Beitragsreihe Politische Maßnahmen: Was sind Klimaschutzverträge?
Deutschland hat im Zuge der Novellierung des Bundes-Klimaschutzgesetzes seine Klimaziele weiter verschärft. Bis 2030 sollen die THG-Emissionen um 65 % gegenüber dem Jahr 1990 sinken und die THG-Neutralität soll bereits im Jahr 2045 erreicht werden 1.
Bei der Erreichung dieser Ziele spielt der Industriesektor eine wichtige Rolle. Mit 24 % trägt die Industrie im Jahr 2020 maßgeblich zu den nationalen Gesamtemissionen bei. Das Sektorziel für die Industrie entspricht einer Emissionsreduktion um 34 % bis zum Jahr 2030 2. Diese Transformation hin zu einer THG-neutralen Industrie wird politisch vorangetrieben und unterstützt. In dieser Beitragsreihe werden verschiedene politische Maßnahmen beleuchtet, die in Zukunft dazu beitragen können, die Energiewende in der Industrie voranzutreiben oder dies bereits tun. Der Fokus wird dabei zum einen auf der Funktion und den Auswirkungen der Maßnahmen liegen und zum anderen auf der jeweiligen wissenschaftlichen Diskussion.
Übersicht über die Themen der Beitragsreihe Politische Maßnahmen
- Was sind Superabschreibungen?
- Was sind Klimaschutzverträge?
- Was ist der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM)?
- Was sind Kapazitätsmechanismen?
Was sind Klimaschutzverträge?
Klimaschutzverträge werden zwischen Staat und Unternehmen geschlossen, um die finanziellen Risiken einer klimafreundlichen Produktionsumstellung mittels einer Prämie abzusichern. So soll die Industrietransformation zeitnah vorangetrieben werden. Die Maßnahme wurde im Koalitionsvertrag für die Jahre 2021 bis 2025 für die Industrie und im speziellen für die Grundstoffindustrie angekündigt.
Einordnung und Funktion
Klimaschutzverträge garantieren einen staatlichen Ausgleich der Mehrkosten einer klimafreundlichen Produktionsanlage. Das Ziel ist es, Investitionen in klimafreundliche Industrieanlagen frühzeitig voranzutreiben. Mittels eines privatrechtlichen Vertrags wird eine Klimaschutzprämie vereinbart, die vom Staat an das jeweilige Unternehmen ausgezahlt wird. Damit kann das Unternehmen die Mehrkosten des Aufbaus und Betriebs einer klimafreundlichen Produktionsanlage decken. So soll sichergestellt werden, dass Investitionen in Produktionsanlagen mit langer Lebenszeit schon heute in klimafreundliche Alternativen fließen, obwohl ihr Betrieb aktuell noch unwirtschaftlich ist. Klimaschutzverträge gelten nach Klassifizierung aus 1 als ökonomisches Instrument.
Die Berechnung der Klimaschutzprämie erfolgt in mehreren Schritten. Die Kosten, die bei der Umstellung von einer herkömmlichen Anlage zu einer Klimaschutzanlage entstehen, entsprechen im Diagramm in Abbildung 1 den Transformationskosten. Dabei lassen sich zwei Arten zusätzlicher Kosten unterscheiden. Solche die durch Investitionen (∆CAPEX) entstehen, beispielsweise in neue Produktionsanlagen, und Kosten, die durch den Betrieb der neuen Anlagen zusätzlich anfallen (∆OPEX). Die annualisierten zusätzlichen Investitionskosten sowie die zusätzlichen Betriebskosten werden für eine Tonne Grundstoff bestimmt und bilden addiert die Mehrkosten der Produktionsumstellung (Schritt 1 in Abbildung 1). Im zweiten Schritt werden die Mehrkosten ins Verhältnis zu der CO2-Minderung pro Tonne Grundstoff gesetzt, die durch die Produktionsumstellung erzielt wird. Dieser Quotient wird als CO2-Minderungskosten bezeichnet (Schritt 2 in Abbildung 1). Auf Basis der mittleren CO2-Minderungskosten wird der Klimaschutzvertrag zwischen Unternehmen und öffentlicher Hand geschlossen (Schritt 3 in Abbildung 1). Durch eine Dynamisierung des Vertrages kann die vereinbarte Klimaschutzprämie flexibel gestaltet werden (Schritt 4 in Abbildung 1). So kann vereinbart werden, dass die Prämie sich beispielsweise an den aktuellen CO2-Preis oder an preisliche Schwankungen von Betriebsmitteln anpasst. Auch auf eine Umgestaltung der Zuteilung von kostenfreien CO2-Emissionszertifikaten, wie im Fit-for-55-Package vorgeschlagen, könnte die Prämie reagieren. So soll garantiert werden, dass die Förderung langfristig adäquat bleibt und keine Unter- oder Überförderungen entstehen 2.
