08.02.2023

Beitragsreihe Use-Case- und Geschäftsmodellentwicklung an der FfE: Der FfE-Leitfaden zur Geschäftsmodellentwicklung

Das Standardvorgehen in vielen Forschungsprojekten ist es, zu Projektbeginn mit allen Projektpartnern gemeinsam das Vorhaben in sogenannten Use Cases festzuhalten. Diese werden über mehrere Workshops und Diskussionsrunden hinweg entwickelt. Doch warum ist dieser sehr methodische Prozess für die Projektarbeit so wichtig, wo doch in Umsetzungsprojekten alle Partner möglichst schnell in die technische Entwicklung und Feldversuch-Planung starten wollen? Warum ist die Erarbeitung von Use Cases so zentral? Wie können Use Cases zur Geschäftsmodellentwicklung beitragen? Und was ist ein Use Case überhaupt? Diese und weitere Fragen werden in der fünfteiligen Beitragsreihe zur Use-Case- und Geschäftsmodellentwicklung an der FfE beantwortet.

Nachdem im vorangegangenen Beitrag erklärt wurde, warum Geschäftsmodelle auch in der Energiewirtschaft eine hohe Relevanz besitzen, stellt sich nun die Frage, wie sich Geschäftsmodelle zielgerichtet und effizient für die Energiewirtschaft der Zukunft entwickeln lassen. Welche Methoden sind dafür hilfreich und was muss beachtet werden? Um diese Fragen zu beantworten haben wir den FfE-Leitfaden zur Geschäftsmodellentwicklung erstellt, der Struktur und Standards während des Entwicklungsprozesses ermöglicht.

Möglichkeiten der Geschäftsmodellentwicklung

Da die Entwicklung von Geschäftsmodellen in vielen Fällen abstrakt und vielschichtig ist, empfehlen wir, auf etablierte Modelle und Methoden zurückzugreifen. In Literatur und Forschung finden sich viele methodische Ansätze, um den Prozess der Geschäftsmodellentwicklung anzuleiten. In diesem Abschnitt wollen wir auf die für die Energiewirtschaft wichtigsten Methoden und Modell eingehen und einen kurzen Überblick über grundsätzliche Vorgehensweisen geben. Dabei ist das Ziel der Geschäftsmodellentwicklung in der überwiegenden Anzahl an Fällen dasselbe: Die eindeutige Definition des Geschäftsmodells mit Fokus auf dem Wertversprechen für relevante Kundensegmente sowie der Konkretisierung des Erlöskonzepts unter Einbezug der erwarteten Kosten. Die Identifikation und Beschreibung wichtige Partnerschaften und Stakeholder ist in den meisten Fällen ebenfalls Teil des Entwicklungsprozesses.

Nach [1] umfasst ein solches strukturiertes Vorgehen die Schritte

  • Initiierung eines Geschäftsmodells,
  • Ideenfindung und -bewertung,
  • Entwicklung einer Geschäftsmodell-Vision & eines -Prototypen,
  • (Test-) Implementierung des Geschäftsmodells und
  • Erweiterung eines Geschäftsmodells.

