11.11.2020

Beitragsreihe GridSim: Auswertung und Visualisierung

Das Verteilnetz- und Energiesystem-Modell GridSim ist ein umfassendes und vielschichtiges Modell der FfE. Dieses vorwiegend in MATLAB implementierte Simulationsmodell wird seit dem Jahr 2012 in diversen Projekten weiterentwickelt, um kontinuierlich den technologischen Fortschritt abzubilden und um dadurch einen Beitrag zur Beantwortung der aktuellsten, energiewirtschaftlichen Forschungsfragen im Kontext der Verteilnetze zu leisten. In der folgenden Beitragsreihe bieten wir einen vertiefenden Einblick in den Werkzeugkasten der FfE, von den Grundsätzen über die darin modellierten Komponenten und Möglichkeiten der Regelung bis hin zur automatisierten Auswertung und Veranschaulichung der Simulationsergebnisse.

Dieser Beitrag ist der letzte von fünf Beiträgen, die nun sukzessive auf unserer Website erscheinen und in dieser Tabelle verlinkt werden.

Übersicht über die Themen der Beitragsreihe GridSim
  1. Das Energiesystemmodell
  2. Verteilung von Netzkomponenten und Erzeugung der Lastgänge
  3. Lastflussberechnungen
  4. Betriebsweisen der Komponenten
  5. Auswertung und Visualisierung

Ein zentraler Baustein bei der Beantwortung wissenschaftlicher Forschungsfragen ist die effiziente und zielgerichtete Auswertung und Aufbereitung der Ergebnisse. Ein höchstgradig detailliertes Modell eines Energiesystems und zugehörige Simulationen sind im Forschungskontext nur dann von Wert, wenn aus den Simulationen entsprechende Erkenntnisse abgeleitet werden können. Das Modell GridSim bietet, nachgelagert zur Modellierung und Simulation von Energiesystemen in den Mittel- und Niederspannungsebenen, eine Vielzahl an Möglichkeiten automatisierter Auswertungen und umfangreicher Visualisierung.

Von realer Detailauswertung bis zu regionaler Belastungs-Statistik

Wie im zweiten Teil der Beitragsreihe bereits erörtert, bietet GridSim entsprechend verschiedener Anwendungsfälle und Eingangsdaten ebenso differenzierte Optionen zur Simulation. Zur Abdeckung verschiedener Anforderungen und zur automatisierten Auswertung großer Datenmengen wird im Modell ein sechsstufiges Auswertungsverfahren angewandt (vgl. Abbildung 1/Animation) [1].

Grundsätzlich beginnt die Auswertung im Modell mit der ganzheitlichen Sicherung der Metadaten und detaillierten Rohergebnisse (SimResults), wie z. B. einzelner Komponentenlastgänge. Bereits in diesem Prozessschritt werden konkrete Kennzahlen, welche im Rahmen der Simulationen berechnet wurden, wie z. B. der Anzahl an PV-Anlagen bei Simulation mit einem Durchdringungsgrad, mit abgelegt.

Auf Basis dieser Informationen werden nachgelagert diverse Auswertungen, teils per default teils vom Nutzer definiert, erzeugt und visualisiert. Neben der Betrachtung absoluter Werte (Summenlastgänge am Hausanschluss oder der Siedlung, wie im Rahmen des vierten Beitrags vorgestellt) wird auch eine Vielzahl statistischer Kenngrößen erzeugt. Diese detaillierte Einzelbetrachtung führt zu den entsprechenden „Single-Distribution-Results“ (SD-Results). Für sämtliche simulierten Komponenten werden dabei individuelle Auswertungen angefertigt (z. B. Typtage, Ladegleichzeitigkeiten von Elektrofahrzeugen). Darüber hinaus erfolgt ein automatisierter Abgleich mit verschiedenen Grenzwerten (z. B. mit den Grenzen des Spannungsbands) und damit insbesondere die Bewertung der Belastung der Verteilnetzstrukturen. [1] Diese Auswertungen können bei geringer Variabilität definierter Eingangsparameter bereits zu realitätsnahen Ergebnissen führen.

Da insbesondere die Anzahl an Komponenten, welche am Netzbetrieb teilnehmen, durch die energiewendegetriebene Sektorkopplung stetig ansteigt, steigt gleichermaßen auch die Komplexität des modellierten Energiesystems. Die Sensitivität einzelner Komponenten und zugehöriger Betriebsweisen kann in einem komplexen Energiesystem zu bedeutenden Unterschieden führen, weshalb in GridSim neben den SD-Results häufig auch nach Monte-Carlo-Ansatz eine Auswertung über mehrere Verteilungen bzw. „Multi-Distribution-Results“ (MD-Results) durchgeführt wird. Im Rahmen dieser Auswertung werden mehrere SD-Results statistisch ausgewertet, wodurch sowohl extreme Ausprägungen als auch die Bandbreite an Netzzuständen dargestellt werden können. Für die Ergebniswerte der einzelnen Zufallsverteilungen werden z. B. Mittelwerte, Mediane, Extrema und die Varianz berechnet. [1] Nachfolgende Beispiele verdeutlichen den Nutzen der MD-Results Auswertungsform auf verschiedenen Ebenen:

