19.10.2020

Beitragsreihe GridSim: Verteilung von Netzkomponenten und Erzeugung der Lastgänge

Das Verteilnetz- und Energiesystem-Modell GridSim ist ein umfassendes und vielschichtiges Modell der FfE. Dieses vorwiegend in MATLAB implementierte Simulationsmodell wird seit dem Jahr 2012 in diversen Projekten weiterentwickelt, um kontinuierlich den technologischen Fortschritt abzubilden und um dadurch einen Beitrag zur Beantwortung der aktuellsten, energiewirtschaftlichen Forschungsfragen im Kontext der Verteilnetze zu leisten. In der folgenden Beitragsreihe bieten wir einen vertiefenden Einblick in den Werkzeugkasten der FfE, von den Grundsätzen über die darin modellierten Komponenten und Möglichkeiten der Regelung bis hin zur automatisierten Auswertung und Veranschaulichung der Simulationsergebnisse.

Dieser Beitrag ist der zweite von fünf Beiträgen, die nun sukzessive auf unserer Website erscheinen und in dieser Tabelle verlinkt werden.

Übersicht über die Themen der Beitragsreihe GridSim
  1. Das Energiesystemmodell
  2. Verteilung von Netzkomponenten und Erzeugung der Lastgänge
  3. Lastflussberechnungen
  4. Betriebsweisen der Komponenten
  5. Auswertung und Visualisierung

Reale Netzzustandsberechnung vs. synthetische Szenarien

Die verschiedenen Projekte der FfE und die damit verbundenen Anforderungen zur Beantwortung unterschiedlichster Forschungsfragen erfordern von GridSim ein ebenso großes Repertoire an Möglichkeiten der Eingangsdatenverarbeitung, der Initialisierung und der Art der Simulation. Die Diversität und Qualität der Eingangsdaten bestimmt maßgeblich die Möglichkeiten des Modells, realitätsnahe oder zukünftige Netzzustände abzubilden und entsprechende Folgerungen abzuleiten. Dieser Prozess beginnt bereits bei der Auswahl der Netztopologie (reale Netztopologie oder Typ-Netztopologie) und Zuordnung der Netzkomponenten zu den Netzanschlusspunkten (genaue Zuordnung oder zufällige Verteilung). Die größtenteils modulare Struktur des Modells ermöglicht es dabei, verschiedenste Szenarien zu simulieren und die im Netz integrierten Komponenten nach Anforderungen der individuellen Forschungsfragen zu kombinieren.

Bei Kenntnis über reale Netzdaten und der darin angeschlossenen Netzkomponenten kann, bei entsprechender Dimensionierung und Betriebsweise der Betriebsmittel, ein entsprechend realitätstreues Bild valider Netzzustände abgeleitet werden. Dies konnte zuletzt im Projekt C/sells für ein reales Mittelspannungsnetz einschließlich darin integrierter Betriebsmittel und Niederspannungsnetze (teils detailliert, teils aggregiert) durchgeführt werden. Darauf aufbauend wurden anschließend aus der Definition verschiedener Zukunfts-Szenarien mögliche Entwicklungspfade, einschließlich der resultierenden Netzbelastung, sowie der mögliche Bedarf an Flexibilität (Änderung in der Wirk-/Blindleistung zur Behebung eines Netzengpasses) aufgezeigt. [1]

Alternativ besteht in GridSim auch die Option, über reproduzierbar zufällige Verteilung von Komponenten im Netz und einem Monte-Carlo-Simulationsansatz statistische Aussagen über die mögliche Belastung von Verteilnetzen zu tätigen. Diese Methode ist besonders bei der Analyse großräumiger Untersuchungsgebiete sinnvoll und ermöglicht allgemeinere Aussagen über die Charakteristik der Netzbelastung. So wurde beispielsweise im Rahmen des Projekts „München elektrisiert“ in Kombination mit dem FfE-Regionenmodell „FREM“ der Gebäudebestand Münchens aus größtenteils Open-Source-Daten nachmodelliert (vgl. Klassifizierung in Abbildung 1). Aus der Klassifizierung der Gebäude, einer entsprechenden Verteilung elektrischer Komponenten über Quoten, konnte zuletzt der Status Quo der Netzbelastung ermittelt werden. [2]

