13.11.2024

Beitragsreihe Interoperabilität: Was ist Interoperabilität, welche Hemmnisse bestehen bei der Umsetzung und welcher Nutzen lässt sich erwarten?

Die Integration steuerbarer Verbrauchseinrichtungen in das Energiesystem der Zukunft ist eines der aktuellen Themen in der Energiewirtschaft. Vor allem das intelligente Laden von Elektrofahrzeugen ist dabei von besonderer Bedeutung und bringt gleichzeitig neue Herausforderungen mit sich. Um intelligentes Laden mit unterschiedlichen Komponenten zu ermöglichen, spielt das Thema Interoperabilität eine zentrale Rolle. Diese wurde an der FfE im Rahmen des Forschungsprojektes unIT-e² untersucht.

Die dreiteilige Beitragsreihe beschäftigt sich mit den zentralen Fragen nach den theoretischen Grundlagen, dem Ziel und Zweck von Interoperabilität, Methoden zur Messbarkeit von Interoperabilität und der Bewertung von Interoperabilität in der Praxis.

Was ist eigentlich Interoperabilität?

Erste wissenschaftliche Beachtung fand das Thema Interoperabilität im militärischen Bereich. Mittlerweile ist es – besonders durch die voranschreitende Digitalisierung in verschiedensten Bereichen – umfassend untersucht worden. Dabei wurden zahlreiche Definitionen formuliert. Diese unterscheiden sich vor allem in Bezug auf das jeweilige Anwendungsfeld. Eine für die Integration von Elektrofahrzeugen in das Energiesystem der Zukunft geeignete Definition ist die des Institute of Electrical Engineers (IEEE), der International Electrotechnical Comission (IEC) und der International Standardization Organization (ISO) [1]:

“[Interoperability is] the ability of two or more systems or components to exchange information and to use the information that has been exchanged.” – (Widergren et al., 2019)

Interoperabilität bedeutet also, dass Systeme Informationen austauschen, interpretieren und weiter verwerten können. Interoperabilität geht über die Kompatibilität oder Konnektivität hinaus, die durch die Anpassung von Systemen an ein einzelnes, bestimmtes System vorgegeben wird. Interoperabilität basiert vielmehr auf gemeinsamen Standards und der einheitlichen Interpretierbarkeit von Informationen über Systemgrenzen hinweg.  Interoperabilität kann in technische, syntaktische, semantische und organisatorische Stufen unterteilt werden [2]:

  • Technische Interoperabilität bedeutet, dass Informationen zwischen Systemen ausgetauscht werden können und betrachtet dabei Hardware, Software und Infrastruktur.
  • Syntaktische Interoperabilität besteht, wenn Datenaustausch mit einheitlichen Dateiformaten und Strukturen stattfindet.
  • Semantische Interoperabilität meint, dass Daten genutzt und interpretiert werden können, wobei die Interpretierbarkeit durch verschiedene Systeme im Vordergrund steht.
  • Organisatorische Interoperabilität beschreibt die effiziente Kommunikation von Organisationen über verschiedene Infrastrukturen hinweg.

Welche Hemmnisse bestehen bei der Umsetzung von Interoperabilität?

Wie bereits die Stufen der Interoperabilität und die Vielzahl an Definitionen zeigen, handelt es sich um ein sehr komplexes Thema, das verschiedene Herausforderungen für die Umsetzung mit sich bringt. Einerseits müssen einheitliche Standards von den verschiedenen Herstellern verwendet und eingehalten werden. Andererseits führt dies nicht zwangsläufig zu interoperablen Systemen, da Produkte für unterschiedliche Anwendungsszenarien mit verschiedenen Varianten eines Standards konzipiert werden. Dies führt dazu, dass die Interoperabilität zwar im Entwicklungsprozess unter Testbedingungen, nicht aber darüber hinaus gegeben ist [3]. Zudem steigt die Komplexität durch die hohe Anzahl an Systemen und die ständige Weiterentwicklung [4].

Um in diesem Umfeld interoperable Systeme zu schaffen, ist die Zusammenarbeit aller Beteiligten wesentlich. Allerdings haben diese meist unterschiedliche Interessen und Sichtweisen. Um Interoperabilität dennoch realisieren zu können, müssen deshalb gemeinsame übergeordnete Ziele für die Entwicklung definiert werden, d.h. Interoperabilität muss zu einem gewissen Teil im Interesse der Beteiligten liegen [1]. Gleichzeitig ist auch abzuwägen, bis zu welchem Ausmaß die Interoperabilität eines Systems forciert werden kann, ohne andere Aspekte wie die allgemeine Funktionalität zu beeinträchtigen [3].

Welcher Nutzen lässt sich durch die Umsetzung von Interoperabilität erwarten?

