Whitepaper: Anreizmechanismen zur Stromnetzentlastung – Einordung der Konzepte aus unIT-e²
Die Transformation des Energiesystems geht mit einem grundlegenden Wandel einher, weg von zentralisierten, fossilen Versorgungsstrukturen hin zu einem dezentralen, erneuerbaren System. Um das flexible Potenzial dieser dezentralen Anlagen zu heben und sie sicher und effizient in das Energiesystem zu integrieren, braucht es neben technischen Lösungen eine Umstrukturierung der Energiewirtschaft. In diesem Beitrag diskutieren wir verschiedene Anreizmechanismen und Werkzeuge, die insbesondere auf das netzdienliche Verhalten dezentraler Anlagen abzielen und diesen Paradigmenwechsel unterstützen können.
Regulatorischer Rahmen für netzdienliches Verhalten
Für die Weiterentwicklung von netzdienlicher Flexibilitätsbereitstellung spielt der Rechtsrahmen, bestehend aus höherrangigem EU-Recht, nationaler Gesetzgebung, Verordnungen und Festlegungen, eine entscheidende Rolle. Häufig werden darin Zielbilder verankert und Gestaltungsräume aufgezeigt. Derzeit folgt die deutsche Netzentgeltsystematik primär dem Ziel, die Netzkosten möglichst verursachungs- und verteilungsgerecht (also „fair“ oder sozialverträglich) auf die Netznutzer:innen umzulegen. Ob dies bei der stark veränderten Erzeugungs- und Verbrauchslandschaft mit Prosumern weiterhin gegeben ist, ist Gegenstand intensiver Diskussionen.
Ein Blick zu den europäischen Nachbarn zeigt darüber hinaus, dass Netzentgelte einen Anreiz für eine effiziente Netzauslastung setzen und als Instrument für einen effizienten Ausbau von Netzkapazitäten zum Einsatz kommen können. In Deutschland sind diese Anreize insbesondere auf der Niederspannungsebene bis dato jedoch kaum existent. Hier werden Verbraucher:innen i.d.R. nach einem vom Strombezug abhängigen, konstanten Arbeitspreis und einem Grundpreis unterteilt, der nicht entnahmeabhängig ist. Eine Ausnahme hiervon stellen die ab April 2025 verfügbaren zeitvariablen Netzentgelte im Rahmen des § 14a EnWG dar. Diese werden für steuerbare Verbrauchseinrichtungen gewährt, die sich an der netzorientierten Steuerung beteiligen, um das Netz zu stabilisieren.
Das Beispiel § 14a zeigt zum einen, wie eng netzorientiertes Verhalten und Netzentgelte verzahnt sind, und zum anderen, wie in Deutschland Sondernetzentgelte für bestimmte Kundengruppen zur Lösung bestimmter netzseitiger Herausforderungen genutzt werden. Grundsätzlich fordert das Unionsrecht in Art. 32 der EBM-RL und Art. 13 der EBM-VO den Einsatz diskriminierungsfreier marktgestützter Verfahren für das Engpassmanagement. Notfallmechanismen, wie die netzorientierte Steuerung, sind daher rechtfertigungsbedürftig und genügen – alleine – auf Dauer nicht den unionsrechtlichen Vorgaben. Es ist also davon auszugehen, dass mittel- bis langfristig weitere Schritte in Richtung marktgestützter Mechanismen gegangen werden müssen, um dem europäischen Zielbild zu entsprechen.
Anreizbasierte Mechanismen zur Netzentlastung
Die EU-Vorgaben zum Engpassmanagement und zur Entgeltsystematik werden in den einzelnen Mitgliedsstaaten unterschiedlich interpretiert und umgesetzt. Generell lassen sich aus dem Rechtsrahmen Mechanismen der impliziten, der marktbasiert koordinierten und in Ausnahmefällen der direkten Steuerung ableiten. Im Projekt unIT-e² wurden auf Basis der internationalen Recherche neue Anreizmechanismen zur Netzentlastung konzipiert. Diese sollen die deutschen Ansätze zum Engpassmanagement auf Verteilnetzebene zielgerichtet ergänzen.
