2nd Life Speicher – Potenzial und Rückwirkungen auf das europäische Energiesystem
Einleitung
Kommt ein Elektrofahrzeug zu seinem Lebensende, stellt sich die Frage der Weiterverwendung der verbauten Komponenten. Häufig hört man von der Nutzung der „alten“ Fahrzeugbatterie als stationären Speicher, alternativ wird oft auch über die Aufbereitung und Wiederverwendung in neuen Elektrofahrzeugen diskutiert. Aus Sicht der Fahrzeughalters ist somit eine Abwägung zw. der Nutzung als 2nd Life Speicher oder dem Recycling zu treffen. Nach [1] kann man diese wirtschaftliche Entscheidung über eine Maximierung abbilden:
Der Erlös E aus der Weiterverwendung der Fahrzeugbatterie soll maximal sein. Die erste Option wäre eine Wiederaufbereitung der Batterie zu einem 2nd Life Speicher . Die zweite Option wären Erlöse durch den Verkauf der Materialen, also Erlöse aus dem Recycling Crc. Die Erlöse für erstere Option C2nd berechnen sich aus den Kosten für neue Speicher Cnew multipliziert mit dem Batteriezustand bzw. der Degradation D und einem Reduzierungsfaktor für gebrauchte Produkte Ku abzüglich den Kosten für die Wiederaufbereitung Crp. Der erste Term kann als der Restwert der gebrauchten Batterie verstanden werden, in den Crp investiert werden muss, um für eine stationäre Nutzung verwendbar zu sein. Crp senkt somit den Erlös.
Basierend auf dieser grundsätzlichen Abwägung haben wir eine Methodik entwickelt, mit der wir einerseits das Potenzial und andererseits die Kosten von 2nd Life Speichern bestimmen, um die Ergebnisse in unser Energiesystemmodell ISAaR [2] zu spielen und damit die Rückwirkungen von 2nd Life Speichern auf das Energiesystem zu untersuchen. Unsere Ergebnisse und die Methodik wollen wir in folgendem Beitrag erläutern.
Ergebnisse
Wenn dem Energiesystem neben 1st Life Speichern und bidirektionalen Elektrofahrzeugen auch 2nd Life Speicher für einen Ausbau zur Verfügung stehen, lassen sich folgende Entwicklungen beobachten:
- Es wird das gesamte Potenzial an 2nd Life Speichern ausgeschöpft. In Europa im Jahr 2045 sind dies unter den getroffenen Annahmen knapp 500 GWh 2nd Life Speicher. In Deutschland sind es ca. 17,2 GWh und damit gut 27 % der deutschen Pumpspeicherkraftwerkskapazität.
- Es verringert sich der Zubau von bidirektionalen Elektrofahrzeugen in Europa um 670 GWh (ca. 22 %) und in Deutschland um 78 GWh (ca. 10 %).
- Es kommt zu einem höheren Zubau von PV Anlagen. Kapazitäten von Wind Onshore gehen hingegen zurück.
- Es erfolgt ein leicht geringerer Zubau und damit einhergehend eine geringere Stromerzeugung in thermischen Kraftwerkskapazitäten.
Bei dem simulierten Szenarien handelt es sich um Klimaschutzszenarien, bei denen die Obergrenzen für die THG-Emissionen für Deutschland und Europa festgelegt werden. Die Obergrenzen basieren auf dem europäischen Green Deal und dem deutschen Klimaschutzgesetz. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist bis 2030 festgeschrieben, basierend auf den politischen Zielen für Deutschland und den Szenarien des TYNDPs (Ten Years Net Development Plan) der ENTSO-E für Europa. Ab 2035 werden auf Basis dieser Vorgaben nur noch die Untergrenzen des EE-Ausbaus festgelegt. Ein weiterer Ausbau ist endogen möglich. Für thermische Kraftwerke wird ein exogener Ausstieg aus Kohle- und Kernkraftwerken entsprechend den nationalen politischen Vorgaben vorgegeben. Diese Kraftwerke können endogen durch H2-ready Gaskraftwerke ersetzt werden. [3]
In den Abbildung 1 und 2 sind diese Punkte grafisch zu erkennen. Die Integration von 2nd Life Speichern von knapp 500 GWh führt zu einem Rückgang der Integration von BDL-Fahrzeugen um 670 GWh. Da sich die Verfügbarkeit von BDL-Fahrzeugen durch Nichtansteckzeiten reduziert, haben die stationären Speicher somit aus systemischer Sicht einen Vorteil, was zu einer höheren Verdrängung als 1:1 führt. Im Bereich des Zubaus der erneuerbaren Energien gibt es ebenso Verschiebungen. In Europa wird gut 70 GW mehr PV Leistung zugebaut, die Wind Onshore Leistung jedoch sinkt um 30 GW. Das bestätigt die Schlussfolgerung aus [4], wonach elektrische Speicher und PV Anlagen gut harmonieren und zu günstigeren Systemgesamtkosten führen.
