Einführung von bidirektionalem Laden im europäischen Energiesystem: Eine Lebenszyklusanalyse
Wie wirkt sich die großflächige Integration von Flexibilitätspotenzialen aus batterieelektrischen Fahrzeugen (BEVs) endogen auf die Umweltwirkungen des Energiesystems aus?
Im BDL Next Projekt sind wir dieser Frage nachgegangen, indem wir einen Ökobilanzierungsansatz (LCA) auf die endogenen Unterschiede in der Modellierung des zukünftigen europäischen Energiesystems angewendet haben, die durch bidirektionales Laden induziert werden. Die vollständige Studie wurde im Rahmen der 14. Internationalen Energiewirtschaftstagung (IEWT) an der TU Wien veröffentlicht und ist im Download-Bereich am Ende des Beitrags zu finden.
Highlights:
- Von 2025 bis 2050 könnte bidirektionales Laden die Treibhausgas (THG)-Emissionen des europäischen Energiesystems um 55 Mio. t CO₂-Äq. und dessen Metallressourcenverbrauch um 282 Mio. t Fe-Äq. senken.
- Mittelfristig könnte bidirektionales Laden jedoch zu einem Anstieg an THG-Emissionen führen.
- Die THG-Emissionseinsparungen sind im Vergleich zu aktuellen Emissionsmengen marginal: 0,02 % der verbrennungsbedingten Emissionen des Energiebereitstellungssektors in der EU-27 im Jahr 2022 [1].
- Die Einsparungen beim Verbrauch von Metallressourcen könnten im Hinblick auf den zukünftigen Bedarf erheblich sein: 21 % des vorgeschlagenen durchschnittlichen Bedarfs an Metallressourcen für die Dekarbonisierung des europäischen Stromsektors aus [2].
- 2 % der THG-Emissionen und 14 % des Metallverbrauchs, die durch die Produktion eines BEV [3] entstehen, können durch eine bidirektionale Nutzung des Fahrzeugs im Energiesystem wieder vermieden werden.
Motivation: BEVs können Flexibilität in intelligenten Energiesystemen bereitstellen
Um eine erfolgreiche Integration erneuerbarer Energien (EE) zu gewährleisten, könnte bidirektionales Laden zur Lastflexibilisierung und zur kurzfristigen Stromspeicherung im intelligenten Energiesystem von morgen dienen und so andere Stromspeicheroptionen wie stationäre Batterieenergiespeichersysteme (BESS) ersetzen. Der großflächige Einsatz von bidirektionalem Laden wirkt sich endogen auf das Energiesystem und dessen Wirkungen auf die Umwelt aus. Die Studie verschafft einen umfassenden Einblick über die langfristigen ökologischen Wirkungen des Einsatzes von BEVs als flexible Speichermöglichkeit im europäischen Energiebereitstellungssektor. Die Ergebnisse geben Aufschluss über das Treibhauspotenzial (global warming potential, GWP) und die Metallerschöpfung (metal depletion, MD), die sich aus Unterschieden in installierten Kapazitäten und im Primärenergieverbrauch, im Vergleich zu einem System ohne unidirektionales gesteuertes Laden (V1G) und Vehicle-to-Grid (V2G) von 2025 bis 2050, ergeben.
Wie wirkt sich bidirektionales Laden auf das zukünftige europäische Energiesystem aus?
Für die Studie wurden zwei kostenoptimierte net-zero „ISAaR“-Energiesystemmodellszenarien mit gleichen zugrunde liegenden Annahmen, mit Ausnahme der Möglichkeit, die verfügbare BEV-Flotte für Flexibilisierungszwecke durch V1G und V2G zu nutzen, verglichen.
Unterschiede in den zugebauten Kapazitäten (Abb. 1):
Die großflächige Implementierung von bidirektionalen Ladestrategien ersetzt stationäre 1st und 2nd life BESS aufgrund ihrer geringeren Kosten. Nahezu der gesamte Bedarf an batteriebasierten Speichern wird durch eine bidirektionale Integration von BEVs in das Energiesystem abgedeckt. Dies erhöht das Gesamtspeicherpotenzial im Energiesystem und ermöglicht so eine schnellere Integration von PV-Kapazitäten. Die bessere Integration von EE erklärt auch den zusätzlichen Bau von Wasserstoffspeichern in den Zeitschritten 2026–2030 und 2046–2050, da mehr Elektrolyse in Stunden mit niedrigen Strompreisen betrieben wird.
Unterschiede im Primärenergieverbrauch (Abb. 2):
In einem System ohne BEV-Integration wird in den Jahren bis 2040 ein kleiner Teil des Verbrauchs an fossilem Öl durch grüne SynFuels ersetzt. Die Substitution ist notwendig, um die Emissionsreduktionsziele in einem solchen System zu erreichen, und gleicht die bessere Integration von EE aufgrund der höheren Flexibilität durch BEVs aus. Nach 2040 bleiben die Unterschiede marginal aber CCS-Unterschiede treten auf, um die Emissionsziele zu erreichen.
Welche Wirkungen haben die Unterschiede im zukünftigen Energiesystem auf die Umwelt?