Interoperabilität bietet im Allgemeinen klare Vorteile. Zum einen können Leistung und Effizienz sowie die Sicherheit von Systemen gesteigert werden. Andererseits können Kunden besser einbezogen und Innovation beschleunigt werden [1]. Interoperabilität ist besonders relevant in Bereichen, in denen ein nahtloser Informationsaustausch gewährleistet sein muss, wie z. B. im Gesundheitswesen [5].

Doch nicht nur für eine funktionierende Kommunikation zwischen Organisationen und Institutionen ist das Thema von Bedeutung, sondern auch im Alltag einer digitalisierten Gesellschaft, um verschiedene Technologien problemlos nutzen zu können. Ohne Interoperabilität sind technologische Lösungen voneinander isoliert. Diese Isolation der Systeme voneinander kann dazu führen, dass das volle Potenzial der Lösungen nicht ausgeschöpft werden kann [4].

Eine Disziplin, die sich insbesondere mit der Entwicklung von Interoperabilität befasst, ist das System-of-Systems Engineering (SoSE). Ein System-of-Systems beschreibt ein System, das sich aus verschiedenen Systemen zu einem Ganzen zusammensetzt. Um ein reibungsloses Zusammenspiel an den Schnittstellen dieser Systeme zu ermöglichen, ist ein hohes Maß an Interoperabilität erforderlich. Daher wird im Bereich SoSE die Interoperabilität als eines der wichtigsten Kriterien für Systeme genannt [6].

Interoperabilität als wesentlicher Treiber der Elektromobilität

Interoperabilität wirkt sich speziell im Bereich der Elektromobilität positiv auf verschiedene Aspekte aus. Zum einen können Ladesäulenbetreiber durch einheitliche Kommunikationsprotokolle unabhängiger von Herstellern einzelner Komponenten werden. Zum anderen wird durch zuverlässige und unkomplizierte Ladevorgänge eine positive Wahrnehmung der Elektromobilität durch Nutzer sowie die Öffentlichkeit erreicht und somit auch eine positive Marktentwicklung gefördert. Interoperabilität ist wichtig, um Elektrofahrzeuge mit anderen Kernkomponenten des Energiesystems wie intelligenten Messsystemen und Energiemanagementsystemen zu verbinden, die eine Vielzahl von wirtschaftlich vorteilhaften sowie netz- und systemdienlichen Anwendungsfällen ermöglichen. Für die Weiterentwicklung und den Hochlauf der vernetzten Elektromobilität ist Interoperabilität daher ein grundlegendes Element.

Gleichzeitig ist die Elektromobilität ein sich schnell entwickelnder Bereich, der durch eine Vielzahl von Anwendungsfällen und Dienstleistungen gekennzeichnet ist. Durch die Weiterentwicklung der Lademöglichkeiten vom ungesteuerten Laden zum gesteuerten Laden kommen zudem neue Akteure und Systeme hinzu. Daher gilt es auch im Bereich der Elektromobilität, die vielfältigen Hürden der Interoperabilität zu überwinden.

Erfahren Sie im zweiten Teil der Beitragsreihe Interoperabilität, wie Interoperabilität gemessen werden kann.

Literatur

[1] Widergren, S., Melton, R., Khandekar, A., Nordman, B. & Knight, M. (2019). The Plug-and-Play Electricity Era: Interoperability to Integrate Anything, Anywhere, Anytime_. IEEE Power and Energy Magazine_, 17(5), 47–58. https://doi.org/10.1109/MPE.2019.2921742

[2] Rezaei, R., Chiew, T. K., Lee, S. P. & Shams Aliee, Z. (2014). Interoperability evaluation models: A systematic review. Computers in Industry, 65(1), 1–23. https://doi.org/10.1016/j.com-pind.2013.09.001

[3] Kasnuic, M. (2001). Measuring Systems Interoperability Version 1.0. Software Engineering Institute Carnegie Mellon University

[4] Motta, R. C., Oliveira, K. M. de & Travassos, G. H. (2019). A conceptual perspective on interoperability in context-aware software systems. Information and Software Technology, 114, 231– 257. https://doi.org/10.1016/j.infsof.2019.07.001

[5] Rezaei, R., Chiew, T. K., Lee, S. P. & Shams Aliee, Z. (2014). Interoperability evaluation models: A systematic review. Computers in Industry, 65(1), 1–23. https://doi.org/10.1016/j.compind.2013.09.00

[6] Axelsson, J. (2020). Achieving System‐of‐Systems Interoperability Levels Using Linked Data and Ontologies. INCOSE International Symposium, 30(1), 651–665. https://doi.org/10.1002/j.2334-5837.2020.00746.x