Soziale und Klimaeffekte
Nach einer Studie von Agora Industrie können mittels Klimaschutzverträgen bis zum Jahr 2030 21 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden. Dies entspricht etwa einem Drittel der noch zu erreichenden CO2-Einsparung, welche als Sektorziel für die Industrie bis 2030 festgelegt wurde. Die Produktionsumstellung soll Deutschland auf dem global wachsenden Markt für klimafreundliche Produkte positionieren und die rund 280.000 Arbeitsplätze in Stahl-, Chemie- und Zementfabriken sichern 1 .
Unterscheidung: Carbon Contract (CC) und Carbon Contract for Difference (CCfD)
Carbon Contracts und Carbon Contracts for Difference sind zwei unterschiedliche Arten von Klimaschutzverträgen. Sie unterscheiden sich durch die Berücksichtigung des CO2-Marktpreises. Im CCfD wird der CO2-Marktpreis bei der Bestimmung der Klimaschutzprämie miteinkalkuliert, während er im CC keine Rolle spielt. Welche der Ausgestaltungsformen gewählt wird, hängt davon ab, wie stark der CO2-Marktpreis die Betriebskosten der Referenzanlage beeinflusst. Besteht nur ein geringer Einfluss oder gar keiner, so kommt der CC zum Einsatz. Im Falle eines signifikanten Einflusses des CO2-Marktpreises auf die Betriebskosten wird der CCfD angewandt. Hohe CO2-Kosten machen die Referenzanlage teurer und den Kostenunterschied zur Klimaschutzanlage kleiner. Die Klimaschutzprämie verringert sich im CCfD um die CO2-Kosten der Referenzanlage 1.
Die Unterschiede im Einfluss des CO2-Marktpreises lassen sich mit den Regularien des Europäischen Emissionshandels (EU-EHS) erklären. Im Rahmen des EU-EHS werden aktuell kostenfreie CO2-Emissionszertifikate für bestimmte Technologien zugeteilt. Davon sind auch die Stahl-, Ammoniak- und Zementindustrie betroffen. Bei Erhalt kostenfreier Zertifikate sinken die Betriebskosten für den Betreiber. Das bedeutet, der CO2-Marktpreis spielt in diesem Fall keine Rolle für die Betriebskosten. Sowohl in der Stahl- als auch in der Ammoniakindustrie verringert sich der Anteil an kostenfreien zugeteilten Zertifikaten bei der Umstellung auf klimafreundliche Technologien. Durch diese ungleiche Zuteilung vergrößert sich die Kostendifferenz zwischen Referenz- und Klimaschutzanlage, die durch die Klimaschutzprämie ausgeglichen werden soll. Weil in diesem Fall keine CO2-Kosten anfallen, die bei der Berechnung der Klimaschutzprämie berücksichtigt werden müssen, spricht man von einem Carbon Contract. Anders ist es in der Zementindustrie. Die Art der Anlage spielt in dieser Branche keine Rolle für die Zuteilung kostenfreier Emissionszertifikate; sie werden gleichermaßen für Referenz- und Klimaschutzanlagen zugeteilt. Eine klimafreundliche Produktionsanlage in der Zementindustrie kann durch den Verkauf der ihr zugeteilten Zertifikate Einnahmen generieren. In diesem Fall verringert sich die Kostendifferenz zwischen Referenz- und Klimaschutzanlage und damit auch die zum Ausgleich erforderliche Klimaschutzprämie. Die CO2-Kosten werden hier in der Klimaschutzprämie berücksichtigt. Mit einem Carbon Contract for Difference werden die Differenzkosten zwischen dem CO2-Marktpreis und den effektiven CO2-Minderungkosten ausgeglichen 2 .
