12.01.2023

Normenlandschaft für die Elektromobilität

Zur Sicherstellung von Sicherheit, Austauschbarkeit und Kompatibilität sind Normen und Protokolle zentrale Instrumente. Sie dienen der Festlegung von Regeln für Produkte, Verfahren, Technologien oder Dienstleistungen. Ihre Anwendung ist grundsätzlich freiwillig, sofern sie nicht durch Gesetze oder Verträge vorgeschrieben wird.

Eine Norm ist ein durch eine Normungsorganisation auf Grundlage eines festgelegten Konsensverfahrens akkreditiertes Anforderungsdokument. Das Konsensverfahren ist so gestaltet, dass alle interessierten Akteure im Rahmen eines öffentlichen Einspruchsverfahrens ihre jeweiligen Positionen einbringen können. Es gibt Internationale (z.B. ISO, IEC), europäische (z.B. CEN, CENELEC) und nationale (z.B. ISO, DKE) Normungsorganisationen, die ihre Tätigkeit in gegenseitiger Abstimmung ausüben.

Das Konsensverfahren für die Akkreditierung einer Norm nimmt in der Regel einige Jahre in Anspruch. Es gibt daher auch die Möglichkeit, Handlungsempfehlungen und Sachstandsberichte in schnelleren Verfahren mit festgelegten Anforderungen zu veröffentlichen, die nicht zwingend einen breiten Konsens oder ein öffentliches Einspruchsverfahren erfordern. Auf nationaler Ebene sind dies zum Beispiel DIN-Spezifikationen (DIN SPEC) und VDE- bzw. VDE/DKE-Anwendungsregeln (VDE AR, VDE AR-E), auf internationaler Ebene zum Beispiel IEC Technical Reports (IEC TR). Außerdem kann die Industrie eigene, nicht akkreditierte Standards, wie beispielsweise Kommunikationsprotokolle (z. B. OCPP), festlegen und anwenden.

Sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene ist der Normungsprozess für die Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität derzeit im Gange. Die Vielfalt der verschiedenen Akteure, Anwendungsfälle und Schnittstellen im Kontext der Elektromobilität und deren Netzintegration macht dieses Unterfangen sehr umfangreich. Es existieren bereits erste Normen auf internationaler Ebene, sowie verschiedene Spezifikationen, Anwendungsregeln und Protokolle. Dabei handelt es sich oftmals um Lösungen für einzelne Schnittstellen und um eine jeweils begrenzte Auswahl von Anwendungsfällen. Die Harmonisierung dieser Lösungen im Rahmen Internationaler Normungsbemühungen wird angestrebt und hat bereits begonnen.

Der erste Teil dieses Artikels beschreibt eine Auswahl der aktuell vorhandenen oder in Entwicklung befindlichen Normen, Anwendungsregeln sowie Protokolle rund um das Thema Elektromobilität und gibt dabei einen Ausblick auf die aktuellen Normungsbemühungen für zukünftige Standards. Es werden Nacheinander die relevanten Schnittstellen zwischen Elektrofahrzeug, Ladestation und Charge Point Operator (CPO), sowie die relevanten Schnittstellen dieses Systems mit einem Home Energy Management System (HEMS) und dem Stromnetz betrachtet. Abbildung 1 zeigt ein Schema der hier betrachteten Schnittstellen mit den zugehörigen Normen und Protokollen. Da die Arbeiten im Projekt unIT-e² sich auf die anderen Bereiche fokussieren, wird auf Roaming-Protokolle, die in Abbildung 1 ebenfalls dargestellt sind, hier nicht näher eingegangen.

Der zweite Teil dieses Artikels gibt einen Einblick in einen Bericht über Empfehlungen und Präferenzen der von der EU-Kommission eingesetzten Expertengruppe „Sub-group on Governance & Standards“ des „Sustainable Transport Forum“ zu den derzeitigen Normungsprozessen für die Elektromobilität.

Abbildung 1: Übersicht über die relevanten Kommunikationsschnittstellen und Normen der Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität

Kommunikation zwischen Elektrofahrzeug und Ladestation

Die Norm IEC 61851 wird derzeit von allen Elektrofahrzeugen in Europa unterstützt. In diesem Low-Level-Kommunikationsstandard erfolgt die Signalübertragung über Pulsweitenmodulation. Sie bietet nur Basis-Ladefunktionen und ermöglicht keine erweiterten Authentifizierungs- und Autorisierungsfunktionen . Mit IEC 61851 ist keine digitale Datenübertragung möglich, die über einfache Steuersignale hinausgeht. Es wird in der Branche erwartet, dass die IEC 61851 in Zukunft nur als Fallback-Lösung relevant bleiben wird.

