16.02.2024

Ein anreizbasierter Mechanismus zur Koordination netzorientierter Steuerungsvorgänge: Der unIT-e² KOALA

Um einer Überlastung der Niederspannungsnetze durch den Hochlauf neuer elektrischer Verbraucher entgegenzuwirken, traten am 01. Januar 2024 zwei Festlegungen der Bundesnetzagentur (BNetzA) zur Konkretisierung des § 14a EnWG in Kraft. In den Festlegungen, die verpflichtend für Betreiber steuerbarer Verbrauchseinrichtungen (SteuVE) mit einem Leistungsbezug über 4,2 kW sowie Betreiber von Niederspannungsnetzen gelten, ist festgelegt, dass die Netzbetreiber über netzorientierte Steuerungseingriffe den Leistungsbezug der SteuVE als Ultima Ratio reduzieren können, um das Netz stabil zu halten. Die Steuerungseingriffe sind dabei im notwendigen Umfang ohne eine zeitbezogene Beschränkung vorzunehmen, jedoch muss eine netzwirksame Mindestbezugsleistung von 4,2 kW pro SteuVE immer sichergestellt sein.

Zumindest in Ergänzung dieser reinen Notfallmaßnahme fordert das Unionsrecht jedoch grundsätzlich den Einsatz diskriminierungsfreier marktgestützter Verfahren für das Engpassmanagement. Diese sollen es möglich machen, über marktliche Anreize eine Lastverschiebung zu erreichen, um den Anschlussnehmern mehr Freiheiten zuzugestehen, die Planungssicherheit für andere energiewirtschaftliche Use Cases zu erhöhen und die Bedenken von Kritikern in Bezug auf Komforteinbußen auszuräumen. Eine konkrete Ausgestaltung bspw. des § 14c EnWG steht bislang jedoch noch aus. Aus dem Forschungsprojekt unIT-e² (FKZ: 01MV21UN11) wollen wir daher ein Konzept präsentieren, das netzorientierte Steuereingriffe kosteneffizient koordiniert und die bekannten Schwachstellen lokaler Flexibilitätsmärkte weitestmöglich kompensiert.

Das unIT-e² KOALA-Konzept ist als optionale Ergänzung zu den Festlegungen der BNetzA zu § 14a EnWG gedacht und koordiniert den Flexibilitätseinsatz im (prognostizierten) Engpassfall auf Basis kurzfristiger Kapazitätsauktionen. Die Auktionen ermöglichen es den Marktteilnehmenden, eine Zahlungsbereitschaft für verfügbare Leistung auf Grundlage ihrer unmittelbaren Opportunitätskosten auszudrücken. Hierdurch bildet sich ein Knappheitspreis ähnlich wie bei dynamischen Netzentgelten und die Leistungsbeschränkungen lassen sich bspw. in einem Netzstrang bedarfsgerecht verteilen bzw. allokieren. So erklärt sich auch das Projektakronym: „Koordinations- und Allokationsalgorithmus für Flexibilität“. Die Reduktion des Netzentgelts für Teilnehmende sowie die unbedingte Leistungsgrenze von 4,2 kW für einzelne SteuVE werden aus den BNetzA-Festlegungen übernommen, so dass eine gewisse Mindestleistung auch ohne Auktionsteilnahme garantiert bleibt. Abbildung 1 stellt dar, wie sich das Angebot verfügbarer Netzkapazität (senkrechte Linie) im Verhältnis zur preiselastischen Nachfrage (diagonale Line) auf den resultierenden Knappheitspreis auswirken. Durch den Preisverlauf wird zudem der Anreiz für Teilnehmende ersichtlich, ihren Leistungsbezug in engpassfreie Zeiten zu verschieben. Auktionserlöse können am Ende einer Abrechnungsperiode unter allen Teilnehmenden als Prämie ausgeschüttet werden, um einen zusätzlichen finanziellen Teilnahmeanreiz zu schaffen.

Die Auktionsteilnahme übernehmen im unIT-e² Zielbild kommerzielle Aggregatoren für ihre Kund:innen. Dadurch, dass diese Akteure ohnehin über wichtige Randbedingungen wie die geplante Abfahrtszeit und den gewünschten Ziel-SOC Bescheid wissen, sind sie in der Lage, aus diesen Daten eine Mehrzahlungsbereitschaft zu berechnen und an den KOALA zu kommunizieren. Gleichzeitig unterliegen sie einem marktlichen Wettbewerb und damit einem natürlichen Effizienzgebot, sodass sie ein Interesse daran haben, ausschließlich bedarfsgerecht Kapazitäten zu ersteigern.

Abbildung 1: Preissignal in Abhängigkeit von der aktuellen Nachfrage nach verfügbaren Netzkapazitäten

Bezüglich der zeitlichen Dimension baut das Konzept auf zwei Kernelementen auf: Zum einen eine unverbindliche Engpasswarnung am Vortag des prognostizierten Engpasses, um den Teilnehmenden die Möglichkeit zu geben, ihren Leistungsbezug frühzeitig umzuplanen. Zum anderen Auktionszeiträume kurz vor Echtzeit (z. B. t0-15 min), um Prognoseunsicherheiten zu minimieren und zu verhindern, dass sich die Teilnehmenden vorzeitig auf ein Gebot festlegen müssen, was wiederum deren Flexibilität einschränken würde. Trotz der kurzfristigen Vorlaufzeit soll es sich jedoch um ein präventives Modell für Engpassmanagement handeln, da den Betreibern die Möglichkeit gegeben wird, ihre Leistung eigenverantwortlich anzupassen, statt ein Ad-hoc-Steuersignal bezogen auf ihren tatsächlichen Leistungsverbrauch umsetzen zu müssen.

Das KOALA-Konzept ist nach überschlägiger Prüfung durch die Projektpartner der Stiftung Umweltenergierecht rechtlich umsetzbar. Es ist nicht ersichtlich, dass das Konzept mit dem bestehenden europäischen oder dem nationalen Rechtsrahmen konfligiert. Insbesondere ist es vollständig mit der netzorientierten Steuerung gemäß den Festlegungen zu § 14a EnWG der Bundesnetzagentur kompatibel und besitzt mit den Regelungen zur Beschaffung von Flexibilitätsdienstleistungen in § 14c EnWG einen normativen Anknüpfungspunkt.

Durch die Einführung eines solchen Koordinationsmechanismus versprechen wir uns verschiedene Mehrwerte gegenüber dem Status-Quo: Nutzerseitig steigert der Mechanismus die Eigenverantwortung, bietet zielgenaue finanzielle Anreize zur Lastverschiebung und ermöglicht das Geltendmachen kurzfristiger Opportunitäten. Aus Sicht der Netzbetreiber kann der Auktionsmechanismus die Koordinierungsfunktion beim Flexibilitätseinsatz übernehmen und zudem einen Kostenindikator für unzureichenden Netzausbau darstellen. Dieser Wert könnte zusätzlich herangezogen werden, wenn es darum geht, die Verpflichtung zum bedarfsgerechten Netzausbau entsprechend auszulegen. Überdies erlaubt der Marktmechanismus eine Optimierung der Teilnehmenden nach volkswirtschaftlichen Kriterien ohne wie konventionelle Flexibilitätsmärkte Anreize für strategisches Bieten mit sich zu bringen. Dadurch, dass im Engpassfall die Teilnehmenden nicht auf eine Vergütung hoffen können, bestehen somit auch keine Anreize, einen Engpass durch das Gebotsverhalten auf den Spotmärkten überhaupt erst zu provozieren.