Digitalisierung und Nachhaltigkeit: (Wie) passt das zusammen?
Dieser Artikel ist Teil 2 von 3 der Beitragsreihe „Nachhaltigkeitsaspekte im dezentralen und digitalen Energiesystem“.
Beitragsreihe Nachhaltigkeitsaspekte im dezentralen und digitalen Energiesystem
- Partizipative Aspekte im intelligenten Energiesystem – zwischen Theorie und Praxis
- Digitalisierung und Nachhaltigkeit: (Wie) passt das zusammen?
- Ökobilanz des Rollouts intelligenter Messsysteme
Nachdem im Teil 1 dieser Beitragsreihe soziale Nachhaltigkeitsaspekte durch die Betrachtung von Partizipationsmöglichkeiten im digitalen Energiesystems behandelt werden, beleuchtet Teil 2 das Themenfeld der Nachhaltigkeit aus der ökologischen Perspektive. Angelehnt an diesen Beitrag wurde von der Autorin ein Blogbeitrag bei der Landeshauptstadt München veröffentlicht, welcher hier abrufbar ist.
Digitalisierung und Nachhaltigkeit – zwei globale Trends
Unsere Gesellschaft wird – nicht zuletzt durch die weltweite COVID-19-Pandemie – zunehmend digital. Dies betrifft alle Branchen und Lebensbereiche: über digitale Navigationsgeräte, Online-Shopping, Informationsbereitstellung und Kommunikation bis hin zur zunehmend automatisierten Steuerung von industriellen Prozessen und der Digitalisierung des Energiesystems. Ein derartig tiefgreifender Wandel und Paradigmenwechsel verändert nicht nur unser Konsumverhalten, sondern führt auch zu einem erhöhten Ressourcenverbrauch für die Herstellung, Nutzung und Entsorgung digitaler Komponenten und Infrastrukturen. Im weltweiten Vergleich verursacht IKT im Jahr 2017 mit ca. 1,4 % ähnlich viele CO2‑Emissionen wie der internationale Flugverkehr [1]. Einer damit einhergehenden Steigerung des weltweiten Datenvolumens steht jedoch eine Verbesserung der Rechenkapazitäten und Effizienzsteigerungen von Speichertechnologien gegenüber. Kombiniert mit einem zunehmend emissionsarmen Strommix durch den Ausbau erneuerbarer Energien besteht die Möglichkeit, bis zu 80 % der durch Informations- und Kommunikationstechnologie bedingten CO2-Emissionen zu verringern, wobei die größten direkten Einspareffekte durch Effizienzsteigerungen von Rechenzentren zu erwarten sind. [2]
Neben dem zusätzlichen Energie- und Ressourcenbedarf bietet die Digitalisierung die Chance, die notwendige Dekarbonisierung zur Erreichung der globalen Klimaziele zu ermöglichen. Dabei ist den Fragen nachzugehen, welchen Beitrag die Digitalisierung zur angestrebten Transformation leisten kann und wie sich die Nachhaltigkeit der Nutzung digitaler Technologien im Vergleich zu analogen Alternativen verhält. In diesem Beitrag werden mögliche Umwelteffekte – positiv sowie negativ – beispielhaft dargelegt, welche in Abhängigkeit vom Anwendungsfall und der Ausgestaltung von Digitalisierungsmaßnahmen entstehen können.
Umwelteffekte durch Digitalisierung – positiv oder negativ?
Die Größenordnung der Umweltauswirkungen digitaler Prozesse ist im Vergleich zu physischen Emittenten, wie zum Beispiel Verbrennungsmotoren oder Flugzeugen, in der öffentlichen Debatte oft weniger präsent. Dabei hängen die Auswirkungen und der potenzielle ökologische Mehrwert vom jeweiligen Einsatzgebiet und der Ausgestaltung entsprechender Digitalisierungsmaßahmen ab. In diesem Beitrag werden damit einhergehende Umweltwirkungen beispielhaft für verschiedene Anwendungsfälle aufgezeigt.
Als ein derzeit allgegenwärtiges Beispiel wird die zunehmende Nutzung von digitalen Meetings im Vergleich zu physischen Treffen betrachtet. Dabei kann nicht nur Zeit durch die fehlende An- und Abreise eingespart werden, auch die CO2–Bilanz fällt bei einer virtuellen Teilnahme entsprechend geringer aus als durch eine physische Anreise. Abbildung 2 zeigt dies am Beispiel einer Konferenz in Berlin, welche von München aus besucht wird.
Nach [4] entstehen im Falle einer rein virtuellen Teilnahme insgesamt 0,7 kg CO2-Äquivalente (Annahme: 4-stündige Videokonferenz). Dieser Wert beinhaltet über den Lebenszyklus betrachtete Emissionen für die Herstellung der Geräte (Laptop, Router) sowie für die Nutzungsphase, d. h. während des Streamings. Am Beispiel einer physischen Konferenz in Berlin ergibt sich rein für die An- und Abreise aus München (ca. 1.200 km, Hin- und Retour) ein 50- bis 367-mal höherer Wert, abhängig vom gewählten Transportmittel. Diese Durchschnittswerte für Deutschland nach [3] entsprechen einer sogenannten „Well-to-Wheel“ Betrachtung und beinhalten Treibhausgasemissionen der Nutzung als auch der Bereitstellung und Umwandlung der Kraftstoffe Benzin, Diesel, Elektrizität und Kerosin.
