21.10.2024

Kommt es vermehrt zu Extrempreisen auf dem deutschen Strommarkt?

  • Die Volatilität der Preise sowie einzelne Preisspitzen haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen.
  • Seit 2023 treten dabei insbesondere am Intraday-Markt zunehmend Extrempreise auf.
  • Bei einem Verkauf von Energie zu allen Zeitpunkten mit Strompreisen über 1000 €/MWh seit 2023 hätte ein Batteriespeicher mit 1 MW innerhalb von 10 Stunden über 17.800 € einnehmen können

Das deutsche Stromsystem ist im ständigen Wandel. Der zunehmende Anteil erneuerbarer Energien, die wachsende Zahl dezentraler Erzeuger und sich verändernde Nachfragemuster führen zu größeren Schwankungen und einer gesteigerten Unsicherheit auf dem Strommarkt. Durch die Energiekrise im Jahr 2022 sind in den letzten Jahre neue Preisrekorde und zahlreiche Preisspitzen aufgetreten, wodurch auch die öffentliche Diskussion bezüglich sogenannter „Extrempreise“ angefacht wurde. Wann jedoch ein Preis als Extrempreis gilt, ist nicht klar definiert. Vor der Energiekrise galten Preise unter 0 EUR/MWh und über 100 EUR/MWh als selten [1]. Seitdem hat sich das durchschnittliche Preisniveau allerdings deutlich erhöht [2], weswegen man von einer Veränderung dieser Grenzen ausgehen kann.

In diesem Artikel beleuchten wir die historische Entwicklung extremer Preisspitzen der letzten Jahre. Dafür betrachten wir den Day-Ahead-Markt und den viertelstündlichen, kontinuierlichen Intraday-Handel (abgebildet durch den ID3-Preisindex) anhand konkreter Beispiele. Die Analyse zeigt auf, dass der Day-Ahead-Markt grundsätzlich volatiler geworden ist, jedoch dort seltener starke Extrempreise erkennbar sind. Extreme Preise, sowohl negativ als auch positiv, finden verstärkt auf dem Intraday-Markt statt, da dort insbesondere die Prognoseabweichungen der Solar- und Winderzeugung ausgeglichen werden. Neben der Fehlprognose von Erneuerbaren können auch Änderungen in der Last(-prognose) sowie einzelne Ereignisse wie eine technische Störung zu Extrempreisen führen. Graphik 1 zeigt den Preisverlauf des Day-Ahead-Markts und des ID3-Index von 2019 bis heute. Drei Preisspitzen haben wir uns exemplarisch im Detail angeschaut und die anderen Preisspitzen kategorisiert nach Prognoseabweichungen, Erzeugungsüberschüssen erneuerbarer und Einzelereignissen.

Abbildung 1: Preise des Day Ahead und Intradayhandels (ID3 Index) von 2019 bis einschließlich 13.10.2024 mit Einordnung extremer Preisausschläge

Beispiel 1 ist der 03. Juni 2024. Insbesondere die PV-Produktion ist an diesem Tag in etwa 7 GW unter den prognostizierten Werten geblieben, sodass es am Intraday-Markt zu einem plötzlichen Nachfrageanstieg und einem darauffolgenden Anstieg der Preise führte. Dieser Fall zeigt, wie durch den zunehmenden Anteil erneuerbarer Energien auch die Effekte von Prognoseänderungen auf die Preise steigen. Auf der anderen Seite verbessern sich Prognosen für die Erzeugung Erneuerbarer Energien kontinuierlich, weshalb nicht pauschal ein direkter Zusammenhang des Anteils Erneuerbarer Energien zu Extrempreisen angenommen werden kann. Am 15.09.2020 wurde hingegen die abendliche Lastspitze deutlich unterschätzt und fiel um etwa 4 GW höher aus als erwartet mit einem ähnlichen Effekt auf den Intraday-Handel, an dem ebenfalls kurzfristig nachbeschafft werden musste. Ähnlich verhielt es sich auch an mehreren Tagen im Jahr 2023 (21.08.,12.09. und 17.09.), wo ebenfalls eine Unterschätzung der erwarteten Last zu hohen Preisausreißern am Intradaymarkt führte. Auch am 03.07.2023 und am 10.06.2024 wurde ein starker Anstieg der Intradaypreise durch Prognoseabweichungen verursacht, in diesem Fall durch eine hinter den Erwartungen gebliebene Winderzeugung. Die Intradaypreise am 03.07.2024 von knapp 2000 € sind dabei jedoch teilweise einer ohnehin sensiblen Marktsituation zuzuschreiben, da am Vortag am Day-Ahead Markt eine längere Periode negativer Preise aufgetreten war mit einem Preisminimum von -500 €/MWh, wie im nachfolgenden Abschnitt beschrieben wird.