Bei der Norm ISO 15118 handelt es sich um einen High-Level-Kommunikationsstandard. Sie erlaubt eine wesentlich umfangreichere Datenübertragung als die IEC 61851. Mit der 2014 veröffentlichten ISO 15118-2 sind bereits Funktionen wie Plug & Charge, verschlüsselte Kommunikation, Energiemanagement, AC- und DC-laden möglich. Mit der 2022 veröffentlichten ISO 15118-20 werden auch bidirektionales und induktives laden, sowie das Speichern mehrerer Ladezertifikate unterstützt. ISO 15118-20 gilt als Voraussetzung für das netzdienliche Laden von Elektrofahrzeugen [1] [2] [3].

Kommunikation zwischen Ladestation und Charge Point Operator (CPO)

Zur Kommunikation zwischen Ladestation und CPO ist derzeit das Open Charge Point Protocol (OCPP) der Open Charge Alliance der de-facto-Standard. Es bietet Kompatibilität mit einigen anderen Protokollen der Ladeinfrastruktur, wie z.B. OpenADR. OCPP wird vorwiegend zur Authentifizierung und Autorisierung genutzt und bietet Anwendungsmöglichkeiten für Smart Charging und Demand Response. Die aktuell neueste OCPP-Version 2.0.1, welche 2020 veröffentlicht wurde, unterstützt ISO 15118-2 und ermöglicht somit Funktionalitäten wie Plug & Charge. Außerdem bietet Version 2.0.1 erhöhte Sicherheitsanforderungen, die über die derzeit im europäischen Markt vorherrschende Version 1.6 hinausgehen. Bidirektionales Laden wird in Version 2.0.1 noch nicht unterstützt. In einer derzeit in Entwicklung befindlichen Nachfolgeversion soll die Kompatibilität von OCPP mit ISO 15118-20 hergestellt und bidirektionales Laden unterstützt werden.

OCPP ist derzeit international weit verbreitet und akzeptiert. Es gibt jedoch auch Hersteller von Home Energy Management Systemen (HEMS), die für die Kommunikation zwischen Elektrofahrzeugen und Ladevorrichtungen in Liegenschaften auf die EEBUS-Kommunikationsschnittstelle setzen und nicht unbedingt gewillt sind, mit OCPP einen weiteren Protokoll-Stack zu implementieren.

Die Norm IEC 63110 ist derzeit in Arbeit und wird voraussichtlich Ende 2023 veröffentlicht. Sie wird die Funktionen von OCPP sammeln und erweitern, jedoch voraussichtlich nicht rückwärtskompatibel mit OCPP sein. Um möglichen Problemen diesbezüglich zu begegnen, ist derzeit bei der IEC ein Dokument in Arbeit, das die Umstellung von OCPP 2.0.1 zu IEC 63110 beschreibt. Die Implementierung der IEC 63110 erfolgt in Abstimmung mit ISO 15118, sowie mit der Norm IEC 63119, die in Zukunft die Kommunikation mit E-Roaming-Plattformen standardisieren soll [2] [3].

Kommunikation mit einem Home Energy Management System (HEMS)

Zur Kommunikation zwischen Elektrofahrzeugen und dem lokalen Energiemanagement hinter einem Netzanschlusspunkt unter Berücksichtigung von netzseitigen Anforderungen gibt es seit 2021 die VDE-Anwendungsregel AR-E 2122-1000. Diese Anwendungsregel dient als Grundlage für die Norm IEC 63380, die sich derzeit in Entwicklung befindet und 2024 veröffentlicht werden soll.

Die Anwendungsregel AR-E 2829-6 ist ein Kommunikationsprotokoll für die Schnittstelle zum elektrischen Niederspannungsverteilnetz an der Eigentumsgrenze des Anschlussnehmers. Für die Kommunikation zwischen lokalem Energiemanagementsystem und Ladeinfrastruktur ist sie kompatibel mit AR-E 2122-1000. AR-E 2829-6-1 bis 2829-6-4 wurden 2021/2022 veröffentlicht. AR-E 2122-1000 und AR-E 2829-6 basieren auf den Spezifikationen der Kommunikationsschnittstelle EEBUS. Die Kompatibilität von AR-E 2829-6 zu OpenADR wird angestrebt [4].

Kommunikation mit dem Stromnetz

Für die Kommunikation zwischen CPO und Stromnetz gibt es seit einigen Jahren das Protokoll OSCP der Open Charge Alliance. Version 1.0 erschien 2015 und Version 2.0 erschien 2020. OSCP findet bislang noch keine breite Anwendung. Es dient der Übermittlung der physischen Netzkapazität an den CPO durch den Verteilnetzbetreiber.

