Beitragsreihe: Die Symbiose aus MCS-Laden und der Photovoltaik – Was ist möglich?
Um die deutschen Klimaschutzziele zu erreichen, müssen die Emissionen schwerer Nutzfahrzeuge bis 2045 auf Nettonull reduziert werden. Mit immer leistungsfähigeren Batterien, einer wachsenden Ladeinfrastruktur und zunehmenden Skaleneffekten sind die Voraussetzungen günstig die Transformation hin zu klimaneutralen Antrieben in Sektor schwerer Nutzfahrzeuge anzustoßen. Die Transformation ist dabei längst kein Nischenthema mehr. Die Logistik-Branche beschäftigt sich intensiv mit dem Wechsel und wartet auf den Eintritt klimaneutraler Fahrzeuge in den Massenmarkt.
Dieser Übergang steht dabei sowohl vor technischen, infrastrukturellen Problemen also auch vor energie- und betriebswirtschaftlichen Herausforderungen. Auf technischer und infrastruktureller Seite sind vorrangig der Mangel an Ladeinfrastruktur und die hintergründig damit verbundene Geschwindigkeit beim energieinfrastrukturellen Ausbau zu benennen. Energie- und betriebswirtschaftlich sind die hohen Anfangsinvestitionen für Infrastruktur und Fahrzeuge die größten Hemmnisse. Doch es gibt auch Möglichkeiten, diese Herausforderungen zu adressieren. So kann das optimierte, bidirektionale Laden im Depot dazu beitragen, die Kosten zu vermindern. Zudem stellt die Symbiose aus PV-Anlagen und dem öffentlichen Laden während der Mittagszeit einen vielversprechenden Lösungsansatz zur Deckung des Ladebedarfs dar.
In dieser fünfteiligen Beitragsreihe werden wir uns eingehend mit verschiedenen Aspekten der Transformation zum klimaneutralen Nutzfahrzeugsektor beschäftigen. Im Fokus stehen hierbei vorrangig batterieelektrische Nutzfahrzeuge.
Beiträge:
- Hochlaufpfade zum klimaneutralen Schwerlastverkehr
- Schnellladeinfrastruktur in Deutschland – Bedarf und Potenziale
- Die Symbiose aus MCS-Laden und der Photovoltaik – Was ist möglich?
- Elektrifizierung im Depot – Bidirektionales Laden von Nutzfahrzeugen als Enabler?
- Die Zukunft klimaneutraler Nutzfahrzeuge
Im vorangegangenen Teilen unserer Beitragsreihe zur Schwerlastelektrifizierung wurden die zukünftigen Anforderungen an die Ladeinfrastruktur auf dem Weg zu einem klimaneutralen Schwerlastverkehr skizziert und deren Herausforderungen aufgeführt. Neben der dafür notwendigen Energie wird besonders die zur Mittagszeit aus Schnellladevorgängen resultierende Lastspitze das Energiesystem vor eine deutliche Herausforderung stellen. Das Ladeverhalten, bei dem die benötigte Energie mittags während der Pausen geladen wird, führt an Raststätten zu einem typischen Lastverlauf in Form einer Glockenkurve (Vgl. Abbildung 2 in Beitrag 2). Am Abend entsteht durch das öffentliche Laden über Nacht ein zweiter Peak. Diese Glockenkurve erinnert stark an das Einspeiseverhalten von PV-Anlagen. Deren Stromerzeugung erreicht typischerweise ebenfalls ihren Höhepunkt in der Mittagszeit. Somit stellt sich die Frage, ob eine „Symbiose“ zwischen PV-Erzeugung und MCS-Laden rund um Raststätten besteht. Mit dieser Thematik beschäftigt sich der folgende, dritte Artikel unserer Beitragsreihe.