Auswirkungen auf den Staatshaushalt
Die Transformationskosten sind grundsätzlich stark von der Kombination mit anderen Politikinstrumenten abhängig. Aus diesem Grund sind bei den Mehrkosten für den Betrieb und den insgesamten Transformationskosten in Abbildung 1 große Spielräume angegeben. Die Gesamtkosten für die Transformation der Stahl-, Ammoniak- und Zementindustrie belaufen sich nach einer Kalkulation von Agora Industrie 1 auf 10 bis 42 Milliarden Euro. Dabei wird eine Vertragslaufzeit von 10 Jahren zugrunde gelegt. Eine gesonderte Betrachtung der Investitions- und Betriebskosten in den jeweiligen Branchen erlaubt einen Überblick über die Kostenschwerpunkte und das Zusammenspiel mit potenziellen kostensenkenden Faktoren.
ei den gesamten Mehrkosten für Investitionen fällt vor allem die Stahlindustrie ins Gewicht. Die in Abbildung 1 veranschlagten 8 Milliarden Euro kalkuliert Agora Industrie für den Aufbau von Direktreduktionsanlagen und Elektrolichtbogenöfen. Beim Betrieb dieser klimafreundlichen Produktionsanlagen führt vor allem der Bedarf an erneuerbarem Wasserstoff anstatt der vormals verwendeten Kokskohle zu signifikanten Mehrkosten von 27 Milliarden Euro. Agora geht zunächst von einem Betrieb mit Erdgas aus, der bis 2030 jedoch schrittweise auf knapp 80 % Wasserstoffanteil umgestellt werden soll. Ein Kostenreduktion kann sich vor allem durch die Verminderung der Produktionskosten von erneuerbarem Wasserstoff ergeben. Der laut Agora zu erwartende Anstieg der Nachfrage nach grünem Primärstahl kann die Zahlungsbereitschaft dafür erhöhen und hätte ebenso eine kostensenkende Wirkung auf Klimaschutzverträge in der Stahlindustrie.
Bei der Umstellung der Ammoniakproduktion sind keine nennenswerten Investitionen für den Umbau oder Ersatz von Anlagen notwendig. Der Betrieb der Produktionsanlagen ist mit einer Kombination aus fossilem und erneuerbarem Wasserstoff möglich. Durch den schrittweisen Ersatz von fossilem durch erneuerbaren Wasserstoff kann eine signifikante Nachfrage nach erneuerbarem Wasserstoff geschaffen werden und den Aufbau der Elektrolysekapazitäten anstoßen. Parallel zur Stahlindustrie spielt die Entwicklung der Wasserstoffpreise eine entscheidende Rolle für den Mehrkostenaufwand der Transformation in der Ammoniakindustrie 2.
Weiteres Potenzial für eine bedeutende Kostenreduktion beim Aufbau von Klimaschutzverträgen liegt im Abbau der kostenfreien Zuteilung von Emissionszertifikaten bei gleichzeitigem Aufbau eines Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) zum Schutz vor Carbon Leakage. Eine derartige Reform des EU-EHS wurde im Fit-for-55-Package der EU-Kommission im Juni 2021 vorgeschlagen. Durch die Internalisierung der CO2-Kosten erhöhen sich die Betriebskosten der Referenzanlagen für die Betreiber. Die auszugleichende Differenz zu den Mehrkosten einer klimafreundlichen Produktion sinkt dementsprechend. Dieser Faktor ist nur für die Stahl- und Ammoniakindustrie von Bedeutung, da in diesen Branchen eine Produktionsumstellung gleichzeitig den Anspruch auf kostenfreie Emissionszertifikate senkt. Anders als in der Zementindustrie, in der die Zuteilung von kostenfreien Zertifikaten äquivalent für Referenz- und Klimaschutzanlagen erfolgt 3.
