13.06.2019

Flexibilität elektrischer Heizsysteme im Feldtest

Beitrag von Simon Greif und Andreas Weigand in der et – Energiewirtschaftliche Tagesfragen, Ausgabe 06/2019

Während sich die deutsche Energiewende bisher überwiegend auf die umweltfreundliche Bereitstellung von Strom fokussiert hat, müssen in Zukunft auch die Nutzer von Energie stärker eingebunden werden. Eine große Herausforderung ist hierbei die Emissionsreduktion der Raumwärmebereitstellung von Wohngebäuden im Altbestand. Ein Lösungsansatz ist der Einsatz elektrischer Heizsysteme, welche gezielt dann Strom verbrauchen wenn dieser überwiegend aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung steht. In dem Projekt „Intelligente Wärme München“ erforschen die Stadtwerke München (SWM) zusammen mit der Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V. (FfE) dieses Konzept in einem Feldtest. Im Folgenden sind die Erkenntnisse aus der ersten Testphase zusammengefasst.

Das Demonstrationsprojekt „Intelligente Wärme München“ ist Teil des Forschungsvorhabens „C/sells“, einem der SINTEG-Schaufensterprojekte des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie [1].

Ziel des Projekts ist es, 500 Haushalte mit Power-to-Heat-Anlagen in München mit kostengünstiger Kommunikationstechnik auszustatten, um deren Flexibilitätspotenzial bestimmen zu können. Neben Elektrospeicherheizungen liegt der Fokus auch auf Wärmepumpen und Kälteanlagen. Diese Anlagen werden an das bereits seit vielen Jahren betriebene Virtuelle Kraftwerk der SWM angeschlossen und darüber bewirtschaftet.

Über die technischen Aspekte hinaus beinhaltet das Projekt vielfältige Partizipationsmaßnahmen. So werden die teilnehmenden Nutzer über ihre Rolle in der Energiewende umfangreich informiert. Außerdem befragt das Projektteam die Kunden regelmäßig während der Tests, etwa zu deren Wahrnehmung des Heizkomforts [2].

Abbildung 1: Zählerschrank mit modernen Mess- und Kommunikationseinrichtungen zur hochfrequenten Zählerfernauslesung, Foto: SWM

Herausforderungen im Feldtest

Im Vergleich zu bisher flexibel betriebenen Erzeugungsanlagen im Virtuellen Kraftwerk fokussiert sich das Projekt auf sehr kleine Verbraucher mit wenigen Kilowatt elektrischer Leistung. Dieses Segment birgt neben den Chancen auch neue Herausforderungen in den Bereichen der Probandenakquise, Vertragsgestaltung, der technischen Anbindung sowie der Motivation der Probanden.

Im urbanen Umfeld sind darüber hinaus die Eigentumsverhältnisse in Mehrparteienhäusern oftmals komplex, weshalb gesonderte Verträge mit dem Anschlussnehmer (Vermieter) und dem Anschlussnutzer (Mieter) geschlossen werden müssen. Eine weitere Herausforderung stellen die Zählerplätze alter Mehrfamilienhäuser dar, da die Elektroinstallation bis zu 60 Jahre alt sein kann. Hierbei spielen der oft nicht zeitgemäße technische Zustand, der für den Einbau intelligenter Messsysteme und weiterer Steuerungs- und Kommunikationskomponenten oft fehlende Platz sowie mangelnde Mobilfunkanbindung eine Rolle.

Im bestehenden System sind in der Regel alle Wohnungen eines Gebäudes über einen Schaltkontakt mittels Rundsteuertechnik steuerbar. Wenn jede Wohnung getrennt optimiert und gesteuert werden soll, müssen umfangreiche Umbauten an der Elektroinstallation im Eigentumsbereich des Kunden vorgenommen werden.

In der ersten Liegenschaft mit klassischen Elektrospeicherheizungen konnten 75 % der 28 kontaktierten Mieter motiviert werden, am Projekt teilzunehmen. Hierbei wurde vertraglich die Kostenneutralität sowie eine kleine Entschädigung für den Zeitaufwand zur Teilnahme an den Versuchen zugesichert. In einem Drittel der teilnehmenden Wohnungen wiesen die Geräte eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit z. B. in Bezug auf den Lüfter oder die Außentemperaturabhängigkeit auf. Die Gewohnheiten der Probanden spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Sie haben sich teilweise über Jahrzehnte gefestigt. Ein Viertel der Probanden gab bspw. an, die Lüfter ihrer Geräte gar nicht zu verwenden. Die zweckgemäße Bedienung ist jedoch Grundvoraussetzung für die wirkungsvolle Umsetzung einer Änderung der Beladung, da sich hierdurch der Speicherfüllstand und damit die passive Wärmeabgabe ändert.