Der Vorschlag der Leistungspauschalen für Anschlussnehmer [1] in der Niederspannung adressiert insbesondere das Kriterium der Verursachergerechtigkeit und soll für einen effizienteren Umgang mit der verfügbaren Netzkapazität sorgen. Das Konzept ist jedoch nicht dazu gedacht, auf konkrete Engpasssituationen zu reagieren. Der „doppelt optionale dynamische Netznutzungstarif“ (dodyNT) [2] sieht vor, dass Netzbetreiber einen dynamischen Tarif als Alternative zum statischen Tarif anbieten und Netznutzer:innen freiwillig in diesen Tarif – und auch wieder aus ihm heraus – wechseln können (doppelt optional). Beim unIT-e² KOALA (Koordinations- und Allokationsalgorithmus) [3] erfolgt die Preisfindung für begrenzte Netzkapazität über kurzfristige Kapazitätsauktionen, womit sich der Mechanismus innerhalb der koordinierten Steuerung einsortiert. Beide Ansätze – dodyNT und KOALA – haben das Ziel, finanzielle Anreize zu setzen, um Engpässe kurzfristig abzuwenden.
Ausblick
Auch in Zukunft wird es einen Mix an verschiedenen Mechanismen geben, um haushaltsnahe Flexibilitäten sicher und effizient ins Verteilnetz zu integrieren. In Deutschland hat die Bundesnetzagentur mit der Einführung von § 14a EnWG die zur Verfügung stehenden Mechanismen für Verteilnetzbetreiber auf Niederspannungsebene gerade erst erweitert. Gleichzeitig bieten die Vorschläge aus dem Projekt unIT-e² sowie der Blick ins europäische Ausland bereits heute Anhaltspunkte für Reformpotenziale. Dies betrifft insbesondere die Weiterentwicklung von marktbasierten Mechanismen und grundlegende Fragen zur Anreizsetzung durch die Netzentgeltstruktur, denn Mechanismen für das Engpassmanagement sind eng mit der grundsätzlichen Ausgestaltung der Netzentgeltsystematik verknüpft. Für eine Novellierung der Netzentgeltsystematik und Weiterentwicklung des Netzengpassmanagements leiten wir daher folgende offenen Fragen ab:
- Werden flexible Verbrauchseinrichtungen angemessen an den Netzkosten beteiligt, oder werden die Kosten in einem dynamischen Entgeltmodell hauptsächlich von unflexiblen Verbrauchern getragen, die sich Hochtarifzeiten nicht entziehen können?
- Wie lassen sich dynamische Preisbestandteile [NM2] [VR3] mit leistungsbasierten Netzentgelten – welche das Potenzial hätten, die Verursachergerechtigkeit besser zu berücksichtigen – zielgerichtet kombinieren?
- Sind in einem System mit impliziten Flexibilitätsanreizen über Preissignale (wie dynamische oder zeitvariable Netzentgelte) weitere marktbasierte Mechanismen im Sinne des § 14c EnWG obsolet?
- Sollten Notfallinstrumente, wie die direkte Steuerung nach § 14a EnWG, künftig in der Netzplanung berücksichtigt werden, um effektiv Netzausbau einzusparen?
- Wie können Einspeiser, wie kleine PV-Anlagen, zielgerichteter ins Engpassmanagement eingebunden werden? Und sollten auch sie an den Netzkosten beteiligt werden?
Literatur
[1] Benjamin Begander, Michael Tomaszuk, Marcus Helfer, Benedikt Görig (2024): Netzentgeltsystematik in der Niederspannung verursachungsgerecht gestalten – Fokus ab der 5. Regulierungsperiode Strom (ab 2029), Positionspapier_Netzentgelte.pdf
[2] Gerrit Gräßer, Fabian Mankat, Dorothea Koch, Georg von Wangenheim (2024): Der doppelt-optionale dynamische Netzentgelt-Tarif (dodyNT) – Ausgestaltungsvorschlag eines dynamischen Netzentgeltes zur Bewirtschaftung von Engpässen im Verteilnetz, dodyNT-E3.0.pdf
[3] Vincenz Regener, Simon Köppl, Tobias Klarmann, Johannes Hilpert (2024): Der unIT-e² KOALA – Ein anreizbasierter Mechanismus zur Koordination netzorientierter Steuerungsvorgänge, Der unIT-e² KOALA