Wege zur Skalierung von Negativemissionstechnologien
BECCUS Studie im Auftrag der MVV
Im Rahmen des Projekts haben die FfE und Guidehouse im Auftrag der MVV die Potenziale von Negativemissionen durch CO₂-Abscheidung aus biogenen Quellen untersucht – konkret im Kontext von thermischen Abfallbehandlungsanlagen und Biomassekraftwerken (BECCUS: Bioenergy with Carbon Capture, Utilization or Storage).
Die Studie zeigt, dass BECCUS technisch grundsätzlich realisierbar ist. Allerdings fehlen derzeit die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für einen rentablen Betrieb: Die Kosten für Abscheidung, Transport und Speicherung von CO₂ übersteigen deutlich die potenziellen Einnahmen aus dem Verkauf von Negativemissionszertifikaten. Vor diesem Hintergrund formuliert die Studie konkrete Handlungsempfehlungen an die Politik, um die Skalierung von Negativemissionstechnologien in Deutschland zu ermöglichen.
Motivation
Auch bei weitgehender Dekarbonisierung der Wirtschaft verbleiben unvermeidbare Restemissionen – etwa aus der Landwirtschaft oder aus industriellen Prozessen – die durch Negativemissionen ausgeglichen werden müssen. Diese entstehen beispielsweise durch die Abscheidung und Speicherung der CO2-Emissionen, die bei der energetischen Nutzung von Biomasse freigesetzt werden. Dieser Prozess wird als BECCUS (Bioenergy with Carbon Capture, Utilization or Storage) bezeichnet und kann in Biomassekraftwerken oder thermischen Abfallbehandlungsanlagen umgesetzt werden. (siehe Beitragsreihe Carbon Management: Beitragsreihe Carbon Management: Was bedeutet Carbon Management? – FfE )
Methodik
Die FfE hat im Rahmen des Projekts das Potenzial für Negativemissionen aus thermischer Abfallbehandlung (TAB) und Biomassekraftwerken (BMKW) in Deutschland ermittelt und die Entwicklung der bestehenden Finanzierungslücke analysiert.
Die CO₂-Mengenpotenziale von TAB und BMKW wurden auf Basis öffentlich zugänglicher Daten (MaStR, E-PRTR) standortspezifisch ermittelt. Ein Bottom-up-Ansatz mit Fokus auf die relevanten größeren und jüngere Anlagen (≥ 3 MW, < 50 Jahre) bildet damit die Grundlage für die Potenzialabschätzung von Negativemissionen aus TAB und BMKW in Deutschland.
Darauf aufbauend wurde ein Hochlaufszenario für die CO₂-Abscheidung entwickelt, das sowohl die technische Machbarkeit als auch die Verfügbarkeit von Transportinfrastruktur berücksichtigt. Für Anlagen mit Pipelineanschluss wurde ein späterer Startzeitpunkt angenommen, während abgelegene Anlagen bereits ab 2030 mit alternativen Transportwegen (z. B. Zug, Schiff) bestimmt wurden.
Zur Bewertung der Wirtschaftlichkeit wurden die Kosten entlang der gesamten Prozesskette – von der Abscheidung über den Transport bis zur Speicherung – detailliert auf Investitionskosten und Betriebskosten unter Berücksichtigung von Skaleneffekten, Lernraten und Unsicherheitskorridoren analysiert.
Dem gegenübergestellt wurden potenzielle Erlösquellen betrachtet: einerseits durch die Vermeidung von Zertifikatskosten für fossile Emissionen, andererseits durch den Verkauf von Negativemissionszertifikaten für den biogenen Anteil der CO₂-Emissionen. Dabei wurden zwei Preisszenarien berücksichtigt:
- konservatives Basisszenario für die Entwicklung von CO₂-Preisen am Emissionshandel
- optimistisches Kompensationsszenario mit höherer Zahlungsbereitschaft für die Kompensation von CO₂-Emissionen
Die Gegenüberstellung von Kosten und Erlösen erlaubt schließlich die Ableitung der Finanzierungslücke für BECCUS-Projekte. Diese bildet die Grundlage für die im weiteren Verlauf der Studie entwickelten Vorschläge zu Förderinstrumenten und Marktdesigns.
