18.01.2023

Beitragsreihe Use-Case- und Geschäftsmodellentwicklung an der FfE: Die Use-Case-Methodik

Das Standardvorgehen in vielen Forschungsprojekten ist es, zu Projektbeginn mit allen Projektpartnern gemeinsam das Vorhaben in sogenannten Use Cases festzuhalten. Diese werden über mehrere Workshops und Diskussionsrunden hinweg entwickelt. Doch warum ist dieser sehr methodische Prozess für die Projektarbeit so wichtig, wo doch in Umsetzungsprojekten alle Partner möglichst schnell in die technische Entwicklung und Feldversuch-Planung starten wollen? Warum ist die Erarbeitung von Use Cases so zentral? Wie können Use Cases zur Geschäftsmodellentwicklung beitragen? Und was ist ein Use Case überhaupt? Diese und weitere Fragen werden in der fünfteiligen Beitragsreihe zur Use-Case- und Geschäftsmodellentwicklung an der FfE beantwortet.

Im ersten Teil der Beitragsreihe zur Use-Case- und Geschäftsmodellentwicklung wurde erklärt, was ein Use Case ist und wieso Use Cases relevant sind. Der zweite Beitrag soll nun die Entwicklung von Use Cases mit Hilfe der Use-Case-Methodik vorstellen. Welche Schritte sind für die Erarbeitung von Use Cases erforderlich und was gilt es zu beachten?

Die Entwicklung von Use Cases mit der Use-Case-Methodik

In drei Teilen beschreibt die IEC 62559 Normserie ein Standardvorgehen für die Entwicklung von Use Cases im Kontext von Smart Grids [1] [2] [3]. Im Rahmen des Verbundprojekts C/Sells (Förderkennzeichen: 03SIN121) hat die FfE bestehende internationale und europäische Normen aufbereitet und ein verständliches und projekttaugliches „Kochrezept“ zur Use-Case-Methodik erstellt [4]. In der Anwendungshilfe zur Use-Case-Methodik wurde der FfE-Ansatz zur Use-Case-Methodik noch einmal aufbereitet und in ein praxisnäheres Format gebracht [5]. Die Use-Case-Methodik wird dort wie folgt beschrieben:

Die Use-Case-Methodik besteht aus drei Schritten, welche auch der Use-Case-Detailtiefe entsprechen. Im ersten Schritt wird im Business-Use-Case (BUC) das Grobkonzept beschrieben. Hierbei werden alle relevanten Akteure, deren Rollen und Verantwortlichkeiten zur Ausführung betriebswirtschaftlicher Prozesse festgehalten. Im zweiten Schritt konkretisiert die Prozess- und Systembeschreibung die (technischen) Komponenten und deren Schnittstellen sowie Kommunikationsanforderungen (Frequenz, Zeitpunkt, zeitliche Anforderungen und Folgeprozess). Hierbei werden sowohl Hardware- als auch Softwarekomponenten betrachtet. Im dritten und letzten Schritt werden Ablaufspezifikationen definiert. Diese beschreiben einzelne Abläufe (Teilprozesse) des Use Cases in Sequenzdiagrammen und erreichen damit einen sehr tiefen Detailgrad. [5]

Abbildung 2 1: Schritte der Use-Case-Methodik (Darstellung nach [5])

Mit der Use-Case-Methodik werden Use Cases sowohl in Textform beschrieben als auch durch eine grafische Darstellung visualisiert. Für die grafische Darstellung können Methoden wie das e3-Value-Model oder Architekturmodelle (z. B. SGAM – Smart Grid Architekturmodell, HBAM – Home and Building Architecture Model, SCIAM – Smart City Interoperability Architecture Model) verwendet werden [4]. Die e3-Value-Methode ist ein interdisziplinärer Ansatz, um Geschäftsideen mit mehreren involvierten Akteuren ganzheitlich und verständlich darzustellen [6]. Die Methodenauswahl zur grafischen Darstellung hängt vom ausspezifizierten Detailgrad des Use Cases abhängt. So ist es sinnvoll, Business-Use-Cases mit der e3-Value-Methode darzustellen, während sich Architekturmodelle für Prozess- und Systembeschreibungen besser eignen [4].

Die Use-Case-Methodik in der Praxis: Das FfE Vorgehen zur Entwicklung von Use Cases

Viel Theorie – doch wie werden Use Cases eigentlich in der Praxis entwickelt? Das wird im Folgenden anhand des Projekts unIT-e2 (Förderkennzeichen: 01MV21UN11 (FfE e.V.), 01MV21UN01 (FfE GmbH)) veranschaulicht.

