19.12.2022

Leitfaden zur Durchführung von Feldversuchen im Elektromobilitätskontext

Im Forschungsprojekt unIT-e² gibt es eine Vielzahl verschiedener Feldversuche. Um die Planung und Durchführung dieser Feldversuche zu unterstützen, wurde basierend auf den Erfahrungen vergangener Feldversuche eine Übersicht der wichtigsten Themen erstellt, die in den unit-e² Feldversuchen große Relevanz haben. Eine Liste mit den wichtigsten Punkten, gegliedert nach Rahmendaten, Planung, Umsetzung, Abschluss und Verwertung ist in Abbildung 1 zu sehen.

Essenzielle Planungspunkte für Feldversuche
Abbildung 1: Übersicht wichtiger Punkte bei der Durchführung von Feldversuchen im Elektromobilitätskontext

Diese Liste ist im Elektromobilitäts-Kontext ohne den Anspruch auf Vollständigkeit entstanden, kann jedoch durch entsprechende Anpassung auf andere Themenfelder übertragen werden. Im Folgenden werden die einzelnen Punkte genauer erläutert. Bevor jedoch mit der Ausgestaltung des Feldversuchs begonnen werden kann, ist es zwingend notwendig die zu untersuchenden Anwendungsfälle (Use-Cases) z. B. unter Zuhilfenahme der unIT-e² Use-Case-Methodik vollständig zu definieren 1 . Ebenso ist es empfehlenswert die (technische) Systemarchitektur mit der gesamten Prozesskette vor Beginn der Feldversuchsplanung zu beschreiben.

Rahmendaten

Zunächst müssen sich die beteiligten Partner auf die Rahmendaten des Feldversuchs verständigen. Darunter fallen neben der Dauer des Feldversuchs, auch dessen Beginn und dessen Verortung. Die Verortung des Feldversuchs kann je nach Anwendungsfall an öffentlichen, halb-öffentlichen und privaten Ladepunkten erfolgen. Weiterhin kann ein räumlich zusammenhängender Teil eines Netzgebietes, ein einzelner Netzstrang oder z.B. der Parkplatz eines Firmengeländes als Versuchsraum festgelegt werden.

Die Anzahl der Pilotkunden ist ein weiterer wichtiger Parameter, auf den sich verständigt werden muss. Je mehr Kunden für den Feldversuch gewonnen werden können, desto aussagekräftiger werden die gewonnenen Erkenntnisse und desto weniger Einfluss hat das Verhalten einzelner Pilotkunden auf die erfolgreiche Durchführung des Feldversuchs. Mit steigender Kundenzahl ist jedoch mit steigendem Aufwand und Kosten zu rechnen. Folglich ist die Durchführung einer Kosten-Nutzen-Abwägung empfehlenswert. Eine Definition der Anforderungen an die Pilotkunden (z. B. technische Voraussetzungen der Kundenanlage, Anschlussart, Energie­versorger, vorhandenes Elektrofahrzeug, Erst- oder Zweitwagen, vorhandene Wallbox etc.) ist empfehlenswert und vereinfacht die spätere Kundenakquise.

Alle für die Umsetzung des Feldversuchs benötigten technischen Komponenten sind vollständig mit den benötigten Softwareständen und verwendeten Schnittstellen zu definieren. Zusätzliche Angaben zu Lieferzeiten, der Bereitstellungsdauer und Ansprechpartnern für Supportanfragen zusammen mit der voraussichtlich benötigten Anzahl der Komponenten vervollständigen die Liste der benötigten Komponenten.

Planung

Bei der Planung des Feldversuchs sind eine Vielzahl unterschiedlicher Punkte zu berücksichtigen. Nachdem sich auf die Rahmendaten des Feldversuchs geeinigt wurde, sind die Rollen der Partnerunternehmen zu definieren. Folgende Fragen sind dabei von zentraler Bedeutung:

  • Grober Zeitplan: Wann müssen welche Meilensteine erreicht sein?
  • Wer akquiriert geeignete Pilotkunden und was sind geeignete Pilotkunden?
  • Wer ist für den End2End Test der Prozesskette und die Systemabsicherung verantwortlich?
  • Wer ist für den Versuchsaufbau an der Kundenanlage verantwortlich?
  • Wie erfolgt die Fahrzeugübergabe?
  • Wer ist während des Feldversuchs Ansprechpartner für die Pilotkunden?
  • Wie soll der rechtliche Rahmen ausgestaltet werden?

