarife bei der Bewertung der Kosten ausgeschlossen, weil diese sich aus der Gesamtperspektive gegenseitig ausgleichen und somit der Gesellschaft weder Kosten noch Nutzen bringen.

Die „Multikriterielle Analyse“ ermöglicht den Vergleich von Wärmeerzeugern anhand einer Vielzahl unterschiedlicher Kriterien, in Form einer Nutzwertanalyse. Oft sind dies wiederum ökonomische Kriterien wie Wärmegestehungskosten, aber auch ökologische Kriterien wie CO2– oder Schadstoffemissionen sowie sozial-kulturelle Kriterien wie die Akzeptanz vor Ort. Weitere beispielhafte Kriterien (insgesamt 25) sind in [5] zu finden.

Die multikriterielle Analyse kann um den paarweisen Vergleich der einzelnen Wärmeerzeuger gegeneinander unter Zuhilfenahme der einzelnen Kriterien ergänzt werden. Diese Methode wurde beispielsweise für die Untersuchung und den Vergleich von klimaneutralen Fernwärmeerzeugern in Hamburg angewendet und wird in [6] beschrieben. Hierbei werden alle möglichen Wärmeversorgungsoptionen anhand der Kriterien qualitativ miteinander verglichen und somit nach ihrer priorisierten Ausbaureihenfolge sortiert. Beispielsweise steht die industrielle Abwärme in der Liste höher als die U-Bahn Abwärme, da das Kriterium „Systemintegration“ mit höheren Temperaturen der industriellen Abwärme besser erfüllt ist [6]. Die so entstehende Liste priorisierter Erzeuger kann die Entscheidungshilfe unterstützen.

In den oben dargestellten Methoden werden die Wärmeerzeuger je Gebiet priorisiert. Im Gegensatz dazu werden in der Methode „Regionale Eignung“ die Gebiete auf deren Tauglichkeit für bestimmte Technologien überprüft, beispielsweise mithilfe der einfachen Nutzwertanalyse. Es erfolgt hier somit eine Priorisierung der Regionen nach den lokal verfügbaren Potenzialen. Es werden je möglichem Wärmeerzeuger Kriterien definiert, welche für die Relevanz dieses Wärmeerzeugers ausschlaggebend sind. Dies sind beispielsweise eine höhere Wärmebedarfsdichte des Gebietes für den Ausbau des Wärmenetzes oder gute Anlieferungsmöglichkeiten für Biomasse im Gebiet, um ein Biomasse-Heizwerk errichten zu können. Die Kriterien werden gewichtet und mit einer Punktzahl versehen, um die Gebiete danach bewerten zu können. Die Punkte werden je Gebiet aufsummiert und es entsteht wiederum eine Prioritätenliste der Gebiete. Diese Vorgehensweise wird in [7] beschrieben und wird etwa in vielen Kommunen, insbesondere in Baden-Württemberg, als Leitfaden genutzt.

Die Zusammenfassung der Methoden ist in der Abbildung 1 zu sehen.

Abbildung 1: Zusammenfassung der Methoden zur regionalen Priorisierung von Wärmeerzeugern

Wahl der geeigneten Methode

Die Wahl der geeigneten Priorisierungsmethode ist abhängig von den definierten Zielen der Analyse, beispielsweise vom gewünschten Genauigkeitsgrad der Ergebnisse. Mögliche Fragestellungen zur Zielfindung sind: Soll es sich um eine vorläufige grobe Planung handeln? Welche Kriterien sind dem Anwender wichtig – Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit oder soziale Akzeptanz? Das an der FfE verwendete Vorgehen für die Priorisierung der Methoden wird in [8] beschrieben, die Zusammenfassung wird im Nachfolgenden geschildert.

Für die Wahl der geeigneten Methode wird ebenfalls eine eigene Nutzwertanalyse durchgeführt. An dieser Stelle werden also nicht mehr die Wärmeerzeuger angeschaut, sondern die Methoden, die den Prozess der Priorisierung beschreiben.

Zuerst werden die Kriterien definiert, anhand derer die Methoden bewertet werden. Es haben sich die in Abbildung 2 dargestellten 13 Kriterien als sinnvoll ergeben, welche als Ergebnis von Literaturrecherche und erfahrenen Experten definiert worden sind.

