18.12.2024

Beitragsreihe: Energy Sharing – Regulatorische Entwicklungen und Perspektiven für vielfältige Geschäftsmodelle in Deutschland

Energy Sharing bezeichnet die koordinierte Nutzung und Erzeugung von Strom, unabhängig von etablierten Marktrollen, einschließlich der Einbeziehung einer oder mehrerer Spannungsebenen des öffentlichen Netzes. Durch Energy Sharing können intrinsisch mehrere positive Rückwirkungen kombiniert werden [1]. Unter anderem kann es eine stärkere Teilhabe von Privatpersonen an der Energiewende ermöglichen und hierdurch die Akzeptanz für erneuerbare Energien sowie Privatinvestitionen steigern. Zudem wird erwartet, dass Energy Sharing auf lokaler Ebene Anreize für einen netzdienlichen Einsatz flexibler Verbrauchseinrichtung schaffen wird. [2]

Im November 2024 wurde ein Gesetzentwurf zur Änderung des Energiewirtschafts-Gesetzes (EnWG) vorgeschlagen, durch welchen Energy Sharing unter Nutzung des öffentlichen Netzes möglich gemacht werden soll. Hieraus ergeben sich verschiedene Fragestellungen zur Umsetzung, Preisgestaltung, sowie zu möglichen Systemrückwirkungen. In dieser Beitragsreihe geben wir einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen und erläutern mögliche Ausgestaltungsformen, sowie die Implikationen für das Energiesystem.

Inhalte der  Beitragsreihe:

  1. Mögliche Rückwirkungen von Energy Sharing auf das Energiesystem
  2. Regulatorische Entwicklungen und Perspektiven für vielfältige Geschäftsmodelle in Deutschland
  3. Lokale dynamische Tarife

Die Europäische Union hat in verschiedenen Richtlinien Verpflichtungen der Mitgliedstaaten festgelegt, einen Rahmen für Energy Sharing im Nationalrecht umzusetzen [3, 4]. In Deutschland wurden im Jahr 2024 mehrere regulatorische Änderungen vorgenommen, um die EU-Richtlinien umzusetzen.

Mit dem Solarpaket I [5] wurden im Frühling 2024 die Modelle Mieterstrom und gemeinschaftliche Gebäudeversorgung eingeführt, die Energy Sharing ohne Nutzung des öffentlichen Netzes erlauben. Im November 2024 wurde ein Gesetzentwurf [6] zur Änderung des Energiewirtschafts-Gesetzes (EnWG) vorgeschlagen. Dieser enthält insbesondere den neuen § 42c „Gemeinsame Nutzung elektrischer Energie aus Anlagen zur Erzeugung von Elektrizität aus erneuerbaren Energien“, welcher voraussichtlich am 1. Juni 2026 in Kraft treten und Energy Sharing unter Nutzung des öffentlichen Netzes erlauben soll.

Bei der Umsetzung von Energy Sharing entstehen dabei nicht nur Möglichkeiten für private Akteure, sondern auch neue Geschäftsmodelle für etablierte Marktteilnehmende, beispielweise als Organisator der prozessualen Umsetzung und, bzw. oder als Reststromlieferant. Der Gesetzentwurf zu § 42c EnWG lässt viel Spielraum, um innovative Geschäftsmodelle im Bereich Energy Sharing zu entwickeln.

Dieser Artikel hat zum Ziel, einen detaillierten Einblick in die Umsetzung von Energy Sharing nach § 42c sowie einen Überblick der möglichen Geschäftsmodelle zu geben.

Gesetzentwurf § 42c EnWG

Wer darf teilnehmen?

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Anlagenbetreiber den erzeugten Strom mit anderen („mitnutzenden“) Letztverbrauchern gemeinsam nutzen.

Anlagenbetreiber sind dabei natürliche Personen, juristische Personen des öffentlichen Rechts, KMUs deren Haupttätigkeit sich außerhalb des Energiesektors befindet, sowie Gesellschaften und Genossenschaften von Letztverbrauchern außerhalb des Energiesektors. Mitnutzende Letztverbraucher dürfen alle Letztverbraucher nach § 3, Nr. 64 des novellierten EnWG sein, also „natürliche oder juristische Personen, die Energie für den eigenen Verbrauch kaufen […]“, mit Ausnahme von Großunternehmen.

