22.01.2024

Potenzialanalyse netzdienlicher Flexibilität – ein neuartiger Ansatz zur Synthetisierung von Niederspannungsnetzen

Das Ziel dieses Beitrags ist es, eine neuartige Methode vorzustellen, mit der Niederspannungs-Verteilnetze auf Gemeindeebene abgeschätzt werden können. Darüber hinaus wird das Simulations-Framework, in welches die Methode integriert wurde, kurz vorgestellt. Um die Anwendbarkeit der Methode zu demonstrieren, werden zudem die Ergebnisse einer Analyse präsentiert, mit welcher der erwartete Anstieg der Netzbelastung in den Niederspannungs-Verteilnetzen durch den Zubau neuer Erzeugungsanlagen und Verbraucher abgeschätzt und dadurch das Potenzial für netzdienliche Flexibilitäten und innovative Plattformlösungen aufgezeigt wird.

Motivation und Zielsetzung

Die Energiewende ist einer der zentralen Bausteine zur Erreichung der Klimaziele. Eine besondere Rolle spielen dabei Bürgerinnen und Bürger. Sie können sich aktiv an der Energiewende beteiligen und selbst in erneuerbare Energien, Speichertechnologien, Elektrofahrzeuge oder Wärmepumpen investieren. Dadurch werden sie zu Prosumern, die einen großen Teil ihres Strombedarfs selbst decken und Überschüsse ins Netz einspeisen. Zudem verfügen sie über große Potenziale an Flexibilität, womit sich die Netzausbaukosten in Verteilnetz laut [1] bis 2035 um über 50 % oder 18 Mrd. € reduzieren ließen. Eine gemeinsame Studie von FfE und Agora [2] kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass der netzdienliche Einsatz haushaltsnaher Flexibilitäten den Bedarf von neuen Transformatoren um 53 % und den Bedarf neuer Leitungen um 56 % reduzieren können. Abgesehen vom § 14a EnWG, der als reines Notfallinstrument vorgesehen ist, existieren in Deutschland aktuell noch keine Anreize, diese Flexibilität netzdienlich einzusetzen. Eine vielversprechende Möglichkeit, diese Potenziale zu heben, sind lokale Energiemärkte, die Netzrestriktionen berücksichtigen. Durch sie können Bürgerinnen und Bürger aktiv ihre Energieüberschüsse mit Nachbarn teilen, so die oberen Spannungsebenen entlasten und zudem Flexibilität für das Engpassmanagement in der Niederspannung vermarkten. Das Forschungsprojekt PEAK (Förderkennzeichen: 03E16035F) hat sich zum Ziel gesetzt, eine solche Plattform zu entwickeln und zu erproben. An dem Projekt sind verschiedene wissenschaftliche Institute aber auch Softwareunternehmen und ein Netzbetreiber für eine praxisorientierte Implementierung involviert. Die inhaltlichen Schwerpunkte der FfE lagen dabei neben der Ausgestaltung des Marktdesigns in der Potenzialanalyse für dezentrale Energiemärkte.

Methode

Um die künftig steigende Netzbelastung und damit einhergehenden Flexibilitätspotenziale zu betrachten, wird auf Ebene der Niederspannungsnetze in zwei Szenarien die Netzbelastung ermittelt. Im vereinfachten Szenario „NoFlex“ wird angenommen, dass keine Heimspeichersysteme (HSS), Haushalts-Wärmepumpen (WP) oder Elektrofahrzeuge (EFZ) im System vorhanden sind. Für PV-Aufdachanlagen (PVA) im Haushaltssektor wird in diesem Szenario der Bestand von 2019 verwendet. Im Szenario Flex 2035 wird ein gewisser Zubau dieser Assets und deren nicht-flexible Verwendung angenommen. Die Unterschiede beider Szenarien hinsichtlich der (Spitzen-)Last ermöglichen eine quantitative Betrachtung des Anstiegs der Netzbelastung. Somit kann das resultierende Potenzial für einen flexiblen Betrieb der hinzugekommenen Technologien aufgezeigt werden.