Die Investitionsmehrkosten zur Transformation der Zementindustrie liegen laut Agora bei etwa 350 Millionen Euro. Damit sollen Carbon-Capture-and-Storage (CCS) -Analgen nachgerüstet und aufgebaut werden. Die ansonsten unvermeidbaren Prozessemissionen bei der Zementklinkerproduktion werden damit gemindert. Daneben ergeben sich Mehrkosten beim Betrieb von 1,2 Milliarden Euro. Wie bereits erwähnt reduziert sich der Anteil an kostenfreien Emissionszertifikaten bei Anwendung von CCS-Technologien in der Zementindustrie nicht. Deshalb kann der Verkauf von überschüssigen Emissionszertifikaten zu Finanzierung der Produktionsumstellung beitragen. In Kombination mit einer erwarteten Steigerung des CO2-Preises fallen die Gesamtkosten der Umstellung nach Agoras Berechnungen auf etwa 100 Millionen Euro. Da die Investitionskosten in dieser Branche vergleichsweise gering ausfallen können sie auf die Produktion umgelegt werden. Deshalb tauchen sie in der Kalkulation der Gesamtinvestitionen in Abbildung 1 nicht auf. Im Rahmen des Klimaschutzvertrages werden die Investitionskosten dann auf die Produktion umgelegt und mit den betrieblichen Mehrkosten kompensiert [4].
Wirkungsbereich
Für den Wirkungsbereich der Maßnahme schlägt Agora Industrie wegen des umfangreichen Verwaltungsaufwandes besonders große, kosteneffiziente Projekte vor, die von strategischer Relevanz sind und ein signifikantes CO2-Minderungspotenzial aufweisen. Darüber hinaus sollen Projekte bevorzugt werden, die einen Beitrag zum Aufbau der für die Industrietransformation notwendigen Infrastruktur leisten. Nach diesen Kriterien eignet sich die Grundstoffindustrie besonders für Klimaschutzverträge 1. Im Koalitionsvertrag für die Jahre 2021 bis 2025 wurde die Maßnahme für die Industrie und im speziellen für die Grundstoffindustrie angekündigt 2.
Rechtlicher Rahmen
Klimaschutzverträge werden nach Artikel 107 AEUV als Beihilfe eingestuft, da sie Begünstigten einen Vorteil verschaffen und so Wettbewerb und Handel verzerren können. Konkret hängt diese Einstufung von der Form der Refinanzierung ab. Das EEG 2012 beispielsweise stellt laut EuGH keine Beihilfe dar. Im Falle einer Einstufung als Beihilfe ist eine Maßnahme dann rechtmäßig, wenn a) ein Ausnahmetatbestand nach Art. 107 Abs. 2 bis 3 AEUV vorliegt und b) die Beihilfe nach Art. 107 Abs. 2 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar ist. Laut einer Einschätzung von Agora Energiewende ist davon auszugehen, dass beide Kriterien als erfüllt angesehen werden. Sofern Klimaschutzverträge ein wichtiges Vorhaben im gemeinsamen europäischen Interesse fördern oder die Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder -gebiete anstreben, ist der Ausnahmetatbestand gegeben. Bezüglich b) verweist Agora auf einen Klimaschutzvertrag für ein britisches Kernkraftwerk, der bereits als vereinbar mit dem Binnenmarkt erklärt wurde 1.
Weitere Informationen
- Förderprogramm „Dekarbonisierung in der Industrie“ – Minderung von THG-Emissionen in der energieintensiven Industrie
- Methodik zur Entwicklung einer Treibhausgasverminderungsstrategie in der Industrie
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- Wie funktioniert die Transformation hin zu einer klimaneutralen Industrie?
- Kleinteilige Modellierung einzelner THG-Verminderungsmaßnahmen in der Industrie