22.06.2021

Beitragsreihe Wasserstoff: Wo soll Wasserstoff verwendet werden?

Spätestens seit der verabschiedeten nationalen Wasserstoffstrategie ist Wasserstoff in aller Munde. Auch an der FfE wird Forschung betrieben in Bezug auf den Beitrag von Wasserstoff im zukünftigen Energiesystem. In aktuellen Projekten liegt der Fokus u. a. auf der nachhaltigen Erzeugung, dem Transport und dem Verbrauch von Wasserstoff. Daneben beschäftigt sich die FfE mit dem Markthochlauf sowie potenziellen Geschäftsmodellen.

Dieser Beitrag ist der dritte einer Reihe von sechs Beiträgen, die sukzessive in den kommenden Wochen erscheinen werden. In dieser Beitragsreihe werden die wichtigsten Aspekte zum Thema Wasserstoff kurz, verständlich und kompakt erläutert.

Übersicht über die Themen der Beitragsreihe Wasserstoff

  1. Historie des Wasserstoffs als Energieträger
  2. Wie wird Wasserstoff produziert?
  3. Wo soll Wasserstoff verwendet werden?
  4. Wie wird Wasserstoff transportiert?
  5. Welchen Beitrag kann Wasserstoff zur Energiewende liefern?
  6. Übersicht aktueller Wasserstoffprojekte

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem Thema der Verwendung von Wasserstoff und damit der Frage, in welchen Bereichen Wasserstoff heute bereits eingesetzt wird und wo der Einsatz zukünftig sinnvoll ist. Wasserstoff kann sowohl stofflich als auch energetisch genutzt werden. Derzeit wird Wasserstoff, abgesehen von kleineren Mengen in der Stahlindustrie, fast ausschließlich stofflich genutzt. Prospektiv kann der Wasserstoff auch in Kesseln bzw. Industrieöfen oder Brennstoffzellen zur Wärme- und seltener auch zur Stromerzeugung genutzt werden. Wasserstoff dient darüber hinaus als Basis zur Herstellung von synthetischen gasförmigen, flüssigen und festen Kohlenwasserstoffen. Im Folgenden werden einige typische Sektoren und Anwendungen vorgestellt, in denen Wasserstoff heute und in Zukunft in großen Mengen eingesetzt werden könnte.

Häufig werden in der aktuellen Diskussion energetische Anwendungen von Wasserstoff diskutiert, insbesondere im Bereich Transport und Mobilität. Doch nur ein Bruchteil von 0,01 Prozent der gesamten globalen Wasserstoffnachfrage wird aktuell im Sektor der Mobilität genutzt. Stoffliche Anwendungen dominieren die aktuelle Nachfrage nach Wasserstoff. Dieser wird einerseits in Raffinerien zur Herstellung von konventionellen Kraftstoffen und andererseits in der Grundstoffchemie zur Herstellung von Ammoniak und Methanol genutzt. [1] Ammoniak wird beispielsweise zu Dünger weiterverarbeitet und wird auch künftig in großen Mengen benötigt. Der gesamte nationale Wasserstoffverbrauch in Deutschland beträgt aktuell rund 55 TWh. Diese bisherigen „grauen“ Wasserstoffbedarfe (siehe auch Teil 2 der Beitragsreihe) können bereits heute ohne technische Änderungen an den Prozessen durch klimaneutralen hergestellten Wasserstoff ersetzt werden, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren. [2]

Abbildung 1: Globale Nachfrage nach Wasserstoff je Anwendung im Jahr 2018, Daten [1]

Künftig ist eine Steigerung der Nachfrage nach Wasserstoff wahrscheinlich, da dieser in vielen schwer zu dekarbonisierenden Sektoren und Anwendungen eine Reduktion der CO2-Emissionen ermöglicht. Wasserstoff spielt hier eine Schlüsselrolle zur Sektorenkopplung. Die Bundesregierung erwartet eine Verdopplung der Nachfrage auf bis zu 110 TWh bis zum Jahr 2030. [2] Für das Jahr 2050 quantifizieren Studien Bedarfe an Wasserstoff und dessen Derivaten in Deutschland, die typischerweise zwischen 400 bis 800 TWh betragen. [3, 4] Im Folgenden wird auf die wahrscheinlichen „No Regret“ – Anwendungen der nahen Zukunft in verschiedenen Sektoren eingegangen. [5]

Im Industriesektor wird künftig, insbesondere in der Stahlproduktion, die Nachfrage nach Wasserstoff hoch eingeschätzt. Hier bietet das Verfahren der Direktreduktion mit Wasserstoff das Potential die CO2-Emissionen der Herstellung von Stahl zu reduzieren, die aktuell im Hochofenprozess große Mengen an Kohle benötigt und europaweit circa 215 Millionen Tonnen CO2 emittiert. [6] Die Produktion von Stahl mittels Direktreduktion benötigt jedoch neue Produktionsanlagen und kann, anders als in der Grundstoffchemie, nicht durch einen reinen Wechsel des Energieträgers bzw. Rohstoffes dekarbonisiert werden. Ein europaweiter Umstieg auf Stahlproduktion mittels Wasserstoffes würde zu einer stark steigenden Nachfrage nach Wasserstoff führen (288 TWh im Jahr 2050). [6] Eine weitere mögliche Wasserstoffanwendung im Industriesektor sind Hochtemperaturprozesse, bei denen Wasserstoffbrenner zur Anwendung kommen könnten, die jedoch in Konkurrenz stehen zur Direktelektrifizierung der jeweiligen Prozesse. Für den gesamten Sektor der Industrie, inklusive der Grundstoffchemie, weisen Studien Bedarfe in Deutschland in Höhe von bis zu 50 TWh im Jahre 2030 und bis zu 500 TWh im Jahr 2050 aus. [3]