Für den Schritt der Geschäftsmodell-Initialisierung existieren wenige konkrete Methodiken. An der FfE nutzen wir vor allem den Prozess der Use-Case-Entwicklung (siehe Beitrag 2), um kreative Geschäftsideen zu fördern. Für die Schritte der Ideenfindung und -bewertung sowie die Entwicklung einer Geschäftsmodell-Vision existieren verschiedene Methodiken, wie beispielsweise das Storytelling, die SWOT-Analyse, die Szenario-Technik, die Fragebogen-Erhebung, die Risikoanalyse, das Business Model Canvas, der St. Galler Business Modell Navigator oder die Kosten-Nutzen-Analyse. Die Strukturierung dieser Schritte und die Auswahl für das jeweilige Anwendungsfall geeigneter Methoden stellt die wesentliche Herausforderung einer erfolgreichen Geschäftsmodellentwicklung dar. Genau dieser Herausforderung wird durch den FfE-Leitfaden begegnet, um den Kernschritten der Geschäftsmodellentwicklung Struktur zu verleihen. In der Energiewirtschaft ist es aus unserer Sicht nicht immer notwendig oder zielführend, einen Geschäftsmodell-Prototypen zu entwickeln. Eine Test-Implementierung sollte jedoch nach ausreichender Konkretisierung definitiv Teil des Entwicklungsprozesses sein. Die Erweiterung des Geschäftsmodells ist optional und kann je nach Umständen zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Über die von [1] definierten Schritte hinaus schließt die Geschäftsmodellentwicklung nach unserer Definition auch die Identifikation von möglichen Umweltwirkungen und gesellschaftliche Aspekte mit ein. So wird der Fokus, der in der Vergangenheit nahezu ausschließlich auf der Wirtschaftlichkeit lag, auf zusätzliche, aus heutiger Sicht mehr und mehr relevante Aspekte erweitert.

Aus Sicht der Forschung ergeben sich zwei Bereiche, in denen Wissenschaftler:innen den Prozess der Geschäftsmodellentwicklung unterstützen können. Erstens können Forschungsinstitute, wie die FfE, die Entwicklung von Geschäftsmodellen für Partner aus der Praxis anleiten und durch ihre Methodenkompetenz unterstützen. Zweitens besteht die Möglichkeit, forschungsbasiert Geschäftsmodelle aus Sicht relevanter Akteure zu entwickeln, um diese untereinander vergleichen zu können und damit einen Beitrag zu etwaigen wissenschaftlichen Fragestellungen zu leisten. In beiden Bereichen hat die FfE in der Vergangenheit Kompetenzen aufgebaut und ist stetig dabei, weitere Erfahrungen zu sammeln. Grundlegender Baustein für den Link zwischen Wissenschaft und Praxis ist für uns dabei der FfE-Leitfaden zur Geschäftsmodellentwicklung, der nachfolgend im Detail beschrieben wird.

Der FfE-Leitfaden

Zur Strukturierung der Geschäftsmodellentwicklung schlagen wir ein Vorgehen bestehend aus sechs Schritten vor, dass spezielle für die Energiewirtschaft entwickelt wurde. Der sogenannte FfE-Leitfaden zur Geschäftsmodellentwicklung beinhaltet ausgewählte Methoden, die einen einfachen, effizienten Entwicklungsprozess ermöglichen und gleichzeitig die für energiewirtschaftliche Unternehmen wichtigsten Aspekte in den Fokus rücken. Die folgende Abbildung zeigt die von uns definierten Schritte und die je Schritt zum Einsatz kommenden Methoden.

Abbildung 1: Die sechs Schritte des FfE-Leitfadens zur Geschäftsmodellentwicklung

Als Ausgangspunkt des Leitfadens dienen final ausgefüllte Use-Case-Steckbriefe (nach der standardisierten Vorlage, siehe Beitrag 2. ). Ein eindeutiges Use-Case-Verständnis ist von sehr wichtiger Bedeutung, um grundlegende Fragen zur Rollenverteilung und Prozessabläufen nicht erst in späteren Schritten der Entwicklung zu besprechen. Im zweiten Schritt des Leitfadens werden das Umfeld und relevante Schnittstellen der Use Cases diskutiert. Hierfür kann das Value Creation Design und/ oder das e3-Value Model als methodische Hilfestellung genutzt werden [2]. Mittels Value Creation Design werden für die Umsetzung der Use Cases relevante Schlüsselpartner und entsprechende Schnittstellen identifiziert. Das e3-Value Model dient dem eindeutigen Verständnis des Ablaufs bei Umsetzung des entsprechenden Use Cases. Da das e3-Value Model teil der FfE Use-Case-Steckbrief-Vorlage ist, sollte eine entsprechende Darstellung bereits erarbeitet worden sein.

