Routing auf Stromnetzen: Netzknotenzuweisung für Deutschlands elektrische Nachbarn
Um die Energiewende effizient und nachhaltig planen zu können, wird das komplexe Wechselspiel zwischen erneuerbarer Stromerzeugung, Stromnachfrage, Speichern und Power-to-X-Technologien mit dem Stromnetz in Modellen abgebildet. Weil die Datenverfügbarkeit und die Rechenkapazität eingeschränkt sind, müssen bei der Modellierung des Stromnetzes auf allen Spannungsebenen vereinfachte Annahmen getroffen werden.
Die Höchstspannungsebenen 220 kV und 380 kV werden im FfE-Energiesystemmodell ISAaR im Rahmen einer linearisierten Lastflussrechnung abgebildet. Durch einen Routing-Ansatz, der über eine einfache „Nearest Neighbor“-Zuweisung hinausgeht und auch die Netztopologie berücksichtigt, kann für Deutschland auch die darunterliegende Hochspannungsebene modelliert werden. Dadurch kann eine höhere Genauigkeit der Zuordnung zwischen Stromlast und -erzeugung zu den Netzknoten erreicht werden und somit die Güte des Energiesystemmodells verbessert werden. Da sich die Ergebnisse des Routing-Ansatzes für Deutschland als vielversprechend erwiesen, wurde der Ansatz im Rahmen dieses Beitrages auch auf umliegende Länder ausgeweitet. Somit kann der Routing-Ansatz auch die Energiesystemmodellierung in diesen Ländern verbessern. Der Ansatz hat sich für 6 der 10 betrachteten europäischen Länder als vielversprechend erwiesen.
Funktionsweise des Routing-Ansatzes
Die Methode des Routings ermöglicht es, elektrotechnische Gegebenheiten des Hochspannungsnetzes bei einer Netzmodellierung, welche nur die Höchstspannungsebene detailliert berücksichtigt, mit abzubilden. Für die Netzberechnung ist es entscheidend, wie viel elektrische Last oder Erzeugung einem Netzknoten zugewiesen wird. Im Zuge dessen werden NUTS-3-Regionen (eine europäische Verwaltungsgliederung) den Netzknoten des Übertragungsnetzes zugeordnet. Ein gängiges Verfahren für diese Zuordnung ist eine einfache Geo-Zuweisung: liegt genau ein Netzknoten innerhalb einer Region, wird die gesamte Last bzw. Erzeugung diesem Knoten zugewiesen. Befinden sich mehrere Netzknoten innerhalb einer Region, werden Last oder Erzeugung anteilig nach der Fläche, welche die Netzknoten abhängig von ihrer Lage zueinander einnehmen, verteilt.
Der Routing-Ansatz verbessert diese Zuweisung von Stromnachfrage und -erzeugung zu den Netzknoten der HöS-Ebene, indem er die darunterliegende Hochspannungs-Netztopologie berücksichtigt. Dazu nutzt er einen Suchalgorithmus aus der Navigation (Dijkstra-Algorithmus). Dieser benutzt die Einspeise- oder Entnahmepunkte der Spannungsebenen unterhalb der Hochspannung als Startpunkte und die Netzknoten mit Transformator auf HöS-Ebene als Endpunkte des Routings. Der Algorithmus routet von den Startknoten zu den nächsten 5 Endknoten und benutzt die Distanz als inverses Gewicht für die Verteilung der Last und Erzeugung. So kann eine Zuordnung der Last- und Erzeugungsverteilung eines Landkreises auf die Netzknoten erzeugt werden. Netzknoten, die weiter als 25 km von Startpunkten entfernt sind, werden nicht berücksichtigt.
Um diesen für Deutschland bereits implementierten Routing-Ansatz auf umliegende Länder auszuweiten, musste zuerst eine Recherche über die Übertragungs- und (überregionale) Verteilnetze durchgeführt werden, um festzustellen, wie die Hochspannungsebene in den Ländern definiert werden kann. Hier wurden hauptsächlich die offiziellen Informationen von Seiten der Übertragungsnetzbetreiber und Verteilnetzbetreiber herangezogen.
