24.04.2020

Erfolgsfaktoren für Partizipation in lokalen Energieprojekten – Lessons Learned aus den C/sells Demonstrationsprojekten

Bei der Entwicklung und Umsetzung des Partizipationskonzeptes für ALF als auch in weiteren C/sells Partizipationszellen konnten Erkenntnisse zu Herausforderungen und Erfolgsfaktoren gesellschaftlicher Partizipation im digitalen Energiesystem gesammelt werden. Nach der Einführung ist dieser Artikel Teil 3 einer kurzen Beitragsserie von vier Beiträgen, in der wir diese näher erläutern werden:

Gemäß der C/sells-Leitidee sind die in C/sells-Demonstrationsprojekten entwickelten Lösungsansätze für zukünftige Energiesysteme sowohl zellulär und vielfältig als auch partizipativ. Analog zu den in Teil 1 der Beitragsreihe erläuterten unterschiedlichen Formen von Partizipation bestehen auch in C/sells verschiedene Ausprägungen und Ansätze der Bürgereinbindung. In diesem Beitragsteil werden die Lessons Learned unterschiedlicher Partizipationsansätze aus dem Projekt C/sells dargestellt. Als Input für diesen Beitrag dienen u. a. die Ergebnisse eines „World-Café“-Workshops mit den bayerischen C/sells-Zellen Arzberg, München und Altdorf sowie übergeordneten C/sells-Partizipationstätigkeiten.

Partizipationstätigkeiten in C/sells

Die C/sells-Projekte unterteilen sich in Demonstrations- und Partizipationszellen, es bestehen jedoch auch hybride Zellen – partizipative Demonstrationszellen – die beides vereinen. In den letzteren zwei Varianten finden Partizipationstätigkeiten mit Einbindung von Bürger*innen statt. Während in den reinen Partizipationszellen die Stufen der passiven Partizipation, bspw. in Form von Informationskampagnen zur Energiewende stattfinden, erfolgt in partizipativen Demonstrationsprojekten eine aktive Einbindung durch Teilnahme im Feldversuch. In den jeweiligen Projekten kommen unterschiedliche Strategien zur Teilnehmeransprache und –begleitung inklusive Inhalten und Kanälen der Kommunikation zum Einsatz. Aus der praktischen Umsetzung gehen unterschiedliche Erfolgsfaktoren hervor. Im folgenden Abschnitt werden diese für Partizipationszellen sowie ausgewählte partizipative bayerische C/sells-Demonstrationszellen aufgezeigt. Dabei werden erfolgreiche Lessons Learned, welche beibehaltet werden sollen („keep“), sowie für weitere Feldversuche zu verändernde Vorgehensweisen („change“) dargelegt.

Übergeordnete Partizipationstätigkeiten

Methoden: Im Rahmen der übergeordneten C/sells-Partizipationstätigkeiten wurden durch das Partizipationsteam von Projektpartner Smart Grids BW verschiedene Kommunikations- und Beteiligungsformate umgesetzt. Diese wurden von Sozialforschungsmaßnahmen, die zu Beginn des Projektes stattfanden, angeleitet und individuell ausgearbeitet. Die Kommunikationsaktivitäten erstreckten sich über Internetpräsenzen, die Nutzung von Social-Media-Kanälen bis hin zu Printformaten (wie z. B. Anzeigen in regionalen Wochenblättern). Die Partizipationstätigkeiten umfassten Bürgerevents mit niedrigschwelliger Ansprache (z. B. bei Marktfesten), um generelle Aufmerksamkeit zu gewinnen und Personen über das Thema Energiewende und intelligente Energienetze allgemein, bzw. die C/sells-Projekte vor Ort zu informieren. Tiefergehende Gespräche wurden bei den Bürgerdialogen mit intensiverer Ansprache geführt. Beispiele dafür sind Dialoge in öffentlichen Trams, in ausgewählten C/sells-Städten („TramTalk“), eine Solarfährenausfahrt und Auftritte bei Marktständen.