Als Beispiel für die Digitalisierung in unserem Alltag ist eine Studie zur Nutzung eines E-Readers im Vergleich zum Konsum von herkömmlichen Büchern anzuführen (s. [5]). Die Ergebnisse zeigen, dass die Umweltwirkungen des digitalen Endgeräts mit 30 bis 60 gedruckten Büchern gleichzusetzen sind (vgl. Abbildung 2). Demnach lohnt sich ein E-Reader aus ökologischer Perspektive erst, wenn damit eine entsprechend hohe Anzahl an Büchern gelesen wird, bevor das Gerät defekt ist oder aus anderen Gründen ausgetauscht wird.
Direkte und indirekte Effekte
Für eine vollständige Quantifizierung des Fußabdrucks sind alle Phasen des Lebenszyklus eines Produkts oder Services einzubeziehen. Eine sogenannte Lebenszyklusanalyse (LCA) beinhaltet demnach sowohl den Rohstoffabbau, die Herstellung, den Betrieb sowie die Verwertung nach Ende der Lebensdauer. Bei der Betrachtung dieser lebenszyklusbasierten Emissionen spricht man von direkten Effekten bzw. Effekten erster Ordnung („First Order“).
Indirekte bzw. Effekte zweiter Ordnung („Higher Order“) betrachten hingegen Auswirkungen jenseits dieser Systemgrenze der Technologieperspektive. In der Literatur zu Bewertungsmethoden der Umweltwirkungen von IKT (vgl. [6], [7]) werden indirekte Effekte in positive oder negative Effekte unterteilt, wie in Abbildung 3 am Beispiel von IKT im intelligenten Energiesystem dargestellt. Beispielsweise können durch die Einführung von intelligenten Messsystemen, kurz iMSys, (vgl. Beitragsserie Smart Metering) und die dadurch ermöglichte Bereitstellung von Verbrauchsdaten an die Konsumenten Energieeinsparungen erzielt werden, welche als Optimierungs-Effekte positiv auf die Ökobilanz wirken. Durch negative Rebound-Effekte können diese Einsparungen jedoch teilweise kompensiert werden oder gar zu einem insgesamt gesteigerten Ressourcen- oder Energieverbrauch führen, z. B. durch die Anschaffung zusätzlicher (IKT‑) Geräte. Neben Verhaltensänderungen von Letztverbrauchern beeinflussen vor allem systemische Effekte die Umweltwirkungen von IKT im Energiesystem maßgeblich. Positive Effekte können eine effizientere Integration von erneuerbaren Energien oder elektrischer Verbrauchsanlagen durch intelligente Steuerung sein. Auf der anderen Seite können neue Funktionen und Geschäftsmodelle auch zu negativen Umweltwirkungen führen. Ein möglicher Effekt sind ein erhöhter Netzverstärkungs- oder -ausbaubedarf durch zusätzliche Belastungen der konventionellen Netzinfrastruktur, verursacht durch Gleichzeitigkeiten bei der Steuerung von Verbrauchsanlagen auf Grund von Preissignalen.
Fazit: Die Digitalisierung stellt ein Potenzial für langfristige ökologische Nachhaltigkeit dar – unter Berücksichtigung möglicher Umwelteffekte
Zusammenfassend besteht durch die Digitalisierung ein großes Potenzial, einen positiven Beitrag hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft zu leisten. Die Digitalisierung kann hierbei durch neue Lösungskonzepte als „Ermöglicher“ der Dekarbonisierung gesehen werden. In einer ganzheitlichen Bewertung der Umweltwirkungen müssen jedoch sowohl die lebenszyklusbasierten Energie- und Ressourcenverbräuche als auch sekundäre positive und negative Effekte einer zunehmenden Nutzung von digitalen Technologien berücksichtigt werden. Letztendlich kommt es neben der richtigen technischen Ausgestaltung auf unsere Verhaltensweise an, um langfristig zur Transformation beizutragen.
Ausblick Teil 3
Im Zusammenhang mit der Digitalisierung des Energiesystems hat die FfE im Zuge des Projektes C/sells eine solche Analyse für die Nutzung eines intelligenten Messsystems (iMSys) durchgeführt. Im Beitrag „Umwelteinflüsse digitaler Partizipationskonzepte“ wird der lebenszyklusbasierte ökologische Fußabdruck von intelligenten Messsystemen dargelegt, wobei der Fokus auf den Hardware-Komponenten liegt. Darauf aufbauend werden im nachfolgenden Teil 3 dieser Beitragsreihe „Ökobilanz des Rollouts intelligenter Messsysteme“ die Erkenntnisse weiterführender Analysen aufgezeigt. Der Fokus liegt dabei auf der Entwicklung einer methodischen Herangehensweise zur Systemgrenzenerweiterung, um Prozesse der Datenübertragung und –speicherung am Beispiel eines Flexibilitätsabrufs zu inkludieren.
Literatur:
[1] Hofmann, Josephine et al.: IT und Nachhaltigkeit – eine Einführung. In: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik 58/2021. Stuttgart, Deutschland: Fraunhofer IAO, 2021.
[2] Ericsson: A quick bbbbbguide to your digital carbon footprint – Deconstructing Information and Communication Technology’s carbon emissions. 2020.
[3] Vergleich der durchschnittlichen Emissionen einzelner Verkehrsmittel im Personenverkehr – Bezugsjahr 2019. Berlin: Umweltbundesamt, 2020.
[4] Gröger, Jens: Digitaler CO2-Fußabdruck – Datensammlung zur Abschätzung von Herstellungsaufwand, Energieverbrauch und Nutzung digitaler Endgeräte und Dienste. Berlin: Öko-Institut e.V., 2020.
[5] Lange, Steffen et al.: Smarte grüne Welt? – Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit. München: oekom Verlag, 2018.