31.01.2023

Beitragsreihe Use-Case- und Geschäftsmodellentwicklung an der FfE: Das Geschäftsmodell – Relevanz und Abgrenzung zum Use Case

Das Standardvorgehen in vielen Forschungsprojekten ist es, zu Projektbeginn mit allen Projektpartnern gemeinsam das Vorhaben in sogenannten Use Cases festzuhalten. Diese werden über mehrere Workshops und Diskussionsrunden hinweg entwickelt. Doch warum ist dieser sehr methodische Prozess für die Projektarbeit so wichtig, wo doch in Umsetzungsprojekten alle Partner möglichst schnell in die technische Entwicklung und Feldversuch-Planung starten wollen? Warum ist die Erarbeitung von Use Cases so zentral? Wie können Use Cases zur Geschäftsmodellentwicklung beitragen? Und was ist ein Use Case überhaupt? Diese und weitere Fragen werden in der fünfteiligen Beitragsreihe zur Use-Case- und Geschäftsmodellentwicklung an der FfE beantwortet.

Verschiedene Akteure sind mit einer sich im Wandel befindlichen Energiewirtschaft konfrontiert und müssen ihre Geschäftsmodelle an die sich verändernden Rahmenbedingungen anpassen. Von Netzbetreibern wird eine zunehmende Digitalisierung ihrer Netze erwartet, Energieversorgungsunternehmen unterstützen Pro- und Flexumer beim eigenen Stromhandel und Automobilhersteller erweitern ihre Produktpalette zunehmend durch Elektrofahrzeuge und den Vertrieb von Mehrwertservices. Darüber hinaus treten neue Akteure in den Markt, wie z. B. Aggregatoren oder Hersteller von Ladesteuerungssoftware. Doch woher kommen diese Veränderungen? Und wie können Use Cases bei der Veränderung von Geschäftsmodellen weiterhelfen?

Aus Use Cases entstehen Geschäftsmodelle

Use Cases dienen als Basis zur Entwicklung von Geschäftsmodellen. In einem Use Case wird zunächst das Gesamtsystem aus Sicht der Nutzer:innen beschrieben. Das Geschäftsmodell ist indirekt Teil des Use Cases, ohne dass es während der Use-Case-Entwicklung konkret ausgestaltet wird [1]. Einzelne Akteure, die am Use Case beteiligt sind, haben ein Geschäftsmodell in diesem System, d. h. sie haben eine betriebswirtschaftliche Sichtweise auf das System und sind mit einem Erlöskonzept daran beteiligt. Abbildung 1 veranschaulicht dies am Beispiel des Systems „Bäckerei“. Ein Use Case trägt dementsprechend dazu bei, den Zusammenhang von Geschäftsmodellen verschiedener Akteure in einem System darzustellen.

Abbildung 1: Vom Use Case zum Geschäftsmodell – Beispiel anhand einer Bäckerei

Der Einfluss von Megatrends auf Geschäftsmodelle

Der Bedarf zur Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen im Allgemeinen entsteht einerseits durch eine veränderte Unternehmens- und Wettbewerbsumwelt (technologische, politisch-rechtliche, sozio-kulturelle, ökologische und makroökonomische Faktoren bzw. industrielle Beziehungen und Rivalitäten zwischen Anbietern, Lieferanten und Kunden sowie Substitutionsprodukte). Andererseits bedingt die Kopierbarkeit von Geschäftsmodellen die Notwendigkeit, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln [2] [3]. Die Veränderung des Umfelds für Geschäftsmodelle unterscheidet sich in der Geschwindigkeit, dem Umfang und der Prognostizierbarkeit verschiedener Einflussfaktoren. Langfristiger Erneuerungs- und Innovationsbedarf für Geschäftsmodelle entsteht durch Megatrends. Als Megatrend bezeichnet man eine grundlegende Entwicklung, die über große Zeiträume einen starken Einfluss auf das technologische, gesellschaftliche, politische und ökonomische Umfeld von Unternehmen haben und dieses verändern. [4] Das veränderte Umfeld sorgt dafür, dass etablierte Unternehmen ihre Geschäftsmodelle anpassen müssen und innovative Geschäftsmodelle neu im Markt entstehen.