Mit dem dritten Schritt des Leitfadens beginnt die eigentliche Geschäftsmodellentwicklung. Zunächst sollten für die identifizierten Use Cases relevante Kundensegmente diskutiert werden. Unter Einnahme der Perspektive des Kunden kann der Mehrwert, der je Segment durch Umsetzung des Geschäftsmodells geschaffen werden soll, herausgestellt werden. Je nach Komplexität und Wissensstand empfehlen wir die Verwendung des Value Proposition Canvas für diesen Prozess. Alternativ kann ein gemeinschaftlicher, moderierter Brain-Storming-Prozess angestoßen werden. Basierend auf den identifizierten Wünschen, Anforderungen, und Nöten der Kundensegmente wird in diesem Schritt die eigentliche Geschäftsidee erarbeitet. Unser Vorschlag an dieser Stelle ist ein gemeinschaftliches Ausformulieren der Geschäftsidee in nicht mehr als zwei Sätzen.

Der vierte methodische Schritt stellt das Herzstück der Geschäftsmodellentwicklung dar. Nun werden alle für das Geschäftsmodell relevanten Aspekte besprochen und ausdefiniert. Um keinen Teilbereich des Geschäftsmodells zu vernachlässigen und das Geschäftsmodell übersichtlich und nachvollziehbar zu beschreiben, hat sich die Entwicklung eines Canvas etabliert. In einem solchen Canvas ist für jeden relevanten Aspekt eine Box dargestellt, in die die jeweils besprochenen Inhalte in Form von Stichpunkten oder Notizzetteln eingefügt werden können, sodass sich ein solches Canvas insbesondere für gemeinsame Workshops eignet. Das bekannteste Canvas zur Geschäftsmodellentwicklung ist das Business Model Canvas nach Osterwalder et al. [3] [4], welches das Geschäftsmodell in neun Teilaspekte (Boxen) darstellt. Das Business Model Canvas hat sich vor allem aufgrund des einfachen Vorgehens etabliert. Da aus unserer Sicht gerade in der Energiewirtschaft Aspekten der Nachhaltigkeit, der Ressourcennutzung und der gesellschaftlichen- und sozialen Auswirkungen eines Geschäftsmodells heute und in Zukunft eine sehr große Relevanz zukommt, die im Business Model Canvas nicht oder nur zu Teilen adressiert werden, schlagen wir eine alternative Darstellungsart vor. Das Flourishing Business Canvas [5] [6] erweitert die im Business Model Canvas adressierten wirtschaftlichen Aspekte um eine gesellschaftliche und eine Umwelt-Komponente. Die insgesamt 16 zu diskutierenden Aspekten sind in  Abbildung 5‑2 dargestellt. Zwar erhöht sich durch die Verwendung des Flourishing Business Canvas der Aufwand dieses Schrittes; Da die zusätzlichen Aspekte jedoch heutzutage ohnehin im Rahmen einer Geschäftsmodell-Umsetzung adressiert werden müssen, ist die Diskussion und Konkretisierung in diesem frühen Stadium des Prozesses aus unserer Sicht sehr effizient und mehrwertstiftend.

Abbildung 2: Das Flourishing Business Canvas nach [5] [6] zur Geschäftsmodell-Darstellung

Als optionaler fünfter Schritt der Geschäftsmodellentwicklung kann eine erste Einordnung der Stärken und Schwächen des Geschäftsmodells vorgenommen werden. Neben wirtschaftlichen Aspekten können hier ebenfalls gesellschaftlich-soziale und Umwelt- bzw. Nachhaltigkeitsaspekte erörtert werden. Ein probates und wirkungsvolles Tool zur Durchführung dieses Schrittes ist die SWOT-Analyse, mit der Stärken, Schwächen, Möglichkeiten und Gefahren erarbeitet werden können [7]. Durch die Durchführung dieses Schrittes bekommen die an der Entwicklung beteiligten Personen eine erste Indikation bezüglich der Herausforderungen und Potenziale des entwickelten Geschäftsmodells.

