09.11.2022

Kurativer Netzbetreibereingriff mittels Spitzenglättung zur Vermeidung von Netzüberlastungen

Die zukünftige Integration batteriebetriebener Elektrofahrzeuge stellt insbesondere für Niederspannungsnetze eine Herausforderung dar. Bei hoher Durchdringung im Netz kann es in Abhängigkeit von den Ladestrategien, dem Ansteckverhalten und Weiterem aufgrund resultierender hoher gleichzeitiger Last im Netz zu Überlastungen und Spannungsbandverletzungen kommen. Ergänzend zum Netzausbau können Netzengpässe auch durch den Einsatz netzdienlicher Flexibilität, beispielsweise der Verschiebung und Entzerrung gleichzeitiger Ladevorgänge, vermieden werden. In diesem Beitrag soll anhand eines als Video aufbereiteten Simulationsergebnisses veranschaulicht werden, wie durch Reduzierung bzw. Verschiebung von Ladevorgängen von Elektrofahrzeugen Überlastungen des Ortsnetztransformators und Spannungsbandverletzungen in einem Niederspannungsnetz behoben werden können.

Die Simulation wurde im Rahmen des Projekts Bidirektionales Lademanagement (BDL) mit dem Verteilnetz-Energiesystem-Modell der FfE  GridSim durchgeführt. Die Umsetzung in der Simulation basiert auf dem Modell der „Spitzenglättung“, einer vorgeschlagenen Erweiterung des §1 4a EnWG, aus der vom Wirtschaftsministerium beauftragten und 2018 erschienenen Studie von BET/EY „Regulierung, Flexibilisierung und Sektorkopplung“ [1]. Eine detaillierte Beschreibung der Annahmen und Ergebnisse der Simulation wurde auf dem sechsten E-Mobility Power System Integration Symposium unter dem Titel „AVOIDING LOW-VOLTAGE GRID OVERLOADS THROUGH CURATIVE GRID OPERATOR INTERVENTION WITH FOCUS ON ELECTRIC VEHICLES“ vorgestellt.

Die Abregelung von Ladevorgängen zur Vermeidung von Netzengpässen wird anhand einer animierten Kartendarstellung eines Niederspannungsortsnetzes im folgenden Video inklusive Ton in deutscher Sprache dargestellt:

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Für die gezeigten Simulationsergebnisse gelten unter anderem folgende Eckdaten, Annahmen und Einschränkungen:

  • Bei dem dargestellten Netzgebiet handelt es sich um ein ländliches oder vorstädtisches Netz mit Haushalten und Gewerbe (GHD). Es werden 66 Netzverknüpfungspunkte (NVP) versorgt. Das Szenario bezieht sich auf das Jahr 2040 und beinhaltet eine hohe Durchdringung der Netzverknüpfungspunkte mit Wärmepumpen (WP) und Elektrofahrzeugen (EFZ). 67 % der NVP decken ihren Wärmebedarf mit einer Wärmepumpe. 30 % der NVP besitzen eine Photovoltaik-Anlage (PV). 55 % der NVP ist mindestens ein Elektrofahrzeug zugeordnet, insgesamt 55 Stück, bis zu vier pro NVP.
  • 49 % der 55 Elektrofahrzeuge sind bidirektional und können in die Gebäude oder ins Netz zurückspeisen. 33 % laden preisoptimiert und nehmen am Stromhandel am Spotmarkt teil (Vehicle-to-grid mit Arbitragehandel). Diese befinden sich an 12 % der NVP. Insbesondere bei marktorientiertem Einsatz von Flexibilität wie preisoptimiertem Laden oder Arbitragehandel am Spotmarkt können durch hohe Ladegleichzeitigkeit Netzüberlastungen auftreten, wie im Paper zur Tagung „Zukünftige Stromnetze“ gezeigt. 16 % der EFZ laden optimiert auf den Überschuss aus der PV-Anlage an deren Netzverknüpfungspunkt und speisen in das Gebäude zurück (Vehicle-to-Home mit PV-Eigenverbrauchsoptimierung).
  • Für die Simulation wird angenommen, dass der Netzbetreiber über Messdaten in quasi Echtzeit Kenntnis über sämtliche Netzzustände hat. Die Auslastung des Ortsnetztransformators und die Spannung an dessen Sammelschienen wird gemessen. Über die Smart-Meter-Infrastruktur wird die Last und die Spannung an sämtlichen Netzverknüpfungspunkten erfasst. Aus der Last der Netzverknüpfungspunkte kann der Netzbetreiber mit einem digitalisierten Netzmodell simulativ die Leitungsauslastung abschätzen.
  • Über die Smart-Meter plus Steuerkomponenten kann der Netzbetreiber bei Bedarf Elektrofahrzeug-Ladelastgänge stufenweise reduzieren. Orientiert am bestehenden § 14a EnWG darf diese Abregelung pro Kunde und Tag bei vollständiger Abregelung maximal zwei Stunden betragen. Die Leistung kann jedoch auch auf 60 % und 30 % reduziert werden. Die abgeregelte Zeit wird gewichtet mit der Höhe der Abregelung aufsummiert, d. h. wird an einem Tag bei einem Kunden die Ladeleistung beispielsweise nur bis auf 60 % reduziert, erhöht sich die maximal erlaubte Eingriffsdauer auf fünf Stunden.
  • In der Simulation gilt bereits eine Unterschreitung von 94 % der Nennspannung an einem Netzverknüpfungspunkt, was einem Spannungsabfall von 6 % entspricht, als Spannungsbandverletzung, nicht wie in der Realität erst bei Unterschreitung von 90 %, da der Spannungsabfall im überlagerten Mittelspannungsnetz in der Simulation nicht mit abgebildet wird.
  • Ab einer Überschreitung von 100 % des Nennstroms in einer der Wicklungen des Transformators oder einer Phase eines Drehstromkabels gelten diese in der Simulation als überlastet.
  • In der aktuellen Umsetzung werden unabhängig von der Art und dem Ort der Überlastung sämtliche Elektrofahrzeuge in ihrer Leistung stufenweise reduziert, bis der Engpass behoben ist. Perspektivisch soll in der Simulation bei Spannungsbandverletzungen und Leitungsüberlastungen feiner differenziert werden und nur Ladevorgänge abgeregelt werden, die auf die Überlastung an der jeweiligen Position im Netz auch einen merklichen Einfluss haben.

In dem im Video gezeigten Beispiel ist es möglich, die durch sich marktlich optimierende Elektrofahrzeuge hervorgerufenen Netzüberlastungen durch Überwachung des Netzes und bedarfsgerechte Reduktion der Ladeleistung zu verhindern. In unserem Paper „AVOIDING LOW-VOLTAGE GRID OVERLOADS THROUGH CURATIVE GRID OPERATOR INTERVENTION WITH FOCUS ON ELECTRIC VEHICLES“ werden die Effekte der Spitzenglättung für 1206 Ortsnetzgebiete statistisch ausgewertet und folgendes untersucht:

  • Inwieweit kann Netzausbau durch den Einsatz von Spitzenglättung vermieden werden?
  • Inwieweit ergeben sich für die Fahrer der Elektrofahrzeuge Nachteile durch niedrigere Batteriefüllstände?
  • Inwieweit ändert sich die Last und die Energiebilanz der Netzgebiete?

Literatur

[1] Zander, Wolfgang et al.: Digitalisierung der Energiewende – Topthema 2: Regulierung, Flexibilisierung und Sektorkopplung. Berlin: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), 2018.

Weitere Informationen: