27.06.2022

FfE setzt Spitzenlastkappung mit bidirektionalem BMW i3 um

Im Rahmen des Forschungsprojekts „Bidirektionales Lademanagement“ (BDL) hat die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) an ihrem Standort in München den Use-Case Spitzenlastkappung erfolgreich umgesetzt. Durch die Integration eines rückspeisefähigen BMW i3 kann der Netzbezug dynamisch gesteuert werden. Eine hohe Lastspitze, z. B. durch das ungesteuerte Laden weiterer Elektrofahrzeuge kann so vermieden werden. Durch die Begrenzung der Spitzenlast werden bei Großkunden die Kosten der leistungsabhängigen Preiskomponente reduziert.

 

Was ist bidirektionales Laden?

Elektrofahrzeuge bieten auf Grund ihrer großen Batteriekapazität und den meist langen Standzeiten ein großes Flexibilitätspotenzial. Dies kann jedoch nicht mit allen Ladearten voll ausgenutzt werden. Ungesteuertes Direktladen (vgl. normales Laden in Abbildung 1) bietet auf Grund der nicht gesteuerten Ladeleistung kein Flexibilitätspotenzial. Eine Nutzung des Flexibilitätspotenzials bietet unidirektionales, gesteuertes Laden (V1G). Hierbei kann die Ladeleistung während des Ladevorgangs dynamisch variiert werden. Das größte Flexibilitätspotenzial ist durch bidirektionales Laden (V2G) zu heben, welches neben dem dynamischen Laden auch das strategische Entladen des Fahrzeugs ermöglicht.

Bidirektionales Laden im Vergleich zu gesteuertem (V1G) und ungesteuertem Laden.
Abbildung 1: Bidirektionales Laden im Vergleich zu gesteuertem (V1G) und ungesteuertem Laden.

Die Fähigkeit bidirektionaler Fahrzeuge, Energie aus dem Netz zu entnehmen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurückzuspeisen, erlaubt die Umsetzung einer Vielzahl von Use-Cases. Einer dieser Use-Cases ist die Spitzenlastkappung, die am FfE-Standort aktuell demonstriert wird. Weitere Use Cases werden hier erläutert.

Voraussetzung für bidirektionales Laden ist, dass sowohl das Fahrzeug als auch die Ladestation über bidirektionale Fähigkeiten verfügen. Um dieser Anforderung gerecht zu werden, wurden im Rahmen des BDL-Projekts mehrere BMW i3 entsprechend umgerüstet. Zudem wurde von Kostal eine bidirektionale DC-Wallbox entwickelt. Ein umgerüstetes Fahrzeug und eine Wallbox steht der FfE für die Erprobung des bidirektionalen Ladens zur Verfügung.

BMW i3 und Kostal Wallbox aus dem BDL Projekt
Abbildung 2: BMW i3 und Kostal Wallbox aus dem BDL Projekt

Was ist Spitzenlastkappung?

Spitzenlastkappung beschreibt die gezielte Reduzierung der Spitzenlast an einem Netzverknüpfungspunkt zur Verringerung der leistungsabhängigen Netzentgelte. Diese Art der Steuerung ist für Kunden relevant, die neben einem Entgelt für die bezogene Energie (Arbeitspreis) auch für die maximale am Netzverknüpfungspunkt auftretenden Last (Leistungspreis) bezahlen müssen. Hierbei ist der maximale, während des Abrechnungszeitraums, auftretende 15-Minuten-Leistungsmittelwert ausschlaggebend. Durch den gezielten Einsatz flexibler Verbraucher, Erzeuger oder Speicher (z. B: bidirektionale Elektrofahrzeuge) kann die abrechnungsrelevante Lastspitze reduziert werden, was zu geringeren Kosten der Leistungskomponente führt. Die Lastreduktion erfolgt dabei entweder durch das zeitliche Verschieben des Ladevorgangs auf einen späteren Zeitpunkt oder das Rückspeisen der Energie aus dem Fahrzeug. Eine exemplarische Darstellung der Spitzenlastkappung ist in Abbildung 3 gegeben.

Abbildung 3: Spitzenlastkappung (exemplarisch)

Wie wurde die Spitzenlastkappung an der FfE umgesetzt?

