Energieflexibilität in der Glasindustrie
Motivation
Anlass der Studie ist das geplante Auslaufen der sogenannten „Bandlastregelung“ zum 01. Januar 2026, welche eine Netzentgeltreduktion für stromintensive Verbraucher darstellt. Für Letztverbraucher gilt eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2028. Die „Bandlastregelung“ reizt eine möglichst konstante Stromabnahme durch die Verbraucher an. Bei einem Jahresstromverbrauch von über 10 GWh und gleichzeitig über 7.000 Volllaststunden (VLS) werden dabei bis zu 80 % Rabatt auf die Netzentgelte angerechnet. Eine geplante Überarbeitung der Netzentgeltprivilegien unter anderem zur Integration fluktuierender erneuerbarer Stromerzeugung in das Energiesystem soll hingegen Energieflexibilitätspotenziale aktivieren und eine flexible, netzdienliche Stromabnahme incentivieren.
Zielsetzung & Methodik
Zur Beantwortung, ob und in welchem Umfang die Glasindustrie solche Energieflexibilitätspotenziale bereitstellen kann, untersucht diese Studie die Prozesse der Glasherstellung im Status quo und gibt einen Ausblick auf die zukünftigen Entwicklungen unter Berücksichtigung möglicher Transformationspfade. Dazu wurden Interviews und Vor-Ort-Begehungen mit Glaswannenherstellern und Glasproduzenten durchgeführt.
Fazit & Kernergebnisse
Die Glasproduktion ist durch kontinuierliche, energieintensive und temperatursensitive Prozesse geprägt. Das thermische Gleichgewicht der Glasschmelze ist essenziel für die Produktqualität. Anpassungen der Prozessparameter führen in der Regel zu Ausschussproduktion, was Energieflexibilitätspotenziale stark einschränkt. Die absehbare Dekarbonisierung der Branche erfolgt primär durch Elektrifizierung mittels vollelektrischer oder hybrider Schmelzwannen. Diese erhöhen den Strombedarf erheblich, ohne jedoch neue relevante Flexibilitätspotenziale zu schaffen. Hybride Wannen bieten theoretisch Spielraum zur Variation des Strom-Gas-Verhältnisses, doch sind diese Anpassungen technisch komplex, zeitaufwendig und lediglich langfristig umsetzbar, sowie mit Risiken für Effizienz und Lebensdauer verbunden. Sie stellen damit keine Möglichkeit zur Reaktion auf kurzfristig fluktuierende erneuerbare Energieerzeugung dar. Energiespeicher wie Batteriesysteme könnten außerhalb des Kernprozesses Flexibilität ermöglichen, sind jedoch wirtschaftlich und infrastrukturell herausfordernd. Regulatorische Anreize zur Aktivierung von Energieflexibilitätspotenzialen können nur dann wirksam sein, wenn sie die technischen Grenzen der Glasproduktion berücksichtigen. Eine kontinuierliche, effiziente, qualitativ hochwertige und wirtschaftlich darstellbare Produktion bleibt oberste Priorität. Die individuellen standort- und produktspezifischen Anforderungen der Produzenten sind in der Ausgestaltung von Netzentgeltsystematiken zu berücksichtigen.
Kernergebnisse der Studie
- Vielfalt der Glasherstellung
Jeder Standort sowie jedes Produkt der Glasindustrie hat eigene, höchst individuelle Anforderungen und Voraussetzungen, um entsprechende Produktqualitäten zu erreichen. Insbesondere zwischen den einzelnen Teilbereichen Flachglas, Hohl-/Behälterglas und Spezialglas muss zwingend unterschieden werden.
- Technisch bedingt: Geringe Energieflexibilitätspotenziale im Herstellungsprozess
Alle Glasproduktionsprozesse müssen kontinuierlich ablaufen, um das eingestellte thermische Gleichgewicht im Prozess und damit die gewünschte Produktqualität zu erhalten. Änderungen am Prozess haben direkten Einfluss auf die Produktqualität und führen in der Regel zu Ausschussproduktion. Durch die thermische Trägheit im Prozess sowie die zum Teil hohen Verweilzeiten in der Schmelze dauert es mehrere Tage bis Wochen, um Betriebspunkte einzustellen und ein nutzbares, den Qualitätsanforderungen entsprechendes Produkt zu erhalten. - Dekarbonisierung: Steigender Strombezug, gleichbleibend geringe Energieflexibilitätspotenziale
Die Dekarbonisierung der Glasindustrie basiert vor allem auf einer verstärkten Elektrifizierung, entweder durch vollelektrische oder hybride Schmelzwannen. Beide Technologien erhöhen den Strombezug der Produktionsstandorte signifikant. Weiterhin müssen die Prozesse jedoch kontinuierlich betrieben werden, um die Produktqualität aufrechtzuerhalten und die Anlage nicht zu schädigen. Dabei ist keine nennenswerte Energieflexibilität in der Leistungszufuhr vorhanden. Ein Wegfall der Bandlastprivilegierung verteuert den Strombezug erheblich und führt insbesondere bei hybriden Schmelzwannen dazu, dass der fossile Erdgaseinsatz die wirtschaftlichere Option ist. Das Ziel der Dekarbonisierung sollte durch entsprechende Anreize, auch in der Netzentgeltsystematik, priorisiert und unterstützt werden.
- Flexibilität vs. Effizienz, Lebensdauer und wirtschaftliche Auslastung
Anpassungen der Betriebspunkte der Schmelzwanne nehmen in der Regel Stunden bis Tage, zum Teil bis Wochen, ein. Jede Anpassung ist mit Produktausschuss verbunden und verringert die Lebensdauer der Schmelzwannen und ggf. der Transformatoren. Um eine Schmelzwanne wirtschaftlich zu betreiben, muss diese bei möglichst langer Lebensdauer kontinuierlich unter Volllast ausgelastet sein. Jede Anpassung des Betriebspunktes verringert außerdem die Energieeffizienz der Schmelzwanne. Insbesondere hybride Schmelzwannen werden sowohl mit ihrer Wannengröße für die geplante Anzahl an Elek-troden als auch in der Größe des Oberofens für die dazugehörige Gasflamme entsprechend eines optimalen Betriebspunktes auf maximale Effizienz ausgelegt und dimensioniert. - Kosten und wirtschaftliche Risiken im Stromeinkauf
Die durch den Wegfall der Bandlastprivilegien entstehenden Kosten sind nicht durch alternative Erlösmöglichkeiten, beispielsweise durch eine denkbare Vermarktung am Regelenergiemarkt, kompensierbar. Dazu ist das technisch mögliche Energieflexibilitätspotenzial zur Bereitstellung entsprechender Leistung zu gering. Hinzu kommt, dass die Baseload-Versorgung häufig je nach Risikobereitschaft der Glasproduzenten über langfristigen Stromeinkauf bereits mehrere Jahre im Voraus abgesichert wird, um sich gegen Preisrisiken abzusichern, und nur ein kleiner Teil über den Spotmarkt kurzfristig beschafft wird. Um auf Preissignale reagieren zu können, müsste der Stromeinkauf stärker am Spotmarkt ausgerichtet sein, was zu einem größeren Risiko der Abhängigkeit von kurzfristigen Preisschwankungen führt. Da die Prozesse kontinuierlich betrieben werden müssen und keine relevanten Energieflexibilitätspotenziale aufweisen, müsste dann auch bei kurzfristig hohen Preisen Strom bezogen werden.
Projektpartner
Bundesverband Glasindustrie e. V.
Weitere Informationen
- Zur Studie auf der Website des BV Glas: Energieflexibilität in der Glasindustrie