17.09.2021

Umweltwirkungen des Rollouts intelligenter Messsysteme

Dieser Artikel ist Teil 3 von 3 der Beitragsreihe „Nachhaltigkeitsaspekte im dezentralen und digitalen Energiesystem“.

 

Beitragsreihe Nachhaltigkeitsaspekte im dezentralen und digitalen Energiesystem

  1. Partizipative Aspekte im intelligenten Energiesystem – zwischen Theorie und Praxis
  2. Digitalisierung und Nachhaltigkeit: (Wie) passt das zusammen?
  3. Umweltwirkungen des Rollouts intelligenter Messsysteme

 

Wie bereits in den vorhergehenden Teilen der Beitragsreihe eingeführt, gewinnt die Digitalisierung auch im Kontext der Energiewende zunehmend an Relevanz. Mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende (GDEW) wurde vom Gesetzgeber der flächendeckende Rollout von intelligenten Messsystemen, kurz iMSys, beschlossen. Details zum Thema iMSys sind der Beitragsreihe Smart-Metering zu entnehmen. Die Funktionen des iMSys sind vielfältig – so können beispielsweise neue Geschäftsmodelle entstehen, die eine intelligente Integration dezentraler Anlagen wie Photovoltaik, Wärmepumpen oder auch Elektromobilität in das Energiesystem vorantreiben und neue partizipative Möglichkeiten für Letztverbraucher bieten (vgl. Teil 1 dieser Beitragsreihe). Durch die entstehende Transparenz der Verbrauchsdaten an Letztverbraucher erwartet der Gesetzgeber zudem Energieeinsparungen durch die Identifizierung und den Ersatz ineffizienter Geräte.

Wie im Teil 2 erläutert, wird der tatsächliche ökologische Mehrwert von Digitalisierungsmaßnahmen von zahlreichen Umwelteffekten beeinflusst, die sich in Effekte erster und höherer Ordnung gliedern. Im Zuge des C/sells-Teilprojektes der FfE erfolgten bereits erste Untersuchungen zu Effekten erster Ordnung mittels einer Lebenszyklusanalyse (LCA) in Anlehnung an ISO 14040/44 [1] der iMSys-Infrastruktur. In dieser Beitragsreihe werden Ergebnisse einer weiterführenden Untersuchung aufgezeigt, welche die Umweltwirkungen der Infrastruktur inkl. Datenübertragung und -speicherung erfasst sowie eine Hochrechnung für den gesetzlich vorgesehenen iMSys-Rollout darstellt. Detaillierte Angaben zu der Methodik, den Daten und den Ergebnissen sind der Publikation „Environmental Assessment of Digital Infrastructure in Decentralized Smart Grids“ zu entnehmen (s. [2]).

 

Umweltwirkungen der intelligenten Zählerinfrastruktur pro „Flexumer“

Angelehnt an die Vorstudie erfolgt die ökobilanzielle Untersuchung für den Anwendungsfall eines Flexibilitätsabrufs einer dezentralen Anlage (z. B. Photovoltaik) in Besitz eines sogenannten „Flexumers“ (vgl. [3]). Zunächst wird eine LCA für die Komponenten der digitalen Infrastruktur durchgeführt. Die funktionelle Einheit beinhaltet die Bereitstellung von Flexibilität eines Flexumer-Haushaltes über ein Jahr (Annahme: ein Flexibilitätsabruf pro Tag). Zu den Komponenten zählt das iMSys, welches sich aus einer modernen Messeinrichtung (mME) und einem Smart Meter Gateway (SMGW) zusammensetzt. Für den Anwendungsfall einer intelligenten Steuerung dezentraler Anlagen wird zusätzlich eine Steuerbox bilanziert. Als Erweiterung zu den Voranalysen werden neben den Hardware-Komponenten auch die Umweltwirkungen der Datenübertragung und -speicherung in den Systemgrenzen der LCA berücksichtigt. Generell hängt der Umfang der Datenvolumina von den zum Einsatz kommenden Tarifanwendungsfällen (TAF) der Use-Cases ab (Details s. Beitragsreihe Smart-Metering). Die technische Richtlinie TR-03109-1 des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) definiert derzeit 14 TAFs (Stand 2020), die eine standardisierte und sichere Datenübertragung verschiedener Anwendungsfälle gewährleisten. Für den in dieser Studie untersuchten Anwendungsfall eines Flexibilitätsabrufs sind TAF 7 und TAF 9 in Kombination mit weiteren Prozessschritten relevant, darunter der Aufbau eines sicheren Datenkommunikationskanals sowie die Schaltung einer Flexibilitätsoption. Im Zuge des Feldversuchs wurden Analysen zum anfallenden Datenvolumen verschiedener TAFs durchgeführt (vgl. Technische Analyse der iMSys-Infrastruktur). Tägliche Messdaten kombiniert mit den Prozessschritten einer Flexibilitätsanforderung (Annahme: ein Flexibilitätsabruf pro Tag) verursachen ein marginales Gesamtdatenvolumen von > 0,2 GB pro Jahr.