Speicherbeladung heute

Die Regelung zur Beladung von Speicherheizungen besteht aus folgenden Komponenten: Ein Sensor misst die Außentemperatur und übermittelt diese an das Zentralsteuergerät. Dieses berechnet die für den folgenden Tag notwendige Energiemenge in Form eines Sollspeicherfüllstands, welcher mittels Steuerleitungen an jede einzelne Wohnung verteilt wird. Ein Gruppensteuergerät in jeder Wohnung verstärkt dieses Signal und ermöglicht es, den Wert manuell zu justieren. Die Steuerleitung führt vom Gruppensteuergerät zu den einzelnen Geräten in der Wohnung. In jedem Raum steht i.d.R. ein Speicherheizgerät mit integriertem Aufladeregler. Dieser verfügt über eine weitere Einstellmöglichkeit, z. B. mit den Stufen 0 %, 33 %, 66 % und 100 %, welche durch den Nutzer eingestellt werden können. [3]

Aus der Kombination von Außentemperatur, den Einstellungen des Zentralsteuergeräts, des Gruppensteuergeräts und des Aufladereglers ergibt sich ein effektiver Sollspeicherfüllstand. Unterschreitet der Ist- diesen Sollspeicherfüllstand, will der Aufladeregler den Speicher wieder bis zum Sollwert beladen. Die Beladung kann jedoch nur realisiert werden wenn Strom am Gerät anliegt. Der Netzbetreiber verfügt hierzu über die sog. Freigabezeiten. Dabei gibt es Geräte, die temperaturabhängige Freigabebefehle erhalten, anderen Geräten wird pauschal für acht Nachtstunden Freigabe gewährt.

Der Speicher wird ab dem Zeitpunkt, ab dem der Netzbetreiber die Freigabe gibt und bis zur Erreichung des Speicherfüllstandes, welcher sich durch Außentemperatur und Geräteeinstellung ergibt, beladen (Beschreibung der sog. Vorwärtssteuerung).

Speicherentladung

Entladen wird das Gerät durch passive Wärmeabgabe sowie aktiv durch den Betrieb des im Gerät integrierten Lüfters. Während die Selbstentladung mit steigendem Speicherfüllstand zunimmt, ist die Wärmeentnahme mittels Lüfter auch bei geringem Speicherfüllstand schnell und gezielt möglich. Die Entladungsregelung verfügt über einen Regler für die Sollraumtemperatur sowie einem Ein/Ausschalter.

Versuchsaufbau

In der Konzeptionsphase des Versuchaufbaus wurden verschiedene Varianten zur Steuerung der Beladung untersucht. Kontrovers diskutiert wurde dabei vor allem der Punkt, ob und inwieweit die bestehende Haustechnik verändert werden muss, um effektiv in die oben beschriebene Steuerkaskade eingreifen zu können.

Im Ergebnis werden zwei Varianten ausgewählt: Eine Variante (a) ohne Umbau der Haustechnik und eine (b) mit Austausch des Gruppensteuergeräts durch ein fernsteuerbares Zentralsteuergerät. In beiden Fällen werden digitale Stromzähler sowie neue Freigabesteuerungen installiert (siehe Aufmacherbild). Die Steuereinrichtungen erhalten ihre Fahrpläne durch ein eigens entwickeltes System mit mathematischer Optimierung sowie verschiedene Konzepte zur Sollwertübertragung.

Erste Versuchsreihe

Die folgende Beschreibung der ersten Versuchsreihe bezieht sich auf Variante (a). Die Tests umfassen die drei Phasen: (1) Historische Daten sammeln, (2) Freigabezeit kürzen und (3) partielle Lastverschiebung. Die Phasen sind in den Abb. 1 bis 3 in gleicher Reihenfolge dargestellt.

In Phase 1 wurde die aktuelle Beladung über sechs Monate analysiert, u. a. um diese als Basis für die Prognose des Wärmebedarfs zu verwenden (vgl. [4]).

Abbildung 2: Phase 1 - Status Quo der Beladung elektrischer Speicherheizungen

In Phase 2 erfolgte eine Reduzierung der Freigabezeiten. Im ersten Schritt wurden die Freigabezeiten in Abhängigkeit von Außentemperaturen und Istdaten beschränkt. So entfiel der Nachheizzyklus in den Morgenstunden.

Abbildung 3: Phase 2 – Gekürzte Freigabezeit zur Beladung elektrischer Speicherheizungen

Schließlich wurde in Phase 3 aus der verbliebenen Freigabezeit 20 % von der Nacht in den Mittag/Nachmittag verschoben. Die Optimierung erfolgte unter Berücksichtigung von Marktpreisen – sprich dem Resultat aus Angebot (u.a. erneuerbaren Energien) und Nachfrage.

