16.11.2022

Interoperabilität: Begriffsklärung, Bewertung und Anwendung

Im Zuge der Energiewende wird die Stromerzeugung im Energieversorgungssystem immer dezentraler, erhöht den Bedarf an Steuerungsaufwand und benötigt mehr Digitalisierung und Vernetzung der einzelnen Komponenten. Um ein reibungsfreies Zusammenspiel der Komponenten zu gewährleisten, wird Interoperabilität immer wichtiger. Das Institute of Electrical and Electronics Engineers – IEEE definiert Interoperabilität als „die Fähigkeit von zwei oder mehr Systemen oder Komponenten, Informationen auszutauschen und die ausgetauschten Informationen zu nutzen“ [1]. Die International Organization for Standardization/International Electrotechnical Commission (ISO/IEC) setzt des Weiteren voraus, dass die Funktionsfähigkeit auch bei keiner oder geringer Kenntnisse über die besonderen Merkmale der einzelnen Einheiten gewährleistet seinen muss [2]. Zusätzlich zu dem Austausch von Daten und der Interpretation dieser müssen die miteinander interagierenden Komponenten die gleichen wirtschaftlichen Ziele verfolgenden und auch innerhalb der gleichen wirtschaftlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen interagieren.

Interoperabilitätsebenen

In Anlehnung an [3] lassen sich übergeordnet drei Interoperabilitätsebenen definieren, die in Abbildung 1 dargestellt sind. Die technische Ebene umfasst die grundlegende Möglichkeit zum Austausch von Daten und die Kompatibilität der Datenstruktur. Die Informationsebene beschreibt die Fähigkeit die in den Daten enthaltenen Informationen zu erkennen und richtig einzuordnen/zu interpretieren. Auf der organisatorischen Ebene wird sichergestellt, dass die geschäftlichen, wirtschaftlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen eingehalten werden.

Abbildung 1: Interoperabilitätsebenen in Anlehnung an [3]

Je nach Anwendungsfall können die Ebenen weiter unterteilt werden. So wird beispielsweise im Smart Grid Architecture Model (SGAM) [4] die technische Ebene in eine Komponenten- und Kommunikationsebene und die organisatorische Ebene in eine Funktions- und Geschäftsebene unterteilt.

Methoden zur Bewertung und Sicherstellung von Interoperabilität

Für jede Ebene muss die Interoperabilität zwischen den einzelnen Systemen und Akteuren analysiert, bewertet und vorhandene oder eventuell fehlende Standards identifizieren werden. [5] definiert drei verschiedene Arten zur Bewertung von Interoperabilität:

  • Kompatibilitätsanalyse zweier Systeme
    Überprüfung, ob zwei Systeme Interoperabel sind
  • Potenzialanalyse
    Interoperabilität hinsichtlich der Umgebung z.B. kann Wallbox mit allen EFZ kommunizieren
  • Performanceanalyse
    Bewertung der Zusammenarbeit zwischen Systeme im Betrieb hinsichtlich des Zeitaufwands

In der Literatur lassen sich mehrere Methoden finden Bewertung von Interoperabilität finden. Einen umfangreichen Überblick liefert hierbei Gabriel et al. [6]. Zur Untersuchung von smart Grid Use Cases eignet sich das SGAM. Hierbei wird die komplette Wirkkette von der Erzeugung des Stroms über den Transport bis hin zum Letztverbraucher berücksichtigt. Eine detailliertere Analyse für reine Elektromobilitätsanwendungen erlaubt das auf dem SGAM basierende E-Mobility System Architecture Model (EMSA-Modell) [7]. Wie das SGAM enthält auch das EMSA ein Koordinatensystem bestehend aus den Dimensionen Domain, Zone und Layer. Dies ist in Abbildung 2 visualisiert.

Abbildung 2: Visualisierung des E-Mobility Systems Architecture (EMSA) Model [5]

Die Interoperabilitätsebenen (Layers) und Zonen sind identisch zum SGAM. Die einzelnen Zonen sind wie folgt definiert:

  • Prozess umfasst die physikalische oder chemische Umwandlung von Energie
  • Field umfasst Geräte zum Schutz, zur Steuerung, zur Überwachung und zur Unterstützung des Prozesses der E-Mobilität
  • Station steht für die räumliche Aggregation für die Fieldzone, z. B. für Datenkonzentration, funktionale Aggregation oder lokale Sensorsysteme.
  • Operations beinhaltet Managementeinheiten in der jeweiligen Domäne für die Verarbeitung von aggregierten Daten, z. B. Energiemanagementsystem
  • Enterprise umfasst kommerzielle und organisatorische Prozesse, Dienste und Infrastrukturen für Unternehmen
  • Market spiegelt die möglichen Marktaktivitäten entlang der E-Mobilitätskette wider

Zur detaillierteren Analyse für Elektromobilitätsanwendungen hat das EMSA-Modell vier relevante Bereiche (Domains), die sich in immobile (Energieumwandlung und Energieübertragung) und mobil (Elektrofahrzeug, Elektrofahrzeugnutzer) unterteilen lassen. Diese können bei Bedarf auch erweitert werden.