Welche Dokumente werden dem Pilotkunden über den Vertrag hinaus zur Verfügung gestellt (z.B. Infomaterialien)?

  • Gibt es Teilnehmerevents und wer ist dafür verantwortlich?
  • Gibt es Nutzerforschung und wie wird sie durchgeführt?

Wie sieht der Zeitplan aus?

Neben der Definition der Rahmendaten ist es unerlässlich einen Zeitplan für die Vorbereitung, die Durchführung und den Abschluss des Feldversuchs aufzustellen. Hierin werden zentrale Aufgaben und Meilensteine niedergeschrieben, die zur Bewertung des Fortschritts und zur Ableitung erforderliche Aufgaben herangezogen werden können. Die Zeitplanung kann in Form eines Gannt-Charts (vgl. Abbildung 2) erfolgen. Ein regelmäßiges kritisches Bewerten mit allen beteiligten Partnern und das Anpassen der Meilensteine ist empfehlenswert.

Gant-Chart mit Projektplanung
Abbildung 2: Gant-Chart mit Projektplanung

Wer akquiriert geeignete Pilotkunden?

Außerdem ist festzulegen, welcher Partner für die Pilotkundenakquise verantwortlich ist. Hierbei empfiehlt es sich die Unternehmen zu wählen, die bereits eine Kundenbasis und das Recht diese zu Werbezwecken kontaktieren zu dürfen haben.

Wurden von dem für die Pilotkundenakquise verantwortlichen Unternehmen anhand der festgelegten Rahmendaten geeignete Pilotkunden identifiziert, müssen diese für die Teilnahme am Feldversuch gewonnen werden. Klare Aussagen bezüglich der durch die Partner erbrachten Leistungen und die durch den Pilotkunden zu erfüllenden Pflichten können hierbei den Erfolg steigern.

Wurden Pilotkunden akquiriert, kann die Planung der technischen Umsetzung verfeinert werden. In Abhängigkeit der Kundenanlagen kann sowohl das Messkonzept entwickelt als auch die tatsächliche Anzahl der benötigten technischen Komponenten bestimmt werden. Dies kann entweder anhand eines Fragebogens oder durch die Begehung der Kundenanlage erfolgen.

Wer ist für den End2End Test der Prozesskette und die Systemabsicherung verantwortlich?

Bevor die benötigte Technik bei den Kunden verbaut werden kann, ist ein End2End Test der gesamten Prozesskette durchzuführen, um sicherzustellen, dass die beim Kunden verbaute Technik auch den benötigten Anforderungen entspricht. Idealerweise sollten mögliche Softwareupdates der verbauten Geräte remote erfolgen, um den Zugang zur Kundenanlage so gering wie möglich zu halten. Um die Planung der Systemabsicherung zu unterstützen ist es empfehlenswert eine Liste aller benötigten technischen Komponenten (evtl. sogar mit spezifischen Softwareständen) anzulegen. Ergänzt wird die Liste mit dem Ort, an dem sie benötigt werden, einem Zeitraum (von, bis) und der Anzahl. Diese liste lässt sich zum besseren Verständnis in einem Gantt-Chart (vgl. Abbildung 3) für die Komponentenplanung überführen. So können Meilensteine der allgemeinen Terminplanung relativ zu den Komponenten, als auch auftretende Verfügbarkeitskonflikte aufgezeigt werden.

Gant-Chart mit Komponenten Planung
Abbildung 3: Beispiel Terminplanung technische Komponenten (unvollständig)

Wer ist für den Versuchsaufbau an der Kundenanlage verantwortlich?

Anschließend kann die Planung der Versuchsaufbauten bei den Pilotkunden starten. Dabei sind entsprechend der bereits definierten Verantwortlichkeiten die technischen Komponenten zu liefern und beim Kunden zu verbauen. Eine gute Kommunikation zwischen dem verbauenden Unternehmen und dem Kunden ist hier einzuhalten. Lieferzeiten und Lieferverzögerungen sind frühzeitig zu kommunizieren und mit allen Beteiligten abzustimmen. Die Installation der Technik sollte, wenn möglich, gesammelt erfolgen.

Wie erfolgt die Fahrzeugübergabe?

Die Fahrzeugübergabe an die Pilotkunden und deren Einweisung kann im Rahmen eines Übergabeevents stattfinden, an dem alle Pilotkunden und beteiligten Unternehmen anwesend sind und das Projekt noch einmal präsentiert wird. Mit der Fahrzeugübergabe startet in der Regel der Feldversuch.

Wer ist während des Feldversuchs Ansprechpartner für die Pilotkunden?