Neben dem Industriesektor hat auch der Verkehrssektor Potenzial für eine hohe zukünftige Wasserstoffnachfrage. Beispielsweise in der internationalen Luft- und Schifffahrt sind aufgrund der geforderten hohen Energiedichten elektrochemische Batteriespeicher häufig keine geeignete Technologie, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Hier werden aus Wasserstoff gewonnene synthetische grüne Kraftstoffe dank ihrer hohen Energiedichte, als geeignete Alternative zu fossilen Brennstoffen gesehen. Diese aus grünem Wasserstoff gewonnenen synthetischen Kraftstoffe werden im Falle flüssiger Kraftstoffe häufig auch als Power-to-Liquid (PtL) bezeichnet, während gasförmige Kraftstoffe häufig als Power-to-Gas (PtG) bezeichnet werden. [7] Diese synthetischen Kraftstoffe haben den Nachteil deutlich geringerer Wirkungsgrade gegenüber der Direktelektrifizierung. Wasserstoffbedarfe für den gesamten Verkehrssektor in Studien betragen bis zu 57 TWh im Jahr 2030 und schwanken im Jahr 2050 zwischen 150 und 300 TWh, mit Bedarfen in Luft- und Schifffahrt von 140 bis 200 TWh. Die Schwankungen der Bedarfe resultieren hauptsächlich aus unterschiedlichen Anteilen von Wasserstoff-Brennstoffzellenfahrzeugen im Straßenverkehr. Die Alternative dafür bietet in den jeweiligen Studien die direkte Elektrifizierung des Straßenverkehrs, also der Einsatz batterieelektrischer Fahrzeuge beziehungsweise oberleitungsgebundener Fahrzeuge. [3]

Im Umwandlungssektor erlaubt Wasserstoff eine saisonale Energiespeicherung. Wasserstoff kann mittels Elektrolyse aus erneuerbaren Energien gewonnen und gespeichert werden. In Zeiten geringen Stromangebots aus volatilen erneuerbaren Energiequellen kann dieser gespeicherte Wasserstoff in Gasturbinen oder Brennstoffzellen rückverstromt werden. Somit könnte Wasserstoff künftig zur Deckung der residualen Spitzenlast im Energiesystem genutzt werden. Der Bedarf im Umwandlungssektor fällt in Studien im Jahr 2030 mit bis zu 20 TWh noch gering aus, steigt aber in Studien bis zum Jahr 2050 bis auf 292 TWh. [3]

Abbildung 2: Potentielle Nachfrage nach Wasserstoff in Deutschland in verschiedenen Anwendungssektoren, Daten [2,3]

Neben den vorgestellten Anwendungen existieren viele weitere Anwendungen, wie etwa im Gebäude- bzw. Wärmesektor, deren zukünftiger Einsatz jedoch stark von den Wasserstoffkosten und weiteren Faktoren, wie der Renovierungsrate im Gebäudebestand, abhängig ist. Unter aktuellen Annahmen sind für diese Anwendungen Alternativen, beispielsweise Wärmepumpen, häufig günstiger und effizienter. [3] [5]

Wasserstoff lässt sich also sehr vielfältig einsetzen, wobei er in vielen Sektoren und Anwendungen in Konkurrenz steht zu alternativen Technologien, die ebenfalls eine Emissionsreduktion ermöglichen. Eine deutliche Erhöhung der Gesamtnachfrage nach Wasserstoff ist jedoch zu erwarten. Im Rahmen des Transferforschungsprojekts Trans4ReaL begleitet die FfE die Reallabore der Energiewende, bei denen u. a. verschiedene Anwendungen von Wasserstoff in industriellem Maßstab wissenschaftlich untersucht werden.

Weitere Informationen:

 

Literatur:

[1] International Energy Agency – IEA (2019) The Future of Hydrogen.
[2] BMWi (2020) Nationales Reformprogramm 2020 – Die Nationale Wasserstoffstrategie.
[3] Wietschel M, et al. (2021) Metastudie Wasserstoff – Auswertung von Energiesystemstudien: Studie im Auftrag des Nationalen Wasserstoffrats.
[4] Forschungstelle für Energiewirtschaft (2021) eXtremOS- Findings: How do extreme scenarios affect the European energy system? https://extremos.ffe.de/#findings. Accessed 14 June 2021.
[5] Agora Energiewende and AFRY Management (2021) No-regret hydrogen: Charting early steps for H₂ infrastructure in Europe.
[6] Hübner T, et al. (2021) European Steel with Hydrogen. http://ffe.de/veroeffentlichungen/ffe-discussion-paper-european-steel-with-hydrogen/. Accessed 13 June 2021.
[7] Pichlmaier S, Hübner T, Kigle Stephan (2019) Welche strombasierten Kraftstoffe sind im zukünftigen Energiesystem relevant? http://ffe.de/veroeffentlichungen/welche-strombasierten-kraftstoffe-sind-im-zukuenftigen-energiesystem-relevant/. Accessed 13 June 2021.