Das Projekt unIT-e² ist mit vier Feldversuchsclustern und 29 Partnern aus Automobil-, Energiewirtschaft und Forschung das bislang größte Forschungsprojekt an der FfE. Hier war es besonders wichtig, ein gemeinsames Verständnis zwischen allen beteiligten Akteuren sicherzustellen. Ziel der Use-Case-Methodik in unIT-e² war es, die in jedem Cluster geplanten Feld- und Laborversuche zu gesteuertem Laden von Elektrofahrzeugen (bzw. dem gesteuerten Betrieb von anderen Flexibilitäten wie bspw. Wärmepumpen) zu erarbeiten und einheitlich festzuhalten. Für eine bessere Verständlichkeit wurde die bisher an der FfE verwendete Use-Case-Methodik weiter vereinfacht.

Dazu haben wir zwei Level an Use Cases eingeführt: Der Business-Use-Case (BUC) beschreibt das Grobkonzept des Vorhabens und spezifiziert die für den Geschäftsnutzen benötigten Interaktionen zwischen den beteiligten Akteuren. Der Technical-Use-Case (TUC) beschreibt Informations- und Datenflüsse zwischen den für die Geschäftsprozesse erforderlichen (technischen) Komponenten. Auf eine dritte Use-Case-Ebene (Prozessabläufe) wurde verzichtet, da es als sinnvoller erachtet wurde, detaillierte Prozessabläufe unternehmensspezifisch zu konkretisieren und bei Bedarf bilateral mit Projektpartnern abzustimmen.

Abbildung 2 2: Die unIT-e² Use-Case-Methodik [7]

Alle erarbeiteten Use Cases wurden jeweils in Textform in einem vorgegebenen Steckbrief und in grafischer Form in einem e3-Value-Model (BUC) bzw. einem Schaubild (TUC) dargestellt. Für die TUC wurden relativ simple Schaubilder anstelle von komplexeren Architekturmodellen zunächst als ausreichend befunden. Wo Bedarf bestand, wurde darüber hinaus eine Systemarchitektur zu den Technical-Use-Cases erstellt. Im Feldversuchscluster Harmon-E wurden beispielsweise alle Akteure, technischen Komponenten und deren Schnittstellen ortsabhängig in einer interaktiven Systemarchitektur festgehalten.

Insgesamt wurden im Projekt unIT-e² somit 25 BUC und über 40 TUC erarbeitet. Letztendlich kann festgehalten werden, dass akademische Methoden in der Praxis als Orientierungshilfe dienen können, aber deren Anpassung an individuelle Bedürfnisse sinnvoll sein kann. Weitere Erkenntnisse zur Use-Case-Methodik in der Praxis werden im nächsten Beitrag beschrieben.

 

Weitere Informationen

 

Literatur

[1] IEC 62559-2:2015: Use case methodology – Part 2: Definition of the templates for use cases, actor list and requirements list . Issued 2015-04; Geneva: International Electrotechnical Commission, 2015.

[2] IEC SRD 62913-1:2019 Generic smart grid requirements (Part 1: Specific application of the Use Case methodology for defining generic smart grid requirements according to the IEC systems approach). Ausgefertigt am 2019-05; Geneva: International Electrotechnical Commission, 2019.

[3] Use case methodology – Part 3: Definition of use case template artefacts into an XML serialized format (IEC 62559-3:2017). Ausgefertigt am 2017-12-13, Version vom 2022; Geneva, Switzerland: International Electrotechnical Commission, 2022.

[4] Bogensperger, Alexander et al.: Kochrezept Use Case Methodik – Eine praktische Anwendungshilfe für alle C/sells-Partner. München: Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V., 2018.

[5] Faller, Sebastian et al.: Anwendungshilfe Use Case Methodik – Eine praktische Anwendungshilfe für die Use Case Entwicklung. München: Forschungsstelle für Energiewirtschaft e. V. (FfE), 2020.

[6] Gordijn, Jaap et al.: Value-based requirements engineering: exploring innovative e-commerce ideas. In: Requirements engineering 8;2 (2003) S. 114-134. London: Gordijn, 2003.

[7] Ostermann, Adrian: Design and Application of the unIT-e² Project Use Case Methodology – 35th International Electric Vehicle Symposium and Exhibition (EVS35). München: FfE München, 2022.