GridSim – Stromnetz- und Energiesystem-Modell für Verteilnetze

Das FfE Verteilnetz-Simulationsmodell „GridSim“ ist ein Simulationsmodell zur detaillierten Betrachtung von Verteilnetzen auf Basis von Lastflussberechnungen. Durch die umfangreiche Abbildung des elektrischen Energiesystems auf Verteilnetzebene können die Auswirkungen vielfältiger, dezentraler Erzeugungs- und Verbrauchssysteme auf das Verteilnetz bestimmt werden. Der Name des Simulationsmodells leitet sich aus dem englischen Wort „grid“ für Stromnetz und „sim“ kurz für Simulation ab.

Die Historie

Das Simulationsmodell wurde an der FfE zur Analyse und Bewertung der Veränderungen und Herausforderungen, welche im Rahmen der Energiewende auf die Verteilnetze zukommen, entwickelt. Im Rahmen diverser Projekte wurde und wird das Modell seit 2012 kontinuierlich weiterentwickelt und angewendet (Zentrale Projekte vgl. Abbildung 1). In diesen verschiedenen Projekten diente GridSim als Werkzeug für die Beantwortung von Forschungsfragen. In diesem Rahmen entstanden 2 Dissertationen und über 20 Abschlussarbeiten.

Abbildung 1: Die Historie des FfE-Verteilnetzmodells GridSim

Der Grundstein hierfür wurde im Rahmen der eGAP-Projekte gelegt. Das Ziel dieser Projekte war es, die Auswirkungen einer hohen Durchdringung von Elektrofahrzeugen (SmartGrid @GAP) sowie von Prosumenten mit PV-Anlagen, Hausspeichersystemen und Elektrofahrzeugen (Sun2Car @GAP) auf die Verteilnetze in Garmisch-Partenkirchen zu bewerten. Ebenso wurden Möglichkeiten zur Netzoptimierung mittels regelbarer Ortsnetztransformatoren (rONT) und Spannungslängsregler untersucht (Smart Grid Controller @GAP).

Im Projekt Merit Order Netz-Ausbau 2030 (MONA 2030) wurde das Modell um den Wärmesektor und die damit verbundenen Komponenten Wärmepumpen und elektrische Speicherheizungen (oft auch Nachtspeicherheizungen genannt) erweitert. In MONA wurden auch mit Berücksichtigung dieser Erweiterungen zahlreiche Netzoptimierende Maßnahmen (NoM) in das Modell implementiert und systematisch anhand repräsentativer Typnetze, die innerhalb des Projekts mittels Clusterverfahren ausgewählt wurden, miteinander verglichen.

Im darauf folgenden Projekt C/sells wurde das Modell eingesetzt, um den Flexibilitätsbedarf in der Demonstrationszelle Altdorf bei Landshut, zu ermitteln. Hierfür wurden reale Netzdaten aus der Mittel- und Niederspannungsebene sowie die zugehörigen Netzbelastungen in GridSim integriert und der berechnete Flexibilitätsbedarf an die zu entwickelnde Flex-Plattform „Alf“ übergeben.

Im Projekt eXtremOS wird durch Simulationen die aus dem Verteilnetz bereitstellbare Flexibilität, ohne deren Netzrestriktionen zu verletzen, exemplarisch ermittelt und an das Energiesystemmodell – ISAaR übergeben, um dort Flexibilität aus dem Verteilnetz abrufen zu können.

Im Projekt München elektrisiert (Me) wird GridSim eingesetzt, um die Netzbelastung durch Elektromobilität in München zu bewerten. Hierfür wurden verschiedene Varianten zur Nutzung der Ladeinfrastruktur (z. B. zu Hause, beim Arbeitgeber oder öffentlich) in GridSim integriert und in Fallstudien die aktuelle und zukünftige Netzbelastung in den Verteilnetzen ausgewählter Untersuchungsgebiete sowie die Auswirkungen auf die Residuallast für ganz München analysiert.