Für einen tieferen Einblick in die Simulationsergebnisse sei auf das interaktive Dashboard ISAaR Charts verwiesen, in dem neben dem Basisszenario und der 2nd Life Sensitivität alle weiteren Sensitivitäten des Projektes unIT-e² zu finden sind.
Methodisches Vorgehen
Als Startpunkt dient uns das Ergebnis unseres Verkehrsmodells [4], mithilfe dessen wir die Entwicklungen des Verkehrssektors abbilden. Der Output des Modell sind unter anderem Außerbetriebsetzungszahlen in Kombination mit dem Fahrzeugalter von Elektrofahrzeugen. Das Modell umfasst dabei ganz Europa (EU27+3) in einer jährlichen Auflösung und beinhaltet verschiedene Fahrzeugsegmente (Kleinwagen bis Oberklasse) mit jeweils spezifischen Kennzahlen. Zusammen mit der durchschnittlichen Fahrleistung berechnen wir die Degradation der Fahrzeugbatterien und daraus folgend die Restkapazität der Batterie. Im nächsten Schritt bestimmen wir die Restlebensdauer und Kosten der 2nd Life Speicher, um die Annuitäten zu berechnen und neuen Batteriespeichersystemen gegenüberstellen zu können. Als Input in das Energiesystemmodell gehen dann die gewichteten Kosten, Lebensdauern und maximalen Ausbau-Potenziale der 2nd Life Speicher ein.
Die Degradation D bestimmen wir nach [8]. Hier werden sowohl kalendarische α als auch ladezyklische β Alterungseffekte berücksichtigt. α ist dabei abhängig von der Umgebungstemperatur T, die wir mit 25°C als konstant annehmen, unter der Annahme, dass das Thermomanagement diese Temperatur jederzeit hält. Außerdem ist die kalendarische Alterung abhängig von der Batteriespannung U, die wir nach [8] mit 3,699 V konstant annehmen. Diesen Wert setzen wir auch für die durchschnittliche Spannung ØU an [8], die in die zyklische Alterung einfließt. Das Batteriealter t geht in diese Formel in Tagen ein.
Die durchschnittliche Tiefe der Entladung (ΔDoD) berechnet sich aus dem spezifischen Energieverbrauch des Fahrzeugs c und der durchschnittlichen Fahrleistung m pro Tag im Verhältnis zur Fahrzeugbatterie EBatt. Dabei unterstellen wir, dass durchschnittlich jeden zweiten Tag die Ladung der Batterie erfolgt:
Der Ladungsdurchsatz Q in Ah ist neben dem Gesamtenergieverbrauch abhängig vom Aufbau und Verschaltung der Batteriezellen sowie dem Alter t:
Für die Anzahl der verschalteten Zellen, sowie deren Anordnung haben wir die Daten realer Fahrzeugmodelle herangezogen, z. B. als Oberklassewagen ein Tesla Model Y Performance mit 78 kWh und 46 in Serie nseries und 96 parallel nparallel geschaltete Zellen mit einer Nominalspannung Unominal von 3,7 V [6].
Nachdem der Zustand der Batterie zum Zeitpunkt der Außerbetriebsetzung bestimmt wurde, wird das Gesamtpotenzial an 2nd Life Speichern, bestehend aus allen außer Betrieb gesetzten Fahrzeugen, um den Anteil verringert, der zu weit gealterte Batterien für den stationären Betrieb beinhaltet. Wir haben als Lebensende für den stationären Anwendungsfall einen SoH (State of Health) von 60 % gewählt. Das bedeutet, alle Fahrzeugbatterien, die am Ende ihres ersten Lebens über 40 % degradiert sind, werden von den weiteren Analysen ausgeschlossen.
Damit kann die eingangs erwähnte wirtschaftliche Maximierung der Batterieweiterverwendung betrachtet werden. Mit Kosten für neue 1st Life Speicher Cnew (Mittelwert aus [9], [10], [11]), Aufbereitungskosten Crp nach [9] und Recyclingerlösen Crc nach [9] ergibt die Funktion von [1] eine Entscheidung, ob die Fahrzeugbatterien recycelt oder als 2nd Life Speicher verwendet werden. Den Faktor für gebrauchte Produkte Ku haben wir auf eins gesetzt, da wir eine rein techno-ökonomische Analyse durchführen und das maximale Potenzial für 2nd Life Speicher bestimmen wollen.
