27.04.2020

Umwelteinflüsse digitaler Partizipationskonzepte – ökologische Aspekte eingesetzter digitaler Infrastruktur

Bei der Entwicklung und Umsetzung des Partizipationskonzeptes für ALF als auch in weiteren C/sells Partizipationszellen konnten Erkenntnisse zu Herausforderungen und Erfolgsfaktoren gesellschaftlicher Partizipation im digitalen Energiesystem gesammelt werden. Nach der Einführung ist dieser Artikel Teil 4 einer kurzen Beitragsserie von vier Beiträgen, in der wir diese näher erläutern werden:

Grundlage für alle C/sells-Lösungskonzepte ist eine digitale Energieinfrastruktur als Kommunikationseinheit. Wie bereits in den vorherigen Beiträgen erläutert, soll diese durch den Rollout intelligenter Messsysteme (iMSys) im Zuge des Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende (GDEW) [3] realisiert werden. Um den angestrebten Beitrag zur Energiewende durch neue digitale Partizipationsmöglichkeiten zu erreichen, bedarf es einer nachhaltigen Gestaltung der damit einhergehenden Digitalisierungsmaßnahmen. Im Zuge des Demonstrationsprojektes ALF erfolgt eine ganzheitliche Bewertung notwendiger digitaler Infrastruktur für die Realisierung partizipativer Lösungskonzepte auf Haushaltsebene, wobei der Fokus auf der ökologischen Nachhaltigkeit liegt [2] (weitere Informationen hier). Die Methodik und Ergebnisse werden in diesem letzten Artikel der Beitragsreihe „Partizipation im (digitalen) Energiesystem“ dargelegt.

Methodik zur Bewertung ökologischer Nachhaltigkeit digitaler Energieinfrastruktur

Analog zu neuen Partizipationsmöglichkeiten für Haushalte im (digitalen) Energiesystem erfolgt die Bewertung für zwei ausgewählte Anwendungsfälle („Use Cases“). Dabei wird zunächst der Prosumer betrachtet, welcher für die Bewertung als Haushalt mit PV-Anlage definiert ist. Der zweite betrachtete Use Case ist der sogenannter Flexumer, welcher seine dezentralen Speicher, Erzeugungs- oder Verbrauchsanlagen zum flexiblen Einsatz und somit zur Netzstabilisierung anbietet (vgl. Erläuterung im Hintergrund der Beitragsreihe).

Die Bewertung definierter Kriterien erfolgt anhand der aus der Informations- und Kommunikationstechnik stammenden ICT (Information and Communications Technology) Enablement Methodology nach [4]. Bestandteile der ökologischen Bewertung sind demnach die Quantifizierung der Ressourcenintensität, verursachter Emissionen und die qualitative Untersuchung von systemübergreifenden Auswirkungen. Betrachtet werden die verschiedenen Lebenszyklusphasen Produktion, Installation, Betrieb und Verwertung der digitalen Energieinfrastruktur. Abbildung 1 stellt die Systemgrenzen dar, welche auch in den Analysen für die oben beschriebenen Use Cases berücksichtigt werden. Als Bezugsgröße (funktionelle Einheit) ist die Stromzähler-Infrastruktur eines deutschen Privathaushalts über ein Jahr definiert.  Der Prosumer ist mit einer modernen Messeinrichtung (mME) sowie einem Smart Meter Gateway (SMGW) ausgestattet, beim Flexumer ist zusätzlich eine Steurbox installiert. Das Referenzszenario stellt ein Haushalt mit konventionellem, elektromechanischem Stromzähler dar. Auf Grund der gewählten Systemgrenzen liegen die Komponenten und die Datenübertragung des Kommunikationssystems externer Akteure (u. a. Verteilnetzbetreiber, externer aktiver Markteilnehmer) außerhalb des Untersuchungsrahmens.

Abbildung 1: Systemgrenzen der ökobilanziellen Bewertung digitaler Infrastruktur anhand eines Pro- und Flexumer-Haushaltes

