31.01.2022

Beitragsreihe FREM: Das Windszenario-Tool WiSTl

Die Bundesregierung hat die Klimaziele im Jahr 2021 erneut verschärft, nachdem das Bundesverfassungsgericht das Klimaschutzgesetz als in Teilen verfassungswidrig eingestuft hat. Nun soll Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral werden – 5 Jahre früher als das bisherige Ziel. Das im April 2021 abgeschlossene FfE-Projekt eXtremOS, das sich mit der Zukunft des deutschen und europäischen Energiesystems beschäftigte, zeigt, dass die Onshore Windkraft neben der Photovoltaik den größten Anteil der erneuerbaren Energien zur Erreichung dieser Ziele stellen muss 1. Gleichzeitig ist die Windkraft die erneuerbare Erzeugungstechnologie, die den größten Widerständen und Restriktionen ausgesetzt ist. Strenge Abstandsregeln (mit 10H in Bayern die schärfste), lange Genehmigungsverfahren sowie Widerstände in der Bevölkerung verzögern den Ausbau stark. Die Flächenkonkurrenz zu Landwirtschaft oder Naturschutzgebieten verschärft die Zubauplanung weiter. Umso wichtiger ist daher, bereits ausgeschriebene oder genutzte Flächen mit der optimalen Leistungsdichte, also der bestmöglichen Positionierung der Anlagen, auszunutzen. Insbesondere auch dadurch, dass die häufig beschworene Zunahme der Leistungsdichte bestehender Flächen durch Repowering mit neueren, leistungsfähigeren Anlagen, in der Wissenschaft durchaus umstritten ist 2.

Die FfE hat mit dem Windszenario Tool „WiSTl“ ein Modell aufgebaut, das genau diese optimale Positionierung und Ausrichtung der Anlagen modellieren kann. WiSTl ist seitdem fester Bestandteil in allen Potenzialanalysen und Szenarien, die die Onshore Windkraft modellieren. Die Entstehungsgeschichte, Funktionsweise sowie beispielhafte Anwendungen werden im Folgenden dargestellt.

Die WiSTl-Historie

Bereits 2013 wurde im Rahmen des Forschungsprojekts „MOS – Merit Order der Energiespeicherung 2030“ an der FfE ein Modell zur Synthese von anlagenscharfen Ausbauszenarien für Windkraftanlagen erstellt und auf dem „45.  Kraftwerkstechnischen Kolloquium“ in Dresden vorgestellt. Mit diesem Tool sollte den Ausbauzielen des Netzentwicklungsplans für Windkraft an Land, die auf den starken Photovoltaik-Ausbau der Vorgängerjahre folgten, Rechnung getragen werden. Mit WiSTl konnte erstmalig ein anlagenscharfer Zubau mit optimaler Windpark-Konfiguration modelliert werden. Das WiSTl wird seitdem an der FfE weiterentwickelt und in allen größeren FfE-Projekten, die sich mit Windkraftausbau oder Windkraftpotenzialen beschäftigen, eingesetzt.

Funktionsweise der Windparkkonfiguration

Für die optimale, anlagenscharfe Konfiguration eines Windparks sind drei Komponenten essenziell: die Form der untersuchten Fläche, der eingesetzte Anlagentyp sowie das Windangebot an Ort und Stelle.

Windparkflächen und Standortklassifizierung

Die erste Komponente, die verfügbaren Flächen, gehen aus verschiedensten Geodatensätzen in FREM ein. Dies sind in der Regel „Shapefiles“ oder Karten der Windvorrang- und Windeignungsgebiete (zusammen WEG) der regionalen Planungsverbände. Diese werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert, um stets die relevanten Flächen in das Modell einspeisen zu können. Somit kann durch WiSTl einerseits die optimale Windparkkonfiguration in ausgewiesenen Flächen ermittelt werden; andererseits kann jedoch auch durch das Einspeisen eigener Flächen eine Weißflächenanalyse durchgeführt werden. Abbildung 1 zeigt die ausgewiesenen Windvorranggebiete in Bayern.