Wie im vorangegangen Artikel beschrieben liegt die prognostizierte Spitzenlast, die allein das Schnellladen von batterieelektrischen Nutzfahrzeugen zur Mittagszeit zur Folge haben wird, bei circa 11 GW. Die einzelnen Raststätten werden hierfür jeweils mehrere MW an Ladeinfrastruktur bereit stellen müssen. Um die notwendigen Ausbaukosten der Anschlusskapazität potenziell vermindern zu können, stellt sich die Frage, inwieweit lokale Stromerzeugung aus PV-Anlagen und die Installation von Großbatteriespeichern in unmittelbarer Nähe von Raststätten dazu geeignet sind, Lastspitzen und Energiebedarfe des Schnellladens zu decken bzw. abzumindern.
Durch eine Analyse des FfE-GeoDataLabs zum Flächenpotenzial in und um Raststätten in Deutschland wird die Vereinbarkeit von PV-Anlagen und Schnellladen näher untersucht. In Raststätten wurde die Option einer PV-Überdachung der Lkw-Parkplätze evaluiert, um das Potenzial der örtlich unmittelbaren Erzeugung auszuschöpfen. Bei der Kalkulation dieses Flächenpotenzials in der Umgebung wurden vereinfachend Flächen radial mit einem definierten Abstand zur Raststätte hinsichtlich deren PV-Eignung analysiert und die auf diesen Flächen potenziell mögliche PV-Leistung kalkuliert. Abbildung 1 stellt in diesem Zusammenhang beispielhaft eine Raststätte bei Meynbach in Mecklenburg-Vorpommern dar, für die das PV-Potential in einem Radius von 500, 1.000 und 1.500 Metern eingetragen ist.
Im nächsten Schritt wurde diese Methode auf alle 351 Raststätten angewandt, welche derzeit im geplanten LkW-Schnelladenetz des Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) als Standorte veröffentlicht wurden und die geplante Ladeleistung dem lokalen PV-Potenzial gegenübergestellt. Als Ladeleistung wurde dabei die jeweils an diesen Standorten veröffentlichte, geplante Anschlussleistung analysiert. Abbildung 2 verdeutlicht dies in einer aggregierten Gegenüberstellung der installierten Leistung und dem möglichen PV-Potenzial (Darstellung in Absolutwerten) für den in Abbildung 1 dargestellten Standort.
Es wird deutlich das die installierte Leistung der Ladeinfrastruktur und somit auch die Lastspitze durch eine PV-Flächenerschließung im Radius von deutlich unter 500 m um die Raststätte bei entsprechenden Wetterverhältnissen gedeckt werden könnte. Bei Anwendung dieser Methodik auf die geplanten Standorte des Schnellladenetztes (vergleiche Abbildung 3) wird deutlich, dass rund um den Großteil der Raststätten ein hohes Flächenpotenzial besteht. Es zeigt sich, an welchen Standorten und zu welchem Anteil die geplante Ladeleistung durch überdachte PV-Flächen sowie radiale Bebauung im Umkreis von 500 – 1.500 m bilanziell „gedeckt“ werden kann (ausschließliche Betrachtung installierte Leistungen im Fall der Erschließung der PV-Flächen). Der Großteil der Flächen rund um die Raststätten ist somit grundsätzlich geeignet für PV-Anlagen und kann somit zur Reduktion der Lastspitze beitragen.
Die ausschließliche Analyse der installierten Leistung verdeutlicht jedoch nur, dass grundsätzlich das Potenzial besteht, die lokale Lastspitze bei entsprechenden Wetterverhältnissen zu vermindern. Zur ganzheitlichen Einordnung ist die Analyse der zeitlichen Dimension unumgänglich. Unter Annahme von durchschnittlich 1.000 Vollbenutzungsstunden jährlich in Deutschland, resultiert für die in Abbildung 3 dargestellte Flächennutzung von 500 – 1.500 m rund um Raststätten eine erzeugte Energie von ca. 6,9 – 17,1 TWh. Im Vergleich zu den in Beitrag 1 für 2035 kalkulierten Energiebedarfen im Jahr 2035 von 15 – 50 TWh kann bilanziell durch PV-Anlagen rund um Raststätten somit ein nicht unwesentlicher Anteil gedeckt werden, wobei die Problematik der Saisonalität von PV-Erzeugung nicht berücksichtigt wird.