Neben den direkten Emissionen (Ergebnisse der ökobilanziellen Bewertung) ist auch der positive Beitrag (ökologischer Mehrwert oder „Enablement-Effekt“) durch den Anwendungsfall zu berücksichtigten. Beispielsweise ermöglicht die digitale Infrastruktur eine verbesserte Integration von erneuerbaren Energien durch netzdienliche Steuerung dezentraler Anlagen. Jedoch sind auch sogenannte „Rebound-Effekte“ (vgl. [5], [6]) als Bestandteil einer ökologischen Bewertung zu beachten. Direkte und indirekte Rebound-Effekte wirken sich negativ aus, indem sie den erzielten ökologischen Mehrwert teilweise oder sogar gänzlich kompensieren. Ein Beispiel: Die generierten Daten durch digitale Infrastruktur erlauben die Visualisierung des Verbrauchs, was bei Haushalten zu verstärktem Bewusstsein und folglich zu energiesparendem Verhalten führen kann. Ein direkter Rebound-Effekt können die Umweltwirkungen zusätzlicher, im Zuge des Use-Cases genutzter Geräte sein, z. B. die Anschaffung von In-Home-Displays zur Datenvisualisierung. So können die Lebenszyklusemissionen dieser Geräte den ökologischen Mehrwert der erzielten Energieeinsparungen ausgleichen. Für das Auftreten von Rebound-Effekten sind u.a. auch Verhaltensweisen ausschlaggebend. So können erzielte Energieeinsparung im Haushalt zu Mehrausgaben für andere energieintensive Güter oder Dienstleistungen führen. Ein Beispiel für einen indirekten Rebound-Effekt wäre die Investition in einen zusätzlichen Kurzurlaub. Die damit verbundenen Umweltauswirkungen können vermiedene Emissionen teilweise oder gänzlich ausgleichen und im schlimmsten Fall sogar zu höheren Umweltwirkungen führen.

Ergebnisse und Fazit

Berechnete direkte Emissionen als Ergebnis der ökobilanziellen Bewertung zeigen höhere ökologische Implikationen für neue Haushaltsrollen gegenüber dem konventionellen Letztverbraucher. Der Stromverbrauch des iMSys gilt dabei als größter Einflussfaktor, wobei knapp zwei Drittel des erzeugten Treibhauspotenzials durch den derzeitigen nationalen Strommix bedingt sind. Wie Abbildung 2 zeigt, kann das zusätzlich verursachte Treibhauspotenzial digitaler Energieinfrastruktur im Haushalt durch die Dekarbonisierung des Strommixes jedoch kompensiert werden. Falls der Ausbau erneuerbarer Energien gemäß des für die Sensitivitätsanalysen verwendeten Klimaschutzszenarios „fuEL“ (vgl. [1]) voranschreitet, kann dieser Ausgleich bis zum Jahr 2040 erfolgen. Ab diesem Jahr liegen die jährlichen Emissionen je Use-Case unter jenen der Infrastruktur des derzeitigen konventionellen Consumers.

Abbildung 2: Sensitivitätsanalyse der Klimawirkung der iMSys-Infrastruktur in Abhängigkeit von dem Emissionsfaktor des Strommixes nach Jahr

Die höheren Umweltwirkungen der digitalen Stromzählinfrastruktur in den Haushalten könnten potenziell durch die identifizierten Enablement-Effekte mehr als ausgeglichen werden. Dabei müssen jedoch mögliche Rebound-Effekte verhindert werden. Um Rebound-Effekten entgegenzuwirken, kommt der Partizipationsarbeit eine bedeutende Rolle zu, um beispielsweise durch Informationskampagnen zur Bewusstseinsbildung beizutragen. Im Projekt C/sells wird dies durch Öffentlichkeitsarbeit vor Ort umgesetzt, wie in Teil 1 der Beitragsreihe erläutert.

Dieser Artikel ist Teil 4 von 4 der Beitragsreihe „Partizipation im zukünftigen (digitalen) Energiesystem“.

Literatur:

[1] Fattler, Steffen; Conrad, Jochen; Regett, Anika et al.: Dynamis – Dynamische und intersektorale Maßnahmenbewertung zur kosteneffizienten Dekarbonisierung des Energiesystems. München: Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V., Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft mbH, Technische Universität München, 2019.
[2] Wohlschlager, Daniela et al.: Ökologische Bewertung digitaler Energieinfrastruktur. In: 16. Symposium Energieinnovation 2020: ENERGY FOR FUTURE – Wege zur Klimaneutralität; Graz: Technische Universität Graz (TU Graz), Institut für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation (IEE), 2020.
[3] Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende. Berlin: Bundesregierung, 2016
[4] Neves, Luis et al.: Evaluating the carbon-reducing impacts of ICT – An assessment methodology. Brussels, Belgium: Global e-Sustainability Inititiative (GeSI), 2010.
[5] Horner, Nathaniel C. et al.: Known unknowns: indirect energy effects of information and communication technology. Philadelphia: IOP Publishing Ltd, 2016.
[6] Mauch, Wolfgang Prof. Dr.-Ing.: Rebound-Effekt – Bitterere Rückschläge in: Transfer. EVU-Partnerjournal der RWE Vertrieb. München: Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V. (FfE), 2011