Während des Feldversuchs ist den Pilotkunden ein zentraler Ansprechpartner für Supportanfragen zuzuweisen. Dieser steht dem Pilotkunden bei technischen Problemen zur Verfügung und organisiert die Beantwortung der Kundenfrage mit den Projektpartnern.

Wie soll der rechtliche Rahmen ausgestaltet werden?

Einer der wichtigsten Punkte ist die Ausgestaltung der Nutzerverträge. Eine mögliche Ausgestaltungsform ist ein gemeinsamer Rahmenvertrag, der durch individuelle Anlagen ergänzt wird. Alternativ kann ein Teilnehmervertrag erstellt werden, der alle Punkte des Feldversuchs abdeckt. Gestartet werden kann die Vertragserstellung beispielsweise mit einem Mustervertrag. Unabhängig von der gewählten Form ist es wichtig, die folgenden Aspekte zu regeln: Dauer und Umfang des Feldversuchs, Leistungen der Unternehmen und des Pilotkunden, Gutschriften, Kündigung, Haftung, Datenschutz und Geheimhaltung. Die frühzeitige Ausformulierung des Rahmenvertrags auf Grund der häufig langwierigen Prüfung durch die Rechtsabteilungen der beteiligten Unternehmen ist zu empfehlen.

Ist es für einen Feldversuch notwendig, mehrere Teilnehmerverträge zu erstellen, weil beispielsweise unterschiedliche Nutzergruppen (natürliche Person, Juristische Person) als Teilnehmer gewonnen werden konnten, können zunächst in einem zentralen Dokument (Mastervertrag) alle Themen ausgestaltet werden, die in beiden Verträgen identisch sind. Kleine Unterschiede (z. B. verschiedene Laufzeiten, Vergütungen, Komponenten etc.) können entweder als Alternative formuliert oder in Kommentaren festgehalten werden. Ist der Mastervertrag abgestimmt, lassen sich daraus zwei separate Dokumente erstellen, in denen das jeweils Zutreffende behalten, alles Unzutreffende gelöscht wird. So kann sichergestellt werden, dass die Rahmendaten in beiden Verträgen identisch sind. Eine parallele Arbeit an verschiedenen Dokumenten und mehrfache Abstimmungen zu den gleichen Themen kann so bis kurz vor Fertigstellung der Verträge vermieden werden.

Weiterhin sollte frühzeitig das Thema Datenschutz thematisiert werden. In einem ersten Schritt empfiehlt es sich, ein Datenflussdiagramm zu erstellen, welches abbildet, wo Daten anfallen und an wen Sie übertragen werden. Zum einen wissen so die beteiligten Unternehmen, an welcher Stelle Daten erhoben, gespeichert und übertragen werden. Zum anderen können daraus die für den Vertrag benötigten Datenschutzdokumente abgeleitet werden.

Werden personenbezogene Daten erhoben und unter den Partnern ausgetauscht, bietet es sich an, eine Vereinbarung gem. Art. 26 DSGVO (Gemeinsame Verantwortlichkeit) zu schließen. Hiermit regeln die Partner das Innenverhältnis und treten im Außenverhältnis (gegenüber dem Pilotkunden) als eine Einheit auf. Die Datenschutzhinweise fassen die Inhalte der Vereinbarung gem. Art. 26 DSGVO in einfacher und verständlicher Sprache zusammen und werden dem Pilotkunden bei Vertragsunterzeichnung zur Verfügung gestellt. Für beide Dokumente kann auf die Vorlagen des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Baden-Württemberg (zu finden: hier) zurückgegriffen werden.

Welche Dokumente werden dem Pilotkunden über den Vertrag hinaus zur Verfügung gestellt?

Über das Vertragswerk (Teilnehmervertrag und Datenschutzhinweise) hinausgehende Informationen können dem Kunden beispielsweise in Form eines Informationsflyers zur Verfügung gestellt werden. Damit erhält der Kunde eine kompakte und visuell ansprechende Zusammenfassung des Vorhabens und der zentralen Vertragsbestandteile. So kann dem Pilotkunden ein Dokumentenbundle aus Vertrag, Datenschutzhinweis und Informationsflyer übergeben werden.

Gibt es Teilnehmerevents und wer ist dafür verantwortlich?

Wenn es während des Feldversuchs Veranstaltungen für die Teilnehmer, z.B. mit dem Zweck des Informationsaustauschs oder in Verbindung mit Nutzerbefragungen geben soll, sind diese ebenfalls durch den Verantwortlichen frühzeitig zu planen und anzukündigen.