Megatrends in der Energiewirtschaft

Globale Megatrends, welche Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle vor Herausforderungen stellen, lassen sich in technologische, gesellschaftliche, ökonomische, ökologische und politische Trends kategorisieren. Einige der Megatrends beeinflussen speziell die Energiewirtschaft:

Digitalisierung

Die zunehmende Digitalisierung beeinflusst, wie Menschen und Komponenten im Energiesystem miteinander kommunizieren. Über das Internet der Dinge werden Energieerzeuger und -verbraucher digital angebunden und können z. B. zur Lastverschiebung gezielt und schnell angesteuert werden. Daneben können Akteure innovative Service- und Abrechnungsmodelle über ein breitflächiges Gerätemonitoring anbieten. Die Auswertung der dadurch generierten riesigen Datenmengen kann z. B. für Echtzeitprognosen von Erzeugung, Verbrauch und Last, für dynamische Tarife und für predictive Maintenance dezentraler Anlagen verwendet werden. Durch Mobile Computing kann in einem Smart Home über eine Smartphone App aktiv auf das Verbraucherverhalten Einfluss genommen werden. [4]

Dezentralisierung

Durch den Anstieg an Prosumern werden dezentrale Erzeuger bzw. Eigenverbraucher in Zukunft zunehmend zentral und systemdienlich gesteuert. Immer mehr Systemlösungen werden bei Kund:innen installiert sein, wie eine erneuerbare Stromerzeugung, welche zunehmen mit elektrischen oder thermischen Speichern verbunden sein werden. Darüber hinaus ist eine steigende Anzahl an Elektrofahrzeugen in Verbindung mit einer steigenden Stromnachfrage zu erwarten. Eine Herausforderung ist die Systemintegration einer Vielzahl an elektrischen Komponenten. [4]

Energie- und Umweltpolitische Rechtsänderungen

Die Energie- und Umweltpolitik gibt mit Richtungsentscheidungen neue regulatorische Rahmenbedingungen für Unternehmen vor. Zu den maßgeblichen politischen Vorgaben der letzten Jahre zählen vor allem die Liberalisierung der Energiemärkte und Beschluss des Ausstiegs aus der Kernkraft. Aktuelle Vorgaben betreffen hauptsächlich die Energiewende im Allgemeinen mit der Förderung von erneuerbaren Energien und der Einführung des CO2-Zertifikatehandels im Speziellen. Darüber hinaus ist mit einem stärkeren Netzausbau sowie der weiteren Förderung von neuen Technologien und Energieeffizienzmaßnahmen zu rechnen. [4]

Gesellschaft und Ökonomik

Verschiedene gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen haben Einfluss auf Geschäftsmodelle in der Energiewirtschaft. Durch unterschiedliche Bedürfnisse und unterschiedliches Energieverbrauchsverhalten entsteht eine zunehmend segmentierte Kundenbasis. Einerseits altert unsere Gesellschaft, auf der anderen Seite verschieben sich relevante Merkmale von Kund:innen zunehmen zu den Themen Gesundheit und Nachhaltigkeit. Dazu kommt eine Zunahme der Nachfrage nach regionaler und nachhaltiger Strom- und Wärmeerzeugung. Durch den Trend zur Sharing Economy und striktes Wiederverwenden sowie den Trend zur Energieautarkie, sehen sich etablierte Unternehmen einem neuen Kunden- und Wettbewerbsverhalten gegenübergestellt, welches in einem Wettbewerbsdruck resultiert. Dieser wird verstärkt durch den Eintritt zunehmend branchenfremder Unternehmen, wie z. B. IT oder Telekommunikation in den Markt. Darüber hinaus fordert die Energiewende hohe Investitionen in neue Anlagen und Technologien bei gleichzeitiger Unsicherheit hinsichtlich der genauen zukünftigen Umsetzung. Disruptive technologische Innovationen erhöhen den Kapitalbedarf und dementsprechend auch die Finanzierungskosten. Dies hat Auswirkungen auf die Unternehmensstrategie sowie die Projektauswahl. [4]

Abbildung 2: Übersicht der Megatrends in der Energiewirtschaft

Herausforderungen energiewirtschaftlicher Geschäftsmodelle

Die politisch bewirkte Energiewende verändert die Rahmenbedingungen für Geschäftsmodelle und viele Unternehmen müssen sich neu ausrichten. Doch die neuen Rahmenvorgaben sind nicht zwingend für etablierte Unternehmen wirtschaftlich und von Letztverbrauchern akzeptiert.

Aus Energiesystemsicht sind flexible Ladevorgänge von Elektrofahrzeugen wünschenswert, um die Stromerzeugung aus Erneuerbare-Energien-Anlagen optimal auszunutzen oder lokale Netzüberlastungen zu vermeiden. Gleichzeitig bieten übliche Flat-Rate-Haushaltsstrompreistarife Letztverbrauchern keinen Anreiz, ihren Stromverbrauch zu flexibilisieren. Inzwischen wurde zwar ein Gesetz eingeführt, welches Stromversorger dazu verpflichtet, zeitvariable Tarife anzubieten (§ 41 Abs. 2 EnWG), doch bietet die aktuelle Strompreisstruktur, mit einem variablen Strompreisanteil von nur ca. 25 %, einen geringen Anreiz zur Kosteneinsparung durch flexibles Verbrauchsverhalten [5]. Weiterhin setzen variable Strompreistarife Letztverbraucher einem größeren Preisrisiko aus, wodurch die Akzeptanz für diese weiter sinkt [6].

