31.07.2024

Anwendungsfälle des intelligenten und bidirektionalen Ladens: Analyse und Bewertung der Umsetzbarkeit im europäischen Vergleich

Das Nutzen der Batterie von Elektrofahrzeugen für Anwendungen jenseits des reinen Fahrens wird seit Jahren untersucht, getrieben durch den Bedarf an Flexibilität im Energiesystem. Eine Nutzung der Fahrzeugbatterie kann netz- oder systemdienlich erfolgen. Hierdurch entstehen neue Herausforderungen für Netzbetreiber, Automobilhersteller und Energielieferanten.

Neue Herausforderungen für Netzbetreiber, Automobilhersteller und Energielieferanten

Die Verteilnetzbetreiber (VNB) müssen sich auf eine steigende Netzauslastung einstellen und Strategien für die Integration von Elektrofahrzeugen entwickeln. Automobilhersteller müssen neue Standards und Kommunikationsprotokolle wie die ISO 15118 einführen, während der internationale Wettbewerb, um vorherrschende Branchenstandards noch ausgetragen wird. Die Energielieferanten müssen den Kunden neue Geschäftsmodelle bieten, die wirtschaftlich rentabel und technisch für alle Akteure machbar sind.

Die international agierende Automobilbranche trifft erstmals auf national unterschiedliche und historisch gewachsene Rahmenbedingungen und die Regulatorik der Energiebranche. Sowohl die netzseitigen Anforderungen als auch die Strategien für das jeweilige Energiesystem der Zukunft unterscheiden sich – nicht nur auf nationaler Ebene, sondern oft auch auf VNB-Ebene.

Internationaler Untersuchungsrahmen

Obwohl sowohl die technische als auch die wirtschaftliche Umsetzbarkeit von Anwendungsfällen des intelligenten und bidirektionalen Ladens fundamental von den nationalen Rahmenbedingungen und der Regulatorik abhängt, werden wissenschaftliche Untersuchungen meist auf nationaler Ebene untersucht. Beispielsweise hat die EU-Kommission funktionale Mindestanforderungen für „smart meter“ vorgeschlagen [1], allerdings unterscheiden sich diese in der Umsetzung und den technischen Möglichkeiten in den einzelnen Ländern noch maßgeblich. Deutschland zum Beispiel entwickelt sein eigenes Steuersystem. Folglich kann ein Anwendungsfall, der in Deutschland funktioniert, in anderen Ländern nicht zwangsläufig auf die gleiche Weise umgesetzt werden.

Methodisches Vorgehen

Um die Umsetzbarkeit von Anwendungsfällen des intelligenten und bidirektionalen Ladens für verschiedene Länder untersuchen zu können, werden Einflussfaktoren identifiziert, eine entsprechende Bewertungsmethodik aufgestellt und diese für fünfzehn Länder (Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Spanien, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich) auf neun Anwendungsfälle aus dem Projekt unIT-e² [2] (PV-Eigenverbrauchsoptimierung, Spitzenlastkappung, marktorientierte Flexibilität über Preisanreize, marktorientierte Flexibilität über Vermarktungserfolge, netzdienliche Flexibilität über Preisanreize, regulatorisch-definierte netzdienliche Steuerung, Redispatch, Primärregelleistung) angewendet. Für zehn Länder (Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Schweden, Spanien und die Tschechische Republik) konnten Interviewpartner gefunden werden, mit denen die Rahmenbedingungen zur Integration der Elektromobilität in dem entsprechenden Land diskutiert und validiert werden konnten. Die Methodik ist in Abbildung 1 dargestellt.

Abbildung 1: Methodischer Untersuchungsablauf (hellblau: Arbeitsschritt, dunkelblau: Ergebnis)

Analyse und Bewertung der Umsetzbarkeit im europäischen Vergleich

Die Ergebnisse der Untersuchung sind in Tabelle 1 zu sehen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass vehicle-to-home (V2H)-Anwendungsfälle in jedem Land umsetzbar sind. Die Umsetzung marktorientierter Anwendungsfälle ist in Ländern mit einem abgeschlossenem smart meter rollout und einem Angebot an dynamischen Stromtarifen möglich. Die Anwendungsfälle für Netz- und Systemdienstleistungen hängen am stärksten von der länderspezifischen Regulierung ab, weshalb sich länderübergreifend kein eindeutiger Trend ableiten lässt. Anwendungsfälle, die eine direkte fernwirktechnische Steuerung erfordern, sind am weitesten von der Umsetzung entfernt.

Alle Ergebnisse werden detailliert in der frei verfügbaren wissenschaftlichen Veröffentlichung diskutiert (siehe Downloads). Zudem sind die Ergebnisse in Form von Ländersteckbriefen bereitgestellt (siehe Download).

Tabelle 1: grün (1) = umsetzbar, gelb (2) = keine Rahmenbedingungen, orange (3) = kein Markt, rot (4) = nicht umsetzbar, grau (0) = nicht relevant