10.10.2022

Emissionsbilanzierung: Wann zählt Wasserstoff als „grün“?

Wasserstoff wird in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten. Die Weichen für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft werden aktuell durch die Politik gestellt: So legt ein delegierter Rechtsakt auf EU-Ebene fest, wie Wasserstoff zu bilanzieren ist und bis zu welchem Emissionsgrenzwert dieser als klimaschonend, beziehungsweise „grün“, gilt. Die vorgeschlagene Methodik zur Emissionsbilanzierung von Wasserstoff folgt zwar einem Lebenszyklusgedanken, weicht aber von der etablierten Ökobilanz-Methodik (engl. Life Cycle Assessment – LCA) ab. Die Wahl der Bilanzierungsmethodik führt somit bei der Elektrolyse zu einer unterschiedlichen Bewertung der Klimawirkung von Wasserstoff. Dies hat insofern Praxisrelevanz, da die gewählte Bilanzierungsmethodik z. B. im Zuge der EU Taxonomie entscheidend sein kann, um die in den Regularien vorgeschriebenen Grenzwerte einzuhalten.

In der seit 2018 in Kraft getretenen RED II wird in Artikel 25 auf einen delegierten Rechtsakt (Delegated Act, DA) zu gasförmigen und flüssigen Kraftstoffen nicht-biogenen Ursprungs verwiesen, der eine Methode für Bilanzierung von Treibhausgasemissionen enthält. Diese ist somit maßgebend, wenn Wasserstoff als Kraftstoff im Transportsektor eingesetzt wird. Der erste Entwurf wurde im Mai 2022 vorgelegt und ist in angepasster Form seit Februar 2023 von der EU Kommission verabschiedet. Die EU Taxonomie verweist ebenfalls auf diesen DA. Dort wird ein fester Grenzwert für Wasserstoff festgelegt, jedoch kann für die Methodik der Bilanzierung u. a. zwischen der Methodik gemäß DA und dem ganzheitlichen LCA Ansatz nach ISO 14040/44 bzw. 14067 (Konkretisierung für Carbon Footprint) gewählt werden. Im Folgenden werden daher die Unterschiede in der Emissionsbilanzierung zwischen der im DA vorgeschlagenen Methodik und einer klassischen LCA untersucht und abgeleitet, welche Auswirkung sich daraus für die Praxis ergeben.

LCA Bilanzierung liefert höheren CO2-Fußabdruck von Wasserstoff als DA Bilanzierung

Ein wesentlicher Unterschied in der Methodik liegt in der betrachteten Systemgrenze. Grundsätzlich werden Treibhausgasemissionen entlang des gesamten Lebenszyklus, beginnend bei der Gewinnung von Rohstoffen und Energie für den Prozess, über die Produktion bis hin zu Verbrennung bilanziert. Während die DA Methodik jedoch Maschinen und Anlagen aus der Systemgrenze ausschließt, bilanziert die LCA alle Lebensphasen einschließlich des Anlagenbaus. Dieser methodische Unterschied ist in Abbildung 1 dargestellt.

Systemgrenze, Emissionsbilanzierung, Wasserstoff, Delegated Act
Abbildung 1: Unterschiede in der Systemgrenze für die Emissionsbilanzierung zwischen DA und LCA.

Um die Auswirkungen dieses methodischen Unterschieds aufzuzeigen, berechnen wir den CO2-Fußabdruck für Wasserstoff aus Elektrolyse nach DA und LCA. Dabei werden unterschiedliche Stromquellen betrachtet, da diese im Fall der Elektrolyse der wichtigste Einflussfaktor für die Klimawirkung von Wasserstoff ist [1].

Abbildung 2 zeigt das Treibhauspotenzial (GWP 100a) in Kilogramm CO2-Äquivalenten (CO2-Äq.) pro Kilogramm produzierten Wasserstoffs. Da der Bau und die Entsorgung der Anlagen im DA nicht bilanziert sind, ist die Klimawirkung durchweg geringer als unter Anwendung einer vollständigen LCA. Es ist klar erkennbar, dass sogenannter gelber Wasserstoff, der mit dem deutschen Strommix in 2018 produziert wurde, den Grenzwert um ein Vielfaches übersteigt. Für die LCA wird der Emissionsfaktor des Strommixes inklusive Vorketten (538 g CO2-Äq./kWh) aus [2] verwendet, während für den DA der vorgegebene Wert im Annex des Entwurfs (446 g CO2-Äq./kWh) hergenommen wird [3].

Vor allem bei erneuerbaren Energien zeigen sich die Unterschiede zwischen den beiden Bilanzierungsmethoden für Wasserstoff deutlich: Im DA verursacht Strom aus erneuerbaren Energien keine Klimawirkung, da die Anlagen nicht berücksichtigt werden. Daher ist die gesamte Klimawirkung des Wasserstoffs nahezu null. In einer vollständigen LCA werden jedoch auch die Ressourcen und Energie, die für den Anlagenbau benötigt werden, sowie das End-of-Life bilanziert. Besonders der höhere Emissionsfaktor von Photovoltaik (PV)-Anlagen führt zu einem wesentlich höheren CO2-Fußabdruck im Falle einer ganzheitlichen LCA-Betrachtung. Neben der Auswahl der Methodik spielt auch die Wahl der Datengrundlage eine entscheidende Rolle. Für PV-Anlagen in Deutschland zeigen aktuelle Daten aus [4] einen deutlichen Vorteil gegenüber generischen Daten der weitverbreiteten LCA-Datenbank ecoinvent 3.8 [5]. Es zeigt sich, dass die Einhaltung des im DA vorgegebenen Grenzwerts von den hinterlegten LCA Daten abhängig ist. Somit kann es passieren, dass selbst mit reinem Solarstrom produzierter Wasserstoff nicht mehr als „grün“ gilt.