Abbildung 1: Die Windvorranggebiete in Bayern. Quelle: Bayernwerk.

Die Standorte werden in der Regel nach Starkwind- bis Schwachwind-Standorten eingeteilt, um die richtigen Anlagentypen für die Windparkkonfiguration zu wählen. Diese Einteilung basiert wiederum auf den Windhäufigkeiten und Windgeschwindigkeiten am jeweiligen Standort, die nach der Weibullverteilung als Häufigkeitsverteilung der Windgeschwindigkeiten bestimmt wird. Die Weibullverteilung in 80 m Höhe für Deutschland wird vom Deutschen Wetterdienst in einem Raster mit 200 m Kantenlänge bereitgestellt 1. Kombiniert man die Weibullverteilung mit den Kennlinien einzelner Anlagentypen, können die potenziellen Volllaststunden in 80 m Höhe ermittelt werden. Die potenziellen Volllaststunden dienen dabei lediglich als Bewertungskriterium, abschließend werden Anlagen mit typischen Nabenhöhen wie z.B. 150 m berücksichtig. Bei geringeren Windgeschwindigkeiten erreichen Schwachwind-Anlagen schneller die gleiche Nennleistung wie Starkwindanlagen, was durch das Verhältnis von Rotordurchmesser zur Generatorgröße bestimmt wird. Abbildung 2 zeigt schematisch die Kennlinien einer Schwach- und Starkwindanlage.

Abbildung 2: Leistungsentwicklung unterschiedlicher WEA-Typen in Abhängigkeit der Windgeschwindigkeit.

Eine Übersicht der deutschlandweiten potenziellen Windkraftflächen mit Einteilung in Schwach- bis Starkwind kann dem letzten Beitrag der Reihe zur Regionalisierung entnommen werden.

Anlagentypen

Die Windkraftanlagen, die in das Modell einfließen, sind häufig eingesetzte Anlagen, wie z. B. die Siemens SWT-3.6-107. Wichtige Parameter für die Konfiguration sind der spezifische Rotordurchmesser, der den Abstand zwischen den Anlagen definiert, sowie die Kennlinie der Anlage, die die Leistung in Abhängigkeit der Windgeschwindigkeit angibt (siehe Abbildung 3). Da der technische Fortschritt bei Windkraftanlagen stetig wächst und somit immer leistungsstärkere Anlagen auf den Markt kommen, werden die Anlagentypen im WiSTl ebenfalls in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Neben den ausgewiesenen Flächen sind die in Zukunft relevanten Anlagen die größte Stellschraube für eine möglichst realistische Abbildung der Windkraftentwicklung. Vergleichbare Windpotenzial-Modelle arbeiten häufig mit allgemeinen Leistungsdichten. Der große Vorteil des WiSTl ist dagegen die anlagenscharfe Windparkkonfiguration.

Abbildung 3: Kennlinie der Siemens SWT-3.6-107 Anlage.

Windangebot

Der potenzielle Ertrag, der an der untersuchten Fläche erzielt werden kann, hängt zuletzt von dem Windangebot – also Windhäufigkeit und Windgeschwindigkeit – am untersuchten Ort ab. Das WiSTl nutzt dazu Wetterdaten der Modelle COSMO-EU und ICON-EU des Deutschen Wetterdienstes (siehe Abbildung 4). Grundsätzlich ist das Tool auch dazu geeignet, außerhalb Europas optimale Windparkkonfigurationen zu ermitteln. Der modulare Aufbau ermöglicht den einfachen Austausch der europäischen Wetterdaten gegen ein globales Wettermodell wie MERRA-2, das ebenfalls an der FfE genutzt wird. Die Wettermodelle werden im fünften Teil der Beitragsreihe näher beschrieben.

