29.10.2024

Grünes Licht für bidirektionales Laden? Ökobilanz von einhergehenden Netzrückwirkungen

  • In dieser Studie wurden Umweltwirkungen des Netzausbaus in Abhängigkeit der Ladestrategie untersucht
  • Gegenüber dem ungesteuerten Fall wird bei moderater Erhöhung des Anteils am Arbitragehandel teilnehmender bidirektionaler Elektrofahrzeuge der Netzausbaubedarf zunächst verringert
  • Bei weiterer Erhöhung des Anteils wächst der Netzausbaubedarf jedoch massiv
  • Gesteigerte Netzverluste und erhöhter Netzausbaubedarf  bei Arbitragehandel von Elektrofahrzeugen wirken sich negativ auf deren Ökobilanz aus
  • Dieses erhöhte Treibhauspotenzial kann durch gesteigerte Nutzung erneuerbarer Energien durch bidirektionales Laden überkompensiert werden

Ziele der Studie

Die Publikation im Journal Advances of Applied Energy untersucht verursachte Umweltwirkungen bidirektionaler Ladestrategien, wie Vehicle-to-Grid (V2G) oder Vehicle-to-Home (V2H), auf die Infrastruktur des Stromverteilnetzes der Zukunft. Dazu wurde eine Lebenszyklusanalyse (LCA) zum zukünftigen Netzausbaubedarf bis 2040 in Abhängigkeit der Ladestrategie durchgeführt. Die anschließende Gegenüberstellung resultierender Umweltwirkungen im Vergleich zu potenziell positiven Effekten des bidirektionalen Ladens, beispielsweise auf Emissionen im Fahrzeugbetrieb, geben Aufschluss über die mögliche Gesamtbilanz einer großflächigen Implementierung. Somit liefert die Studie Erkenntnisse zur Rolle bidirektionaler Ladestrategien zur Erreichung der Klimaziele.

Methodik

Mittels des Stromnetz- und Energiesystem-Modells „GridSim“ wurde der Netzausbaubedarf im zukünftigen Verteilnetz in Abhängigkeit der Ladestrategie bestimmt. Für die Fallstudie dienen Daten von 1.206 Niederspannungsnetzen aus dem Jahr 2020, bereitgestellt von der Bayernwerk Netz GmbH. Simuliert wurden drei Szenarien für das Jahr 2040 mit unterschiedlichen Ladestrategien: preisoptimiertes V2G Laden, ungesteuertes Laden und ein Mix aus V2G, V2H und ungesteuertem Laden. Das Szenario für 2040 geht von einer hohen Anzahl an batterieelektrischen Fahrzeugen (BEVs) in Deutschland aus. Die Simulationsergebnisse dienen als Input für eine prospektive Lebenszyklusanalyse (pLCA), um die Auswirkungen verschiedener Ladestrategien auf das Treibhauspotenzial (Global Warming Potential, GWP) des Netzausbaubedarfs zu quantifizieren. Für eine Einordnung der quantifizierten Ergebnisse werden diese mit Effekten auf die Ökobilanz des Fahrzeugs verglichen. Dazu werden das GWP von zusätzlich benötigter Ladeinfrastruktur  als auch des Betriebs von BEVs für die analysierten Szenarien bestimmt und gegenübergestellt.

Ergebnisse

Die Studie zeigt, dass ein Szenario mit rein preisoptimiertem V2G-Laden zu den höchsten Netzbelastungen führt, was einen erheblichen Ausbau der Niederspannungsnetze erfordert. Dies ist auf höhere Ladegleichzeitigkeiten sowie Strommengen, die zusätzlich geladen und entladen werden, und damit verbundene Netzverluste zurückzuführen. Im Vergleich zum direkten Laden im Referenzszenario zeigen Simulationsergebnisse im V2G-Szenario um 61 % höhere Netzverluste im Jahr 2040. Im Szenario mit gemischten Ladestrategien steigen diese nur um 9 %. Der Netzausbaubedarf kann im gemischten Szenario hingegen reduziert werden. Eine Sensitivitätsanalyse des nationalen Strommixes zeigt, dass die fortschreitende Defossilisierung der Stromerzeugung die Gesamtauswirkungen in mehreren Kategorien, insbesondere fossile Ressourcenverknappung und Klimawandel, erheblich reduzieren kann.

Auf technologischer Ebene führt bidirektionales Laden zu Netto-Reduktionen der Betriebsemissionen von BEVs. In Zeiten von Engpässen bei erneuerbaren Energien und hohen Strompreisen können BEVs als flexible Speicher- und Einspeiseeinheiten genutzt werden, was einen Funktionsbaustein der Energiewende darstellt. Im Vergleich zum direkten Laden sinken die Emissionen im V2G-Szenario um ca. 96 kg CO2-Äquivalente pro Jahr und BEV (im gemischten Szenario um ca. 30 kg CO2-Äquivalente pro Jahr und BEV). Selbst unter Berücksichtigung der höheren Umweltwirkungen durch Ladeinfrastruktur sowie Netzausbaubedarfs und -verlusten können die hohen Reduktionen während der Betriebsphase insgesamt zur Verringerung des Treibhauspotenzials pro Fahrzeug führen.

Der Fokus dieser Studie liegt auf dem Treibhauspotenzial. Andere Wirkungskategorien sollten in weiterführender Forschung Berücksichtigung finden. Für eine langfristig nachhaltige Gestaltung von Elektromobilität sind zudem nicht nur Umweltwirkungen in der Betriebsphase des Fahrzeugs zu betrachten, sondern auch die mit der Produktionsphase von BEVs verbundenen Umweltwirkungen zu reduzieren.

Insgesamt liefern die Studienergebnisse nicht nur einen Beitrag zur Forschung – die Ergebnisse geben Einblicke für die Industrie, Netzbetreiber und politische Entscheidungsträger, um die potenziellen positiven und negativen Auswirkungen der großflächigen Integration von BEVs einzuordnen und entsprechend zu handeln.

Alle Ergebnisse und Rückschlüsse werden im Detail im Open Access Paper „Green Light for Bidirectional Charging? Unveiling Grid Repercussions and Life Cycle Impacts“ im Journal Advances in Applied Energy vorgestellt und diskutiert.

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