Die technische Umsetzung des Use-Cases Spitzenlastkappung stützt sich auf die im BDL Projekt von Kostal entwickelte bidirektionale Wallbox und einen modifizierten BMW i3. Die entwickelte DC-Wallbox wandelt den Gleichstrom aus dem Fahrzeug in Wechselstrom für das Stromnetz und vice versa um. Das System basiert auf dem Combined Charging System (CCS). Ein wesentlicher Teil des Forschungsprojektes beschäftigte sich damit, gemeinsame Kommunikationsstandards zwischen dem Backend, das die Steuerbefehle bereitstellt, der Ladestation und dem Elektrofahrzeug zu entwickeln.

Während des Projekts wurde ein FfE-eigenes Backend entwickelt, welches mittels hochaufgelöster Messwerte am FfE-Netzverknüpfungspunkt Leistungsvorgaben für den Ladevorgang des BDL-Fahrzeugs errechnet, die dann über eine erweiterte OCPP2.0.1-Schnittstelle an die Kostal Ladestation weitergegeben werden. Die Ladestation kommuniziert über die ISO 15118 Schnittstelle mit dem Fahrzeug und steuert den Ladevorgang. Abbildung 4 zeigt die technische Umsetzung an der FfE.

Technischer Aufbau am FfE-Standort
Abbildung 4: Technischer Aufbau am FfE-Standort

Wie wird das Leistungslimit gewählt?

Die Wahl des Leistungslimits ist für eine erfolgreiche Umsetzung der Spitzenlastkappung essenziell. Ist das Limit zu hoch gewählt, wird nicht die gesamte verfügbare Flexibilität am Standort genutzt und es muss ein höherer Leistungspreis bezahlt werden. Ist das Limit hingegen zu niedrig gewählt, wird das Fahrzeug permanent entladen, der Akku beansprucht und potenziellen Fahrzeugnutzern steht eine geringere Reichweite zur Verfügung. Darüber hinaus kann bei einem zu niedrig gewählten Limit und einer lang anhaltenden hohen Last mehr Flexibilität benötigt werden, als das Fahrzeug bereitstellen kann. Dies kann zu einer signifikanten Steigerung der Spitzenlast führen. Wird dadurch ein höherer 15-Minuten Leistungsmittelwert generiert als gewünscht ist, muss diese neue Leistungsspitze bezahlt werden und es können nicht die geplanten Einsparungen erreicht werden.

An der FfE herrscht tagsüber regelmäßig nicht verschiebbare Last von etwa 18 kW. Zusätzlich können bis zu vier Elektrofahrzeuge ungesteuert geladen werden (3 x 3,7 kW, 1 x 11 kW). Die Gesamtlast dieser nicht flexiblen Verbraucher beläuft sich etwa 40,1 kW. Mit dem rückspeisefähigen BMW i3 kann eine Lastreduktion von 11 kW erfolgen. Berücksichtigt man die Gleichzeitigkeit der Ladevorgänge und der sonstigen am Standort auftretenden nicht flexiblen Last, scheint ein Leistungslimit von 25 kW eine angemessene erste Wahl zu sein. Eine spätere Adjustierung des Limits ist auch während des Betriebs möglich.

Wie wird die Leistungsvorgabe berechnet?

Die Berechnung der Leistungsvorgabe für das bidirektionale Fahrzeug erfolgt basierend auf Messwerten des FfE Netzverknüpfungspunkts. Hierzu wird alle 30 Sekunden die im aktuellen 15-Minuten-Intervall bereits bezogene Energie aktualisiert. Unter der Annahme, dass die nicht steuerbare Leistung gleichbleibt, wird unter Berücksichtigung der verbleibenden Zeit die Lade- bzw. Entladeleistung bestimmt, mit der der Grenzwert eingehalten wird. Die Ladeleistung muss dabei im Bereich zwischen -11 kW und 11 kW liegen.

 

Was beeinflusst den Erfolg der Spitzenlastkappung?

Es gilt, verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, die den Erfolg der Spitzenlastkappung am FfE-Standort signifikant beeinflussen.

