Negative Strompreise – Wie viele Anlagen erneuerbarer Energien fahren durch?
- Die sog. „Stundenregel“ soll EE-Anlagenbetreibende anreizen, zu Zeitpunkten von negativen Strompreisen ihre Einspeisung zu reduzieren.
- Aktuell (Stand Oktober 2024) bekommen 70,2 GW und damit 75,4 % der PV-Anlagen eine fixe Einspeisevergütung oder eine Marktprämie ohne Einschränkung durch die Stundenregel und haben damit keinen oder wenig Anreiz, auf Marktsignale zu reagieren. Bei WEA sind es 47,7 GW (66,5 %).
- Während neu gebaute Windenergieanlagen fast immer einen Anreiz zur Flexibilisierung aufweisen, erhält ein Großteil der neu gebauten PV-Anlagen weiterhin eine fixe Einspeisevergütung.
- Immer deutlicher zeigt sich damit: Die Photovoltaik ist zunehmend für negative Strompreise verantwortlich.
Der deutsche Ausbau der erneuerbaren Energien (EE) geht voran: In der ersten Jahreshälfte 2024 wurden bereits 9,3 GW an Erneuerbare-Energien-Anlagen zugebaut [1]. Insbesondere bei der Photovoltaik wurden die Ausbauziele der Regierung in den letzten Jahren zum Teil sogar übertroffen. Der wachsende Anteil an Grünstrom zeigt sich auch am Strom-Spotmarkt: Die Preise werden volatiler, der kurzfristige Handel nimmt zu und auch die Anzahl negativer Strompreise steigt [2]. Diese treten insbesondere zu Zeiten hoher Erzeugung Erneuerbarer auf, bei gleichzeitig geringen Lasten und signalisieren ein Überangebot an Strom. Konventionelle Anlagen müssen zu diesen Stunden abwägen, ob sie ihre Erzeugung drosseln oder weiterhin produzieren, um die Kosten für Ab- und Anschaltvorgänge zu vermeiden. Währenddessen haben Anlagen, welche eine Vergütung nach Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) erhalten, keinen Anreiz, ihre Erzeugung abzuregeln. Um ein marktorientierteres Verhalten der EE-Anlagen anzureizen, wurde deshalb im EEG eine Vergütungsgrenze eingeführt, so dass nach einer bestimmten Anzahl von aufeinanderfolgenden Stunden mit negativen Preisen für den betroffenen Zeitraum kein Vergütungsanspruch mehr besteht. Wie sich dieser Mechanismus entwickelt hat und wie viele Anlagen diese Regulierung beinhaltet, analysieren wir im nachfolgenden Beitrag.
Vergütung von Erneuerbare-Energien-Anlagen nach dem EEG
Die erstmalig im EEG im Jahr 2000 [3] eingeführte Einspeisevergütung in Deutschland ist eines der erfolgreichsten Mittel zum Anreiz des Ausbaus erneuerbarer Energien und wurde bereits von vielen anderen Ländern übernommen, so hat z. B. China das Prinzip des EEGs der festen Einspeisevergütungen übernommen [4]. Die Ausgestaltung des gesetzlichen Vergütungsmodells hat sich im Laufe verschiedener Novellierungen breit definiert, besonders durch die Einführung der Marktprämie. Seit 2016 wurde dabei für große Anlagen schrittweise eine Aussetzung der Vergütung bei negativen Preisen eingeführt. Eine Übersicht der Veränderungen der letzten Jahre ist in Tabelle 1 für Windenergieanlagen (WEA) und Photovoltaik-Anlagen (PV) dargestellt. Das EEG regelt grundsätzlich auch die Vergütung sonstiger erneuerbarer Energien (z. B. Wasserkraft und Biomasse), bei denen aber keine große Zubaudynamik wie bei Windenergie- und PV-Anlagen besteht.
Bis zum Januar im Jahr 2012 erhielten alle Anlagen einheitlich eine Einspeisevergütung für den produzierten Strom, wahlweise konnte sich Anlagebetreibende ab Januar 2012 für das Marktprämienmodell entscheiden. Ab August 2014 wurde die Marktprämie für Anlagen mit größeren Produktionskapazitäten eingeführt. Kleinere Anlagen erhalten weiterhin eine Einspeisevergütung. Die Bemessungsgrenze wurde dabei innerhalb des Novellierungsprozesses stetig reduziert, sodass immer mehr Anlagen eine Marktprämie statt einer Einspeisevergütung erhalten. 2016 wurde das erste Mal eine Vergütungsaussetzung bei negativen Preisen eingeführt, zunächst nach 6 aufeinanderfolgenden Stunden mit Preisen kleiner null €/MWh. Diese galt für PV-Anlagen >500 kW und Windkraftanlagen >3 MW. Im Jahr 2021 wurde die Regulierung verschärft und galt ab einer Dauer von 4 aufeinanderfolgenden Stunden negativer Strompreise für alle Anlagen >500 kW. Seit 2023 betrifft die Aussetzung der Vergütung alle Anlagen >400 kW und wird bis 2027 auf eine Stunde reduziert, sodass dann kein produzierter Strom in Stunden mit negativen Preisen mehr vergütet wird. Die Regelung gilt jedoch ausschließlich für Neuanlagen ab der jeweiligen EEG-Novelle, nicht für den Bestand, außerdem sind Anlagen unterhalb der genannten Schwellenwerte davon nicht betroffen.