Exkurs: Simulations-Framework

Das verwendete Simulations-Framework wurde im Projekt InDEED von der FfE entwickelt und zur Bewertung von Use Cases im Kontext der Digitalisierung und des Labelings von Strommengen angewendet. Dabei handelt es sich um ein Tool, welches in der Lage ist, auf Basis hauptsächlich frei verfügbarer Daten einen digitalen Zwilling jeder Gemeinde in Deutschland mit Informationen zu Gebäuden und Haushalten, Erneuerbaren Energien Anlagen sowie HSS, WP und EFZ zu erstellen. Dabei werden nicht nur Stammdaten wie der Standort eines Gebäudes oder die installierte Leistung einer Anlage, sondern auch regional unterschiedliche Lastgänge in hoher zeitlicher Auflösung bereitgestellt. Das Simulations-Framework ermöglicht die Anwendung beliebiger Szenarien. Für EFZ, PVA, WP und HSS muss entweder eine Gesamtanzahl, Gesamtleistung oder ein Durchdringungsgrad für die zu erstellende Gemeinde angegeben werden. Das Tool kann diese Eingaben in einzelne Assets umwandeln und diese in der Folge den Gebäuden zuweisen, so dass für jedes Einzelgebäude Stammdaten und Lastgänge zu PVA, WP, HSS und EFZ vorhanden sind. Details zu Methodik und Datenquellen des Simulations-Frameworks sind in [3] und [4] zu finden.

Das Szenario Flex 2035

Die Daten für 2035 basieren auf den Mantelzahlen des Szenario B 2035 (Version 2021) des Netzentwicklungsplans (NEP) [5]. Diese Mantelzahlen geben für Deutschland die installierte Leistung von PVA, sowie die Anzahl von EFZ, HSS und WP für das Szenario vor. Zur Verwendung im Simulations-Framework müssen diese zunächst auf Gemeindeebene regionalisiert werden. Für PVA wurde die Regionalisierung nach [6] gewählt. Die Mantelzahlen für HSS und WP wurden anhand der PVA-Regionalisierung auf die Gemeinden verteilt. Somit erhalten Gemeinden mit einer hohen installierten Leistung von PVA entsprechend viele HSS und WP. Der aktuelle Bestand von EFZ je Zulassungsbezirk ist den Veröffentlichungen des Kraftfahrbundesamtes zu entnehmen [7]. Diese Daten wurden nach Bevölkerung aus dem Zensus [8] auf Gemeindeebene regionalisiert. Anhand des heutigen EFZ-Bestands auf Gemeindeebene wurde die Mantelzahl des NEP für EFZ auf die Gemeinden verteilt. Nach erfolgter Regionalisierung der Mantelzahlen liegen die installierte Leistung von PVA sowie die Anzahlen von HSS, WP und EFZ auf Gemeindeebene vor und können im Simulations-Framework verwendet werden. Dabei sind alle Gebäude mit entsprechenden Assets und Lastgängen räumlich und zeitlich hochaufgelöst abgebildet. Daraus wurden z. B. in [4] das Potenzial der regionalen Direktvermarktung (vgl. §9 StromStG) oder die sich ergebenden Preise in lokalen Energiegemeinschaften berechnet. Eine Berücksichtigung der lokal vorhandenen Verteilnetze fand dort allerdings nicht statt.

Clustering von Gebäuden zu Niederspannungsnetzen

Um eine Betrachtung der Netzbelastung auf Niederspannungsebene zu ermöglichen und aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von (Geo-)Daten für Niederspannungsnetze, werden diese auf Gemeindeebene abgeschätzt. Hierfür wird ein räumlicher Clustering-Ansatz (Abbildung 1) aus dem Bereich des unüberwachten Lernens verwendet, der Gebäude basierend auf der Entfernung zu den Nachbargebäuden gruppiert (siehe auch: Beitragsreihe der FfE zur Charakterisierung von Niederspannungsnetzen). Jedes der resultierenden Gebäude-Cluster repräsentiert ein eigenständiges Niederspannungsnetz. Zunächst werden alle Gebäude einer Gemeinde mithilfe des dichte-basierten DBSCAN-Algorithmus [9] geclustert bei dem Randbedingungen z. B. für den maximal erlaubten Abstand zwischen zwei Gebäuden im selben Cluster. Für das Clustering wurde dafür ein Abstand von 475 m festgelegt. Dieser Wert wurde aus realen Netzdaten (siehe unten) abgeleitet, indem je Netz der größte Abstand zwischen zwei nächsten Nachbarn gemessen wurde. Das 95-%-Quantil dieser Verteilung entspricht dem o. g. Wert und wird als plausibler maximaler Abstand zweier Gebäude im selben Netzgebiet angenommen.