  • Energieumwandlung umfasst die die Energieumwandlungskette von der Erzeugung bis hin zur Bereitstellung am Netzverknüpfungspunkt.
  • Energieübertragung vom/zum Elektrofahrzeug bezieht sich hierbei auf die nötige Infrastruktur zur Übertragung der Energie zum Elektrofahrzeug beispielsweise unteranderem eine Wallbox und zugehörige Managementsysteme.
  • Elektrofahrzeug umfasst die Einheiten, die den elektrischen Fahrvorgang durchführen. Dies müssen nicht E-Autos seien, sondern kann sich auch auf E-Bikes oder E-Busse beziehen.
  • EV User Premises berücksichtigt alle Schnittstellen zum Endnutzer. Hierbei kann es sich um z.B. Apps oder Carsharing handeln.

Zur Analyse werden alle für den Use Case relevanten Komponenten, wie beispielsweise Hard- und Software, Personen aber auch Zustände im EMSA-Koordinatensystem eingeordnet. Die Beziehungen und Wirkeisen zwischen den einzelnen Komponenten werden je Interoperabilitätsebene betrachtet und hinsichtlich Hindernisse, Konflikten und beispielsweise fehlender Standards analysiert. In [7] wird die Anwendung des Modells für die Erstellung eines Reiseplans für den EV-Nutzer auf der Grundlage seiner Ziele gezeigt.

Interoperabilität im Projekt unIT-e²

In dem vom BMWK geförderten Projekt unIT-e² wird die Integration von Elektrofahrzeugen in Energienetzen, Märkten und Prozessketten durch Entwicklung und Erprobung von Smart-Chraging-Konzepten vorangetrieben. Die in vier verschiedenen Clustern erarbeiteten Lösungen sollen interoperabel sein und zu einer zielorientierten Standardisierung beitragen, um einen erfolgreichen Markthochlauf der Elektromobilität zu gewährleisten. Hierfür sind Partner aus allen Branchen mit Schnittstellen zur Elektromobilität an dem Projekt beteiligt. Dies umfasst Firmen aus der Automobilindustrie, Entwicklung von Smart-Meter-Gateways (SMGW), Netzbetreiber, Energieversorger, Entwicklung von Ladeeinrichtungen, Aggregatoren, Softwareentwicklung, Betreiber von Ladeeinrichtungen und Forschung. Im Laufe des Projekts sollen die erarbeiteten Lösungen hinsichtlich ihrer Interoperabilität bewertet und getestet werden.

Die Bearbeitung der hier beschriebenen Inhalte erfolgt im Verbundprojekt unIT-e2 – Reallabor für verNETZte E-Mobilität. Die Aktivitäten der FfE im Verbundprojekt unIT-e2 werden im Rahmen des Förderprogramms „Wettbewerb Elektromobilität und Integration in das Energiesystem vom 29. Juni 2020“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert (Förderkennzeichen: 01MV21UN11).

Förderlogo

Literatur

[1] Geraci et al. (1991): IEEE standard computer dictionary: Compilation of IEEE standard computer glossaries. IEEE Press, Piscataway

[2] ISO/IEC. International Technology for Learning, Education, and Training. International Standard, Geneva: ISO, 2003.

[3] GridWise Architecure Council, GridWise Interoperability Context-Setting Framework., 2008 https://gridwiseac.org/pdfs/GridWise_Interoperability_Context_Setting_Framework.pdf

[4] Smart Grid Reference Architecture. Brüssel: CEN-CENELEC-ETSI Smart Grid Coordination Group, 2012

[5] INTEROP NoE, Deliverable DI.3: Enterprise Interoperability Framework and Knowledge Corpus, (2007) . http://interop-vlab.eu/interop/.

[6] Gabriel et al.: Interoperability assessment: A systematic literature review, Computers in Industry, Volume 106, 2019, Pages 111-132, https://doi.org/10.1016/j.compind.2019.01.002.

[7] Kirpes et al.: E-Mobility Systems Architecture: a model-based framework for managing complexity and interoperability. Energy Inform 2, 15 (2019). https://doi.org/10.1186/s42162-019-0072-4