Auf Basis der zuvor gewonnenen Erkenntnisse stellt sich die Frage, wie „symbiotisch“ sich die zeitliche und saisonal geprägte PV-Erzeugung sowie potenzielle Ladebedarfe batterieelektrischer Langstreckenfahrzeuge zueinander verhalten. Um dieser Fragestellung zu beantworten wurde ein genereller Ansatz gewählt. Ein erster Schritt ist die Analyse von charakteristischen, wöchentlichen Mobilitätsprofilen von Langstreckenfahrzeugen (tägliche Route > 400 km), welche mit dem Markow-Mobilitätsmodel der FfE ausgewertet wurden. Abbildung 4 zeigt die Standorte, an denen sich Langstreckenfahrzeuge durchschnittlich im Wochenverlauf aufhalten. Die Beschränkung auf Fahrzeuge mit einer Tagesfahrleistung >400 km ergibt sich aus der Annahme, dass diese Fahrzeuge ihre Touren nicht mit einer Batterieladung durchführen können und somit zum primären Treiber des öffentlichen Schnellladens im Segment der schweren Nutzfahrzeuge werden.
Es wird deutlich, dass die Fahrzeuge werktags fast ausschließlich über Nacht am Heim-Depot sind und ein Großteil des Zwischenladebedarfs am Tag extern stattfinden muss. Während bei der PV-Erzeugung sowohl die Tages- als auch die Jahreszeiten sehr starken Einfluss haben, ist der saisonale Trend bei den Ladebedarfen der Nutzfahrzeuge weniger ausgeprägt. Ein Jahresladelastgang wird daher vereinfacht durch die wiederholte Aneinanderreihung eines durchschnittlichen Wochenladelastgangs approximiert. Dieser Wochenladelastgang wird anhand von 100 generisch erzeugten Fahrprofilen aus dem Markow-Mobilitätsmodell ermittelt. Einflussfaktoren wie der erhöhte Verbrauch bei niedrigen Temperaturen, wurde nur sekundär über den hinterlegten Durchschnittsverbrauch der Fahrzeuge berücksichtigt. Das daraus resultierende durchschnittliche Ladebedarfsprofil für Langstreckenfahrzeuge ist in Abbildung 5 dargestellt. Es stellt exemplarisch dar, wie jedes Fahrzeug des heutigen Fahrzeugbestands aus Langstreckenfahrzeugen in elektrifizierter Variante über die Woche das Netz belasten würde, wodurch dieses Profil über Mantelzahlen skaliert werden kann.
Durch die in Abbildung 5 dargestellten Wochenlastgang eines durchschnittlichen Langstrecken-Lkw in DE kann über den Anteil öffentlich geladener Leistung (Blaue Kurve) somit näherungsweise berechnet werden, welchen Lastgang eine vollelektrifizierte Langstrecken-Fahrzeugflotte in 2045 aufweist und dies in Relation zur PV Erzeugung gesetzt werden. Dazu wird der öffentlich geladene Wochengang mit der prognostizierten Mantelzahl für das Jahr 2045 aus dem ersten Beitrag dieser Reihe verrechnet (173.800 Langstrecken-Fahrzeuge in 2045), woraus ein näherungsweiser Lastgang der Fahrzeuge für Gesamtdeutschland resultiert. Hier gilt zu berücksichtigen, dass das heutige Mobilitätsverhalten (vgl. Abbildung 4) unbearbeitet auf 2045 projiziert wird und auch zur erwartende Effizienzentwicklungen vernachlässigt werden. Dem gegenüber gestellt wird die Kalkulation des Erzeugungsgangs aus den jeweils berechneten Flächen mit Einstrahlungsdaten aus dem Jahr 2012. Auf dieser Basis wird ermittelt, welcher prozentuale Anteil der Ladeenergie pro Woche direkt über die PV-Systeme gedeckt werden kann. Auch wird für jede Woche der Eigendeckungsgrad unter Berücksichtigung eines entsprechend dimensionierten Speichersystem bestimmt. Abbildung 6 verdeutlicht diese Auswertung für die 52 Wochen und drei Flächenszenarien.
