15.09.2021

Partizipative Aspekte im intelligenten Energiesystem – Zwischen Theorie und Praxis

Beitrag von Dietmar Miller (SmartGridsBW e. V.) und Daniela Wohlschlager (FfE e. V.)

Im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation des Energiesystems sind neben dem technischen Wandel auch gesellschaftliche Aspekte und mögliche einhergehende Umweltwirkungen zu beachten. In der einführenden FfE-Beitragsreihe „Partizipation im (digitalen) Energiesystem“ werden erste Erkenntnisse zu Herausforderungen und Erfolgsfaktoren gesellschaftlicher Partizipation im digitalen Energiesystem dargelegt, welche im Zuge des Demonstrationsprojektes Altdorfer Flexmarkt (ALF) als Teil des SINTEG-Projektes „C/sells“ untersucht wurden. In dieser weiterführenden Beitragsreihe werden rückblickend auf die C/sells-Demonstrationsprojekte erweiterte Untersuchungen zu Aspekten der sozial-ökologischen Nachhaltigkeit im Kontext neuer Lösungskonzepte im dezentralen Energiesystem in drei Teilen dargelegt:

 

Beitragsreihe Nachhaltigkeitsaspekte im dezentralen und digitalen Energiesystem

  1. Partizipative Aspekte im intelligenten Energiesystem – zwischen Theorie und Praxis
  2. Digitalisierung und Nachhaltigkeit: (Wie) passt das zusammen?
  3. Ökobilanz des Rollouts intelligenter Messsysteme

 

Der vorliegende Teil 1 „Partizipative Aspekte im intelligenten Energiesystem – zwischen Theorie und Praxis“ zeigt Ergebnisse zu Aspekten der Bürgerbeteiligung im Kontext intelligenter Lösungskonzepte auf. In diesem Beitrag werden die „Lessons Learned“ aus den verschiedensten C/sells-Projekttätigkeiten dargestellt und allgemeine Handlungsempfehlungen für zukünftige Lösungskonzepte gegeben. Die Untersuchung wurde gemeinsam mit dem Projektpartner Smart Grids-Plattform Baden-Württemberg (SmartGridsBW) durchgeführt. Die Inhalte der Beitragsreihe sind an eine gleichnamige Veröffentlichung angelehnt, welche am Seitenrand zum Download zur Verfügung steht.

 

Aspekte der Partizipation und deren Umsetzung in C/sells

„Partizipation“ wird als vielfältig eingesetzter Begriff verstanden. Wie bereits im  Teil 1 der Beitragsreihe „Partizipation im (digitalen) Energiesystem“ ausgeführt, wird gemäß Definition zwischen verschiedenen Ausprägungen unterschieden. Der im Rahmen des Projektes C/sells verwendete Partizipationsbegriff grenzt sich in Teilen vom wissenschaftlich weit verbreiteten und auch im Alltag geläufigen Verständnis von Partizipation ab – nämlich als Teilnahme an deliberativen politischen Entscheidungsprozessen (vgl. [1]). In C/sells treffen die betroffenen Akteure hingegen keine Entscheidungen von politischer Qualität, sondern sind u. a. an der sozioökonomischen Umsetzung der Energiewende beteiligt. Eine aktive Einbringung erfolgt vor allem in einem Informations- und Dialogprozess. Darüber hinaus ist teils auch eine Einbindung durch Nutzung von Energieinfrastrukturen damit gemeint – abhängig vom jeweiligen C/sells-Demonstrationsprojekt: Ein Beispiel hierfür ist ALF.

Um die erfolgten Aspekte der Partizipation im Projekt C/sells genauer einzuordnen, erfolgt eine Unterteilung des Begriffs in Abhängigkeit von der Tiefe der Involvierung anhand der sog. Partizipationspyramide (vgl. Abbildung 1). Dabei wird zunächst zwischen den beteiligten Parteien unterschieden – d. h. zwischen Involvierenden und Involvierten. Während die Ermöglichung der Partizipation von institutioneller Seite stattfindet, ist die involvierte Person der Seite der Klienten:innen zuzuordnen.