  • Durch reproduzierbar zufällige Erzeugung der Aktivitätsprofile von Agenten im Haushaltslastganggenerator resultieren bei der Auswahl von mehreren Zufallsverteilungen entsprechend verschiedene Lastgänge der Haushalte.
  • Bei der Verteilung von Komponenten über mehrere Zufallsverteilungen, wie z. B. bei Analyse möglicher Auswirkungen beim Zubau von PV-Aufdachanlagen über einen entsprechenden Durchdringungsgrad, können bei der Netzbelastung gravierende Unterschiede resultieren.
  • Bei der Betrachtung eines regionalen Netzgebiets mit absolut synthetisch modellierter Netzbelastung, wie z. B. im Projekt „München elektrisiert“ können über mehrere Zufallsverteilungen ganze Gebäude einer Region auf die Netzverknüpfungspunkte eines Typ-Verteilnetzes (z. B. MONA-Basisnetzdaten) verteilt werden und dabei komplette Siedlungsstrukturen variieren. Die MD-Results geben dabei Auskunft über mögliche Extrem-Ausprägungen und die mittlere Netzbelastung.

Die vierte Auswertungsstufe, die „Multi-ONT-Results“ (MO-Results), ermöglichen den Vergleich von Auswertungen verschiedener Netzgebiete und mehrerer Verteilungen. Dies erlaubt z. B. den Vergleich der Reproduzierbarkeit resultierender Effekte einer Regelstrategie in verschiedenen Netzgebieten. [1]

Die „Comparison Results“ entsprechen einer nachgelagerten, nicht vollautomatisierten Auswertung. Sie dienen dem direkten Vergleich von zwei voneinander unabhängigen Auswertungen und ermöglichen das Hervorheben der Unterschiede von Auswertungen verschiedener Szenarien. Die letzte Stufe der „Scenario Results“ dient dazu, den Einfluss von variierten Parametern auf beliebige Ergebniswerte darzustellen oder verschiedene „Szenarien“ zu vergleichen. [1]

Visualisierung – Schlüsselelement zur effizienten Veranschaulichung von Ergebnissen

Neben der zielgerichteten Auswertung wissenschaftlicher Simulationsergebnisse ist im Folgenden insbesondere die Kommunikation der wichtigsten Inhalte von Bedeutung. In GridSim werden die Ergebnisse der Auswertungen in verschiedenen Darstellungen visualisiert, um die wesentlichen Inhalte und Simulationsergebnisse kompakt zu veranschaulichen. Äquivalent zu den Möglichkeiten der individuellen Auswertung für die unterschiedlichen Komponenten bietet das Modell ein ebenso großes Portfolio an Optionen zur Visualisierung. Dies umfasst detaillierte Darstellungen zur Auslastung von Komponenten oder Netzkenngrößen und einer möglichen Nichteinhaltung von Grenzwerten, wie auch Grafiken, welche zusammenfassend direkte Aussagen bezüglich des Netzzustandes ermöglichen. Die nachfolgenden Grafiken gewähren beispielsweise einen direkten Überblick über die komponentenscharfe Zusammensetzung der jährlichen Netzbelastung einer Region unter Berücksichtigung der Saisonalität und Zeit (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 1: Residuallastsortierte Jahresdauerlinie
Abbildung 2: Heatmap der Residuallast

Besonders hervorzuheben ist dabei das Modul zur Darstellung der Netzbelastung von Verteilnetztopologien im Raum (vergleichbar mit einem Geo-Informations-Programm). Über Koordinaten kann mit dem Modul die Netzbelastung nach verschiedenen Kriterien und für jeden Zeitschritt visualisiert werden. [2] Dieses Modul ist insbesondere bei der Identifikation lokaler Netzengpässe von Nutzen und dient der Veranschaulichung der Auswirkungen potenzieller Zukunftsszenarien der Netzbelastung. Abbildung 3 zeigt die Betriebszustände einer exemplarischen Netztopologie in entsprechender Heatmap-Darstellung der Leitungen (Leitungsauslastung in %) und Knoten (Maximale einphasige Spannung in % bezogen auf die Nennspannung).

Abbildung 3: Exemplarische Kartendarstellung der Netzbelastung einer Netztopologie in einem Zeitschritt

Insgesamt ist das Modell GridSim über die vergangenen Jahre in allen Bereichen, sowohl hinsichtlich der Detailtiefe als auch der Simulationsmöglichkeiten, zunehmend gewachsen. Die vielen Optionen bei der Initialisierung von Komponenten, deren Regelung und die Arten der Auswertung machen GridSim hinsichtlich der Verteilnetzebene zu einem nahezu allumfassenden Modell, welches kontinuierlich weiterentwickelt und in verschiedenen Projekten immer näher an die Belastungszustände im realen Netzbetrieb aufschließt. Dies ermöglicht GridSim die Beantwortung von Forschungsfragen rund um sowohl aktuelle als auch zukünftige Situationen, Technologien und Möglichkeiten im Verteilnetz. GridSim ist Energiewende!

 

Weitere Informationen zu laufenden Projekten, in welchen GridSim zum Einsatz kommt:

 

Literatur:

[1] Nobis, Philipp: Entwicklung und Anwendung eines Modells zur Analyse der Netzstabilität in Wohngebieten mit Elektrofahrzeugen, Hausspeichersystemen und PV-Anlagen. Dissertation. München: Technische Universität München – Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik, 2016
[2] Reinhard, Janis David: Entwicklung einer interaktiven Kartendarstellung für Ergebnisse von Verteilnetzsimulationen und Automatisierung von Netzausbau. München: Technische Universität München – Lehrstuhl für Energiewirtschaft und Anwendungstechnik, 2017