 

Abbildung 1: Illustration der Clustering-Methode

Für jedes der resultierenden Cluster werden folgende Merkmale bestimmt:

  • Anzahl der Anschlusspunkte im gesamten Netzgebiet durch Zählen aller Gebäude eines Clusters (Annahme: ein Gebäude entspricht einem Anschlusspunkt)
  • Jahresverbrauch im Netzgebiet durch Aufsummieren der Haushaltslast aller Gebäude
  • Fläche des Netzgebiets (entspricht der Fläche der konvexen Hülle um alle Gebäude eines Clusters)
  • Mittlerer und größter Abstand eines Gebäudes zum Transformator (Annahme: Position des Transformators ist der Zentroid der konvexen Hülle um alle Gebäude)
  • Ost-West und Nord-Süd Ausdehnung der konvexen Hülle um alle Gebäude eines Clusters (d. h. des Niederspannungs-Netzgebiets)

Die gleichen Merkmale wurden im Vorfeld der Analyse aus einem mehrere tausend Netze umfassenden (Geo-)Datensatz realer Niederspannungsnetze erhoben. Die Plausibilität der synthetischen Niederspannungsnetze hinsichtlich der ausgewählten Merkmale wird gewährleistet, indem diese Merkmale mit denjenigen der realen Netze verglichen werden. Häufig entstehen nach der ersten Clustering-Iteration (DBSCAN) Cluster, die aufgrund zu vieler Gebäude im Cluster als unplausibel gewertet werden. Diese werden in einem zweiten Schritt mit der agglomerativen (eine Art des Hierarchischen Clusterings) weiter unterteilt, um kleinere Cluster zu erzielen. Nach diesem Prozess werden die Gebäude jedes plausiblen Clusters als Teil eines eigenständigen Niederspannungsnetzes betrachtet.

Abbildung 2: Vergleich der Metriken der synthetischen Netze und der realen Netze des Referenzdatensatzes

Bestimmung der Netzbelastung

Nachdem die Niederspannungsnetze bestimmt sind, wird die Netzbelastung individuell für jedes davon bestimmt. Hierfür werden stündlich aufgelöste Lastgänge der individuellen Erzeuger und Verbraucher mittels des Simulations-Frameworks erzeugt und verknüpft. Die folgenden Komponenten der Last werden berücksichtigt:

Haushaltslast

Diese Last repräsentiert den Stromverbrauch des Haushalts (exklusive EFZ, WP, HSS). Die Lastgänge wurden mit dem Haushaltslastganggenerator der FfE erzeugt [10]. (Details zur Verwendung im Simulations-Framework sind in [3] zu finden).

Ladeprofile von Elektrofahrzeugen

Neben Haushaltslastgängen erzeugt der Haushaltslastgang-Generator auch mit den Haushalten verknüpfte Fahrprofile für Fahrzeuge verschiedener Fahrzeug-Klassen (klein, mittel, groß). Diese werden im Simulations-Framework verwendet, um die Ladezeiten von EFZ zu bestimmen. Vereinfacht wird angenommen, dass EFZ bei Ankunft zu Hause sofort mit dem Laden beginnen und bei voller Leistung laden, bis die Batterie voll ist oder die nächste Fahrt beginnt. Für alle EFZ wurde eine Ladeleistung von 11 kW und Batteriekapazität von 20 kWh (klein), 40 kWh (mittel) und 60 kWh (groß) angenommen.

Wärmepumpen

Thermische Lastprofile der einzelnen Haushalte stammen ebenfalls aus dem Haushaltslastgang-Generator. Diese werden nach [11] anhand der Außentemperatur (auf Gemeindeebene in stündlicher Auflösung) und unter Annahme einer Jahresarbeitszahl (COP) von drei in elektrische Bedarfsprofile für Wärmepumpen umgerechnet.