Außerdem gibt es für die Kommunikation mit dem Stromnetz das Protokoll OpenADR, welches der Kommunikation für Demand Response (DR) und Distributed Energy Resources (DER) Anwendungen dient. Aktuell wird es vor allem im Spitzenlastmanagement verwendet, weitere DR und DER Anwendungen werden getestet. OpenADR ist seit 2019 als IEC 62746-10-1 ED1 offiziell akkreditiert.

Die Gesetzgebung bezüglich der Kommunikation zwischen Ladestationen und Stromnetz befindet sich derzeit noch in Entwicklung, und die Normungsbemühungen stecken noch in der Anfangsphase. In der Branche wird erwartet, dass die Normenreihe IEC 61850, deren Anwendung zur Stationsautomatisierung in der Energie- und Fernwirktechnik etabliert ist, eine Rolle spielen wird. IEC 61850-7-420 beschreibt die Kommunikation für DR und DER Anwendungen. Der Technical Report IEC TR 61850-90-8 stellt, darauf aufbauend, ein Objektmodell für die Elektromobilität dar. Er wurde 2016 veröffentlicht.

In den nächsten Jahren soll auf internationaler Ebene die Norm IEC 63382 für die Netzintegration von Elektrofahrzeugen entwickelt werden. Die Arbeitsgruppe JWG15 wurde hierfür 2021 gegründet und eine Veröffentlichung wird 2025 angestrebt [2].

Ausblick und Diskussion in der Branche

Abbildung 2: Positionen der Mitglieder der Sub-group on Governance & Standards des Sustainable Transport Forum (STF) zu den Standards für die Kommunikation zwischen Elektrofahrzeug und Ladestation, zwischen Ladestation und CPO, sowie zwischen CPO, Ladestation und Stromnetz [2]

Gemäß EU-Richtlinie 2014/94/EU zur Infrastruktur für alternative Kraftstoffe hat die Europäische Kommission das Sustainable Transport Forum (STF) ins Leben gerufen. Die STF-Untergruppe „Sub-group on Governance & Standards“ besteht aus 20 Unternehmen aus den Bereichen Elektromobilität, Ladeinfrastruktur und Energieversorgung. In ihrem Bericht „Mapping of the discussion concerning standards and protocols for communication exchange in the electromobility ecosystem“ [2] werden die Empfehlungen und Präferenzen der Mitglieder für EU-weite Standards und Protokolle zusammengefasst. Abbildung 2 gibt eine Übersicht über die Positionen der Mitglieder. Im Folgenden werden einige spezifische Meinungen aus dem Bericht wiedergegeben.

Für die Kommunikation zwischen Elektrofahrzeug und Ladestation wird eine EU-weite Verpflichtung zur Implementierung der ISO-15118-Reihe von einem großen Teil der Mitglieder unterstützt, zum Teil mit konkreten Vorschlägen für ein Inkrafttreten in den nächsten Jahren. Eine Verständigung aller beteiligter Akteure auf eine Implementierungs-Roadmap wird angestrebt. Einige Mitglieder wünschen eine ISO-15118-20-Pflicht im Rahmen der EU-Verordnung über die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR), mit der Anmerkung, dass die Regulierung insgesamt nicht nur die Ladeinfrastruktur, sondern auch die Fahrzeughersteller betreffen müsse.

Es wird betont, dass das Sicherheitslevel des gesamten Ladeökosystems erhöht werden müsse, unter anderem durch die Implementierung der ISO 15118 Standards. Mehrere Mitglieder sehen noch Diskussionsbedarf bezüglich der Ausgestaltung der Nutzerkontrolle, Zertifikats- und Vertragshandhabung, Datenzugriff und -verfügbarkeit sowie Hardware-Regulierung. Einzelne Mitglieder bemängeln, dass ISO 15118 beim konduktiven Laden nur Power-Line-Communication ermöglicht, und fordern die Beibehaltung der Möglichkeit zum Laden mit IEC 61851 mit Wireless Communication.

OCPP findet breite Akzeptanz im STF für die Kommunikation zwischen Ladestation und CPO. Eine OCPP-Pflicht wird oft als nicht notwendig angesehen, da sich das Protokoll ohnehin bereits als de-facto Standard etabliert hat. Es findet sich außerdem eine weitreichende Unterstützung für den zukünftigen Standard ISO 63110, sofern die Rückwärtskompatibilität zu OCPP hinreichend berücksichtigt wird. Einzelne Mitglieder sehen noch Diskussionsbedarf bezüglich der Cybersicherheit von OCPP. Zu ISO 63110 möchten einige Mitglieder erst Stellung beziehen, wenn der genaue Inhalt der Norm bekannt ist. Weitere Kritikpunkte einzelner Mitglieder zu ISO 63110 sind mögliche Wartungs- und Rolloutprobleme, und eine größere Flexibilität durch die alternative Verwendung von proprietären Protokollen.