Der wichtigste Faktor ist die Fahrzeugverfügbarkeit. Da die Spitzenlastkappung nur mittels eines Fahrzeugs möglich ist, kann die Lastspitze auch nur bei Anwesenheit dieses Fahrzeugs beeinflusst werden. Ist das Fahrzeug nicht verfügbar, kann keine Spitzenlastkappung stattfinden.

Ähnlich verhält es sich mit dem Ladezustand der Fahrzeug-Batterie (engl. State of Charge, kurz: SoC). Hat das Fahrzeug einen SoC von weniger als 35 %, wird nicht weiter entladen, da stets ein Mindestmaß an Mobilität verfügbar sein soll. In diesem Fall ist die Spitzenlastkappung durch Rückspeisung nicht möglich. Um die Batterie nicht durch häufiges Vollladen zu beanspruchen, wird ab einem SoC von 90 % das Laden beendet. Befindet sich der SoC im Bereich zwischen diesen beiden Grenzwerten, ist sowohl Entladen als auch Laden möglich.

Tritt eine Lastspitze über einen langen Zeitraum auf, kann diese nur reduziert werden, solange genügend Energie im Fahrzeug verfügbar ist. Fällt der SoC unter die Schwelle von 35 %, wird der Entladevorgang beendet und die Lastspitze kann nicht weiter kontrolliert werden.

Sollte die FfE-Lastspitze auf Grund des Betriebs weiterer nicht steuerbarer Verbraucher das eingestellte Leistungslimit um mehr als 10 kW übersteigen, kann der Anstieg durch das Fahrzeug auf Grund der maximalen Entladeleistung von 10 kW nicht vollständig ausgeglichen werden.

Nutzer haben zudem die Möglichkeit, die geplante Abfahrzeit und den gewünschten Abfahrt-SoC einzustellen. Die Wallbox priorisiert das Mobilitätsbedürfnis der Nutzer und verwirft wenn nötig die Steuerbefehle zugunsten der geforderten Reichweite und wechselt in den Sofortladen-Modus. In diesem Fall lädt die Wallbox mit der größtmöglichen Leistung das Fahrzeug auf. Das Sofortladen kann auch durch den Nutzer an der Wallbox initiiert werden.

Alle diese genannten Faktoren können dafür sorgen, dass die maximal gewählte Spitzenlast überschritten wird. Eine größere Flotte bidirektionaler Fahrzeuge oder weitere flexible Verbraucher können in diesem Fall Abhilfe schaffen, sind jedoch in der aktuellen Erprobung nicht verfügbar.

 

Wie wirkt sich die Spitzenlastkappung auf den Lastgang der FfE aus?

Messwerte, dargestellt in Abbildung 5, zeigen eine an der FfE durchgeführte Spitzenlastkappung durch das bidirektionale Fahrzeug. Dieses war zu 90 % geladen und stand den gesamten Tag zur Verfügung. Der aufgezeichnete Lastgang in Abbildung 5 zeigt um 07:52 Uhr einen Leistungsanstieg von etwa 11 KW. Zu diesem Zeitpunkt wird ein Fahrzeug an eine der ungesteuerten Ladestationen angesteckt. Das maximal erlaubte Leistungslimit wird nicht überschritten. Um 08:34 Uhr zeigt der Lastgang einen weiteren sprunghaften Anstieg, der das eingestellte Leistungslimit von 25 kW erreicht. Abbildung 6 zeigt ab diesem Zeitpunkt, dass das bidirektionale Fahrzeug entladen wird und somit einen weiteren Leistungsanstieg verhindert. Von da an wird das Fahrzeug mit einer kurzen Ausnahme zwischen 08:42 und 08:46 Uhr mit unterschiedlich hoher Leistung entladen. Die Entladeleistung beträgt dabei maximal 11 kW. Ab 10:43 Uhr ist eine Umkehr der Ladeleistung zu beobachten, das Fahrzeug wird wieder geladen. Die maximale Ladeleistung erreicht 8,54 kW. Ab 12:35 Uhr ist der Ladevorgang beendet. Dabei wurde der Fahrzeug SoC zwischenzeitlich von 90 % auf 63 % gesenkt und anschließend wieder auf 90 % erhöht (vgl. Abbildung 7). Während der gesamten Zeit überschreitet der abrechnungsrelevante 15-Minuten-Mittelwert das einzuhaltende Leistungslimit nicht. Die Spitzenlastkappung war erfolgreich.