Im darauffolgenden Schritt folgt die Bestimmung der Kennwerte für den stationären Betrieb des 2nd Life Speichers, um einen Vergleich mit 1st Life Speichern zu ermöglichen. Dazu berechnen wir die Restlebensdauer trest und Kosten C, um anschließend die Annuitäten AN von 1st und 2nd Life Speichern gegenüberzustellen und eine wirtschaftliche Bewertung durchzuführen. Zur Berechnung der Restlebensdauer linearisieren wir die verbleibende Lebensdauer mit folgender Formel unter Berücksichtigung des Lebensendes SoHend und der Lebensdauer von 1st Life Speichern t1st:
Den Kostenvergleich führen wir nicht auf Zellebene, sondern auf der Speichersystemebene durch. Dabei werden neben den Kosten für die Batteriezellen auch die Kosten für die Leistungskomponenten Cpower berücksichtigt [7]. Nachdem wir Batteriespeichersysteme für die Anwendung im Energiesystem betrachten wollen, haben wir uns für ein zukünftig vermutlich typisches E/P-Verhältnis rEP von vier entschieden. Nach [7] erfolgt die Kostenberechnung eines Batteriespeichersystems mit folgender Formel, wobei C je nach Betrachtungsfall Cnew bzw. C2nd annehmen kann:
Nachdem wir die Kosten und die Restlebensdauer bestimmt haben, können wir die Annuität der 2nd Life Speicher bestimmen. Die Annuität der 1st Life Speicher berechnet sich analog, wobei t als Platzhalter für einerseits t1st andererseits trest anzusehen ist:
Mit dieser Berechnung auf eine vergleichbare Größe wird die letzte wirtschaftliche Abwägung möglich und ein Ausschluss aller 2nd Life Speichersysteme vorgenommen, die wirtschaftlich schlechter gestellt sind, als neue Batteriespeicher. Somit reduziert sich auch hier nochmals das Potenzial. Das übrigbleibende Potenzial sind Batterien verschiedensten Alters mit unterschiedlichen Restlebensdauern und Anzahlen, die sich außerdem auf einzelne Fahrzeugsegmente aufgliedern. Um je Land nur ein 2nd Life Speicherpotenzial mit dazugehörigen Kosten auszuweisen, gewichten wir in einem letzten Schritt die Restlebensdauern und Kosten mit dem jeweiligen Anteil an der Gesamtkapazität.
Literaturverzeichnis
[1] Neubauer, Jeremy; Pesaran, Ahmad: The ability of battery second use strategies to impact plug-in electric vehicle prices and serve utility energy storage applications in: Journal of Power Sources, 196, S.10351 – 10358. Golden, Colorado: National Renewable Energy Laboratory, 2011
[2] ISAaR – Integriertes Simulationsmodell zur Anlageneinsatz- und -ausbauplanung mit Regionalisierung – FfE
[3] Ganz, Kirstin: Assessing the Impact of Smart Charging Electric Vehicles in the Future German Energy System. In: 2024 International Conference on Smart Energy Systems and Technologies (SEST); Torino, Italy: IEEE, 2024. DOI: 10.1109/SEST61601.2024.10694454.
[4] Kern, Timo: Assessment of the Added Value of Bidirectionally Chargeable Electric Vehicles for the User and the Energy System. Eingereichte Dissertation. Herausgegeben durch TU München (TUM): München, 2022
[5] TraM – Transport-Modell – FfE
[6] Tesla Model Y Performance (2022-2024) Preise und technische Daten – EV Database
[7] Schmidt-Achert, Tapio et al.: Future stationary battery cost – Assumptions for eXtremOS. München: FfE, 2021.
[8] Schmalstieg, Johannes: A holistic aging model for Li(NiMnCo)O2 based 18650 lithium-ion batteries. In: Journal of Power Sources 257. Aachen: RWTH Aachen, 2014.
[9] He, Xin: Greenhouse gas consequences of the China dual credit policy. Novi: Aramco Research Center Detroit, 2020.
[10] Supplement to Effects of market dynamics on the time-evolving price of second-life electric vehicle batteries: https://data.mendeley.com/datasets/j3zg5m9755/1; Southampton: Susan Sun, 2018.
[11] Mauler, Lukas: Battery cost forecasting: a review of methods and results with an outlook to 2050. Münster: University of Münster, 2021. DOI: 10.1039/d1ee01530c.