Bei der Kommunikation mit dem Stromnetz halten die meisten Mitglieder den heutigen Stand der Gesetzgebung noch nicht für ausreichend, um sich auf internationale Standards einigen zu können. Die Kritikalität der Harmonisierung von neuen Kommunikationsstandards mit Smart-Meter-Standards wird betont. Mehrere Mitglieder betonen, dass die CPOs die Kontrolle über die Ladepunkte behalten müssten und es kein direktes Interface zwischen Verteilnetzbetreiber und Ladepunkt geben dürfe. Sie berufen sich dabei auf die EU-Richtlinie 2019/944, Artikel 33.

Abschließend bemerkt das STF, dass die existierenden Standards die Endnutzerseite nicht ausreichend abdecken würden. Es sei bislang unklar, welche Informationen und Optionen der/die Nutzer:in bereitstellen und steuern könne oder müsse. Einige Mitglieder betonen, die Ladeinfrastruktur müsse so ausgestaltet werden, dass der/die Nutzer:in Einstellungen entsprechend der eigenen Präferenzen vornehmen kann, und dass dies nicht ausschließlich seitens der Fahrzeughersteller geschehen solle. Die nicht-ISO-15118-Infrastruktur werde in der näheren Zukunft bestehen bleiben und Nutzer:innen sollten beispielsweise wählen können, ob sie Plug & Charge verwenden oder nicht. Außerdem gebe es noch Handlungsbedarf bei der Herstellung von Preistransparenz bei Radiofrequenz-Identifikation (RFID) und Plug & Charge und es wird bemängelt, dass derzeit noch keine Authentifizierung von Fahrer:innen im Elektrofahrzeug möglich sei.

Fazit

Normen und Standards sind für die Interoperabilität von Komponenten im Gesamtsystem der Elektromobilität von herausragender Bedeutung. Sie sind nur dann hilfreich, wenn sie einen breiten Konsens der beteiligten Akteure abbilden und daher eine breite Akzeptanz erfahren. Das strikte Einhalten von vereinbarten Regeln durch die beteiligten Akteure ist dabei essenziell für eine zeitnahe und nutzerfreundliche Ausgestaltung der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge. Eine Vielzahl verschiedener, konkurrierender Normen und Protokolle ist dafür hingegen kontraproduktiv. Außerdem können sich proprietäre Protokolle, die den Nutzer:innen ein bestimmtes Nutzungsverhalten aufzwingen, negativ auf die Akzeptanz der Elektromobilität auswirken.

Für die Schnittstelle zwischen Elektrofahrzeug und Ladestation findet die Normenreihe ISO 15118 überwiegend Zuspruch durch die beteiligten Akteure. Es ist zu erwarten, dass die ISO-15118-Reihe in den kommenden Jahren eine zunehmende Verbreitung erfährt – aufgrund der wesentlich umfangreicheren Funktionalitäten als mit der etablierten Norm IEC 61851 und womöglich forciert durch gesetzliche Regelungen.

Für die Schnittstelle zwischen Ladestation und CPO erfährt das Protokoll OCPP eine breite Unterstützung durch die Branche. Sie ist bereits weit verbreitet und wird womöglich in einigen Jahren von der derzeit in Entwicklung befindlichen Norm ISO 63110 abgelöst.

Bezüglich der Kommunikation von CPO und Ladestation mit dem Stromnetz zeichnet sich derzeit noch kein klares Bild zur zukünftigen Normungslandschaft ab. Ein Ausräumen bestehender Unklarheiten hinsichtlich gesetzlicher Rahmenbedingungen kann eine Grundlage für einen Konsens der beteiligten Akteure in künftigen Normungsaktivitäten schaffen.

Weitere Informationen

 

Literatur

[1] Neaimeh, M., Andersen, P.B.: Mind the gap- open communication protocols for vehicle grid integration. Energy Inform 3, 1 (2020). DOI: 10.1186/s42162-020-0103-1

[2] Mapping of the discussion concerning standards and protocols for communication exchange in the electromobility ecosystem. Brüssel: Europäische Kommission, 2022. DOI: 10.2832/6763.

[3] Roadmap zur Implementierung der ISO 15118 – Standardisierte Kommunikation zwischen Fahrzeug und Ladepunkt. Berlin: Nationale Plattform Zukunft der Mobilität, 2020.

[4] Ostendorf, L.; Johnsen, D.; Bechberger, M.; Gensch, S.: Steuerung von Ladevorgängen in der Elektromobilität. Köln: TÜV Rheinland Consulting GmbH, 2022.