Emissionsbilanzierung, Treibhausgaspotential, Wasserstoff, EU-Taxonomie Grenzwert
Treibhauspotential von Wasserstoff, produziert durch Elektrolyse, mit unterschiedlichen Stromquellen und Bilanzierungsmethoden (LCA: Life Cycle Assessment; DA: Delegierter Rechtsakt) und unter Anwendung verschiedener Datenquellen für die Vorkettenemissionen von Solarstrom (ecoinvent 3.8 [5]; UBA: Umweltbundesamt 2021 [4])

Der Grenzwert muss zur Emissionsbilanzierungsmethodik passen

Grundsätzlich stellt die DA-Methodik zur Emissionsbilanzierung von Wasserstoff eine vereinfachte Methode im Vergleich zur LCA dar, da Anlagen nicht bilanziert werden müssen. Allerdings ist die Wahlfreiheit der Bilanzierungsmethode in der EU Taxonomie als kritisch einzustufen. Im Praxisfall ist eine Wasserstoffbilanzierung nach DA aus Herstellersicht einer LCA vorzuziehen, da diese zu einem geringeren CO2-Fußabdruck führt. Da jedoch nur ein Grenzwert vorgegeben ist, kann derselbe Wasserstoff, abhängig von der Methode, einmal als grün bilanziert werden und einmal das Nachhaltigkeitskriterium verfehlen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass dies durchaus für die Praxis relevant ist: Denn auch wenn bei der Elektrolyse nur Solarstrom zum Einsatz kommt, wird der Grenzwert im Falle einer LCA mit Werten aus einer geläufigen LCA-Datenbank überschritten. Wird derselbe Prozess hingegen nach den Vorgaben des DA bilanziert, wird der Grenzwert eingehalten. Im Kontext der EU Taxonomie wird sich daher die DA-Methodik zur Emissionsbilanzierung von Wasserstoff durchsetzen, obwohl in anderen Geschäftsbeziehungen eine Bilanzierung nach ISO-Norm Standard ist. Dies kann dazu führen, dass Unternehmen ein und dasselbe Produkt nach unterschiedlichen Methoden bilanzieren und dadurch zusätzlicher Aufwand entsteht.

Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass die Regulierung durch Vorgabe von Grenzwerten für die Klassifizierung von nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten eine wichtige Rolle für die Dekarbonisierung der Wirtschaft spielt. Dabei ist es wichtig, die Methodik der Emissionsbilanzierung für Akteure der Wirtschaft in der Praxis umsetzbar zu gestalten. Zusätzlich sollte jedoch gewährleistet sein, dass ein angesetzter Grenzwert auch immer zur gewählten Methodik der Emissionsbilanzierung passt, was z.B. im Falle der EU Taxonomie durch die Wahlfreiheit nicht gegeben ist.

Diese Analyse ist im Rahmen des Transferforschungsprojekts Trans4ReaL (FKZ: 003EWT001A) entstanden, welches die Reallabore der Energiewende im Bereich Wasserstoff wissenschaftlich begleitet. Die Auswertung dient als Diskussionsgrundlage für die Emissionsbilanzierung von „grünem“ Wasserstoff.

Literatur

[1] FfE (2021). Ökobilanzen synthetischer Kraftstoffe – Methodikleitfaden
http://ffe.de/wp-content/uploads/2018/06/20210906_Methodikleitfaden_BEniVer.pdf.

[2] Umweltbundesamt (2022). Entwicklung der spezifischen Treibhausgas-Emissionen des deutschen Strommix in den Jahren 1990 – 2021 https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2022-04-13_cc_15-2022_strommix_2022_fin_bf.pdf.

[3] European Commission (2022). Delegated Act supplementing Directive (EU) 2018/2001 of the European Parliament and of the Council by establishing a minimum threshold for greenhouse gas emissions savings of recycled carbon fuels and by specifying a methodology for assessing greenhouse gas emissions savings from renewable liquid and gaseous transport fuels of non-biological origin and from recycled carbon fuels (Draft from May 2022)
https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/12713-Renewable-energy-method-for-assessing-greenhouse-gas-emission-savings-for-certain-fuels_en.

[4] Umweltbundesamt (2021). Aktualisierung und Bewertung der Ökobilanzen von Windenergie- und Photovoltaikanlagen unter Berücksichtigung aktueller Technologieentwicklungen https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikationen/2021-05-06_cc_35-2021_oekobilanzen_windenergie_photovoltaik.pdf.

[5] The ecoinvent Database, Version 3.8: www.ecoinvent.org; Zürich: ecoinvent, 2022.