18.02.2022

Wie können Strompreise für die bessere Abschätzung von zukünftigen Erlösen von Flexibilitäten realitätsnah modelliert werden?

Vortrag auf der 7th International Conference on Smart Energy Systems am 21. – 22. September 2021 in Kopenhagen

Mit dem zunehmenden Ausbau von Erneuerbaren Energien steigt die Volatilität im Energiesystem, wodurch die Nachfrage von Flexibilität ebenfalls ansteigt. Flexibilität kann zum Beispiel über flexible Verbraucher, wie dem Lastmanagement in der Industrie oder dem gesteuerten Laden von Elektrofahrzeugen, bereitgestellt werden. Die Investition in Flexibilität ist eine wirtschaftliche Entscheidung, so dass für die Erschließung von Flexibilitäten profitable Geschäftsmodelle heute und zukünftig notwendig sind. Um Geschäftsmodelle für zukünftige Jahre zu bewerten, wird auf modellierte Strompreise aus langfristigen Energiesystemmodellen zurückgegriffen. Diese modellierten Strompreise weisen gegenüber realen Strompreisen jedoch zumeist eine sehr viel geringere Volatilität auf. Folglich ergeben sich mit modellierten Strompreisen geringere Erlöspotenziale als mit historischen, realen Preiszeitreihen.

Um dieses Problem für Deutschland zu adressieren, wurden in dieser Arbeit in einem ersten Schritt die Abweichungen zwischen Modellergebnissen und historischen Strompreiszeitreihen anhand der mittleren täglichen Standardabweichung der Strompreise als Indikator zur Bewertung von Erlöspotenzialen quantifiziert. In einem zweiten Schritt wurden Einflussfaktoren identifiziert und die verschiedenen Einflussfaktoren übergeordneten Kategorien (vgl. folgende Abbildung) zugeordnet.

Einflussfaktoren für die Strompreisabweichung zwischen historischen Daten und modellierten Daten aus langfristigen fundamentalen Energiesystemmodellen

Für die Kategorie „Modellvereinfachungen“ können für historische Jahre viele der Einflussfaktoren adressiert werden z. B. mit historischen Kraftwerksverfügbarkeiten, historischen Importen/Exporten und mit dem historischen Pumpspeichereinsatz. Anhand der historischen Berechnung konnte der Einfluss des Aspekts quantifiziert werden. Für historische Jahre kann ein relevanter Einfluss der mittleren Kraftwerksverfügbarkeiten identifiziert werden. Allerdings sinkt der Einfluss für Deutschland in den nächsten Jahren, da bei Verwendung von mittleren Verfügbarkeiten vor allem der Einsatz von Kohle- und Atomkraftwerken (Kraftwerken mit hohen Volllaststunden) abweicht. Durch die mittleren Verfügbarkeiten werden bei Kohle die maximale Erzeugung in den ersten 2000-3000 h/a reduziert bei ähnlichem Verlauf in den weiteren Stunden.

Bei Atomkraftwerken wird durch die Grundlast-Fahrweise die Leistung das gesamte Jahr reduziert. Durch den geplanten Kohle- und Atomausstieg in den nächsten Jahren verlieren die beobachteten Effekte jedoch an Bedeutung. Gaskraftwerke sind durch die geringen Volllaststunden nur geringfügig durch die mittlere Verfügbarkeit beeinträchtigt. Der Effekt von mittleren NTCs kann hingegen sowohl heute als auch zukünftig als relevant eingeschätzt werden. Jedoch haben Analysen gezeigt, dass die NTCs stark situationsabhängig auf sehr viele unterschiedliche Aspekte sind und keine allgemeinen Aussagen über die NTCs in zukünftigen Jahren getroffen werden kann.

Die vereinfachte Abbildung von technischen Restriktionen resultiert aus der Linearisierung des Modells, worauf aus Gründen der Rechenbarkeit nicht verzichtet werden kann. Eine Quantifizierung dieses Einflussfaktors war daher auch nicht direkt möglich. Anders bei der fehlenden Abbildung des Regelleistungsmarkts und damit der geringeren Verfügbarkeit von Anlagen für den Strommarkt: hier kann ein relevanter Einfluss identifiziert werden. Eine Anpassung des Modells ist hier über Verfügbarkeitsfaktor möglich, allerdings muss hier für zukünftige Jahre eine Abschätzung über die Attraktivität des Regelleistungsmarkts getroffen werden, welche aufgrund von regulatorischen Anpassungen und sich stark verändernder Preise nicht trivial ist.