Als sechsten und finalen Schritt des Leitfadens schlagen wir eine Kurzbeschreibung des entwickelten Geschäftsmodells vor, in der die wichtigsten Aspekte ausformuliert werden. Sinn dieses Schrittes ist die Reduzierung des Geschäftsmodells auf die relevanten Komponenten und Prozesse sowie die Rekapitulation des Erarbeiteten. An der FfE haben wir zu diesem Zweck eine Vorlage zur Geschäftsmodell-Kurzbeschreibung erarbeitet, durch die auch dieser Schritt standardisiert durchführbar ist.

Der FfE-Leitfaden zur Geschäftsmodellentwicklung wurde maßgeblich im Rahmen des Forschungsprojektes „Bidirektionales Lademanagement (BDL)“, das durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert wird, entwickelt.

Einsatzgebiete des Leitfadens

Der Leitfaden dient in erster Linie als methodische Orientierungshilfe bei der Geschäftsmodellentwicklung. An der FfE wird der Leitfaden vor allem genutzt, um gemeinsam mit Partnerunternehmen aus Forschungs- und Dienstleistungsprojekten zeitaktuelle Geschäftsmodellideen auszuarbeiten bzw. zu konkretisieren. Die so entwickelten Geschäftsmodelle ermöglichen zum einen die Übersetzung von wissenschaftlicher Theorie in die Praxis. Zum anderen können sie als Grundlage für weitere Forschungsaktivitäten genutzt werden, beispielsweise um den Fokus von Modellweiterentwicklungen zu definieren.

Im Projekt „Bidirektionales Lademanagement (BDL)“ hat die FfE bereits exemplarische Geschäftsmodelle methodisch entwickelt, um diese anschließend vergleichend bewerten zu können. Ähnlich wurde in den Projekten „Me – München elektrisiert“ und „TradeEVs“ verfahren. Hier wurden mögliche Geschäftsmodelle, welche für die relevanten Akteure in Frage kommen, aufgestellt und eingeordnet. Zukünftig werden wir sowohl weiterhin Geschäftsmodelle in Forschungsprojekten (bspw. im Projekt „Trans4Real“) entwickeln, als auch die methodisch-wissenschaftliche Unterstützung bei der Geschäftsmodellentwicklung in Dienstleistungsprojekten fokussieren.

Literatur

[1] Hornung-Prähauser, Veronika et al.: Methoden zur Geschäftsmodell-Entwicklung für AAL-Lösungen durch Einbeziehung der EndanwenderInnen. Salzburg: Salzburg Research GmbH, 2015.

[2] Gordijn, Jaap et al.: Value-based requirements engineering: exploring innovative e-commerce ideas. In: Requirements engineering 8;2 (2003) S. 114-134. London: Gordijn, 2003.

[3] Osterwalder, Alexander; Pigneur, Yves; Tucci, Christopher L.: Claryfying Business Models: Origins, Present, and Future of the Concept in: Communications of the Association for Information Systems: Vol. 16, Article 1. Lausanne: AIS Electronic Library, 2005

[4] Osterwalder, Alexander: The Business Model Ontology – A Proposition in a Design Science Approach. Lausanne: Université de Lausanne, 2004

[5] Jones, Peter et al.: Caring for the future: The systemic design of flourishing enterprises. Toronto: OCAD University, 2014.

[6] Upward, Antony et al.: An ontology for strongly sustainable business models: Defining an enterprise framework compatible with natural and social science. Toronto: OCAD University, 2016.

[7] Schawel, Christian; Billing, Fabian: Top 100 Management Tools – Das wichtigste Buch eines Managers. Von ABC-Analyse bis Zielvereinbarung. Wiesbaden: Springer Fachmedien, 2014