Nutzung des öffentlichen Netzes und geografische Grenzen

Die Belieferung soll unter Nutzung des öffentlichen Netzes stattfinden dürfen. Verträge zur gemeinsamen Nutzung des Strom dürfen abgeschlossen werden zwischen Anlagenbetreibern und Letztverbrauchern, die sich im selben Bilanzierungsgebiet befinden. Ab dem 1. Juni 2028 sollen auch Verträge zwischen Akteuren in direkt angrenzenden Bilanzierungsgebieten erlaubt werden.

Beteiligte Akteure und Verantwortung für energiewirtschaftliche Prozesse

Grundsätzlich ist die Lieferung von Strom in Deutschland mit zahlreichen Pflichten verbunden. Anlagenbetreiber, die im Rahmen von § 42c EnWG Strom liefern, sind von einem Teil der Lieferantenpflichten befreit, wenn die betriebene Anlage eine Leistung von 30 kW nicht übersteigt (100 kW für gemeinsam betriebene Anlagen in Mehrparteiengebäude).

Im Detail entfallen die Anzeigepflicht (§ 5 EnWG), die Richtlinien zur Stromrechnungsstellung (§ 40 EnWG), die Stromkennzeichnungspflicht (§ 42 EnWG), sowie die Grundversorgungspflicht (§ 36 EnWG), welche unabhängig von der Anlagengröße entfällt. Verbraucher können somit einen zusätzlichen Vertrag mit einem Energielieferanten ihrer Wahl abschließen, um ihre Grundversorgung zu decken.

Pflichten nach § 20 EnWG, zum Zugang zu Elektrizitätsverteilnetzen – insbesondere die Bilanzierung der geteilten Strommengen – sind jedoch im aktuellen Gesetzentwurf Verantwortung der Anlagenbetreiber. Diese dürfen zur Abwicklung dieser Prozesse Dritte beauftragen. Zusätzlich dürfen Dritte auch für Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Abschluss von Verträgen, der Abrechnung, dem Betrieb der Anlagen, oder dem Angebot von Flexibilitätsdienstleistungen (z.B. virtuelles Kraftwerk) beauftragt werden.

Die Einbeziehungen von Dritten ist eine direkte Umsetzung der EU-Richtlinien, welche dazu den Begriff „Organisator der gemeinsamen Energienutzung“ einführen.

Messkonzept

Im aktuellen Gesetzentwurf ist eine registrierende Lastgang-Messung (RLM) der erzeugten und verbrauchten Strommengen im 15-Minuten Takt erforderlich, wobei in der Begründung des Gesetzentwurfs auch intelligente Messsysteme (Smart Meter Gateway plus moderne Messeinrichtung) als mögliche Lösung erwähnt werden.

Ausschlaggebend ist, dass eine Zeitgleichheit der Erzeugung und des Verbrauchs nachgewiesen werden muss (mit 15-minütiger Granularität). Energy Sharing unterscheidet sich klar von bereits existierenden bilanziellen Stromprodukten.

Aufteilungsschlüssel und Preisgestaltung

Der Vertrag zwischen Anlagenbetreiber und Verbraucher muss einen Aufteilungsschlüssel enthalten, der Regeln zum Anspruch des Verbrauchers auf den erzeugten Strom festlegt. Zwei Möglichkeiten sind hier anwendbar:

  • Mit einem statischen Aufteilungsschlüssel wird dem Verbraucher zu jedem Zeitpunkt ein Anteil des erzeugten Stroms zugeordnet.
  • Mit einem dynamischen Aufteilungsschlüssel wird der Strom zu jedem Zeitpunkt auf alle Verbraucher, die mit dem Anlagenbetreiber einen Vertrag abgeschlossen haben, proportional zu ihrem momentanen Verbrauch aufgeteilt.

Der Preis für den geteilten Strom wird bilateral zwischen Anlagenbetreiber und Verbraucher verhandelt. Seine Höhe muss vertraglich festgelegt werden und ist über die Dauer des Vertrags statisch.

Förderung

Im Gesetzentwurf ist keine Förderung der gemeinsamen Nutzung von Strom vorgesehen. Im Gegensatz zur gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung oder zum direkten Eigenverbrauch hinter dem Netzanschlusspunkt durch Anlagenbetreiber, fallen alle Steuern, Umlagen und Abgaben an.