Abbildung 4: Durchschnittliche Windgeschwindigkeit im Jahr 2012 in 100 m Höhe, pro Zelle mit 7,5 km Kantenlänge, aus dem COSMO-EU-Modell des Deutschen Wetterdienstes.

Windpark-Konfiguration

Die Anlagen werden zunächst in Abhängigkeit des spezifischen Rotordurchmessers im notwendigen Abstand zueinander aufgestellt und nach der Hauptwindrichtung (Annahme: Südwest) ausgerichtet. Die Anlagen werden in einem regelmäßigen Gitter mit der typischen Ellipsenform über die Windeignungsfläche gelegt (Abbildung 5 links). Nach variabler Parametrierung wird das imaginäre Gitter des Windparks anschließend in X-Y-Richtung verschoben (Translation) und um zwischen -30° und 30° gedreht (Rotation, Abbildung 5 Mitte). Durch die Parameter-Variation ergibt sich die optimale Anzahl und Konfiguration an Anlagen innerhalb der Fläche. Zusammen mit dem potenziellen Ertrag aus Windangebot und Anlagen-Kennlinie ergibt sich je Konfiguration eine maximale Volllaststundenzahl (VLS). Die Konfiguration mit den höchsten VLS je Windeignungsfläche wird schließlich gewählt (Abbildung 5 rechts).

Abbildung 5: Typische Windkraftanlagen-Anordnung in regelmäßigem Gitter (links), Anlagenpositionen nach Translation und Rotation (Mitte) und optimale Windpark-Konfiguration nach WiSTl-Berechnung (rechts).

Anwendungsfälle

Das WiSTl ist bisher in zahlreichen FfE-Projekten eingesetzt worden, unter anderem im jüngst abgeschlossenen Großprojekt eXtremOS, das eine europäische Energiesystemanalyse im Fokus hatte und in dem eine vereinfachte Version des WiSTl für alle europäischen NUTS-3-Regionen eingesetzt wurde. Ein weiteres kürzlich abgeschlossenes Projekt mit WiSTl-Beteiligung ist die „EE-Prognose Bayern“, die in vier Szenarien (Trend T, Politik P, Vernetzung V und Regionale Erzeugung R) die Entwicklung der regenerativen Stromerzeugung in Bayern untersucht hat. In dieser wurde mit Hilfe des WiSTl das Potenzial für Windkraft in den bayerischen Windeignungsgebieten je Raumordnungsregion (ROR) ermittelt und mit dem dortigen Bestand verglichen. Die Berechnung ergibt ein Potenzial von 8,2 GW in WEG in Bayern (siehe Abbildung 6).

Abbildung 6: WEA Bestand (in WEG und nicht-WEG) und Potenzial in WEG nach ROR.

Das ermittelte Potenzial wird neben der Ertrags-Bewertung weiterhin durch eine Bewertung des Standorts (basierend auf Flächenrestriktionen) sowie eine regionale Bewertung der ROR eingeteilt, um einen Erschließungsfaktor für den Zubau des Modells zu generieren. So kann, basierend auf den Windpark-Konfigurationen des WiSTl, ein gewichteter Zubau für WEG und nicht-WEG je Szenario erfolgen. Resultierend ergibt sich ein nach gesamter Leistung stark unterschiedlicher Zubau je Szenario – es zeigt sich jedoch auch, dass die regionale Verteilung des Windkraft-Zubaus ähnlich dem heutigen Bild vorrangig im Norden Bayerns erfolgt, was auf restriktionsarme und windstarke Standorte zurückzuführen ist und in den Heatmap-Darstellungen in Abbildung 7 gesehen werden kann.

Eine detaillierte Modellbeschreibung und ausführliche Ergebnisse zur EE-Prognose Bayern können hier eingesehen werden.

Abbildung 7: Regionalisierte Szenarien-Ergebnisse für Windkraft in Bayern.