Die Ergebnisse und Sensitivitätsanalysen zu den jährlichen Klimawirkungen variieren je nach Szenarien mit unterschiedlichem Energieverbrauch und Lebensdauer (n) zwischen 36 und 59 kg CO2-Äquivalenten. Im mittleren Szenario belaufen sich diese auf jährlich 47 kg CO2-Äquivalente pro Flexumer (Strommix 2020). Mit weiterer Dekarbonisierung des Emissionsfaktors für den Strombezug kann dieser Wert auf ein Minimum von 27 kg CO2-Äquivalenten im Jahr 2030 gesenkt werden. Abbildung 1 stellt die Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse für definierte Szenarien zum Energiebedarf und der Lebensdauer (horizontal) und unter Berücksichtigung der zeitlichen Veränderungen des Strom-Emissionsfaktors (vertikal) dar.

Geringe Effekte durch anfallende Datenübertragung und -speicherung

Durch Hochskalierung der Ergebnisse kann eine Einschätzung zu den entstehenden direkten Umweltwirkungen des vom Gesetzgeber beschlossenen großflächigen Rollouts intelligenter Zählerinfrastruktur bestimmt werden. Dazu werden die vom Bundesministerium prognostizierten Rollout-Zahlen für 2030 herangezogen, wobei eine installierte Anzahl von 15,4 Mio. SMGWs in der Niederspannungsebene zu erwarten ist [4]. Die Hochrechnung für weitere Komponenten (mME, Steuerbox) sowie die angenommene Datenübertragung erfolgt angelehnt an die Unterteilung nach erwarteten Use-Cases gemäß [4].

Wie in Abbildung 2 dargestellt, resultiert aus dem angewandten LCA-Ansatz ein Fußabdruck von 513.679 t CO2-Äq. (0,5 Mt) pro Jahr für die intelligente Zählerinfrastruktur. Im Vergleich dazu belaufen sich die Gesamtemissionen durch IKT in Haushalten im Jahr 2019 auf ca. 10,8 Mt CO2-Äq. und 13,7 Mt CO2-Äq. im Sektor Gewerbe, Handel und Dienstleistungen (GHD).[1]

Wie im äußeren Kreis der Abbildung 2 ersichtlich, sind die berechneten Umweltwirkungen der Zählerinfrastruktur zu 99 % auf die Betriebsphase (57 %) und die Produktionsphase (42 %) der Hardwarekomponenten zurückzuführen. Wie bereits aus den Analyseergebnissen zum geringen Datenvolumen eines Flexumer zu schließen, ist der Anteil der Klimawirkungen durch Datenverarbeitung mit < 0,2 % marginal.

Mögliche (Über-)Kompensation der lebenszyklusbasierten Emissionen durch Effekte höherer Ordnung?

Wie im Teil 2 dieser Beitragsreihe dargestellt, ist für eine ganzheitliche Betrachtung der Umweltwirkungen der verursachte lebenszyklusbasierte Fußabdruck („Effekt erster Ordnung“) weiteren einhergehenden Umweltwirkungen („Effekte höherer Ordnung“) gegenüberzustellen. Als möglicher positiver Effekt zeigt eine aktuelle Metaanalyse zu Energieeffizienz durch IKT in Haushalten Reduktionspotenziale des Energieverbrauchs zwischen 2 bis 5 % durch die Bereitstellung von Stromverbrauchsdaten an Haushalte (vgl. [8]). Obwohl die mindestens notwendige Einsparung von 2,7 % zur Kompensation der kalkulierten 47 kg CO2‑Äq. pro Flexumer-Haushalt und Jahr in diesem Bereich liegt, sind der Studie zufolge mittel- und langfristig erzielbare Einsparungen durch entsprechende Verhaltensänderungen mit großen Unsicherheiten verbunden.

Digitalisierungsmaßnahmen können zudem systemweite Effekte hervorrufen, in diesem Fall bezogen auf Auswirkungen im Energiesystem. Im Zusammenhang mit der Nutzung von Flexibilitäten in Verteilnetzen kommen bestehende Analysen wie [9] und [10] zum Ergebnis, dass marktbasierte Flexibilitätsmechanismen in Verteilnetzen zu einer höheren Integration von erneuerbaren Energien bei gleichzeitiger Reduktion von Netzausbaumaßnahmen führen können. Beispielsweise kommt eine Analyse zur CO2-Vermeidung durch Flexibilitätsnutzung auf Verteilnetzebene (vgl. [9]) zum Ergebnis, dass im Jahre 2035 durch Vermeidung von Einspeisemanagement (EinsMan)-Maßnahmen eine Reduktion von rund 1,5 Millionen Tonnen CO2-Emissionen erzielt werden könnte. Durch Einsparungen in dieser Größenordnung würde sich der bilanzierte Fußabdruck der intelligenten Infrastruktur relativieren, hier ist jedoch weiterer Forschungsbedarf notwendig.