Ergebnisse
Die Analyse zeigt, dass thermische Abfallbehandlungsanlagen (TAB) und Biomassekraftwerke (BMKW) in Deutschland aktuell jährlich rund 42 Millionen Tonnen CO₂ emittieren, wovon etwa zwei Drittel biogenen Ursprungs sind. Bei einer typischen Abscheiderate von 90 % ergibt sich daraus ein Potenzial von rund 25 Millionen Tonnen Negativemissionen pro Jahr.
Das betrachtete Hochlaufszenario sieht vor, dass die CO₂-Abscheidung ab 2030 mit etwa 12 Millionen Tonnen pro Jahr beginnt und bis 2045 auf rund 29 Millionen Tonnen ansteigt. Parallel dazu wächst die potenzielle Nachfrage nach CO₂ für stoffliche Nutzung – etwa zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe – auf etwa 15 Millionen Tonnen jährlich. Ein Teil des abgeschiedenen biogenen CO₂ kann somit stofflich genutzt, der verbleibende Anteil dauerhaft gespeichert werden und damit Negativemissionen erzeugen.
Die Gesamtkosten für BECCS – bestehend aus Abscheidung, Transport und Speicherung sind dabei mit großen Unsicherheiten behaftet und unterscheiden sich je nach Standort und Anlagengröße. Abbildung 1 zeigt die Vermeidungskostenkurve für biogenes CO₂ im gesamten TAB und BMKW-Anlagenpark in Deutschland. Aufgrund von Skalierungseffekten sind Anlagen mit großen CO2-Kapazitäten tendenziell weiter links in der Vermeidungskostenkurve verortet. Die niedrigsten Gesamtkosten weisen Anlagen mit kurzen Transportwegen und Onshore-Speicherung auf. Insgesamt bewegen sich die Kosten zwischen 150 €/t und 300€/t für eine Inbetriebnahme der CO₂-Abscheidung im Jahr 2030.
(Abbildung aus der Studie, Design abweichend zum Corporate Design der FfE)
Die Entwicklung der Gesamtkosten bis 2045 ist mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Einerseits können Lerneffekte in der Technologie zu günstigeren Invesititonskosten führen, andererseits zeigen aktuelle Entwicklungen am Markt eine steigende Kostenentwicklung bei ersten Pilotanlagen. Um die Finanzierungslücke zu bestimmen, wurden die mittleren Kostenschätzungen den potenziellen Erlösen im EU-Emissionshandel gegenübergestellt. Abbildung 2 veranschaulicht die resultierende Finanzierungslücke für eine typisches Biomassekraftwerk, bei dem das abgeschiedene CO₂ per Zug zu einem Offshore-Speicher transportiert und dort eingelagert wird.
(Abbildung aus der Studie, Design abweichend zum Corporate Design der FfE)
Im Basisszenario ergibt sich für das Jahr 2030 eine durchschnittliche Finanzierungslücke von 134 Euro pro Tonne CO₂. Selbst unter optimistischen Annahmen für Erlöspotenziale aus dem Verkauf von Negativemissionszertifikaten kann diese Lücke bis 2045 nur zum Teil geschlossen werden. Damit wird deutlich: Ohne gezielte Fördermaßnahmen ist ein wirtschaftlicher Betrieb von BECCS nicht darstellbar.
Die Studie zeigt demnach vier zentrale Handlungsempfehlungen für die Politik auf:
- Einheitliche Standards einführen: Grundlage für die Nutzung von BECCUS-Technologien ist die Definition von Standards und Zertifizierungssystemen für Negativemissionen.
- Förderrahmen muss die gesamte Prozesskette berücksichtigen: Mittelfristig können die Mehrkosten von Negativemissionen gegenüber den Markterlösen durch Contracts for Difference ausgeglichen werden. Kurzfristig sind für First Mover schnell umsetzbare Investitionszuschüsse ein Instrument, um Maßnahmen entlang der gesamten Prozesskette gleichzeitig anzuschieben.
- Negativemissionen in den EU Emissionshandel integrieren: Betreiber von BECCUS-Anlagen sollten die Zertifikate für Negativemissionen auf einem regulierten Markt anbieten und die CO2 -Entnahme möglichst marktlich finanzieren.
- Regulierungs- und Finanzierungsrahmen für CO₂-Infrastruktur entwickeln: Infrastrukturbetreiber brauchen Planungssicherheit, um mit der Errichtung zu beginnen. Insbesondere braucht es geeignete Finanzierungsmechanismen in der Hochlaufphase.