Gibt es Nutzerforschung und wie wird sie durchgeführt?

Soll während des Feldversuchs durch die beteiligten (Forschungs-) Partner Nutzerforschung betrieben werden, die Ausgestaltung (Onlinebefragung, Telefonate, Umfrageformular etc.) und der Umfang (Anzahl der Befragungen) festzulegen und dem Teilnehmer mitzuteilen.

Umsetzung

Während des laufenden Feldversuchs ist neben der Umsetzung der zuvor definierten Anwendungsfälle die Pilotkundenbetreuung von zentraler Bedeutung. Mittels Newsletter oder Infoveranstaltungen können die Pilotkunden über den aktuellen Stand des Feldversuchs auf dem Laufenden gehalten werden. Die kontinuierliche IT-Überwachung gepaart mit einem qualitativ hochwertigen IT-Service, an den sich die Pilotkunden im Problemfall wenden können, sorgt für einen reibungslosen Ablauf des Feldversuchs.

Eine gute Koordination zwischen den am Feldtest beteiligten Unternehmen und den Pilotkunden ist essenziell, um die verfügbare Zeit effizient zu nutzen und aufkommenden Problemen zielgerichtet entgegentreten zu können.

Mit dem Start des Feldversuchs beginnt die Datenerfassung und -auswertung. Durch gezieltes Monitoring der erfassten Messdaten können erste Erkenntnisse gewonnen werden, aus denen mögliche Änderungen der Use-Cases abgeleitet werden können. Das frühzeitige Erkennen nötiger Änderungen, oder weiterer bisher nicht berücksichtigter Potenziale können somit ad hoc in den Feldversuch integriert werden.

Neben der technischen Umsetzung des Feldversuchs bei den Pilotkunden ist eine umfangreiche Nutzerforschung wichtig. Die während des Feldversuchs gewonnenen Daten können über entsprechende Befragungen der Pilotkunden in Kontext gesetzt und weiter verfeinert werden. Eine regelmäßige Abstimmung zwischen den Partnern, die für die technische Umsetzung, die Datenerhebung und -auswertung und die Nutzerforschung verantwortlich sind, kann bei der Verfeinerung der Nutzerbefragungen hilfreich sein.

Abschluss und Verwertung

Mit Abschluss des Feldversuchs ist die Rückgabe der Fahrzeuge durch die Pilotkunden zu organisieren. Ebenso hat der Rückbau der beim Pilotkunden verbauten Technik zu erfolgen. Frühzeitige Planung und Terminabstimmung mit den durchführenden Unternehmen und den Pilotkunden schafft Klarheit über die Abläufe. Soll auf Grund vertraglicher Vereinbarungen verbaute Technik nicht zurückgebaut werden, ist deren Verbleib und Weiterbetrieb mit den Pilotkunden abzustimmen.

Mit dem Abschluss des Feldversuchs ist auch die Datenerhebung abgeschlossen. Darauf folgt die vollumfängliche Aufbereitung und Auswertung der Messdaten und der Daten der Nutzerforschung. Gewonnene Erkenntnisse können in Normgebungsverfahren eingebracht werden. Zusätzlich entstandene Forschungsfragen können in einem Nachfolgeprojekt erforscht werden.

Gewonnene Erkenntnisse aus der Kundenbetreuung und des IT-Betriebs und -Service können in Nachfolgeprojekten genutzt und weiter verbessert werden.

Mit der Abschlussveranstaltung werden die während des Feldversuchs gewonnenen Erkenntnisse mit den beteiligten Partnern geteilt. Zudem wird ein Abschlussbericht erstellt.

Dokumentation

Die oben aufgeführten Punkte und Verantwortlichkeiten müssen festgehalten werden. Hierzu wird eine zentrale, für alle Partner zugängliche Dokumentenverwaltung benötigt. Hierdurch kann vermieden werden Dokumente per E-Mail oder sonstiger Kommunikationsmedien zu teilen und somit eine unübersichtliche Anzahl an Kopien und Arbeitsständen einzelner Dokumente zu schaffen.

Die Bearbeitung der hier beschriebenen Inhalte erfolgt im Verbundprojekt unIT-e2 – Reallabor für verNETZte E-Mobilität. Die Aktivitäten der FfE im Verbundprojekt unIT-e2 werden im Rahmen des Förderprogramms „Wettbewerb Elektromobilität und Integration in das Energiesystem vom 29. Juni 2020“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert (Förderkennzeichen: 01MV21UN11).

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