 

Abbildung 1: Partizipationspyramide

In C/sells liegt der Fokus bei der Partizipation von Bürgern auf den sog. Vorstufen zur Partizipation, genauer der Involvierung und dem Austausch zwischen Wissenschaft und Bürgerschaft. Um dem faktischen Gestaltungsspielraum als Kernelement der Partizipation gerecht zu werden, müssen entsprechende partizipative Teilhabemöglichkeiten, bspw. an einem Markt, sowie integrative Prozesse zur Information und Involvierung der Beteiligten tatsächlich verfügbar sein. Eine der Herausforderungen ist es, mit einem bestehenden Informationsmangel, wie bspw. über den Ausbau des digitalisierten Energiesystems, umzugehen. Folglich ist davon auszugehen, dass kaum Kenntnis darüber vorhanden ist, wie (Gestaltungsspielraum) und woran (konkretes Projekt oder Dienstleistung) partizipiert werden kann (vgl. [1]).

Im nächsten Abschnitt werden die partizipativen Tätigkeiten im Zuge des Feldversuchs ALF dargestellt – von der Teilnehmeransprache über die –begleitung bis hin zum Abschluss des Feldversuchs.

Der Feldversuch wurde ALF gemeinsam mit dem Verteilnetzbetreiber Bayernwerk AG von Oktober 2019 – März 2021 mit der Einbindung von 18 Besitzern:innen dezentraler Speicher, Erzeugungs- oder Verbrauchsanlagen. Diese Probanden partizipieren als sogenannte „Flexumer“ (vgl. [4]) am Energiesystem, indem sie ihre Anlagen zum flexiblen Einsatz und somit zur Netzstabilisierung zur Verfügung stellen. Bezogen auf die Partizipationspyramide in Abbildung 1 wurden in ALF die ersten drei Stufen als Vorstufen der Partizipation umgesetzt (vgl. genauere Ausführung im Teil 1 der Beitragsreihe „Partizipation im (digitalen) Energiesystem“). Die Teilnehmenden trafen zwar eine Entscheidung durch die Zustimmung zur Einbindung der eigenen Anlagen in das Demonstrationsprojekt, für eine vollständige Erreichung der 4. Stufe wäre jedoch eine Mitbestimmung über die Abläufe des Flex-Markts Voraussetzung gewesen. Im Folgenden werden die Schritte von der Vorbereitung der Bürgereinbindung bis zum Feldversuchsabschluss dargelegt.

 

Vorarbeiten zur Teilnehmeransprache

Bereits vor der Entwicklung des konkreten Beteiligungskonzeptes wurde durch mehrere Veranstaltungen zum Thema Energiewende mit der Informationsbereitstellung in der Projektregion begonnen. Als Teil der Partizipationsarbeit durch SmartGridsBW wurde eine Website und soziale Medien mit dem Slogan „Ich bin Zukunft“ eingerichtet, um die Rolle der Bürger bei der Mitgestaltung des zukünftigen Energiesystems in den Mittelpunkt zu stellen.

Für die Erhebung und Integration von zielgruppenspezifischen Anreizmechanismen sowie der Festlegung von Inhalten, Terminierung und verwendeten Kommunikationskanälen hat die FfE zu Beginn des Projektes ein „Partizipationskonzept“ entwickelt. Dies beinhaltete die Entwicklung eines Akzeptanzmodells (s. Abbildung 3), um den Zuspruch gegenüber neuen Lösungskonzepten sowie Teilnahmegründe zu untersuchen.

Abbildung 2: Entwickeltes Akzeptanzmodell als Grundlage für die Teilnehmerbefragung im Feldversuch; eigene Darstellung

Dazu wurden Elemente aus der Theorie des überlegten Handelns (theory of reasoned action, TRA), der Theorie des geplanten Handelns (theory of planned behavior, TPB) und dem Technologieakzeptanzmodell (technology acceptance model, TAM) zusammengeführt. Aus den resultierenden Kategorien (Abbildung 3, linke Seite) leiteten sich die Fragestellungen für eine Umfrage bei den Feldversuchsteilnehmenden ab. Die Umfrageergebnisse zeigten eine positive Einstellung gegenüber digitalen Lösungskonzepten sowie primär intrinsische Motivationsgründe zur Teilnahme auf (vgl. Teil 2 der Beitragsreihe „Partizipation im (digitalen) Energiesystem“). Dazu zählte hauptsächlich der eigene Beitrag zur (regionalen) Energiewende. Als Teil des Feldversuchs wurde eine App entwickelt, mit deren Hilfe sich die Teilnehmenden auf der ALF-Plattform registrieren und zugleich auf Informationen zum Feldversuch und ihrer teilnehmenden Anlage zurückgreifen konnten. Um eine einfache Nutzung zu gewährleisten, wurden der Registrierungsprozess und die Funktionsweise zusätzlich zu einer schriftlichen Anleitung bei der Auftaktveranstaltung als auch über ein Erklärvideo erläutert.