Um den Routing-Ansatz zu testen und anzuwenden, wurden um die Einspeise- und Entnahmepunkte sog. Voronoi-Polygone gebildet – Flächen, die sich in alle Richtungen genau zur halben euklidischen Distanz zum nächsten Einspeise- oder Entnahmepunkt erstrecken. Diese Flächen approximieren den Einzugsbereich des Punktes und werden mit einem Stromverbrauchsraster verschnitten. Das Raster hat eine Kantenlänge von 250 m, die Pixel enthalten Informationen über den Stromverbrauch der privaten Haushalte (PHH) sowie Gewerbe, Handel, Dienstleistungen und Industrie (GHDI) nach IEA-Daten [1][2][4] aus dem Jahr 2020.
Bei der Implementierung erfolgten analog zum Routing-Ansatz für Deutschland alle Arbeitsschritte im FREM [3], dem Regionalisierten Energiesystemmodell der FfE. Als Datengrundlage für die Netzknoten und das Hochspannungsnetz dienten offene Daten aus dem OpenStreetMap-Projekt [4], insbesondere das Tool GridKit, das mit Zuge des SciGRID-Projektes [5] entwickelt wurde. Das Tool verwandelt OSM-Rohdaten mit elektrischen Tags durch räumliche und topologische Verfahren in ein elektrisches Netzwerkmodell.
Die aus dem OSM-Projekt gewonnenen Daten wurden visuell mit der GridMap von ENTSO-E [6] abgeglichen. Bis auf die Schweiz, in der einige Leitungen fehlen, ergab sich hier, dass die Daten aus dem OSM-Projekt nahezu vollständig sind (Stand 2019).
Ergebnisse
Ob der Routing-Ansatz in einem Land sinnvollerweise angewandt werden kann, hängt hauptsächlich davon ab, ob es in dem Land ein Hochspannungsnetz gibt, zu dem ausreichende Netzdaten bezogen werden können. Der Routing-Ansatz hat sich für die Niederlande, Belgien, Österreich, Italien, Tschechien und Polen als nützlich erwiesen. Diese Länder haben ein gut ausgebautes Hochspannungsnetz, zu dem ausreichende Netzdaten zur Verfügung stehen, um ein routingfähiges Netzwerk aufzubauen. Besonders sinnvoll ist der Routing-Ansatz in Ländern mit großen NUTS-3-Regionen wie Tschechien. Da die vereinfachte Geo-Zuordnung NUTS-3-Regionen den Netzknoten zuweist, ohne die Hochspannungs-Netztopologie zu berücksichtigen, ergibt sich hier oft eine sehr ungenaue Zuordnung.
Die Sinnhaftigkeit des Routing-Verfahrens bei großen NUTS-3-Regionen ist etwa in Abbildung 1 ersichtlich.
Diese NUTS-3-Region beinhaltet drei Netzknoten. Das einfache Verfahren summiert die gesamte Verbrauchslast der Region auf und verteilt sie relativ gleichmäßig auf die Netzknoten. In der Realität befindet sich jedoch ein großer Teil der Last im Süden der Region und sollte somit dem untersten Netzknoten zugewiesen werden. Dieser Tatsache wird im Routing-Ansatz auch Rechnung getragen, in der einfachen Geo-Zuordnung jedoch nicht.
Ein weiterer Vorteil des Routing-Verfahrens ist, dass sich oftmals eine realitätsgetreuere Homogenisierung der Last ergibt. Das zeigt sich etwa an einem Beispiel in Belgien in Abbildung 2:
Hier wird in der vereinfachten Geo-Zuordnung die gesamte Last der rot markierten NUTS-3-Region einem einzigen Netzknoten zugewiesen. Da sich jedoch mehrere Netzknoten in unmittelbarer Nähe (wenn auch nicht innerhalb) der NUTS-3-Region befinden, wäre es realistischer, einen Teil der Last auch auf diese Netzknoten zu verteilen. Das wird im Routing-Ansatz umgesetzt.