Wie viele PV- und Windenergieanlagen bekommen welche Vergütung?
Um deshalb eine Übersicht zu erhalten, welche Anlagen tatsächlich vom Verlust des Vergütungsanspruchs bei negativen Strompreisen betroffen sind, und nach welcher Dauer diese für die jeweiligen Anlagen eintritt, haben wir die in Deutschland im Marktstammdatenregister (MaStR) registrierten Wind- und PV-Anlagen gemäß ihrer Anlagengröße und ihres Alters den Vergütungsformen des EEG zugeordnet. Wir ordnen dabei in Abbildung 1 für Wind- und in Abbildung 2 für PV-Anlagen ein, ob diese eine fixe Einspeisevergütung oder Marktprämie erhalten und im Fall der Marktprämie, nach wie vielen aufeinanderfolgenden Stunden negativer Preise die Marktprämie für die jeweilige Anlage ausgesetzt wird. Da es zahlreiche Sonderfälle gibt, haben wir im Anhang Ergänzungen zu den Zuordnungen der Diagramm-Kategorien aufgeführt.
Abbildung 1: Installierte Leistung und Vergütungsformen on- und offshore Windkraftanlagen ab 2000, basierend auf MaStR
Abbildung 2: Installierte Leistung und Vergütungsformen PV Dach- und Freiflächenanlagen ab 2000, basierend auf MaStR
Windenergieanlagen sind dabei deutlich stärker von der Regelung betroffen als PV-Anlagen, die zu etwa zwei Dritteln eine Einspeisevergütung erhalten. Erkennbar ist außerdem, dass die Leistung von Anlagen, die in die Einspeisevergütung fallen bei der PV weiterhin steigt, bei der Windkraft hingegen in den letzten Jahren gesunken ist. Dies ist darauf zurückzuführen, dass für PV weiterhin Anlagen installiert werden, die unterhalb der Leistungsgrenze liegen. Bei der Windkraft sind die heutzutage üblichen Leistungsgrößen neuer Anlagen deutlich oberhalb der im EEG eingeführten Leistungsgrenze. Der Rückgang der Leistung von Windenergieanlagen mit Einspeisevergütung zeigt außerdem den Rückbau von Anlagen nach deren Lebensende.
Aktuell (Stand Oktober 2024) bekommen 70,2 GW und damit 75,4 % der PV-Anlagen eine fixe Einspeisevergütung oder eine Marktprämie ohne Einschränkung durch die Stundenregel und haben damit keinen oder wenig Anreiz auf Marktsignale zu reagieren. Bei WEA sind es 47,7 GW und damit 66,5 %.
Auswirkung der EEG-Vergütungen auf die Strompreise
Trotz der zunehmenden Bestrebungen zu einer Aussetzung der Vergütung bei negativen Preisen, nehmen Häufigkeit und Dauer negativer Preise zu, wie dargestellt in Abbildung 3. Nimmt man die Effekte der Energiekrise vom vierten Quartal 2021 bis zum ersten Quartal 2023 heraus, sieht man dabei einen deutlichen Anstieg der Stunden mit negativen Preisen seit 2018. Insbesondere das laufende Jahr 2024 sticht hierbei ins Auge, in welchem die Anzahl von negativen Preisen innerhalb der ersten 9 Monate bereits deutlich über der Anzahl in allen Vorjahren liegt.
Der weitere Anstieg negativer Preise kann zunehmend auf PV-Anlagen zurückgeführt werden, die weiterhin durchgehend unter die Einspeisevergütung fallen. Dies zeigt sich auch an dem in Abbildung 4 dargestellten, steigenden Anteil von PV an der Gesamterzeugung zu Stunden mit negativen Preisen. Anlagenbetreibende, die unter die Stundenregel fallen, sind bestrebt, ihre Einspeisung in Stunden mit negativen Strompreisen und wegfallender Vergütung zu stoppen, da sie sonst für den produzierten Strom bezahlen würden. Im Gegensatz zum stark steigenden Anteil der PV-Erzeugung zu Zeiten von negativen Preisen hat der Anteil der Erzeugung durch Windkraft in den letzten Jahren leicht abgenommen. Die 2024er-Anteile signalisieren das noch dramatischer, wobei hier die Einschränkung beachtet werden muss, dass der Zeitraum nur die ersten 9 Monate umfasst und damit deutlich PV-geprägter ist.