Der Anlagenbetreiber behält jedoch bei der Direktvermarktung seiner Überschussmengen (d.h. nach Teilen des Stroms) nach § 21b des Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) Anspruch auf die Marktprämie (§ 20 EEG). Somit wird das Risiko bei einer Teilnahme an der gemeinsamen Nutzung elektrischer Energie für Anlagenbetreiber reduziert. Der Anspruch auf die Einspeisevergütung nach § 21 EEG entfällt dagegen.

Mögliche Geschäftsmodelle

Im Rahmen einer Umsetzung von Energy Sharing nach § 42c entstehen zahlreiche neue Geschäftsmodelle, die insbesondere für Energielieferanten und Energie-Service-Anbieter Potenzial bieten. Abbildung 1 gibt einen Überblick der möglichen Geschäftsmodelle, die folgend detailliert werden.

Abbildung 1: Überblick über die möglichen Leistungen im Bereich Energy Sharing

Rolle als Reststromlieferant

Der Gesetzentwurf § 42c EnWG sieht vor, dass Verbraucher zusätzlich zu ihrem Vertrag mit einem Anlagenbetreiber noch einen Reststromvertrag brauchen. Dabei ist explizit erlaubt, dass der Reststromlieferant diesen Strom anders bepreist als normale Haushaltstarife.

Um dieses neue Geschäftsfeld zu erschließen, müssen folgende Fragen beantwortet werden:

  • Welche Preisstrategie ermöglicht es, wettbewerbsfähig zu sein und zugleich eine attraktive Marge zu sichern?
  • Grundsätzlich können Reststromtarife sowohl statische als auch dynamische Tarife sein. Welche Vor- und Nachteile bieten beide Lösungen für Verbraucher und für Energieversorger? Die Aufteilung des Preisrisikos auf Energieversorger und Verbraucher ist hier zum Beispiel eine zentrale Fragestellung.
  • Die Beschaffung und Bilanzierung der Reststrommengen wird eigene Prognosen benötigen, da der Reststromverbrauch von lokaler Erzeugung und lokalem Verbrauch abhängig ist, und nicht über Standardlastprofile prognostiziert werden kann. Wie können solche Prognosen ausgestaltet werden?

Rolle als Organisator der gemeinsamen Energienutzung

Es ist zu erwarten, dass Anlagenbetreiber und Verbraucher bei der prozessualen Umsetzung von Energy Sharing Unterstützung von Dritten suchen werden. Die Rolle als Organisator der gemeinsamen Energienutzung und die damit verbundenen Geschäftsmodelle sind dabei vielfältig. Folgend werden mögliche Dienstleistungen zur Organisation von Energy Sharing dargestellt.

Plattform zum Matching von Erzeugern und Verbrauchern:

Der Erfolg von Energy Sharing nach § 42c EnWG hängt stark davon ab, dass Verbraucher passende Anlagenbetreiber finden, deren lokale Erzeugung gut ihren Verbrauch deckt. Eine Plattform, die das Matching von Erzeugern und Verbrauchern auf Basis ihrer Lastprofile automatisiert, würde für alle Teilnehmer einen deutlichen Mehrwert liefern.

Rechtliche Hilfestellung beim Abschluss von Verträgen zwischen Anlagenbetreibern und Verbrauchern:

Insbesondere Musterverträge oder eine automatisierte Vertragserstellung könnten hier einen erheblichen Mehrwert liefern.

Abwicklung der Lieferantenpflichten im Auftrag der Anlagenbetreiber:

Da Anlagenbetreiber nicht von allen Lieferantenpflichten befreit sind, ist zu erwarten, dass in diesem eine große Nachfrage für Dienstleistungen entstehen wird. Folgende Prozesse müssen dabei unter anderem abgebildet werden:

  • Bilanzkreisverantwortung für die geteilten Energiemengen
  • Abrechnung der geteilten Energiemengen (inklusiv Verantwortung für Abführung von Netzentgelten, Steuern, Abgaben, Umlagen)
  • Optional: Direktvermarktung des Überschussstroms

Die erhöhte Komplexität bei der Bilanzierung und der Abrechnung der geteilten Energiemengen ermöglicht ebenfalls neue Opportunitäten für innovative Lösungsansätze und Produkte, wie zum Beispiel virtuelle Bilanzkreise.