Abbildung 4: Phase 3: Partielle Verschiebung der Beladung elektrischer Speicherheizungen

Zur Veranschaulichung der Zwischenergebnisse sind in den Abb. 1 bis 3 am Beispiel eines Probanden die Freigaben und die elektrische Lasten dargestellt.

In Abb. 1 ist die Leistungsabnahme einer Wohnung mit fünf Nachtspeicheröfen in Stufen zu sehen (zwei ausgeschaltet). Bei einer mittleren Tagestemperatur von rund 7 °C werden dem Speicher in 5,3 h 32 kWh elektrische Energie zugeführt. Es zeigt sich, dass die Geräte die Ladung zeitgleich beginnen und bis zu ihrer Einstellung von 33 %, 66 % bzw. 100 % mit unterschiedlicher Leistung geladen werden. Nach einer Stunde, wenn durch passive Wärmeabgabe der Sollspeicherfüllstand wieder unterschritten wird, beginnt das erste Geräte erneut mit einer Nachladung.

In Abb. 2 ist die Beladung derselben Wohnung bei vergleichbarer mittlerer Tagestemperatur und gekürzter Freigabezeit abgebildet. Die Freigabedauer wurde mittels Algorithmen auf 3,3 h verkürzt, wodurch ein Nachladen verhindert und lediglich 27 kWh elektrischer Energie geladen wurden.

In Abb. 3 wurde bei ebenfalls ähnlichen Temperaturverhältnissen rund ein Fünftel der benötigten Freigabedauer in die preisgünstigste Stunde zwischen 10:00 Uhr und 16:00 Uhr verschoben. Die Freigabezeit am Mittag beträgt in diesem Fall 45 Min. und führt zu einer Beladung der Speicheröfen von 7 kWh.

Begleitend zu den Versuchsreihen wurden Umfragen durchgeführt, wobei die Beteiligung sehr hoch war. Ein Großteil der Kunden nahm dabei bisher keine oder positive Veränderungen des Komforts wahr. Unterstützt werden diese Aussagen durch stichprobenartige Raumtemperaturmessungen.

Die ersten Versuche zeigen, dass eine partielle Lastverschiebung auch mit dem geringinvestiven Versuchsaufbau möglich ist. In den folgenden Versuchen wird der Anteil der Lastverschiebung schrittweise erhöht. Auch das Lastverschubpotenzial und die energiewirtschaftliche Nutzbarkeit von Variante (b) werden in einem nächsten Schritt untersucht.

Ausblick

Die beschriebenen Versuche der letzten Heizperiode sind die Grundlage für die in diesem Jahr angestrebte Erhöhung der Probandenzahl sowie der Identifikation möglicher Geschäftsmodelle. Durch den Anschluss weiterer Gebäude sollen weitere Erkenntnisse zur Massenfähigkeit gewonnen werden. In der kommenden Heizperiode ist geplant, weitere Tests durchzuführen, um sich dem theoretischen Optimum der Lastverschiebung weiter zu nähern. Darüber hinaus werden auch Wärmepumpen in die Fahrplanoptimierung aufgenommen. Im Zuge dessen erfolgt auch der Einbau von intelligenten Messystemen zur hochfrequenten Messung und Steuerung.

Ein weiteres Ziel des Projekts „Intelligente Wärme München“ ist es, die gewonnen Erkenntnisse des flexiblen Betriebs von Power-to-Heat-Anlagen zu nutzen, um Steuerkonzepte und -prozesse in Niederspannungsnetzen – auch im Hinblick auf die zunehmende Elektromobilität – weiterzuentwickeln.

Weitere Informationen zum Projekt sowie zur Teilnahme sind unter www.swm.de/iwm bzw. www.ffe.de verfügbar.

Quellen

[1] Greif, S.; Conrad, J.: Laufendes Projekt: Intelligente Wärme München. In: http://ffe.de/themen-und-methoden/waermeversorgung/740. München: FfE e.V., 2019.

[2] Weigand, A.: „München vernetzt sich mit der Sonne“ in Transoforming Cities 1/2018. Baiersbronn-Buhlbach: Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, 2018.

[3] Schramek, E.: Taschenbuch für Heizung und Klimatechnik. München: Oldenbourg Industrieverlag GmbH, 2011.

[4] Greif, S.; Conrad, J.; Schmid T.: Methoden zur Erstellung synthetischer Wärmelastgänge. In: Energiewirtschaftliche Tagesfragen 10/2018. Berlin: EW Medien und Kongresse GmbH, 2018

  • Dr.-Ing. Simon Greif
    Ehemaliger Mitarbeiter
  • Andreas Weigand
    Stadtwerke München GmbH