Lessons learned – keep:

Die Exploration der lokalen Gegebenheiten ist unabdingbar, da ein Lokalbezug dabei hilft, alle weiteren Aktivitäten interessant für die Bürger*innen und Akteure vor Ort zu machen, hier haben sich die Fokusgruppen-Untersuchungen bewährt. Die Ansprache sollte über verschiedene Kanäle erfolgen, diese wiederum gemäß der jeweiligen Zielgruppe ausgewählt. Gemeinde-/Amtsblätter haben in Gemeinden, Kleinstädten und teilweise auch in mittelgroßen Städten eine sehr hohe Reichweite. Internetpräsenzen sind unabdingbar, physisches Informationsmaterial sollte auf die Zielgruppen angepasst sein, um diese zu erreichen. Veranstaltungsformate mit niedrigschwelligem Charakter (Marktfeste) haben sich genauso bewährt wie konzentrierte und tiefergehende Formate (z. B. Bürgerdialoge wie der „Tram Talk“). Bei Letzteren ist der Aufwand so hoch, dass die lokalen Rahmenbedingungen wie Demonstrationen, potenzielle Wetterlage, etc. gut berücksichtigt werden sollten.

Quartierspeicher Arzberg

Methoden: Die Teilnehmer des C/sells-Demoprojektes in Arzberg wurden in einem Vorprojekt mit Smart Metern erster Generation ausgestattet. Im Rahmen von C/sells wurde die Auslesung per Mobilfunk reaktiviert und die Live-Messwerte in die Steuerung des Quartierspeichers implementiert.

Der erste Kontakt zwischen ZAE und Bürger*innen wurde im Rahmen einer Abendveranstaltung hergestellt. Daraufhin folgten Hausbesuche, wobei im persönlichen Gespräch das Projektvorhaben erläutert wurde. Ziel war es, technische Voraussetzungen zu klären, den Bürger*innen eventuelle Bedenken zu nehmen und sie zur Teilnahme am Projekt zu motivieren.

Lessons learned – keep: Als Erfolgsfaktor stellte sich die Wahl von Partizipationskanälen aufbauend auf bereits vorhandenen Strukturen heraus. So wurde eine der regelmäßig stattfindenden Bürgerveranstaltungen genutzt, um auf das Projekt aufmerksam zu machen. Weitere Öffentlichkeitsarbeit erfolgte in Form von Veröffentlichungen im lokalen Bürgerboten, wodurch mit möglichst geringem Aufwand eine hohe Reichweite innerhalb der Zielgruppe erreicht wurde.

Lessons learned – change: Die Ansprache von Themen, welche vom Projektteam als kritisch eingeschätzt wurden, wie erwartete Bedenken hinsichtlich Datenschutz und Privatsphäre, wurden in den persönlichen Gesprächen vermieden. Demnach lag der thematische Schwerpunkt der Gespräche auf der Messung von Spannungen und Strömen anstatt auf der Messung des Stromverbrauchs.  Den meisten Anwohner*innen war jedoch von Beginn an klar, dass sie sich im Rahmen des Projekts zum sogenannten „gläsernen“ Verbraucher/Prosumer machen – eine Aussicht, die jedoch in keinem Fall zur Nicht-Teilnahme führte. Folglich ist eine direkte Ansprache von negativ behafteten Themen durch das Projektteam für die zukünftige Probandenansprache zu empfehlen.

Intelligente Wärme München (IWM)

Methoden: Im partizipativen Demonstrationsprojekt der Stadtwerke München wurde eine Vielzahl verschiedener Formate benutzt, um Probanden zur Teilnahme zu bewegen. Die verfolgten Marketing-Strategien reichten von Infoabenden vor Ort, konzeptionellen Videos, Anzeigen auf Social-Media-Kanälen bis hin zu einer mobilen App.