Erwartungsgemäß zeigt sich das die Deckung des (wochenweise konstant angenommenen) Energiebedarfs im Winter aus PV-Systemen auch bei einer erschlossenen Fläche mit 1,5 km Radius nahezu nicht möglich ist. Auch trägt die Deckung mit einer erschlossenen Fläche mit einem 500 m Radius nur zu einer maximalen Deckung von ca. 50 % des Bedarfs bei. Dabei gilts es zu berücksichtigen, dass ausschließlich die 351 Raststätten des Lkw-Ladenetztes ausgestattet werden (vgl. Abbildung 2) und demgegenüber der Ladebedarf einer vollelektrifizierten Langstrecken-Nutzfahrzeug-Flotte im Jahr 2045 steht. Der Vergleich aus direktem und wochenweise bilanziellem Eigendeckungsgrad zeigt auch, dass in Summe ein signifikantes Potenzial für stationäre Speicher besteht, das ausschließlich aus dem Use-Case der Eigenverbrauchoptimierung deutschlandweit bis zu 2.258 GWh verschieben könnte. Diese Speicher haben darüber hinaus noch weitere Use-Cases, wie die Spitzenlastreduktion (durch langsames Laden in Zeiten niedriger Last und Entladen in Zeiten hoher Last), der Teilnahme an energiewirtschaftlichen Märkten oder auch einem zukünftig möglichen „netzdienlichen“ Einsatz, wodurch der Standort zur Stabilisierung des lokalen Netzes beiträgt. Unsere Analyse bietet eine erste Indikation für das signifikante Potenzial von „integrierte Ladestandorten“, dem jedoch noch einige Hürden entgegenstehen.
Eine dieser Hürden, welche in einem abschließenden Exkurs analysiert wird, ist die Anzahl potenzieller „Verhandlungspartner“ bei der Umsetzung eines integrierten Standortes. Zur Hebung des Potenzials und der Erschließung des berechneten PV-Potenzials im Umkreis eines Radius von 500 – 1.500 m rund um Raststätten müssen signifikante Flächen bebaut werden. In einer Flächenanalyse wird am Beispiel der Raststätten des Bundeslandes Bayern evaluiert, wie viele Parteien im Maximum pro Standort bei der PV-Erschließung involviert werden müssten. Hierzu wurde die Anzahl der Flurgrundstücke in den betrachteten Flächen kalkuliert. Dies klärt zwar nicht direkt die absolute Anzahl an Parteien, welche bei Projektierung involviert werden müssten, da mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrere Grundstücke auch dem selben Besitzer zugeordnet werden können. Es bietet jedoch eine erste Indikation. Abbildung 7 verdeutlicht dies für die Standorte in Bayern für Flächen in einem Radius von 500 m um die betrachteten Standorte.
Im Mittel resultiert dabei eine Anzahl von 55 Flurgrundstücken, wodurch das Ausmaß und die Komplexität bei der Umsetzung eines „integrierten Ladestandorts“ deutlich wird. Auch gilt dabei zu berücksichtigen, dass diese Vorhaben mit Anschlüssen in der Mittel- bis Hochspannungsebene einen signifikanten Eingriff in das lokale Verteil- und Übertragungsnetz bedeuten. Wie wir in einem weiteren Discussion-Paper verdeutlicht haben, benötigen Vorhaben dieser Art signifikanten Vorlauf (mehrere Jahre) zur Realisierung. Um potenzielle „integrierte Ladestandorte“ umzusetzen bedarf es in naher Zukunft somit vor allem eins – Tempo!
Im nächsten, vierten Beitrag dieser Beitragsreihe betrachten wir die andere Seite des Ladens und werfen wir einen Blick auf das (optimierte) Laden von Nutzfahrzeugen im heimischen Depot.
Weitere Informationen:
- Nutzfahrzeugelektrifizierung für Transportsektor-optimierte Netzanbindung (NEFTON)
- Einfluss des Hochlaufs batterieelektrischer Nutzfahrzeuge auf die Verteilnetzplanung
- SPIRIT-E – Shared private charging infrastructure and reservation for bidirectionally integrated truck elektrification
- Bid-E-V – Bidirektionale elektrische Vans