PV-Aufdachanlagen und Hausspeicher-Systeme

Diese Technologien wurden unter der Annahme des Direktverbrauchs einbezogen. Überschüsse aus der PVA (falls vorhanden) werden zunächst direkt zur Deckung der Haushaltslast, der Wärmepumpe oder der EFZ-Ladevorgänge verbraucht. Ist hierfür kein Bedarf, werden Überschüsse nach Möglichkeit im HSS gespeichert. Nur wenn dies auch nicht möglich ist, wird die überschüssige Energiemenge ins Netz eingespeist. Umgekehrt wird der Strombedarf immer zunächst aus dem HSS (falls vorhanden) gedeckt, bevor er aus dem Netz bezogen wird.

Aus diesen Lastgängen ergibt sich je Gebäude ein Residuallastgang aus dem für jede Stunde des Jahres hervorgeht, ob und wie viel das Gebäude ins Netz einspeist oder vom Netz bezieht. Die Residuallastgänge aller Gebäude eines Niederspannungsnetzes werden summiert, um die theoretische Transformatorlast in Form eines stündlich aufgelösten Residuallastgangs des jeweiligen Netzes zu erhalten.

Sampling

Die vorgestellte Methode wurde mit dem Simulations-Framework auf ein Sample von 10 % aller Gemeinden in Deutschland angewendet (dies entspricht etwa 1.200 Gemeinden). Das Sample wurde aus [4] übernommen. Im Rahmen dieser Dissertation wurden die Gemeinden zunächst nach energiewirtschaftlichen Kriterien geclustert und dann so ausgewählt, dass jedes Cluster entsprechend seiner Clustergröße unter den ausgewählten Gemeinden repräsentiert ist. Durch das Sampling kann somit, ohne dass ein bestimmter „Gemeindetyp“ überrepräsentiert ist und das Ergebnis verzerrt, Rechenaufwand gespart werden. Durch Anwendung der Clustering-Methode auf das Sample der Gemeinden wurden etwa 70.000 synthetische Netze generiert und ausgewertet.

Ergebnisauswertung

Übersteigt die Belastung im Niederspannungs-Netz die Nennleistung der verbauten Transformatoren, können diese Bauteile Schaden nehmen. Da in diesem Fall netzseitige Anlagen den Leistungsfluss begrenzen, spricht man von einem Netzengpass. Das Überschreiten der Stromtragfähigkeit oder das Überschreiten von Spannungsband-Grenzwerten zählt ebenfalls als Netzengpass, wurde aber in diesem vereinfachten Vorgehen ohne explizite Lastflussrechnung nicht berücksichtigt. Für eine Analyse der Transformatorbelastung ist es entscheidend, die Summenlast im untergeordneten Niederspannungsnetz zu betrachten. Als ein Indikator für überlastete Netze wird die mittlere Tagesspitzenlast je Netz über das gesamte Jahr für beide Szenarien ermittelt. Die Spitzenlast kann dabei sowohl eine Verbrauchs- oder eine Erzeugungsspitze in der Lastkurve sein. Nimmt dieser Wert vom Szenario „NoFlex“ zum Szenario „Flex 2035“ signifikant zu, dient das als ein Indikator für eine künftige Mehrbelastung der Untersuchten Netze. Abbildung 3 zeigt, dass die absolute Höhe der mittleren Tagesspitzenlast zwischen den Szenarien im Median um über 20 % ansteigt. Während bei 75 % der untersuchten Netze ein Anstieg von mindestens 9,5 % festzustellen ist, beläuft sich dieser Wert bei einem Viertel Netze auf über 73 %. Während im Szenario „NoFlex“ dabei nur etwa knapp 2 % der Lastspitzen verbrauchsseitig verursacht werden, sind es im Szenario mit zusätzlichen Assets bereits 43 %, also über 20-mal so viele. Die Mehrbelastung in den Netzen ist somit nicht nur durch den Zubau von PVA bedingt, sondern auch maßgeblich durch die zusätzlichen Lasten.

Abbildung 3: Relative Entwicklung der mittleren Tagesspitzenlast zwischen dem Szenario „NoFlex“ und dem Szenario „Flex 2035“. Dargestellt ist die Verteilung dieses Wertes über alle synthetischen Netze.

Neben der Entwicklung der Spitzenlast, ist auch deren Häufigkeit entscheidend. Daher wird in beiden Szenarien die Anzahl der Stunden bestimmt, in denen die Last höher ist als die mittlere Tagesspitzenlast. Die relative Veränderung dieses Wertes zwischen beiden Szenarien ist in Abbildung 4 dargestellt.