Die fehlenden, nicht berücksichtigten Aspekte lassen sich nicht adressieren, da diese zumeist mit dem Modell nicht abbildbar sind bzw. auch nicht vom Modell abgebildet werden sollen. Beispielsweise soll in einer volkswirtschaftlichen Gesamtoptimierung standardmäßig kein Gaming abgebildet werden. Diese Aspekte können jedoch die Strompreise maßgeblich mit beeinflussen. Für die Kategorie „Modellfehler“ ist eine Adressierung durch kontinuierliche Weiterentwicklung möglich. Jedoch ist der Einflussfaktor damit nicht komplett behebbar.

Insgesamt lassen sich die meisten der identifizierten Einflussfaktoren schlecht für zukünftige Jahre adressieren. Daher wird nach einem alternativen Lösungssatz gesucht: Die Identifikation von indirekten Einflussfaktoren, welche auch für zukünftige Jahre vorliegen.

Hier wurde die Residuallast als möglicher indirekter Einflussfaktor auf die Abweichungen zwischen modellierten und realen Strompreisen identifiziert. Für das Jahr 2018 kann eine Korrelation zwischen den Strompreisabweichungen zwischen modellierten und historischen Daten und der Residuallast festgestellt werden, wenn auch die großen Abweichungen im Bereich negativer Strompreise bei hoher EE-Einspeisung damit nicht abgebildet werden (siehe nachfolgende Abbildung). Insgesamt werden bei einer höheren Residuallast Preise tendenziell unterschätzt und bei einer niedrigen Residuallast Preise tendenziell überschätzt.

Korrelation zwischen der Residuallast und den Strompreisabweichungen zwischen modellierten und historischen Daten

Die entwickelte lineare Regression als nachgelagerte Korrekturfunktion kann die modellierten Strompreise für das Jahr 2018 für die Bewertung von Erlöspotenzialen stark verbessern. Allerdings können die realen Erlöse von Flexibilitäten weiterhin nicht abgebildet werden. Für zukünftige Jahre (2030 oder 2050) ist die Nutzung dieser nachgelagerten Korrekturfunktion jedoch nicht möglich. Gründe hierfür sind zum einen die zu erwartende fundamental andere Charakteristik der Strompreise gegenüber 2018 und zum anderen mögliche Änderungen im Marktdesign. In zukünftigen Jahren sind viele Zeitpunkte mit hohen Strompreisen bedingt durch die höheren Grenzkosten konventioneller Kraftwerke aufgrund von höheren Brennstoff- und CO2-Preisen zu erwarten. Außerdem gibt es viele Zeitpunkte mit Erzeugungsüberschüssen aus erneuerbaren Energien und damit einhergehend Strompreisen von 0 €/MWh bedingt durch den starken EE-Ausbau. Dieser sorgt zudem dazu, dass die Residuallast nach unten verschoben wird. Dadurch würde bei Verwendung der aktuellen erstellten Korrekturfunktion der mittlere Strompreis insgesamt reduziert werden. Nach Willen der neuen Regierung werden zudem Anpassungen in der Regulierung wie zum Beispiel Anpassung beim EEG oder die 4-Stunden-Regel erwartet, welche die Strompreischarakteristik beeinflussen. Insgesamt sorgen die obengenannten Punkte dafür, dass die Nutzung der auf historischen Strompreisen basierenden Anpassungsfunktion für zukünftige Jahre ab 2030 nicht zielführend ist.

Insgesamt konnte mit den durchgeführten Arbeiten gezeigt werden, dass es verschiedenste Einflussfaktoren für die Strompreisabweichungen zwischen modellierten und historischen Daten existieren, welche die Erlöspotenziale von Flexibilitäten beeinflussen. Einflussfaktoren, welche aus Modellvereinfachungen resultieren, wie zum Beispiel mittlere Kraftwerksverfügbarkeiten, wurden detailliert analysiert, um ihren Einfluss auf das zukünftige Energiesystem zu ermitteln und eine mögliche Anpassung des Einflussfaktors diskutiert. Auch wenn viele Aspekte für zukünftige Jahre nicht adressiert werden können, kann die systematische Aufbereitung der Einflussfaktoren für spätere Analysen verwendet werden. Parallel wurde eine nachgelagerte Korrekturfunktion basierend auf der Residuallast entwickelt. Diese liefert gute Ergebnisse für die nächsten Jahre, auch wenn sie aufgrund des sich stark wandelnden Energiesystems nicht für langfristige Analysen nutzbar ist.

Die Arbeit ist Teil des Projektes Kopernikus SynErgie.