Daneben besteht für Netzbetreiber durch die aktuelle Anreizregulierung kein Anreiz zur Investition in Flexibilitätsmaßnahmen. In der aktuellen Bezahlweise werden Netzbetreiber nicht incentiviert, das Netz aktiv zu managen. CAPEX werden aus den Effizienzvoraussetzungen rausgenommen; vergütet werden die tatsächlichen Kosten für den Netzausbau. Betriebskosten erhalten keine Verzinsung und müssen möglichst niedrig gehalten werden, um innerhalb der Regulierungsperiode unterhalb der festgesetzten Erlösobergrenze zu bleiben. Im Gegensatz zu Maßnahmen des Einspeisemanagements nach § 14 EEG 2017, welche in der Anreizregulierung als dauerhaft unbeeinflussbar gelten (§ 11 Abs. 2 Satz 17 ARegV), gehen Kosten aus marktbezogenen Maßnahmen in den Effizienzvergleich ein. Dadurch sind Investitionen in Flexibilitätsmärkte für Netzbetreiber aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht attraktiv. [7]

Industrieunternehmen sollen zukünftig fossile durch klimaneutrale Energieträger (z. B. Wasserstoff) ersetzen. Da diese teurer sind und eine Umstellung mit hohen Investitionskosten in neue Anlagen verbunden ist, können die Endprodukte (z. B. Stahl) nicht zu gleichbleibenden Kosten hergestellt werden. Gleichzeitig können die Mehrkosten aber nicht direkt an die Endkunden weitergegeben werden, wodurch ein Bedarf für Fördermechanismen entsteht [8].

Durch die politischen Vorgaben zur Erreichung der Klimaziele entsteht in verschiedenen Branchen eine Umgebung, welche ohne neue regulatorische und marktlichen Vorgaben für viele Unternehmen keine wirtschaftlichen Geschäftsmodelle ermöglicht. Eine Lösung stellt die Anpassung des regulatorischen Rahmens an die Anforderungen der Energiewende dar. Wie Unternehmen mit den vorgestellten Trends und Entwicklungen umgehen können und daraus neue Geschäftsmodelle entwickelt werden können, wird im folgenden Beitrag beschrieben.

Weitere Informationen

 

Literatur

[1] Faller, Sebastian et al.: Anwendungshilfe Use Case Methodik – Eine praktische Anwendungshilfe für die Use Case Entwicklung. München: Forschungsstelle für Energiewirtschaft e. V. (FfE), 2020.

[2] Zentes, Joachim: Geschäftsmodell-Evolution: – Unternehmensentwicklung als Dynamisierung von Kernkompetenzen. Saarbrücken: für Handel & Internationales Marketing (H.I.MA.) der Universität des Saarlandes, 2013

[3] Bieger, Thomas: Innovative Geschäftsmodelle – Konzeptionelle Grundlagen, Gestaltungsfelder und unternehmerische Praxis. Berlin: Thomas Bieger, Dodo zu Knyphausen-Aufseß und Christian Krys (Hrsg.), 2011. DOI: 10.1007/978-3-642-18068-2.

[4] Löbbe, Sabine et al.: Geschäftsmodelle in der Energiewirtschaft: Ein Kompendium von der Methodik bis zur Anwendung – Reutlinger Diskussionsbeiträge zu Marketing & Management. Reutlingen: Hochschule Reutlingen, 2017.

[5] Bundesnetzagentur: Monitoringbericht 2021. Bonn: Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, 2022.

[6] Dütschke, Elisabeth; Unterländer, Michael; Wietschel, Martin: Variable Stromtarife aus Kundensicht – Akzeptanzstudie auf Basis einer Conjoint-Analyse in: Working Paper Sustainability and Innovation No. S 1/2012. Karlsruhe: Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), 2012

[7] Hilpert, Johannes et al.: Rechtsrahmen für netzdienliche Flexibilitätsplattformen – Rechtliche Prüfung des Konzeptes „Grid Integration“. Wuppertal: Stiftung Umweltenergierecht, 2019.

[8] Dantine, Daniel: Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie – Erforderliche Rahmenbedingungen für Deutschlands Industrie zur Implementierung der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung. Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., 2021. ISBN: 978-3-95721-994-7.