Beitragsreihe Interoperabilität: Interoperabilität und wie sie gemessen wird
Die Integration steuerbarer Verbrauchseinrichtungen in das Energiesystem der Zukunft ist eines der aktuellen Themen in der Energiewirtschaft. Vor allem das intelligente Laden von Elektrofahrzeugen ist dabei von besonderer Bedeutung und bringt gleichzeitig neue Herausforderungen mit sich. Um intelligentes Laden mit unterschiedlichen Komponenten zu ermöglichen, spielt das Thema Interoperabilität eine zentrale Rolle. Diese wurde an der FfE im Rahmen des Forschungsprojektes unIT-e² untersucht.
Im ersten Teil dieser Beitragsreihe wurde der Begriff der Interoperabilität definiert, bestehende Hürden identifiziert und potenzielle Vorteile bei der Umsetzung analysiert. Der vorliegende zweite Teil befasst sich mit einer eingehenden Untersuchung der Methoden zur Messung von Interoperabilität. Die Bewertung der Interoperabilität ist von entscheidender Bedeutung, um das Ausmaß der Kooperation und Vernetzung zwischen verschiedenen Systemen zu bestimmen. Dies ermöglicht es, die Effizienz und Effektivität der genutzten Technologien zu verbessern und eine nahtlose Integration sicherzustellen.
Die dreiteilige Beitragsreihe beschäftigt sich mit den zentralen Fragen nach den theoretischen Grundlagen, dem Ziel und Zweck von Interoperabilität, Methoden zur Messbarkeit von Interoperabilität und der Bewertung von Interoperabilität in der Praxis.
- Was ist Interoperabilität, welche Hemmnisse bestehen bei der Umsetzung und welcher Nutzen lässt sich erwarten?
- Interoperabilität und wie sie gemessen wird
- Bewertung der Interoperabilität in der Praxis
Die Messung und Bewertung von Interoperabilität sind entscheidend, um Systeme fundiert zu analysieren und zu verbessern. Eine transparente Bewertung ermöglicht es, Prioritäten zu setzen und Ressourcen effizient dort einzusetzen, wo sie am dringendsten benötigt werden. Ein Modell zur Bewertung der Interoperabilität liefert wertvolle Einblicke in den aktuellen Stand und schafft eine Grundlage für gezielte Optimierungen. Interoperabilität geht in soziotechnischen Systemen über den reinen Informationsaustausch hinaus und umfasst die Fähigkeit eines Systems, in realen Prozessen emergente Verhaltensweisen zu zeigen. Die Messung ist nicht nur zur Bewertung bestehender Systeme relevant, sondern auch dafür, ein bestimmtes Niveau während der Entwicklung zu erreichen. Somit ist die Interoperabilitätsmessung ein wichtiger Schritt, um effektive Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Systemen zu fördern und zu sichern.
Welche Methoden zur Messung von Interoperabilität gibt es?
Angesichts der verschiedenen Definitionen und Anwendungen von Interoperabilität wurden zahlreiche Messmethoden entwickelt. Rezaei et al. (2014) bieten einen umfassenden Überblick über diese Ansätze. Ein Beispiel ist die Quantification of Interoperability Methodology (QIM), ein militärischer Ansatz zur Messung von drei Hauptparametern: Weitreichende Überwachung, Zielerfassung über den Horizont hinaus und elektronische Kriegsführung. Das Levels of Information Systems Interoperability (LISI)-Modell, eine Weiterentwicklung der QIM, hat eine breitere Anwendbarkeit und bewertet die Interoperabilität anhand einer Matrix, die fünf Stufen umfasst: isoliert, verbunden, funktional, domänenspezifisch und unternehmensweit. Die Organizational Interoperability Maturity Matrix baut auf LISI auf und beschreibt die Reife von Organisationen in einem abstrakteren Rahmen. Ein weiteres bedeutendes Modell ist das Enterprise Interoperability Maturity Model der Europäischen Kommission, das verschiedene Reifegrade und Unteraspekte umfasst [1].