Im Rahmen des Modellvergleichs im Projekt MODEX MEO wird GridSim mit weiteren Modellen anderer Forschungsinstitute durch die Berechnung unterschiedlicher Zukunftsszenarien, wie z. B. dem Ausbau von Erneuerbaren Energien oder der Elektrifizierung von Wärme und Mobilität, methodisch miteinander verglichen. Der Vergleich dient der Identifikation geeigneter Modellierungsstrukturen für spezifische Fragestellungen, arbeitet Optimierungspotenziale der verschiedenen Modelle heraus und soll dabei mehr Transparenz in der operativen Systemanalyse schaffen.

Im Projekt Bidirektionales Lademanagement (BDL) wird GridSim eingesetzt, um das intelligente Zusammenspiel von bidirektionalen Elektrofahrzeugen mit dem Energiesystem zu erforschen. Hierzu werden unterschiedliche Anwendungsfälle z. B. zur Integration von erneuerbarer Energie modelliert und deren Auswirkungen auf die Verteilnetze analysiert. Ebenso wird untersucht, inwiefern Elektrofahrzeuge netzdienlich agieren können.

Im Projekt Reallabor für verNETZte E-Mobilität (unIT-e²) wird GridSim eingesetzt, um die Auswirkungen netzdienlicher und marktlicher Ladestrategien von Elektrofahrzeugen auf die Verteilnetze zu analysieren. Im Fokus stehen dabei aktuell diskutierte und novellierte Konzepte wie das Modell der Spitzenglättung nach § 14a EnWG in verschiedenen Verteilnetztopologien und Regionen Deutschlands. Darüber hinaus werden die Netzgrenzkapazitäten im Kontext der Integration von Flexibilitäten untersucht, um zu bestimmen bis in welches Jahr die heutigen Niederspannungsnetze unter Prognose aktueller Entwicklungen ausgelegt sind und ab wann die Netze ausgebaut werden müssen. Der in den Simulationen resultierende Netzausbau wird ausgewiesen und bewertet.

 

Wofür eignet sich das Simulationsmodell GridSim?

Mit GridSim können u. a. folgende Fragestellungen beantwortet werden:

  • Welche Netzbelastungen verursachen z. B. Elektrofahrzeuge oder Power-to-Heat-Systeme bei hoher Marktdurchdringung im Verteilnetz?
  • Kann dezentrale Erzeugung zukünftige Verbraucher versorgen?
  • Inwiefern erhöhen (funktionale) Stromspeicher die Aufnahmekapazität der Stromnetze für erneuerbare Energien?
  • Wie hoch ist die maximal in das Netz integrierbare Erzeugungsleistung bzw. ab welchem Zubau erneuerbarer Energien muss das Netz verstärkt werden?
  • Welche Gleichzeitigkeitsfaktoren entstehen durch unterschiedliche Betriebsweisen und in Abhängigkeit der Anzahl für Klassen von Verbrauchern wie beispielsweise Elektrofahrzeugen?
  • Welche Auswirkungen und welches Potenzial hat eine zunehmende Vermarktung von dezentralen Kleinanlagen?
  • Welche Netzoptimierenden Maßnahmen sind in welchem Netz und Szenario am effektivsten und günstigsten?
  • In welchem Maß können Verteilnetze Systemdienstleistungen für überlagerte Spannungsebenen bereitstellen?

Durch die Kombination aus dem Energiesystemmodell für Verteilnetze, welches eine detaillierte energetische Betrachtung (Fokus: Strom) der im Verteilnetz angeschlossenen Anlagen und Komponenten inkl. verschiedener Betriebsweisen bzw. Ladesteuerungen ermöglicht, und der dreiphasigen Lastflussberechnung des zugehörigen Netzgebiets, ist es möglich, die obigen Fragestellungen umfassend zu analysieren. In Tages- oder Jahressimulationen mit Zeitschrittweiten von einer Minute bis zu einer Stunde können vielschichtige Analysen und Auswertungen erstellt werden. Die umfassende und mit Standardwerten vorbelegte Parameterauswahl ermöglicht eine einfache und effiziente Szenarienerstellung sowie eine intuitive Nutzung von GridSim.

Wie funktioniert das Simulationsmodell GridSim?

