21.11.2023

Ein Kabel, zwei Richtungen: Bidirektionales Laden von Elektrofahrzeugen als Gamechanger!

Durch die Fähigkeit, die Fahrzeugbatterie nicht nur zu laden, sondern auch zu entladen, können bidirektionale Fahrzeuge ein immenses dezentrales Speicherpotenzial für das Energiesystem bereitstellen. Schon heute mit ca. 1 Mio. Elektrofahrzeugen rollen Batterien mit einer Kapazität größer als die Summe der deutschen Pumpspeicherkraftwerke über die deutschen Straßen. Da häufig nur wenig Batteriekapazität für die tatsächliche Fahrleistung benötigt wird, kann ein Großteil für energiewirtschaftliche Anwendungsfälle genutzt werden und für die Fahrzeughalter:innen neue Erlösquellen erschließen, während das Fahrzeug steht. Diese Anwendungsfälle wurden u.a. in den Projekten „Bidirektionales Lademanagement – BDL“ und „unIT-e² – Reallabor für verNETZte E-Mobilität“ entwickelt und vorangetrieben. Das folgende Summary fasst die wichtigsten Erkenntnisse zum bidirektionalen Laden zusammen.

Attraktive Anwendungsfälle scheitern stellenweise noch an der geltenden Regulatorik

Im Rahmen der Projekte wurden eine Vielzahl an bidirektionalen Anwendungsfällen identifiziert, definiert und bewertet. Allgemein sind die Erlöspotenziale der Anwendungen dabei stark abhängig von Fahrzeug- & Wallbox-Parametern, der Last der Liegenschaft, Marktpreisen und dem Verhalten der Nutzer:innen. Für die Ausnutzung zeitlicher Arbitragen am Intraday-Markt sind pro Fahrzeug und Jahr beispielsweise Einsparungen von 150 – 690 € möglich. Da die Kosten des bidirektionalen Ladens insbesondere durch eine Preissenkung bei Wallboxen in Zukunft stark sinken werden, gehen wir davon aus, dass sowohl Vehicle-to-Home (V2H), Vehicle-to-Building (V2B) und Vehicle-to-Grid (V2G) in Zukunft wirtschaftlich sein werden. Die Wirtschaftlichkeit von V2H und damit der Eigenverbrauchsoptimierung mit der eigenen PV-Anlage ist dabei am robustesten, da sie am wenigsten von geltender Regulatorik und Preisschwankungen auf den Energiemärkten abhängt und in der Umsetzung am einfachsten ist. Speziell V2G ist jedoch gegenüber stationären Speichern aktuell regulatorisch noch schlechter gestellt. Um konkurrenzfähig zu werden, muss die Doppelbelastung Steuern, Abgaben und Umlagen bei Ausspeicherung in das öffentliche Stromnetz ausgeschlossen werden.

Die Auswirkungen von Bidi-Laden auf die EE-Integration und die Netzbelastung

Unsere Simulationsergebnisse zeigen, dass im zukünftigen kostenoptimalen Energiesystem etwa 30 % der Elektrofahrzeuge bidirektional sind. Diese bidirektionalen Elektrofahrzeuge spielen dabei eine entscheidende Rolle bei der Integration erneuerbarer Energien in das Stromnetz. Sie können als Tagesspeicher dienen und tragen somit zu einer verbesserten Integration von PV-Strom bei. Damit bieten sie trotz der Mehrkosten für die Hardware einen entscheidenden Vorteil gegenüber Fahrzeugen, die zwar gesteuert aber nur unidirektional laden können. Diese Entwicklung hat auch signifikante Auswirkungen auf den Bedarf konventioneller Kraftwerke (-32 GW) sowie stationärer Batteriespeicher (-60 GWh), deren Zubau in Europa bis 2050 dadurch reduziert werden kann. Infolgedessen führt dies zu jährlichen Einsparungen von ca. 7 Mrd €/a für das europäische Energiesystem.

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Abbildung 1: Systemische Effekte durch Bidirektionales Laden im europäischen Energiesystem bis 2040

Die Analysen zu den Rückwirkungen auf die Verteilnetze lassen sich in fünf Haupterkenntnisse unterteilen, welche in Abbildung 2 dargestellt sind.