Ein weiterer positiver Beitrag durch intelligente Flexibilisierungsmaßnahmen bezieht sich auf eine potenzielle Verringerung konventionellen Netzausbaus. Auf Grund der Abhängigkeit von techno-ökonomischen Rahmenbedingungen und weiteren Gegebenheiten im jeweiligen Netzgebiet sind für eine Quantifizierung möglicher positiver oder negativer Umweltwirkungen weitere Methoden notwendig. Dazu zählen beispielsweise Simulationen mithilfe von Energiesystem- und Netzmodellen. Die Ergebnisse können bestehende lebenszyklusbasierte Analysen ergänzen, um somit Effekte höherer Ordnung zu berücksichtigen.

 

Fazit und Ausblick

Eine ökobilanzielle Untersuchung zum Rollout einer digitalen Infrastruktur im Energiesystem zeigt, dass damit einhergehende Umweltwirkungen im Wesentlichen von der Effizienz der Geräte sowie der Entwicklung des Emissionsfaktors des Strombezugs in der Betriebsphase abhängen. Auf Grund der geringen Datenvolumina für den untersuchten Anwendungsfall eines Flexumers spielt die Datenübertragung und -speicherung eine vernachlässigbare Rolle in der Ökobilanz.

Mit der Digitalisierung werden weitere, innovative Geschäftsmodelle und Lösungskonzepte ermöglicht, deren Auswirkungen aus ökologischer Perspektive – positiv sowie negativ – über die lebenszyklusbasierten Emissionen der Komponenten und somit über den klassischen LCA-Ansatz hinausgehen. So zeigen erste Studien bereits große Potenziale, durch intelligente Lösungskonzepte im dezentralen Energiesystem eine erhebliche Einsparung an Treibhausgasen zu erzielen. Um diese systemweiten Auswirkungen in einer Umweltbewertung zu erfassen sind erweiterte Ökobilanzansätze erforderlich. Im Kontext von Anwendungsfällen im intelligenten Energiesystem inkludiert dies den Einbezug von Methoden der Energiesystemanalyse. Hierzu sind entsprechende weiterführende Untersuchungen notwendig und von der FfE im Bereich intelligenter Ladestrategien für Elektromobilität geplant.

[1] Endenergieverbrauch durch IKT in Haushalten 76,5 PJ und 97,6 PJ im Sektor GHD [5]; Emissionsfaktor Strom 506 g CO2-Äq./kWh (berechnet nach Daten aus [6] und [7])

Literatur:

[1] DIN 14040 – Umweltmanagement – Ökobilanz – Grundsätze und Rahmenbedingungen (ISO 14040:2009) – Deutsche und Englische Fassung EN ISO 14040:2009. Berlin: DIN Deutsches Institut für Normung e. V., 2009.

[2] Wohlschlager, Daniela et al.: Environmental Assessment of Digital Infrastructure in Decentralized Smart Grids. Oshawa, ON, Canada: 9th International Conference on Smart Energy Grid Engineering (SEGE), 2021.

[3] Westphal, Egon Leo et al.: Flexumer als Gestalter der digitalen Energiezukunft – Eine Begriffseinordnung. In: Energiewirtschaftliche Tagesfragen 7/8. Berlin: Bayernwerk AG, Forschungsstelle  für  Energiewirtschaft e. V., 2019.

[4] Technische Eckpunkte für die Weiterentwicklung der Standards für die Digitalisierung der Energiewende – Entwurf Version 0.9. Berlin, Bonn: Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, 2021.Bundesministerium Energie: Energiedaten: Gesamtausgabe. In: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Energie/energiedaten-gesamtausgabe.html. (Abruf am 2020-07-20); Berlin: Bundesministerium fuer Wirtschaft und Energie, 2020.

[5] SMARD – Strommarktdaten: https://www.smard.de; Bonn: Bundesnetzagentur BNetzA, 2021.

[6] The ecoinvent Database, Version 3.6: www.ecoinvent.org; Zürich: ecoinvent, 2019.

[7] Bastida, Leire et al.: Exploring the role of ICT on houshold behavioral energy efficiency to mitigate global warming. Bizkaia: Renewable and Sustainable Energy Reviews, 2019.

[8] Geschermann, Kilian et al.: Evaluation of market-based flexibility provision for congestion management in distribution grids. In: 2017 IEEE Power & Energy Society General Meeting; Chicago, IL, USA: RWTH Aachen University, 2018.

[9] E-Bridge Consulting GmbH: Sichere und effiziente Koordinierung von Flexibilitäten imVerteilnetz. Bonn: E-Bridge Consulting GmbH, 2017.