Vertrieb von Speicher-, Energiemanagement- und Aggregationslösungen

Um das volle Potenzial von Energy Sharing zu nutzen, können Verbraucher einen Anbieter von Energiemanagementlösungen beauftragen, um ihre flexiblen Verbraucher zur Maximierung des Verbrauchs von lokalem Strom zu steuern. Darüber hinaus kann dieser auch als Aggregator agieren und die Flexibilitäten auf verschiedene weitere Weisen vermarkten, beispielsweise für Systemdienstleistungen.

Auch die Investition in Speicherlösungen kann durch die Teilnahme an Energy-Sharing-Verträgen angereizt werden. Es ist zu erwarten, dass die Teilnahme an Energy Sharing mit einem starken Interesse für Speicher-, Energiemanagement- und Aggregationslösungen verbunden sein wird, wodurch hier interessante Geschäftsopportunitäten entstehen werden. Eine gezielte Vertriebsstrategie, die auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden an Energy Sharing eingeht, sollte entwickelt werden.

Perspektiven für Energiegenossenschaften und Bürgerenergiegesellschaften

Energiegenossenschaften und Bürgerenergiegesellschaften dürfen im neuen Gesetzentwurf explizit Strom an ihre Mitglieder liefern. Diese Umsetzung des gemeinschaftlichen Eigenverbrauchs in das deutsche Recht bietet für die über 1.000 deutschen Energiegenossenschaften [7] spannende Entwicklungsperspektiven.

Der direkte Verbrauch des Stroms kann für Mitglieder der Genossenschaft wirtschaftlicher sein als seine Vermarktung. Da die prozessuale Umsetzung des gemeinschaftlichen Eigenverbrauchs jedoch mit neuen Verantwortungen verbunden ist, muss diese Weiterentwicklung im Vorfeld sorgfältig geplant werden.

Fazit und Rolle der FfE

Zusammengefasst bietet die Umsetzung von Energy Sharing ins deutsche Recht das Potenzial für innovative Geschäftsmodelle für Stromlieferanten oder Energy-Service-Anbieter, sowie Weiterentwicklungsperspektiven für Energiegenossenschaften.

Besonders interessant sind die Geschäftsmodelle auch in Kombination. Zum Beispiel können Gesamtlösungen aus Reststromverträgen und HEMS-Lösungen und Flexibilitätsvermarktung für Verbraucher besonders attraktiv sein.

Die FfE verfolgt seit vielen Jahren die regulatorischen und technologischen Entwicklungen im Bereich Energy Sharing (zum Beispiel in den Projekten InDEED und PEAK)  und kann auf zahlreiche Erfahrungen bei der Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle zurückgreifen.

Mit diesem Gesamtüberblick stehen wir in der perfekten Position, um in kommenden Jahren die Entwicklung von konkreten Geschäftsmodellen im Bereich Energy Sharing zu begleiten. Wir bieten Beratungsdienstleistungen an, um für jedes Unternehmen, auf Basis des existierenden Portfolios und der vorhandenen Expertise personalisierte Geschäftsmodelle und Entwicklungs-Roadmaps zu entwickeln.

Literatur:

[1] Wiesenthal, J., Aretz, A., Ouanes, N., & Petrick, K. (2022, Mai). Energy Sharing: Eine Potenzialanalyse. Gemeinschaftlich Strom im Verteilnetz erzeugen und nutzen: Eine Studie  zum Umsetzungsvorschlag im Rahmen von Artikel 22 der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU. Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). https://www.ioew.de/fileadmin/user_upload/BILDER_und_Downloaddateien/Publikationen/2022/Energy_Sharing_Eine_Potenzialanalyse_1.pdf

[2] Ritter, D., Bauknecht, D., Fietze, D., Klug, K., & Kahles, M. (2023). Energy Sharing: Bestandsaufnahme und Struktu-rierung der deutschen Debatte unter Berücksichtigung des EU-Rechts. Umweltbundesamt. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/energy-sharing

[3] Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt (EMD III) EUR-Lex – 02019L0944-20240716 – EN – EUR-Lex

[4] Richtlinie (EU) 2018/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (RED II) Richtlinie – 2018/2001 – EN – EUR-Lex

[5] Bundesregierung – Mehr Photovoltaik mit Solarpaket | Bundesregierung

[6] BMWK – BMWK – Bundeskabinett beschließt Vorhaben im Energiebereich und für innovationsfreundliche Rahmenbedingungen

[7] DGRV-  Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. – Survey_Energy_Cooperatives_2024