Sehr begrenzt sinnvoll ist der Routing-Ansatz aktuell hingegen für Frankreich, Dänemark und Luxemburg. Die Netzstruktur dieser Länder eignet sich nicht für die Routing-Methodik, da das Routing-Verfahren auf eine Trennung der HöS- und Hochspannungs-Ebene angewiesen ist, eine solche in diesen Ländern aber nicht vorhanden ist. Für Luxemburg kommt hinzu, dass es aufgrund der geringen Landesgröße nicht nötig ist, den Routing-Ansatz anzuwenden.
Für die Schweiz ist der Routing-Ansatz aktuell nur teilweise sinnvoll, da es hier im Vergleich zu den anderen betrachteten Ländern ein weniger stark ausgebautes Hochspannungsnetz gibt.
Validierung der maximalen Entfernung von 25 km
Im Routing-Ansatz werden Netzknoten, die weiter als 25 km von Startpunkten entfernt sind, nicht berücksichtigt. Diese Wahl von 25 km wurde bisher keiner Validierung unterzogen. Als Teil dieses Beitrages wurde eine Validierung des Entfernungs-Parameters anhand des deutschen Stromnetzes erstellt. Dabei wurden die Netzknoten-Lasten, die aus dem Routing-Ansatz hervorgehen, mit realen Netzengpässen verglichen, die im Monitoringbericht 2022 von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt [7] dargestellt sind.
Es wurden 2 Gruppen von Netzknoten betrachtet: Netzknoten, die sich in unmittelbarer Nähe von realen Netzengpässen befinden, und Netzknoten, die sich nicht in unmittelbarer Nähe eines Engpasses befinden. Von einem Modell, das eine gute Annäherung an die Realität ist, ist zu erwarten, dass Netzknoten in der Nähe von realen Engpässen hohe Lasten haben. Netzknoten, die weit entfernt von Engpässen liegen, sollten im Durchschnitt eine eher geringe Last haben.
Eine Analyse mit verschiedenen Werten für die maximale Entfernung ergab, dass 25 km die realen Engpässe realitätsnäher als andere Parameterwerte abbildet.
Schlussfolgerung
Die Implementierung des Routing-Ansatzes war für 6 der 10 elektrischen Nachbarn erfolgreich und steht künftig als sinnvolle Alternative zur vereinfachten Geo-Zuordnung zur Verfügung. Außerdem wurde der Parameter der maximalen Entfernung für das Routing validiert und auf 25 km gesetzt.
Weitere Informationen
Literatur
[1] International Energy Agency – Country Statistics in: http://www.iea.org/. Paris: International Energy
Agency (IEA), 2020.
[2] GHSL – Global Human Settlement Layer in: https://ghsl.jrc.ec.europa.eu/. Brüssel: Global Human Settlement Layer (GHSL), 2020.
[3] Corradini, R.; Konetschny, C.; Schmid, T.: FREM – Ein regionalisiertes Energiesystemmodell in: et –
Energiewirtschaftliche Tagesfragen Heft 1/2 2017. München: Forschungsstelle für Energiewirtschaft, 2017.
[4] OpenStreetMap (OSM) – OpenStreetMap und Mitwirkende: http://www.openstreetmap.org/;
Cambridge: OpenStreetMap Foundation, 2004 (überarbeitet: 2019).
[5] SciGRID: Power Relations in OpenStreetMap in http://scigrid.de/posts/2015-Jul-02_power-relationsin-
openstreetmap.html (besucht am 18.04.2017). (Archived by WebCite® at http://www.webcitation.org/6poPhZ7fA). Oldenburg: SciGRID, 2015.
[6] Grid Map in https://www.entsoe.eu/data/map/ (besucht am 18.04.2023). European Network of Transmission System Operators for Electricity, 2023.
[7] Monitoringbericht 2022 von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt. Bonn: Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, Bundeskartellamt, 2022.