Fazit
Durch den zunehmenden Ausbau Erneuerbarer Energien steigen die Zeiträume von Überproduktion und damit einhergehend die Anzahl von Stunden mit negativen Strompreisen. Grund dafür ist der fehlende Anreiz zur Drosselung der Einspeisung infolge einer vom Marktpreis unabhängigen Vergütung. Mit der Stundenregel wurde ein Instrument geschaffen, welches dieses Problem adressieren soll. Allerdings sind die Größengrenzen für die Anwendung bei der PV nicht eng genug gefasst, sodass weiterhin viele Anlagen keine Preissignale des Marktes „sehen“. Bei der Windkraft fallen nahezu alle Neuanlagen in die Stundenregel. Deshalb lässt sich der Trend beobachten, dass zunehmend die PV für die negativen Preise verantwortlich ist und der Einfluss der Windkraft zurückgeht. Dieser Trend wird sich in Zukunft verstärken, da die Anlagenzahl der WEAs mit fester Einspeisevergütung weiter zurückgeht, bei der PV aber weiterhin Anlagen außerhalb der Stundenregel zugebaut werden (2023 65,1 % des Zubaus, 2024 55,3 % des Zubaus).
Gleichzeitig lässt das den Schluss zu, dass auch in Zukunft negative Preise auftreten werden und sich der in Abbildung 3 gezeigte Trend der zunehmenden Häufung nur durch eine Anpassung der Regulatorik oder eine Flexibilisierung der Nachfrage umkehren lässt. Hier treten wiederum große Chancen für Stromspeicher-Flexibilitäten, wie Großbatteriespeicher, auf, die zunehmend Preisspreads nutzen, um Gewinne zu realisieren.
Einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung wird in einem Folgeartikel evaluiert.
Einen Infobeitrag zur Entstehung von negativen Preisen haben wir bereits in einem anderen Beitrag genauer beleuchtet: Negative Strompreise am Spotmarkt – FfE.
Anhang
Anmerkungen zu Diagramm-Kategorien
Aufgrund mehrerer Sonderfälle haben wir uns für die Einordnung in die Kategorien der Abbildungen 1 und 2 zu folgenden Vereinfachungen entschlossen. Alle Anlagen, die Anspruch auf Einspeisevergütung haben, werden der Kategorie „Einspeisevergütung“ zugeordnet, auch wenn für die Anlagenbetreibenden die Möglichkeit besteht, freiwillig in das Marktprämienmodell zu wechseln. Anlagen die nach den gesetzlich festgelegten 20 Jahren keine feste Einspeisevergütung mehr erhalten, belassen wir weiterhin in der Kategorie „Einspeisevergütung“. Wir verzichten außerdem auf eine gesonderte Aufführung der Bürgerenergieanlagen und weisen diese ebenfalls der Kategorie „Einspeisevergütung“ zu.
Ungeförderte Anlagen*: Als ungeförderte Anlagen gelten Einheiten mit einer Leistung >1000 kW, die außerhalb der EEG-Ausschreibungen realisiert wurden. Darunter können teilweise noch ungeprüfte Datensätze mit fehlerhaften Angaben enthalten sein.
Literatur
[1] Bundesnetzagentur – Presse – Zubau Erneuerbarer Energien im ersten Halbjahr 2024
[2] Negative Strompreise am Spotmarkt – FfE
[3] Bundesgesetzblatt BGBl. Online-Archiv 1949 – 2022 | Bundesanzeiger Verlag
[4] BEE: Feste Einspeisetarife setzen sich weltweit durch | energate messenger⁺ (energate-messenger.de)
[5] EEG (2009). EEG_2009_Urfassung_juris_0.pdf (clearingstelle-eeg-kwkg.de)
[6] EEG (2012). EEG2012_juris_120817.pdf (clearingstelle-eeg-kwkg.de)
[7] EEG (2014) EEG_2014_140721_1.pdf (clearingstelle-eeg-kwkg.de)
[8] EEG (2017). EEG_2017_161222_1.pdf (clearingstelle-eeg-kwkg.de)
[9] EEG (2021). EEG2021_201221.pdf (clearingstelle-eeg-kwkg.de)
[10] EEG (2023) EEG_2017_161222_1.pdf (clearingstelle-eeg-kwkg.de)