Lastgang, 15-Minuten-Mittelwert und Limit mit Spitzenlastkappung
Abbildung 5: Lastgang, 15-Minuten-Mittelwert und Limit mit Spitzenlastkappung
Abbildung 6: Bidirektionale Lade- & Entladeleistung
Abbildung 7: Fahrzeug SoC

Welchen Nutzen hat die Spitzenlastkappung?

Um den Nutzen der Spitzenlastkappung bewerten zu können, muss zunächst der Lastgang errechnet werden, der ohne die Spitzenlastkappung aufgetreten wäre. Dieser Lastgang ist exemplarisch für den 14.06.2022 in Abbildung 8 dargestellt. Hierbei wird deutlich, dass um 10:29 Uhr ohne den Einsatz der Spitzenlastkappung eine maximale Lastspitze von 35,6 kW aufgetreten wäre. Der höchste 15-Minuten-Leistungsmittelwert wäre mit 31,9 kW im Zeitraum zwischen 09:15 und 09:30 Uhr aufgetreten. Im Vergleich dazu beträgt die maximale Lastspitze und der höchste 15-Minunten-Leistungsmittelwert im Fall mit der Spitzenlastkappung 25 kW. Die abrechnungsrelevante Lastspitze konnte somit um 6,9 kW reduziert werden. Bei einem Leistungspreis von 15 €/kW (Jahresbenutzungsdauer unter 2.500 h/a) konnten durch die Steuerung 103,50 € an Leistungskosten eingespart werden [1]. Sollte durch die Steuerung die Jahresbenutzungsdauer auf über 2.500 h/a ansteigen, wäre sogar eine Kostenreduktion um 764,52 € möglich. Ob sich diese Einsparung auch im weiteren Zeitverlauf realisieren lässt, wird die Erprobung zeigen.

Abbildung 8: Lastgang, 15-Minuten-Mittelwert und Limit ohne Spitzenlastkappung

Kann die Steuerung verbessert werden?

Die hier gewählte Methode zur Berechnung der Lade- bzw. Entladeleistung des bidirektionalen Fahrzeugs ist relativ einfach gehalten, da die technische Umsetzung und Erprobung der bidirektionalen Fähigkeiten von Fahrzeug und Ladestation im Mittelpunkt stehen. Einer Optimierung des Steuerungsalgorithmus mit komplexen Prognosemodellen, oder auch die Umsetzung weiterer Use-Cases (z.B. Co2- oder Preisoptimiertes Laden) ist mit der vorhandenen Infrastruktur umsetzbar.

Über das Forschungsprojekt „Bidirektionales Lademanagement – BDL“

Das Innovationsprojekt „Bidirektionales Lademanagement – BDL“ verfolgt die Zielsetzung, ein ganzheitliches, nutzerorientiertes Angebot für die Integration von Elektro-Fahrzeugen in das Energiesystem in Deutschland zu entwickeln und zu erproben.

Rückspeisefähige E-Fahrzeuge können netzdienlich eingesetzt werden, indem sie die Aufnahme von Energie aus erneuerbaren Quellen ins öffentliche Stromnetz optimieren und es gleichzeitig stabil halten. Dafür ist neben entsprechenden nutzerfreundlichen technologischen Lösungen ein intelligentes Zusammenspiel von Fahrzeugen, Ladeinfrastruktur und Stromnetzen notwendig. Die interdisziplinären Projektpartner aus der Automobilbranche, der Energiewirtschaft und der Wissenschaft erarbeiten hierfür holistische Lösungen.

Neben dem Konsortialführer BMW Group sind die Partner KOSTAL Industrie Elektrik GmbH, KEO GmbH, TenneT, Bayernwerk Netz GmbH, Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V. (FfE), Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft mbH, Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und die Universität Passau beteiligt.

Das Innovationsprojekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert. Träger des auf drei Jahre angelegten Pilotprojekts ist das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).