Abbildung 1: Modellierung und Klassifizierung der Gebäude des Münchner Stadtbezirksteil „Altstadt“

Modulare Erzeugung statischer Lastgänge

Nach räumlicher Verteilung der Komponenten im Verteilnetz werden die für die Lastflussberechnung notwendigen, statischen Lastgänge der Komponenten abgeleitet. Im Idealfall werden diese aus realen Messungen in das Modell importiert und an die definierten Rahmenbedingungen angepasst. Dies ist insbesondere bei industriellen Anlagen in der Mittelspannungs-Ebene, großen Erzeugungsanlagen oder auch Gewerbebetrieben (mit registrierender Leistungsmessung) entscheidend, welche durch hohe Leistungsaufnahme die Lastflüsse im Verteilnetzgebiet signifikant durch das individuelle Lastprofil beeinflussen. Neben den großen Komponenten ist jedoch auch die Vielzahl kleinerer Erzeugungsanlagen und Verbraucher relevant. In GridSim besteht hier die Möglichkeit, durch sehr detailliert implementierte Module, spezifische Lastgänge für die verschiedenen Komponenten zu erzeugen. Durch Aggregation der Lastgänge dieser einzelnen Komponenten lassen sich dann die Lastgänge der Gebäude an den zugehörigen Netzverknüpfungspunkten ermitteln (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Schematische Darstellung des Einflusses verschiedener Komponenten auf den elektrischen Lastgang eines Gebäudes

Auch für die Komponenten der Gebäude gibt es in GridSim verschiedene Möglichkeiten, den zugehörigen Lastgang zu modellieren, wobei an vielen Stellschrauben gedreht werden kann, um individuelle Konfigurationen zu berücksichtigen. Es resultieren viele Optionen, verschiedenste Daten entsprechend der Forschungsfragen oder z. B. auch regionaler Gegebenheiten in das modellierte Energiesystem zu importieren oder synthetische Lastgänge durch Nutzereingaben zu konfigurieren. Für alle veränderbaren Parameter kann dabei auch auf Default-Werte (basierend auf Statistik oder Recherche einschlägiger Literatur) zurückgegriffen werden.

Für die Lastgänge der Haushalte kann auf Standardlastprofile zurückgegriffen werden, welche über einen elektrischen Jahresenergiebedarf skaliert werden. Durch diese sehr einfache Methode werden mögliche Lastspitzen der Haushalte jedoch geglättet, weshalb in GridSim häufig der eigens entwickelte Haushaltslastganggenerator zum Einsatz kommt. Dieses agentenbasierte Modell erzeugt für eine verschieden große Anzahl an Bewohnern eine logisch zusammenhängende Folge an Aktivitäten, welche mit einer entsprechenden Last verbunden sind. Aus Aggregation der Belastung durch einzelne Bewohner und der Grundlast einiger Haushaltsgeräte resultiert ein entsprechender Haushaltslastgang. Wurden im Untersuchungsgebiet Elektrofahrzeuge verteilt, so ergibt sich aus der Kopplung des Mobilitätsbedarfs der Agenten, der daraus resultierenden Fahrtzeiten und -distanzen sowie einem Verbrauchsmodell zusätzlich ein entsprechender Ladelastgang der privat genutzten Elektrofahrzeuge. [3]

Bei Gewerbeeinheiten wird in GridSim häufig auf Standardlastprofile oder gemessene Lastgänge eines entsprechenden Wirtschaftszweigs zurückgegriffen. Die gewerbliche Mobilität und eine daraus resultierende Netzbelastung durch gewerblich genutzte Elektrofahrzeuge wird mittels individuell erzeugter Mobilitätsprofile auf Basis statistischer Verteilungen generiert. [4]

Auch die Lastgänge öffentlicher Ladepunkte werden über einen eigens implementierten Lastganggenerator für öffentliche Ladelastgänge aus statistischen Daten generiert, wobei die Verteilung der Ladepunkte, ähnlich wie bei den modellierten Gebäuden, zufällig oder gezielt im Netz erfolgen kann.