Abbildung 2: Kriterien für die Wahl der geeigneten Methode

Da aus Sicht der Bewertenden nicht alle Kriterien gleich wichtig sind, muss eine Rangliste der Kriterien erstellt werden. Um den Prozess der Gewichtung zu erleichtern, werden die Kriterien mithilfe des paarweisen Vergleiches [9] ausgewertet. Es wird mithilfe von Punktzahlen bewertet, ob das Kriterium wichtiger (2 Punkte), gleich wichtig (1 Punkt) oder weniger wichtig (0 Punkte) als das jeweils gegenübergestellte Kriterium ist. Nachdem alle Kriterien paarweise miteinander verglichen worden sind, werden die Punkte je Kriterium aufsummiert – je mehr Punkte ein Kriterium hat, desto wichtiger ist es.

Aus der Bewertung der Methoden für alle Kriterien und der Priorisierung einzelner Kriterien ergibt sich dann das Ergebnis der Nutzwertanalyse. Basierend hierauf wird die am besten geeignete Methode gewählt.

Wahl der Methode in der Praxis

In der Praxis werden vorrangig Methoden eingesetzt, bei welchen die Priorisierung anhand von wirtschaftlichen Parametern, wie den Wärmegestehungskosten, CO2-Verminderungskosten und sozioökonomischen Kosten, erfolgt. Wirtschaftlichkeit hat aus Sicht des Investors (etwa die Stadtwerke oder die Eigenheimbesitzer) die höchste Aussagekraft, da sie sich auf die Rentabilität der Investition auswirkt. Außerdem lassen sich wirtschaftliche Parameter im Vergleich zu sozialen oder umweltbezogenen Kenngrößen leichter quantifizieren und somit einfacher und objektiver vergleichen.

Ausblick
Die beschriebene Vorgehensweise bei der Bewertung der Methoden bildet die Grundlage für das weitere Vorgehen im entsprechenden Arbeitspaket des Projektes Zukunftsstrategie Fernwärme. Zwar wurde im Rahmen der Analysen eine Methodik mit der höchsten Punkteergebnis bewertet, der Vergleich hat jedoch auch gezeigt, dass sich das beste Ergebnis durch die Kombination von mehreren Methoden erzielen lässt. Deswegen wird in den nächsten Schritten eine Zusammenstellung und Definition der einzelnen Kriterien zur Priorisierung der Wärmeerzeuger erfolgen. Diese werden dann als Liste den Anwender:innen zur Verfügung gestellt. Genauso wie bei den Methoden hängt die Wahl der Kriterien von den definierten Zielen des Anwenders ab. Abschließend wird, basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen, ein Überblick von Kriterien für Wärmeerzeuger, für die räumliche Clusterung der Gebiete in einer Kommune sowie für die Priorisierung von Sanierungszonen erarbeitet und alles in einer übergeordneten Methodik zusammengestellt, die bei der rollierenden Wärmeplanung angewendet werden kann.

Literatur

[1] StMUG, StMWIVT und OBB (2011): Leitfaden Energienutzungsplan.

[2] FfE GmbH, Öko-Institut e.V. (2021): Klimaneutrale Wärme München 2035. Mögliche Lösungspfade für eine klimaneutrale Wärmeversorgung in der Landeshauptstadt München.

[3] Ben Amer-Allam, S. et al. (2017): Scenarios for sustainable heat supply and heat savings in municipalities – The case of Helsingør, Denmark.

[4] Nielsen, S. et al. (2013): GIS based analysis of future district heating potential in Denmark.

[5] Gapp-Schmeling, K. et al. (2021): Nachhaltigkeitsbewertung kommunaler Wärmeversorgungsoptionen. Methodenbeschreibung.

[6] Kicherer, N. (2020): Entwicklung einer Strategie für die langfristige Transformation des Hamburger Wärmenetzes. Masterarbeit.

[7] KEA-BW (2020): Kommunale Wärmeplanung. Handlungsleitfaden.

[8] Abu Trabi, Y. (2022): Methodik zur regionalen Priorisierung von Wärmeerzeugern. Bachelorarbeit.

[9] Sonntag, A. (2015): PROMIDIS Handlungsleitfaden. Instrument Paarweiser Vergleich.