Teilnehmeransprache und Begleitung

Abbildung 2 zeigt die partizipativen Tätigkeiten im zeitlichen Verlauf des Feldversuchs. Der Prozess der gezielten Teilnehmeransprache begann im Februar 2019. Als Teil des entwickelten Partizipationskonzeptes wurden über Multiplikatoren (lokale Interessensgruppen, Bürgermeister), öffentliche Kanäle und Bürgerdialoge Interessenten für den Feldversuch gewonnen. Auf Grund fehlender technischer Eignung bei einer Vielzahl gewonnener Interessenten zeigte sich jedoch die Notwendigkeit, das Konzept um einen „funktionellen Ansatz“ zu erweitern (vgl. [8]). Dabei wurde bei der Analyse technischer Voraussetzungen dezentraler Anlagen und der Funktion der iMSys-Architektur angesetzt. Durch gezielte großflächige Anschreiben potenziell geeigneter Haushalte in der betrachteten Projektregion konnte die Probandengewinnung erweitert und abgeschlossen werden.

Abbildung 3: Elemente der ALF-Probandenansprache und -begleitung im zeitlichen Verlauf

Bei der Anbindung der Teilnehmenden an den Feldversuch kam es zu Verzögerungen bei der Montage oder auch durch die Registrierung auf der Plattform. Im weiteren Verlauf folgten vereinzelte technische Störungen bei den Anlagen oder der iMSys-Infrastruktur angebundener Probanden, welche eine erneute Anfahrt durch den Monteur zur Wiederherstellung der Funktionalität erforderten. Zudem führte die COVID-19 Pandemie zwischenzeitlich zum Einbaustopp. Um die Teilnehmenden durchgehend über den Projektfortschritt zu informieren, wurde ein regelmäßiger ALF-Newsletter eingeführt sowie nach der Hälfte der erfolgten Einbauten eine „Kick-Off“-Veranstaltung im Altdorfer Rathaus mit dem Projektteam, Teilnehmenden und dem Bürgermeister durchgeführt. Diese Kommunikationsmaßnahmen wurden bis zum Abschluss des Feldversuchs kontinuierlich fortgesetzt, inklusive einer Ergebnisbroschüre zum Projektabschluss. Die regelmäßige Kommunikation wurde in einer nachgelagerten Befragung zum Feldversuch unter den Teilnehmenden als informativ und hilfreich empfunden.

 

Fazit: Flexibilität gilt auch für das Partizipationskonzept – Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen sind essentiell

  • Spielräume im Zeitplan integrieren: In einem Feldversuch für die Erprobung von Technik unter realen Bedingungen kann es wie in ALF zu möglichen Verzögerungen im Zeitplan kommen. Dies ist entsprechend in der Planung als Puffer zu berücksichtigen.
  • Konzept auf mögliche externe Faktoren anpassen: Um auf außerplanmäßige externe Faktoren (bspw. technische Störungen) reagieren zu können, sollte das ursprünglich definierte Partizipationskonzept auf neue Rahmenbedingungen modifizierbar sein. Dazu zählen beispielweise Parameter wie die angestrebte Anzahl von Teilnehmenden, die Häufigkeit und Formate der Informationsbereitstellung oder auch den Umfang der Datenerhebung so zu verändern, dass sie sowohl im Rahmen des Projektes realisierbar als auch ausreichend für den Projekterfolg sind.
  • Relevanz der regelmäßigen Information: Insgesamt wird regelmäßige Informationsbereitstellung als ein äußerst relevantes Element des Partizipationskonzeptes angesehen, das auch dazu beiträgt, das Vertrauen in das Projekt zu stärken.

 

Ausblick auf Teil 2 der Beitragsreihe: Digitalisierung & Nachhaltigkeit: (Wie) passt das zusammen?

Neben sozialen Aspekten wie neuen Partizipationsmöglichkeiten spielen für eine nachhaltige Gestaltung von Digitalisierungsmaßnahmen im Energiesystem deren Effekte auf die Umwelt eine Rolle. Der nachfolgende Teil 2 dieser Beitragsreihe behandelt relevante Aspekte im Spannungsfeld Digitalisierung und Nachhaltigkeit hinsichtlich der Umweltwirkungen.

Dieser Artikel ist Teil 1 von 3 der Beitragsreihe „Nachhaltigkeitsaspekte im dezentralen und digitalen Energiesystem“.