PV-Anlagen und möglich zugehörige Hausspeichersysteme können ebenfalls durch Integration realer Lastgänge abgebildet oder generisch erzeugt werden. Durch Vorgabe verschiedener Parameter wie Örtlichkeit, Ausrichtung und Größe kann in Kombination mit zeitlich und regional hoch aufgelösten Wetterdaten aus dem FfE-Regionenmodell „FREM“ die PV-Einspeisung sehr genau nachgebildet werden.

Die Dimensionierung einer elektrischen Wärmeversorgung mittels Power-to-Heat-Systemen erfolgt durch den aus der Gebäudestruktur vorgegebenen Wärmebedarf. Die Berechnung dieses Bedarfs erfolgt dabei unter Berücksichtigung diverser Gebäudecharakteristika wie der Größe, des Bau-Alters oder dem Sanierungsgrad sowie dem zeitlichen und regionalen Temperaturverlauf. Unter Einbezug technischer Vorgaben und Restriktionen wird entsprechend des Anlagen-Typs (Wärmepumpe oder Elektro-/Nachtspeicherheizung) ein zugehöriger Lastgang erzeugt. [5]

Letztendlich lässt sich durch bottom-up Modellierung der Komponenten in den Gebäuden und den daraus resultierenden Lastgängen durch Aggregation der Lastgang ganzer Siedlungsstrukturen im Modell abbilden (vgl. Abbildung 3).

Abbildung 3: Schematische Darstellung des Lastgangs einer Siedlung

Insbesondere beim dynamischen Zusammenspiel der einzelnen Komponenten auf Betrachtungsebene des gesamten Verteilnetzgebiets zeigt GridSim seinen Wert für die Beantwortung aktueller Forschungsfragen. Welche Prozessschritte dabei zur Bestimmung der Lastflüsse und daraus resultierender Netzkenngrößen in GridSim ablaufen, wird im nächsten Beitrag dieser Reihe erörtert.

 

Weitere Informationen:

 

Literaturverzeichnis:

[1] Müller, Mathias et al.: Simulative Abbildung von Netzbelastungssituationen in einem realen Mittelspannungsnetz und resultierender Flex-Bedarf. In: Tagung Zukünftige Stromnetze Berlin: Conexio GmbH, 2020.
[2] Weiß, Andreas et al.: Simulative Analyse der aktuellen und zukünftigen Netzbelastung urbaner Versorgungsgebiete. In: Tagung Zukünftige Stromnetze; Berlin: Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V., 2020.
[3] Müller, M.; Biedenbach, F.; Reinhard, J. Development of an Integrated Simulation Model for Load and Mobility Profiles of Private Households. Energies 2020, 13, 3843
[4] Franz, Simon: Auswirkung uni- und bidirektionalen Ladens von Elektrofahrzeugen auf die Netzbelastung in Verteilnetzen – Impacts on the Network Load in Distribution Networks due to Uni- and Bidirectional Charging of Electric Vehicles. Masterarbeit. Herausgegeben durch die Technische Universität München – Lehrstuhl für Energiewirtschaft und Anwendungstechnik, betreut durch die Forschungsstelle für Energiewirtschaft e. V.: München, 2019.
[5] Kleinertz, Britta; Gallet, Marc; Müller, Mathias; Samweber, Florian: Optimierung der Netzrückwirkungen dezentraler Power-to-Heat-Anlagen im Niederspannungsnetz in: Dritte Dialogplattform Power to Heat 2017. Berlin: Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V., 2017