Zu Beginn der Simulation wird entsprechend dem Anwendungsfall eine Netztopologie ausgewählt. GridSim ermöglicht die Untersuchung realer, aber auch synthetischer Netztopologien, welche z. B. durch Clusterung typisiert wurden (vgl. MONA-Basis-Netztopologien). Im nächsten Schritt werden den Anschlussknoten im Niederspannungsnetz Gebäude mit Wohn- und Gewerbeeinheiten zugewiesen. Ein exemplarisches Netzgebiet in der Niederspannung ist in Abbildung 2 dargestellt. Den Einheiten werden sowohl ein dreiphasiger, elektrischer Lastgang, als auch ein Wärmebedarf zugewiesen.

Abbildung 2: Schematisches Netzgebiet inkl. der modellierbaren Komponenten

Zusätzlich können jedem Gebäude Komponenten wie Elektrofahrzeuge, PV-Anlagen, Stromspeicher oder Wärmepumpen zugeteilt werden. Diese Komponenten werden zu Beginn der Simulation nach gewissen Kriterien zufällig (aber reproduzierbar) oder aus definierten Tabellen verteilt und mit je einem Erzeugungsgang bzw. Fahrprofil verknüpft. Durch eine Kopplung an das FfE-Regionenmodell können zahlreiche reale, regional hochaufgelöste, energiewirtschaftliche Daten zur Verteilung der Komponenten verwendet werden. Weitere Informationen: „Beitragsreihe GridSim: Verteilung von Netzkomponenten und Erzeugung der Lastgänge“.

Für sämtliche verteilte Komponenten können bei der Konfiguration eine Vielzahl von Betriebsweisen gewählt werden, welche sich auf Wirk- und Blindleistung auswirkt. Dies umfasst beispielsweise die Eigenverbrauchserhöhung mit Stromspeichern oder eine spannungsgeführte Regelung zur Vermeidung von Spannungsbandverletzungen am Netzanschlusspunkt. Weitere Informationen: „Beitragsreihe GridSim: Betriebsweisen der Komponenten

Anschließend wird im Simulationsdurchlauf für jeden Zeitschritt die Residuallast je Gebäude unter Berücksichtigung der Regelungen der Einzelkomponenten berechnet. Basierend auf dieser Residuallast-Matrix wird mit Hilfe einer Lastflussberechnung der aktuelle Netzzustand bestimmt. Hierbei werden alle Spannungen, Ströme und Betriebsmittelauslastungen berechnet. Diese Ergebnisse fließen je nach gewählter Regelungsweise direkt in die Regelung der Komponenten (z. B. rONT) ein oder werden gespeichert. Weitere Informationen: „Beitragsreihe GridSim: Lastflussberechnungen“.

Neben den Netzzuständen werden anschließend die Lastgänge aller Komponenten und bei Speichern die Ladezustände berechnet und gespeichert. Basierend auf diesen Daten können nach Abschluss der Lastflussberechnungen Energiebilanzen des gesamten Netzgebiets, Auslastungen der Netzkomponenten oder äquivalente Vollzyklen von Speichern erstellt bzw. errechnet werden. Ebenso können typische, statistische Ladelastgänge abhängig von den gewählten Ladesteuerungen sowie CO2-Bilanzen des Netzgebietes berechnet werden.

Da die Verteilung der Komponenten im Netzgebiet, z. B. als Extremfall alle Erzeuger am Strangende, einen sehr großen Effekt auf die Simulationsergebnisse hat, werden alle Szenarien mit unterschiedlichen Verteilungen mehrfach berechnet. Ab einer gewissen Anzahl an Verteilungen können statistisch fundierte Bewertungen von Netzauswirkungen bei einer bestimmten Durchdringung der Komponenten getätigt werden. In Abbildung 3 ist schematisch zusammengefasst der Simulationsablauf dargestellt.

Im Anschluss an die Simulation erfolgt eine automatisierte, mehrstufige Auswertung der Simulationsergebnisse, bei der sowohl Statistiken errechnet als auch Abbildungen erstellt werden. Diese Auswertungen werden in der ersten Stufe je Zufallsverteilung erstellt und zusätzlich in einer zweiten Auswertungsstufe zusammengefasst um somit statistisch aussagekräftige Ergebnisse für das betrachtete Szenario zu errechnen. Weitere Informationen: Beitragsreihe GridSim: Auswertung und Visualisierung.

Abbildung 3: Schematischer Ablauf der Simulation in GridSim