Abbildung 1: C/sells-Partizipationsteam auf dem Marktfest am Gries in Altdorf (Foto: Ich-bin-Zukunft.de)

Lessons learned – keep: Von den gewählten Kanälen stellte sich eine zielgruppenspezifische Werbung auf Facebook in Verbindung mit einem Erklärvideo als Mittel mit größter Reichweite und zugleich geringen Kosten heraus. Die meisten potentiellen Teilnehmer*innen wurden jedoch mittels einer Veröffentlichung im Kundenmagazin der SWM (den Artikel finden Sie hier, Seite 12+13) erreicht. Der Artikel wurde zielgruppenspezifisch gestaltet mit entsprechend verständlicher Sprache und Visualisierung des Konzeptes. Über den enthaltenen Aufruf zur Teilnahme konnte die verhältnismäßig größte Anzahl an Interessent*innen für das Projekt gewonnen werden.

Lessons learned – change: Im Gegensatz zum Demoprojekt in Arzberg konnte im Fall des Projektes IWM nicht auf Öffentlichkeitsarbeit im Zuge bereits stattfindender Bürgerveranstaltungen zurückgegriffen werden. Demnach erfolgte die eigenständige Organisation und Durchführung entsprechender Informationsveranstaltungen. Der erwartete Mehrwert konnte jedoch aufgrund des negativen Kosten-Nutzen-Verhältnisses nicht erzielt werden. Nur 15 % aller potentiellen Teilnehmer folgten dem Einladungsschreiben, woraus schlussendlich acht Probanden am Projekt teilnahmen.

Altdorfer Flexmarkt

Methoden: Für die Demozelle ALF entwickelte die Forschungsstelle für Energiewirtschaft ein Partizipationskonzept zur Probandenansprache und –begleitung, welches in Teil 2 erläuterte Anreizmechanismen berücksichtigt (vgl.[1]). Aufbauend auf dem ersten Kontakt mit den Bürger*innen durch übergeordnete Partizipationstätigkeiten, wurden Abendveranstaltungen mit lokalen Bürgerinteressengruppen sowie ein Bürgerdialog abgehalten. Durch diesen „partizipativen Ansatz“ konnten zahlreiche Interessent:innen gewonnen werden. Das Partizipationskonzept wurde zum späteren Zeitpunkt um den „funktionellen Ansatz“ ergänzt, welcher eine gezielte Ansprache technisch geeigneter Teilnehmer*innen verfolgte. Dabei wurden technische Anforderungen der Kommunikationsinfrastruktur mit den Möglichkeiten der Anlagen vor Ort verglichen und zielgerichtete Kundengruppen kontaktiert.

Lessons learned – keep: Im Falle des Altdorfer Flexmarktes bewährte sich das persönliche Gespräch als erfolgreichste Methode, um Interesse zur Teilnahme zu wecken und Vertrauen in das Projekt aufzubauen. Über die gezielte Ansprache von über 250 als technisch geeignet definierte Teilnehmer*innen erfolgte eine geringere Rücklaufquote von ca. 10 %. In Kombination mit den durch den partizipativen Ansatz gewonnenen Interessent:innen konnte jedoch schlussendlich die gewünschte Teilnehmeranzahl für den Feldversuch erreicht werden. Auch hier konnte eine direkte Korrelation zwischen den Haushaltsstandorten der Rückmeldungen und den Regionen mit bereits stattgefundener Partizipationsarbeit festgestellt werden. Auch Regionen, in welchen bereits im Vorfeld ähnliche Projekte durchgeführt bzw. durch lokale Entscheidungsträger forciert wurden, weisen eine höhere Rücklaufquote auf.

Abbildung 2: Austausch mit ALF-Interessenten beim Bürgerdialog in Altdorf

Lessons learned – change: Die Einbindung der über den partizipativen Ansatz gewonnen Anlagen stellte sich als herausfordernd heraus, da sich die technischen Gegebenheiten bei der Montage vor Ort als ungeeignet herausstellten. Ein Grund hierfür ist bspw. der Funktionsumfang der derzeitigen Mess- und Steuerinfrastruktur, wodurch bestimmte Anlagentypen nicht kompatibel sind.

Exkurs: Extremszenarien „2 Welten“ – 0 % vs. 100 % Partizipation bei erfolgreicher Energiewende

Zum Abschluss des UAP 6.3.1-Workshops wurde ein Gedankenexperiment in zwei Gruppen durchgeführt. Das Setting lautete: Die Energiewende hat geklappt – jedoch einmal mit 100 % Partizipation, im anderen Szenario gänzlich ohne Bürgereinbindung.