Den betrachteten Szenarien zufolge kann die großflächige Implementierung von V1G und V2G im europäischen Energiesystem bis 2050 Einsparungen von 54,5 Mio. t CO₂-Äq. an THG-Emissionen (Abb. 3) und 282,3 Mio. t Fe-Äq. an Metallressourcen (Abb. 4) ermöglichen. Mittelfristig ist jedoch ein Anstieg des GWP zu beobachten, was auf den beschleunigten Zubau von EE-Anlagen und somit zusätzlich anfallenden Produktionsemissionen sowie den geringeren Importen an grünen SynFuels zurückzuführen ist. Da die Klimaziele langfristig erreicht werden, wird dieser Effekt bis 2050 größtenteils ausgeglichen. Der Break-Even wird voraussichtlich um das Jahr 2042 erreicht.
Im Vergleich zu einem System ohne bidirektionales Laden liegt der wesentliche Unterschied darin, dass die großflächige Installation stationärer BESS-Kapazitäten vermieden wird. Auch wenn die installierten Gesamtkapazitäten für BEV-basierte Flexibilität viel höher sind, sind dessen Umweltwirkungen viel geringer als bei BESS-basierten Speichern aufgrund von Einsparungen bei der Produktion von Batterien und Containern. Die zusätzlichen GWP- und MD-Wirkungen der technologischen Anforderungen an die bidirektionale Ladeinfrastruktur sind deutlich weniger bedeutend.
Sensitivitätsanalyse: Hat Batteriealterung einen Einfluss auf die Ergebnisse?
V2G wird oft nachgesagt, dass es die Degradation der Fahrzeugbatterie aufgrund der Zunahme der Lade- und Entladezyklen beschleunigt [4]. Auf der anderen Seite kommen einige Studien zu dem Schluss, dass V2G für die Batteriealterung von Vorteil sein könnte, wenn der Ladebetrieb durch ein Batteriemanagement optimiert wird [5]. Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse aus der Literatur wurde eine Spanne von ± 5 % für die Bewertung der Veränderungen des Kapazitätsabfalls von BEV-Batterien ermittelt, die durch V2G im Vergleich zu ungesteuertem Laden hervorgerufen werden. Diese Spanne wurde auf die Differenz in installierter V2G-Kapazität im Energiesystem angewendet, um die Emissionen der Batteriealterung zu bewerten, die auf den bidirektionalen Einsatz von BEVs im Energiesystem bis 2050 zurückzuführen sind.
Unter Berücksichtigung dieser Veränderungen bei den V2G-Kapazitätsemissionen variieren die Gesamteinsparungen bei GWP und MD bis 2050 erheblich (Abb. 5). Es wurde jedoch kein Sensitivitätsfall gefunden, der absolut zu zusätzlichen Umweltwirkungen durch bidirektionales Laden im Energiesystem führt.
Interesse an der Analyse?
Für die Implementierung der LCA wurde ein automatisiertes Python-basiertes Tool entwickelt, das zur Untersuchung anderer Szenarien und Technologien in zukünftigen Studien eingesetzt werden kann.
Weitere Informationen:
- Wie tragen bidirektionale Ladestrategien zu einem klimaneutralen Energiesystem bei?
- Vergleichende Untersuchung der Umweltwirkungen von IKT für das intelligente Laden von Elektrofahrzeugen in Deutschland
- Grünes Licht für bidirektionales Laden? Ökobilanz von einhergehenden Netzrückwirkungen
- Zukünftige Emissionsfaktoren für die Setzung von Treibhausgas-Zielen und die Bewertung von Dekarbonisierungsmaßnahmen
Literatur:
[1] European Environment Agency (2024). EEA greenhouse gas – data viewer. Available online at https://www.eea.europa.eu/data-and-maps/data/data-viewers/greenhouse-gases-viewer, updated on 8/13/2024, checked on 11/22/2024.
[2] Xu, L., Wang, Z., Yilmaz, H. Ü., Poganietz, W.‑R., Ren, H., & Guo, Y. (2021). Considering the Impacts of Metal Depletion on the European Electricity System. Energies, 14(6), 1560. https://doi.org/10.3390/en14061560.
[3] Sacchi, R., Bauer, C., Cox, B., & Mutel, C. (2022). When, where and how can the electrification of passenger cars reduce greenhouse gas emissions? Renewable and Sustainable Energy Reviews, 162, 112475. https://doi.org/10.1016/j.rser.2022.112475.
[4] Etxandi-Santolaya, M., Canals, L., Montes, T., & Corchero, C. (2023). Are electric vehicle batteries being underused? A review of current practices and sources of circularity. Journal of Environmental Management, 338, 117814. https://doi.org/10.1016/j.jenvman.2023.117814.
[5] Gong, J., Wasylowski, D., Figgener, J., Bihn, S., Rücker, F., Ringbeck, F., & Sauer, D. U. (2024). Quantifying the impact of V2X operation on electric vehicle battery degradation: An experimental evaluation. ETransportation, 20, 100316. https://doi.org/10.1016/j.etran.2024.100316.