  1. Die Elektrifizierung des Verkehrs- und Wärmesektors bis 2040 führt ohne Nutzung der Flexibilität bei bedarfsgeführten Betriebsweisen in 43 % der Niederspannungsnetze zu einem Ausbaubedarf.
  2. Dieser Ausbaubedarf wird durch gesteuertes (unidirektionales) Laden (V1G) mit dynamischen Stromtarife, welches unter der Annahme, dass alle Elektrofahrzeuge daran teilnehmen, hohe Gleichzeitigkeit hervorruft, deutlich (auf 69 % der Netze) erhöht. Dynamische Stromtarife müssen ab 2025 von jedem Stromversorger angeboten werden.
  3. Durch bidirektionales Laden (V2G) steigen in diesem Szenario die Ausbaubedarfe durch die höhere Flexibilität auf 71 % an.
  4. Eine Durchmischung der Use Cases V2H und V2G (Real; Teilnahmegrad von 30 % der Gebäude) führt zu geringeren Ausbaubedarfen als das bedarfsgeführte Laden.
  5. Durch gezielte Eingriffe der Verteilnetzbetreiber (Real, §14a; siehe Diskussion um EnWG §14a) oder dynamische Netzentgelte kann der Ausbaubedarf reduziert werden.
Abbildung 2: Netzausbaubedarf in der Niederspannung bis 2040 bei Optimierung der Elektrofahrzeuge und Batteriespeicher (Simulation von 1.000 realen Netzen aus Bayern)

Eine zentrale Aufgabe für kommende Forschungsprojekte wird es daher sein, netz- und marktorientierte Use Cases so zu koordinieren, dass die Kund:innen maximalen Benefit aus der Technologie ziehen können und gleichzeitig die Netze nicht unnötig belastet werden.

Pilotbetrieb im Projekt BDL und die Umsetzung über das intelligente Messsystem

Im Pilotbetrieb mit mehr als 50 Fahrzeugen an privaten sowie gewerblichen Standorten konnten über die Dauer eines Jahres einige allgemeine und Use Case-spezifische Erkenntnisse gewonnen werden. Bidirektionale Use Cases sind gerade deshalb so attraktiv, da Fahrzeuge einen Großteil der Zeit stehen.  Kund:innen sollten daher ermutigt werden, ihre Fahrzeuge über diese Zeiträume auch anzuschließen und einen niedrigen Ziel-SoC einzustellen, um den Optimierungsspielraum für die Use Cases zu vergrößern. Im Durchschnitt konnten die Probanden dadurch im Use Case PV-Eigenverbrauchsoptimierung 7,5 % ihrer Stromkosten einsparen, da sie weniger Energie aus dem Netz beziehen mussten. Des Weiteren ergaben die Untersuchungen, dass der Gesamtwirkungsgrad im Intraday Use Case bei etwa 80% liegt, was in etwa mit einem Pumpspeicherkraftwerk vergleichbar ist.

Die technische Umsetzung der Use Cases erfolgte über das intelligente Messsystem. Die Kommunikation über das Smart-Meter-Gateway bietet die Möglichkeit zur nahtlosen Integration in den EEBUS-Standard, wobei die Nachweisführung bereits integriert ist. Bei Tests im Laboraufbau wurde eine Zuverlässigkeit von 98% bei der Übermittlung von Leistungsvorgaben festgestellt.

Ausblick auf unIT-e² und BDL Next

Im Projekt BDL konnte bereits die technische Umsetzung einiger Anwendungsfälle im geschützten Projektumfeld gezeigt werden. Das Projekt unIT-e² erweitert den Betrachtungshorizont um weitere, auch unidirektionale Use Cases, sowie eine ganzheitliche Betrachtung des Energiemanagementsystems inklusive elektrischer Wärmebereitstellung. Dabei kommt eine Projektstruktur mit vier parallelen Umsetzungsclustern zum Einsatz, um unterschiedliche Rahmenbedingungen in den Feldversuchsgebieten abzudecken und Interoperabilität zwischen den verschiedenen Wirkketten zu demonstrieren.

Das direkte Nachfolgeprojekt BDL Next soll genau jene Lücken schließen, die in BDL offengeblieben sind und damit eine Heranführung des bidirektionalen Lademanagements an den massenfähigen Realbetrieb erreichen. Diese Lücken betreffen sowohl die Technologie als auch die regulatorischen und prozesstechnischen Grundlagen. Dazu zählt neben der Verknüpfung mit bestehenden Marktprozessen auch der netzdienliche Betrieb der Fahrzeuge in der Praxis, um den zügigen Hochlauf der Elektromobilität durch Engpässe im Stromnetz nicht zu gefährden. So soll es gelingen gemeinsam mit einer einfachen Systemintegration die Fahrzeugnutzenden von den Mehrwerten der Technologie zu überzeugen.

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