Abbildung 4: Relative Entwicklung der Anzahl der Stunden mit einer Last, die größer ist als die mittlere Tagesspitzenlast, zwischen dem Szenario „NoFlex“ und dem Szenario „Flex 2035“. Dargestellt ist die Verteilung dieses Wertes über alle synthetischen Netze.

Die Häufigkeit der Stunden, zu denen die mittlere Tagesspitzenlast überschritten wird, steigt demnach um fast 38 % im Median an. Bei 25 % der untersuchten Netze verdoppelt sich die Anzahl der Stunden.

Neben der Häufigkeit von Lastspitzen über das Jahr ist insbesondere auch deren Länge von Bedeutung, da eine andauernde Überlastung aufgrund der Hitzeentwicklung ein häufigeres Risiko für die Betriebsmittel darstellt als kurze, vereinzelt auftretende Lastspitzen. Dies ist zurückzuführen auf die bei Überschreitung von Grenzwerten auftretende, überreguläre Erwärmung der Betriebsmittel, welche eine beschleunigte Alterung verursacht, weshalb eine in der Dauer längere Überlastung aufgrund thermischer Trägheit für das Betriebsmittel schädlicher sein kann als ein kurzer überlastender Leistungssprung höherer Leistung. Hierfür wurde die längste zusammenhängende Sequenz an Stunden, mit einer Last über der mittleren Tagesspitzenlast (siehe oben) je Niederspannungs-Verteilnetz ermittelt. Während im Szenario „NoFlex“ im Median vier Stunden am Stück mit einer entsprechend hohen Last auftreten, sind es im Szenario „Flex 2035“ bereits sechs Stunden – ein Anstieg um 50 %. In 25 % der untersuchten Netze liegt der Wert bei sieben Stunden oder mehr. Dies ist ein weiterer Indikator für eine zukünftig erhöhte Netzbelastung.

Der Zubau von PVA und weiteren Assets wie WP, HSS und EFZ führt in den synthetischen Niederspannungsnetzen bei der modellierten bedarfsorientierten Fahrweise nicht nur zu einem erheblichen Anstieg der mittleren täglichen Spitzenlast, sondern auch zu einem deutlich häufigeren Auftreten dieser Lastspitzen. Betrachtet man den Anstieg der mittleren Tagesspitzenlast um fast 75 % bei einem Viertel der untersuchten Netze, ist es – auch wenn die Transformatoren heute oft überdimensioniert sind – eindeutig, dass die heutigen Verteilnetze durch den Zubau dezentraler Anlagen an ihre Grenzen stoßen können. Gleichzeitig gelangt durch WP, HSS und EFZ gegenüber dem Haushaltsverbrauch eine Menge nachfrageseitiger Flexibilität in die Netze, die sich durch geeignete Anreizmechanismen potenziell auch netzentlastend einsetzen lässt.

Mechanismen wie die PEAK-Plattform setzen konkrete finanzielle Anreize, den individuellen Leistungsbezug flexibel zu verschieben, um die Summenlast zu reduzieren und geben Prosumern damit die Möglichkeit an der Energiewende mitzuwirken. Auch wenn eine umfassende Ertüchtigung insbesondere zur Anbindung dezentraler Erzeugungsanlagen unumgänglich ist, können so nachfrageorientierte Ausbaumaßnahmen in einigen Fällen verzögert und ein ineffizienter Ausbau der Niederspannungsnetze „auf das letzte kW“ vermieden werden.

Zusammenfassung und Ausblick

Das in diesem Artikel vorgestellte Simulations-Framework sowie die Methode zeigen, dass es möglich ist, plausible synthetische Verteilnetze (ohne Netztopologie und Lastflussberechnung) auf Basis von Geodaten abzuleiten und mit diesen, deutschlandweite Aussagen zum Netzausbaubedarf treffen zu können. Das Tool kann in Zukunft verwendet werden, um Analysen zu Kosten des Netzausbaubedarfs, Einfluss neuer Technologien und innovativer Geschäftsmodelle durchzuführen und dabei neben Marktpotenzialen auch die Auswirkungen auf lokale Preise oder Netzausbaubedarfe ermittelt werden. So können beispielsweise die Aus- und Wechselwirkungen verschiedener dynamischer Stromtarife oder zeitvariabler Netzentgelte deutschlandweit analysiert oder verschiedene Konzepte von Energiegemeinschaften (z.B. Preismechanismen) evaluiert werden. Zudem ist es möglich, mit Hilfe des Tools Regionen zu identifizieren, in denen speziell Handlungsbedarf oder große Potenziale in ausgewählten Anwendungsfällen zu finden ist.

Dabei muss jedoch berücksichtigt auch werden, dass die Synthetisierung von Verteilnetzen im Einzelnen nur eingeschränkt die Realität abbildet. Da Verteilnetze historisch gewachsen und häufig überdimensioniert sind, kann das vorgestellte Tool keine individuelle Detailanalyse einzelner Verteilnetze ersetzen. Zudem wird über die Summenlast der Anschlüsse im Netz lediglich die Transformatorbelastung wiedergegeben. Eine tatsächliche Lastflussberechnung findet nicht statt, weshalb die Überlastung einzelner Leitungen oder Spannungsbandverletzungen keine Berücksichtigung finden. Daher sollte für eine Analyse der Leitungen oder bei Fragestellungen, die eine höhere zeitliche Auflösung verlangen, individuelle Verteilnetzsimulationen zur Rate gezogen werden, wie sie im Modell GridSim der FfE möglich sind.

Auch bei der Modellierung der steuerbaren Verbrauchseinrichtungen bestehen aktuell noch Einschränkungen: Zum einen fokussiert sich das Simulations-Frameworks auf den Sektor „private Haushalte“, weshalb der Einfluss von Gewerbe und Industrie unterschlagen wird. Zum anderen nimmt das Modell aktuell lediglich eine bedarfsgeführte Fahrweise bei den steuerbaren Anlagen an. Dynamische Stromtarife, die in Deutschland ab 2025 verpflichtend ausgerollt werden, können jedoch durch Preissprünge Gleichzeitigkeiten hervorrufen und höhere Lastspitzen verursachen als in dem hier geschilderten Szenario angenommen.

Literatur

[1] Özalay, Baris et al.: Wirtschaftlicher Vorteil der netzdienlichen Nutzung von Flexibilität in Verteilnetzen. Bonn: E-Bridge Consulting GmbH, 2019.

[2] Agora Energiewende und Forschungsstelle für Energiewirtschaft e. V. (2023): Haushaltsnahe Flexibilitäten nutzen. Wie Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen und Co. die Stromkosten für alle senken können.

[3] Bogensperger, Alexander et al.: Comparison of Pricing Mechanisms in Peer-to-Peer Energy Communities. In: 12. Internationale Energiewirtschaftstagung (IEWT) 2021. Wien: Technische Universität Wien, 2021.

[4] Bogensperger, Alexander Johannes: Assessing the Potential of Multiple Use Cases for German Energy Communities via Integration of Machine Learning in the Energy-Economic Modeling Process. Dissertation. Herausgegeben durch Technische Universität München – TUM School of Engineering and Design der Technischen Universität München: München, 2023.

[5] Referat Netzentwicklung Stromübertragungsnetz: Genehmigung des Szenariorahmens 2021-2035. Bonn: Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, 2020.

[6] Schmid, Tobias et al.: Regionalisierung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien – Begleitdokument zum Netzentwicklungsplan Strom 2035 (Version 2021). München: Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V. (FfE), 2021.

[7] Fahrzeugzulassungen (FZ) – Bestand an Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern nach Zulassungsbezirken; Flensburg: Kraftfahrt-Bundesamt, 2019.

[8] Zensusdatenbank des Zensus 2011: https://ergebnisse.zensus2011.de/; Wiesbaden: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 2013.

[9] Ester, Martin et al.: A density-based algorithm for discovering clusters in large spatial databases with noise. In: KDD-96 Proceedings; Munich: University of Munich, Institute für Computer Science, 1996.

[10] Müller, M.; Biedenbach, F.; Reinhard, J. Development of an Integrated Simulation Model for Load and Mobility Profiles of Private Households. Energies 2020, 13, 3843.

[11] Lastprofil Wärmepumpe. In: https://www.swm-infrastruktur.de/strom/netzzugang/bedingungen/waermepumpe. (Abruf am 2021-06-01); München: SWM Infrastruktur GmbH & Co. KG, 2021.