Nun wurden in den jeweiligen Gruppen Aspekte und Voraussetzungen erarbeitet, die für die Erreichung des Ziels einer abgeschlossenen Energiewende mit 0 % oder mit 100 % Partizipation notwendig sind.

Bei 0 % Partizipation stellte sich schnell die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz, da in diesem Szenario der Staat sehr viel Kontrolle im Zuge einer zentralistischen Planung ausüben würde. In diesem Szenario würde sich das Energiesystem zudem weniger dezentral gestalten, sondern sich primär durch zentrale Erzeugung charakterisieren, wobei bspw. Windparks und verstärkter Übertragungsnetzausbau eine Rolle spielen. Zudem würden verstärkt Preiserhöhungen und Sanktionen notwendig sein, um das Potenzial erneuerbarer Energien auszuschöpfen und den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Die genannten Beispiele reichten von verpflichtenden PV-Installationen auf geeigneten Dachflächen über erhöhte Steuern auf den Flugverkehr bis hin zu einem gänzlichen Verbot fossiler Heizsysteme.

Das Energiesystem würde sich im 100 %-Szenario dezentral gestalten. Hierbei wurde deutlich, dass ein passender rechtlicher Rahmen für verschiedene Anreize notwendig wäre, um Partizipation zu fördern und zu ermöglichen. Des Weiteren wurde klar, dass es deutlich mehr zielgruppenspezifische Kommunikation bräuchte, um die Bevölkerung zu informieren und Interesse an einer notwendigen Bereitschaft zur Teilnahme zu wecken. Auch die direkte Wissensbildung in der Bevölkerung (bspw. Schulfach) wurde als Grundlage hierfür genannt.

Die Kosten und die Effizienz des Gesamtsystems stellten offene Fragen in beiden Szenarien dar. Ebenso wäre weder ein gänzlich zentral geplantes System noch ein 100 % dezentrales Energiesystem umsetzbar. Schlussendlich ergab sich unter den Teilnehmern der Konsens über eine notwendige Mischung beider Szenarien.

Fazit

Die unterschiedlichen Vorgehensweisen und Erfolgsfaktoren der C/sells-Projekte zeigen: Es gibt keinen allumfassenden „Masterplan“ für erfolgreiche Partizipation – sehr wohl gilt es aber, gewisse Leitlinien zu beachten. Unterschiedliche Zielgruppen sind für verschiedene Kommunikationskanäle empfänglich, welche es durch klare Definition der Zielgruppe vorab sowie eine breite Streuung, wie im Beispiel von IWM, zu finden gilt. Aus den Erfahrungen mit Gesprächen in Arzberg gehen der offene Umgang mit eventuell kritischen Themen wie Datenschutz als relevant hervor, um Vertrauen aufzubauen. Im Projekt IWM zeigte sich, dass Akquise und Partizipation mit hohem personellen und finanziellen Aufwand verbunden sind und dieser durch die richtige Wahl des Mediums verringert werden kann. Aus den Erfahrungen von ALF lässt sich festhalten, dass Informationsveranstaltungen vor Ort sowie die Berücksichtigung zuvor erhobener relevanter Anreizmechanismen innerhalb der Zielgruppe zielführend sind; jedoch müssen gleichzeitig die technischen Anforderungen bei der Probandengewinnung berücksichtigt werden, um eine Teilnahme von Interessent:innen zu realisieren.

Dieser Artikel ist Teil 3 von 4 der Beitragsreihe „Partizipation im zukünftigen (digitalen) Energiesystem“ und entstand mit Unterstützung durch die Projektpartner Smart Grids BW, ZAE Bayern und den Stadtwerken München.

 

Weitere Informationen:

 

Literatur:

[1] Wohlschlager, Daniela et al.: Bürgerbeteiligung in intelligenten Energiesystemen – Konzept zur gesellschaftlichen Partizipation in lokalen Energieprojekten am Beispiel des Altdorfer Flexmarktes. In: Tagungsunterlagen Zukünftige Stromnetze; Berlin: Conexio GmbH, 2020.