Beispiel 2: Einer der sichtbaren negativen Ausreißer im Juli 2023 zeigt ein Preisniveau von -500 €/MWh, ein 14-Jahres-Tief im Day-Ahead-Markt. Er begründet sich durch eine Kombination mehrerer Einfluss-Faktoren: Der 02. Juli war ein sonniger, aber windiger Sonntag mit moderaten Temperaturen in ganz Deutschland. Es gab also eine hohe Wind- und Solarproduktion, keinen signifikanten Kühl- oder Heizbedarf, sowie wenig Stromnachfrage aufgrund des Wochenendes. Die Last wurde dabei in den Stunden von 9 bis 19 Uhr vollständig gedeckt bzw. überdeckt durch die Erzeugung der Erneuerbaren Energien. Zusätzlich haben weiterhin auch unflexible Kraftwerke Strom erzeugt, die bei einer Abschaltung hohe Kosten in Kauf nehmen müssen und sich zu Perioden negativer Preise in einem konstanten Abwägungsprozess befinden. Insbesondere Anlagen, die auch für Wärme vergütet werden, nehmen häufig die negativen Preise in Kauf. An dem beschriebenen Beispieltag führte dies zu einem starken Preisverfall, was die steigende Relevanz von abschaltbaren, flexiblen Anlagen bei wachsendem Erneuerbaren-Anteil aufzeigt. Weitere Beispiele für einen solchen Erzeugungsüberschuss Erneuerbarer Energien stellen der 10.04.2023 sowie auch der 12.05.2024 dar, an dem die erneuerbare Erzeugung die Last bereits fast vollständig deckte, aufgrund unflexibler konventioneller Anlagen die Gesamterzeugung allerdings über der Nachfrage lag. In diesen Fällen zeigten sich die stark negativen Preise jedoch hauptsächlich im Intraday Handel, während die Day Ahead Preise zwar unter null, aber – insbesondere im ersten Fall – weniger extrem ausfielen.

Beispiel 3:

Während viele Preisausschläge durch Prognosefehler (Beispiel 1) oder ein sehr großes Angebot von Strom aus erneuerbaren Energien (Beispiel 2) erklärt werden können, gibt es auch Preisausreißer, die durch besondere, unvorhersehbare Ereignisse ausgelöst werden. Beispielsweise entstand der markant positive Ausreißer in Beispiel 3 vom 26. Juni 2024 aufgrund eines technischen Fehlers [4, 5], der die Entkoppelung einzelner Länder aus dem europäischen Markt zur Folge hatte. Für die Stunde von 6 Uhr bis 7 Uhr morgens stellte sich deshalb in Deutschland ein Preis von 2325 €/MWh ein, für die darauffolgende Stunde lag der Preis weiterhin bei knapp 1800 €. In benachbarten Frankreich zum Beispiel wurden dagegen zur gleichen Zeit Preise um die 100 €/MWh beobachtet. Dieser Vorfall zeigt auch die Bedeutung der europäischen Marktkopplung.

Insbesondere im kontinuierlichen Intradayhandel kann es wegen der Kurzfristigkeit teilweise auch zu nicht direkt erklärbaren starken Preisausreißern kommen. Müssen bestimmte Akteure beispielsweise ihren Bilanzkreis kurzfristig ausgleichen, so kann das wegen mangelnder Alternativen mit einer sehr hohen Zahlungsbereitschaft einhergehen. Diese Einzelgebote können durch das pay-as-bids Verfahren sowie eine geringere Gesamtliquidität die Preise im kontinuierlichen Handels stark beeinflussen. Am 19. März 2023 beispielsweise stieg der ID3 als Index für die letzten drei Stunden des kontinuierlichen Handels auf knapp 2.000 € an. An dem Tag waren im kontinuierlichen Handel Gebote zwischen 150 €/MWh und 9.200 € eingegangen, was die Volatilität und Preisspanne gut aufzeigt. Ähnlich verhält es sich am 25.06.2023, an dem die höchsten Gebote sogar die Preisobergrenze im kontinuierlichen Intradayhandel von 9999 €/MWh erreichten und der ID3 Index dabei auf über 3500 € anstieg. In beiden Beispielen lag das Handelsvolumen dabei jedoch auch relativ gering zwischen 500 und 1.000 MWh.

In den genannten drei Beispielen sehen wir damit drei zentrale Gründe für Extrempreise:

  • Abweichungen von den PV-, Wind- oder Lastprognosen, besonders erkennbar im Intraday-Handel
  • Starkes Ungleichgewicht zwischen erneuerbarer Erzeugung und Last, oft kombiniert mit einer hohen Erzeugung aus unflexiblen Kraftwerken
  • Einzelereignisse wie technische Fehler

Daneben gibt es im kontinuierlichen Handel auch Preisspitzen, die sich nicht direkt aus den genannten Gründen erklären lassen und zeigen, wie stark der Handel auch durch einzelne Gebote beeinflusst werden kann.

Die seit 2023 zunehmend auftretenden Extrempreise können von Flexibilitäten genutzt werden, um zusätzlich Erlöse zu generieren. Bei Verkauf von Energie in allen Zeitpunkten mit Strompreisen über 1000 €/MWh hätte ein Batteriespeicher mit 1 MW beispielsweise innerhalb von 10 Stunden über 17.800 € einnehmen können.