Das LCIM-Modell
Ein Modell, das sich insbesondere für die Bewertung der Interoperabilität im Energiesektor und in der Elektromobilität als besonders geeignet erwiesen hat, ist das Levels of Conceptual Interoperability Model (LCIM). Ursprünglich von Tolk (2003) entwickelt und in den Folgejahren von ihm und anderen (z. B. Tolk et al., 2007; Axelsson, 2020) weiterentwickelt, umfasst das LCIM sieben Stufen der Interoperabilität. Diese Stufen reichen von keiner Interoperabilität (Stufe 0) über die technische Verbindungsebene (Stufe 1), die sich auf grundlegende Netzwerkverbindungen konzentriert, bis hin zur konzeptionellen Ebene (Stufe 6), die die Nutzung und Interpretation von Daten in einem umfassenden Kontext beschreibt. Besonders relevant sind die höheren Stufen, die sich auf die konzeptionelle und dynamische Nutzung von Daten konzentrieren, da sie die Fähigkeit eines Systems darstellen, Daten nicht nur zu verarbeiten, sondern sinnvoll und effizient zu nutzen [2,3].
Die LCIM-Stufen sind wie folgt definiert [2]:
- Stufe 0 beschreibt isolierte Systeme ohne jegliche Interoperabilität.
- Stufe 1, die technische Interoperabilität, ermöglicht den Datenaustausch durch klar definierte Kommunikationsprotokolle und Netzwerkinfrastrukturen.
- Auf Stufe 2, der syntaktischen Interoperabilität, wird eine gemeinsame Datenstruktur verwendet, so dass das Datenaustauschformat eindeutig festgelegt ist.
- Stufe 3, die semantische Interoperabilität, wird erreicht, wenn der Bedeutungsaustausch durch ein gemeinsames Referenzmodell erfolgt, so dass der Inhalt der übermittelten Daten einheitlich interpretiert wird.
- Auf Stufe 4, der pragmatischen Interoperabilität, verstehen die Systeme den Anwendungszusammenhang der ausgetauschten Daten und wissen um die Methoden und Prozeduren der anderen beteiligten Systeme.
- Stufe 5, die dynamische Interoperabilität, erfordert, dass die Systeme in der Lage sind, Zustandsänderungen zu erfassen und zu berücksichtigen, um die Datenverwendung an veränderte Bedingungen anzupassen. Diese Ebene ist besonders wichtig für die Erfassung operationeller Effekte.
- Die höchste Ebene, Stufe 6 oder die konzeptionelle Interoperabilität, wird erreicht, wenn die konzeptionellen Modelle der Systeme, einschließlich Annahmen und Randbedingungen, aufeinander abgestimmt sind. Dies verlangt die Erstellung vollständig spezifizierter, aber implementierungsunabhängiger Modelle, die eine Interpretation und Bewertung durch Ingenieure ermöglichen.
Das LCIM-Modell hat sich als wertvolles Instrument zur Bewertung der Interoperabilität in System-of-systems-Kontexten etabliert. Es ermöglicht die Analyse sowohl technischer als auch konzeptioneller Ebenen der Interoperabilität und bietet somit eine umfassende Grundlage, um Schwachstellen zu identifizieren und gezielte Verbesserungen vorzunehmen. Diese Vielseitigkeit macht das LCIM zu einem bevorzugten Ansatz zur Messung von Interoperabilität im Energie- und Elektromobilitätssektor.
Im dritten Beitrag der Reihe zur Interoperabilität wird dargelegt, wie das LCIM-Modell im Rahmen des Forschungsprojekts unIT-e² zur Messung und Bewertung der Interoperabilität genutzt wurde. Dabei wird analysiert, wie das Modell angewendet wurde, um den Grad der Interoperabilität an diversen Schnittstellen zu bewerten. Diese Untersuchung ermöglicht es, fundierte Aussagen über bestehende Herausforderungen und Potenziale zu treffen, die für eine nahtlose Integration beider Sektoren erforderlich sind. Die Analyse mittels des LCIM-Modells liefert wertvolle Einblicke in die aktuelle Interoperabilitätspraxis und bietet Ansatzpunkte für die Optimierung von Systemen und Prozessen, um eine effizientere Zusammenarbeit zu gewährleisten.
Literatur
[1] Rezaei, R., Chiew, T. K., Lee, S. P. & Shams Aliee, Z. (2014). Interoperability evaluation models: A
systematic review. Computers in Industry, 65(1), 1–23. https://doi.org/10.1016/j.compind.2013.09.00
[2] Tolk, A., Turnitsa, C. D. & and Diallo, S. Y. (2006). Ontological Implications of the Levels of
Conceptual Interoperability Model. Modeling, Simulation & Visualization Engineering Faculty Publications., 33. https://digitalcommons.odu.edu/msve_fac_pubs/33
[3] Axelsson, J. (2020). Achieving System‐of‐Systems Interoperability Levels Using Linked Data and
Ontologies. INCOSE International Symposium, 30(1), 651–665. https://doi.org/10.1002/j.2334-5837.2020.00746.x